Gottesdienst in St. Georg / Stuttgart zur Caritas Jahreskampagne
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Gottesdienst in St. Georg / Stuttgart zur Caritas Jahreskampagne
Armut macht krank Gottesdienst in St. Georg / Stuttgart zur Caritas Jahreskampagne 2012 „Armut macht krank – Wo es an Einkommen, Perspektiven und Bildung fehlt ist Krankheit ein häufiger Begleiter“. Liebe Schwestern und Brüder, wurden Sie morgens schon einmal von einem Kollegen oder Mitarbeiter am Arbeitsplatz mit einer herzlichen Umarmung begrüßt? Für ein kurzes Blitzlicht möchte ich Sie an meinen Arbeitsplatz in der Werkstatt für Menschen mit Behinderungen des Caritasverbandes für Stuttgart entführen. Caritasverband, Neckartalwerkstätten in Hedelfingen, es ist ca. 8.15 Uhr. Ich telefoniere gerade mit Kunden und spreche neue Aufträge und Termine ab. In dieses Bild stürmt Siggi hinein und ruft „Gudaa… Morgaaa… Herr Hellstern“ und nimmt mich fest in seine Arme. Diese herzliche Umarmung kommt nicht jeden Tag vor, doch sehr oft. Siggi ist ja nicht jeden Tag gut gelaunt und er begrüßt nicht alle Mitarbeiter und Mitarbeiter-innen so gefühlsbetont. Hinter dieser herzlichen Umarmung steckt eine Akzeptanz, Wertschätzung und Anerkennung, wir respektieren und achten uns. Das tut gut – beiden Seiten. Mit dieser Herzlichkeit starten wir in den Arbeitstag mit all seinen Schwierigkeiten und Problemen. Sie denken jetzt sicher der Hellstern lebt auch in einer heilen Welt. Das stimmt! Doch diese Situation ändert sich sehr schnell, wenn die anderen Beschäftigten in die Neckartalwerkstätten kommen und sich bei mir melden. Menschen, die kein Geld für die Straßenbahn haben und bei mir „Arbeit statt Strafe“ ableisten müssen. Es kommen Langzeitarbeitslose, die durch ein Praktikum wieder in eine Tagesstruktur finden wollen. Frauen und Männer, die bei uns seit langem wieder Anerkennung und ein Lob bei der Arbeit erfahren. Sie sind immer ganz erstaunt, dass ich mich bei ihnen für ihre Arbeit bedanke. Wir liefern Aufträge und beschäftigen im Carlo-Steeb-Haus im Arbeitsprojekt „Allore Carlo“ Wohnsitzlose. Arbeit ist auch für Männer, die vom Leben gezeichnet sind, ein kostbares Gut. Armut mit all seinen Folgen, Gerüchen und Lebensgeschichten wird ganz konkret und fassbar. Diese Menschen werden von der Gesellschaft ausgegrenzt und ausgesetzt. Sie werden wie Aussätzige behandelt. Knapp 53 Prozent der Deutschen glauben, dass Langzeitarbeitslose kein Interesse an einem Job haben und 47 Prozent finden Obdachlose unangenehm, so eine Studie der Universität Bielefeld. 1 Frauen und Männer, auch mit guter Ausbildung und Universitätsabschluss, wurden nach der Kündigung im Betrieb arbeitslos und stürzen nach wenigen Jahren in die soziale Armut ab. Oft sind sie überschuldet. Armut wird an Kinder vererbt oder stellt sich nach einer psychischen Erkrankungen ein. Weitere Ursachen sind Scheidung, Migration und fehlende Familienstrukturen. Perspektiven und Chancen werden durch die Flucht in den Alkoholkonsum oder Drogen verwirkt und man landet nach vielen Rückschlägen auf der Straße. Paul Zulehner formulierte vor kurzem beim Jubiläum der Caritaskonferenzen: „Wer in Gott eintaucht, taucht bei den Armen wieder auf. Und umgekehrt“. Der Urort des Eintauchens ist der Gottesdienst und die Eucharistiefeier. Man geht anders hinein als hinaus. Ja, man begibt sich in Gottesgefahr, so Zulehner. Mit der fast drohenden Botschaft des Jakobus in der heutigen Lesung kommen wir in eine gewisse Gefahr und werden aufgerüttelt. Orientieren wir uns nochmals am Text: „Euer Reichtum verfault, und eure Kleider werden von Motten zerfressen. Euer Gold und Silber verrostet; ihr Rost wird als Zeuge gegen euch auftreten und euer Fleisch verzehren wie Feuer. Klagerufe derer, die eure Ernte eingebracht haben, dringen zu den Ohren des Herrn;…“ (Jak 5,1-6) Dieses drastische Wort aus dem Jakobus-Brief, liebe Schwestern und Brüder stellt alles in Frage, was scheinbar Sicherheit gibt. Der Fluch des Vergänglichen wird uns zugemutet. Wenn wir auf die aktuelle Euro- und Bankenkrise schauen, ist der Text für unsere Zeit geschrieben. Jakobus ruft zum Innehalten und zur Umkehr auf. Ob es viel oder wenig Besitz ist, an den wir uns klammern, macht wenig Unterschied. Denn letztlich werden wir danach gefragt werden, welche Lebenschancen wir denen eingeräumt haben, die wir als Arme bezeichnen. Von Armut bedroht sind in unserem Land 15,1 Prozent der Bevölkerung. Das sind über 12 Mio. Menschen. In Stuttgart sind 8,1 Prozent von Armut gefährdet und von staatlicher Unterstützung abhängig. Darunter vor allem Haushalte mit Kindern, allein erziehende Frauen und Männer sowie Menschen ohne Arbeit oder mit Jobs bei denen man einfach zu wenig verdient, um einigermaßen leben zu können. Armut ist natürlich wesentlich mehr als über wenig Einkommen und Besitz zu verfügen. Da gehen Kinder nicht zum Geburtstag eines Klassenkameraden, weil es sich die Eltern nicht leisten können, ein kleines Geschenk zu besorgen und grenzen sich deshalb selbst aus. Da ist der Lohn so gering für eine anstrengende Arbeit, dass nicht nur das alltägliche Überleben zur Kunst wird, sondern auch die spätere Rente ist gleich noch mit betroffen – Altersarmut inbegriffen. Perspektiven gehen verloren oder waren gar nie da, die einem Menschen erst die Kraft zum Leben geben. Wo es an Einkommen, Perspektiven und Bildung fehlt, ist Krankheit ein häufiger Begleiter. Wer arm ist, kann sich nicht auf seine Lebensgrundlagen verlassen. Vielfältige Konflikte sind die Folge. Das alles macht Druck und belastet Leib und Seele gleichermaßen – Krankheiten sind die Folge. Arme Menschen sind, ganz wörtlich genommen, verletzbarer, denn sie erleben ihre Lebensbedingungen häufig als kränkend. Und wer sich gekränkt fühlt, wird auf Dauer krank. Verwundert es doch nicht, dass jemand auch schneller psychisch krank wird, der sich ständig um seine Existenz sorgen muss. 2 Jesus empfiehlt eine ziemlich radikale Kur: „Wenn dich deine Hand zum Bösen verführt, dann hau sie ab; … Und wenn dich dein Fuß zum Bösen verführt, dann hau ihn ab; … Und wenn dich dein Auge zum Bösen verführt, dann reiß es aus …“ (Mk 9,38-43.45.47-48) Das ist keine Anleitung zur Selbstverstümmelung für Banker und Manager, die das Geld in Europa an den Börsen verzocken. Vielmehr geht Jesus mit diesen Aussagen an die Wurzel. Er will bildhaft, geradezu drastisch verdeutlichen, dass selbst die körperliche Unversehrtheit ein nachrangiger Wert ist, wenn wir die Lebensmöglichkeiten anderer gefährden, sie ihnen vorenthalten oder gar wegnehmen. Und genau darum geht es bei dieser Caritaskampagne 2012. „Wer euch auch nur einen Becher Wasser zu trinken gibt, … er wird um seinen Lohn nicht kommen.“ Wasser miteinander teilen heißt, das Lebensnotwendige miteinander teilen. Und vor dem Hintergrund des Zusammenhanges von Armut und Krankheit bedeutet das für mich, dass es die Solidarität der gesamten Gesellschaft braucht, damit auch arme Menschen ihr Recht auf eine gute gesundheitliche Versorgung wahrnehmen können. Bei mir in Stammheim, bei Ihnen auf dem Killesberg oder im Nordbahnhofviertel müssen wir wieder lernen hinter die Fassaden der Menschen zu schauen. Wer bekommt Hartz IV, wem stellt die ENBW gerade den Strom ab, wer hat bei der Caritas eine Arbeitsgelegenheit oder was können wir als Gemeinde tun? Das Leben der Menschen dürfen wir nicht nur den Profis der Caritas, dem Sozialdienst Katholischer Frauen, IN VIA oder den Betriebsseelsorgern überlassen. Die Caritas benötigt in den Kirchengemeinden Frauen und Männer die mit offenen Augen hin- statt wegschauen, sie haben Ohren, die zuhören, sie besitzen ein mitfühlendes Herz und engagierte Hände, die Netzwerke knüpfen, um Menschen vom Rand in unsere Mitte zuholen. Wir brauchen ein Netz lückenloser Aufmerksamkeit, in der keiner übersehen wird. Ihr Arbeitsprojekt „PragA boutique“ ist ein guter Ansatz, um sich dem Thema des heutigen Caritassonntages zu stellen. Sie ermöglichen langzeitarbeitslosen Frauen den Wiedereinstieg ins Berufsleben. Natürlich mit allen Problemen und Schwierigkeiten, die so ein Projekt mit sich bringt. Ich bedanke mich bei Ihnen für diesen Leuchtturm in Stuttgart. Ein weiterer Beschäftigungsbetrieb ist „präsent“. Der Sozialdienst Katholischer Frauen und der Caritasverband bieten erwerbslosen Frauen mit psychischen und physischen Problemen Beschäftigung in Feuerbach an. Bei „präsent“ erschaffen die Beschäftigten phantasievolles und qualitativ anspruchsvolles Kunsthandwerk. In der Caritas Manufaktur im Haus der Katholischen Kirche kann man die Produkte kaufen und damit diese Arbeit unterstützen. In der Zeitung lesen wir: „Immer mehr Kinder kommen mit knurrendem Magen in die Schule“. Die Katholische Arbeitnehmer Bewegung und die Caritas setzen sich in Göppingen für Familien ein, die von Armut bedroht sind, dass die Kinder mit einem Schulranzen und allen Arbeitsmaterialien einen guten Schulstart schaffen. Diese Aktion „Rückenwind“ möchte Kinder stark fürs Leben machen. 3 „Die Menschen hinter den Zahlen – Arme Kinder und ihre Familien in Baden Württemberg“ so heißt eine Studie vom Caritasverband und dem Diözesanrat unserer Diözese aus dem Jahr 2009. In dieser Studie fordern wir die Politik in unserem Land auf, die armen Menschen mit ihren Schwierigkeiten, Problemen und Krankheiten zu entdecken und für sie zu handeln. Nun begrüßen die Caritas und die Diözese, dass die Landesregierung für die kommenden Jahre einen Armuts- und Reichtumsbericht angekündigt hat. Eine Grundlage um die Krankheit „Armut“ zu bekämpfen. Liebe Gemeinde hier in St. Georg, geben wir als Kirche mit Zukunft den armen und kranken Menschen in unserer Stadt unsere anwaltschaftliche Stimme und unser Gesicht. Mit Zulehners Gedanken gesprochen „Wer bei den Armen eintaucht, ist Gott ganz nah“ Amen Quellen: Paul M. Zulehner Vortrag 07.06.2012 Studie „Deutsche Zustände“ Universität Bielefeld Predigtvorlage des Deutsche Caritasverbandes Prälat Dr. Peter Neher KAB Göppingen SKF Jahresbericht Die Menschen hinter den Zahlen – Studie 2009 von Diözesanrat und Caritasverband Diözese Rottenburg-Stuttgart Harald Hellstern ako – Vorsitzender Technischer Leiter im Caritasverband 30. September 2012 ako – Arbeitsgemeinschaft katholischer Organisationen und Verbände Diözese Rottenburg-Stuttgart (ako) Caritasverband für Stuttgart e.V. – Neckartalwerkstätten (WfbM) www.ako-drs.de / www.caritas-stuttgart.de 4