25 Jahre Mauerfall: Wir brauchen FKK für den Kopf | KPMG Klardenker

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25 Jahre Mauerfall: Wir brauchen FKK für den Kopf | KPMG Klardenker
25 Jahre Mauerfall: Wir brauchen FKK für den Kopf
Keyfacts
- Produktivität in Ostdeutschland liegt rund 25 Prozent unter dem Niveau in Westdeutschland
- DAX-Konzerne bevorzugen westdeutsche Standorte
- Fachkräftemangel trifft Ostdeutschland härter als den Westen
06. November 2014
Ohne die Hilfe des Zufalls wäre die Menschheit um einige bedeutende Erfindungen ärmer.
Irrtümer, kommunikative Missverständnisse und Zufälle markieren historische Meilensteine. Die
Maueröffnung am Abend des 9. November 1989 ist einer von ihnen. Der Anfang vom Ende der
DDR.
Vor 25 Jahren setzte Günter Schabowski, damaliger Sprecher des SED-Zentralkomitees,
während einer Pressekonferenz die neuen Reiseregelungen der DDR irrtümlich in Kraft. Ein
folgenreiches Versehen.
So ziemlich jeder, der 1989 Teenager oder bereits volljährig war, erinnert sich daran, was er am
9. November gemacht hat. Mir war damals klar, dieses Datum und die anschließende Phase bis
zum Einigungsvertrag im August 1990 sind Zäsur und Kulminationspunkt zugleich. Historisch
einmalige Ereignisse mit einer bis heute nachhallenden gesellschaftlichen Wirkung.
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Die Bilder von den Mauerspechten mit Hammer und Meißel an der Berliner Mauer sind mir
immer noch gegenwärtig. Schließlich war ich auch einer von ihnen. Ich bin mit meinem
orangefarbenen Opel Rekord zur Silvesterfeier 1989 nach Berlin gefahren. Mit der Mauer
verschwanden auch die Spechte. Mein Stück Geschichte habe ich mir noch rechtzeitig
gesichert.
Neue Länder, alte Lasten – neue Chancen
Die Planwirtschaft des Sozialismus hat die DDR in die Pleite getrieben, das Land war Ende der
achtziger Jahre ein riesiger Sanierungsfall. Die Auswirkungen der staatlichen Misswirtschaft
spürten die Menschen an jeder Ecke. Es kann daher niemanden verwundern, dass für viele
Ostdeutsche das Streben nach persönlichem Wohlstand und wirtschaftlichem Aufschwung
damals an erster Stelle lag.
Vieles hat sich seit Schabowskis Pressekonferenz getan: Deutschland steht im Vergleich zu
anderen großen EU-Ländern volkswirtschaftlich hervorragend da. Doch auch nach einem
Vierteljahrhundert ist nicht alles gleich in Ost und West.
Die Menschen bringen unterschiedliche Erinnerungen und Biografien mit. Noch heute spielen
Herkunft und Sozialisation in den älteren Generationen eine Rolle, jedoch nicht als Stigma,
sondern als Identifikations- und Projektionsfläche. Im Osten lassen sich 40 Jahre der
Verfolgung des Traums von Brüderlichkeit nicht einfach wegwischen.
56 %
der Deutschen halten eine Angleichung der
Lebensverhältnisse von Ost und West für nicht realistisch.
Deutschlands Einigung ist eine bis heute andauernde Mammutaufgabe
Aber wo sind die blühenden Landschaften? Die Produktivität in Ostdeutschland ist immer noch
deutlich niedriger als im Westen, sie liegt rund 25 Prozent unter dem Niveau der westdeutschen
Bundesländer. Seit 1990 nähert sich der Osten dem westdeutschen Stand an. Langsam, aber
spürbar.
Trotz sichtbarer Fortschritte hinkt die ostdeutsche Industrie bis heute dem Westen hinterher. Es
fehlt an Big Playern im Osten. Kein einziger DAX-Konzern hat seinen Sitz in den neuen
Bundesländern. Warum verlegen Konzerne ihre Zentralen nach München, aber nicht nach
Dresden? Und warum ziehen die großen Erfolgsgeschichten wie Porsche in Leipzig oder
Infineon in Dresden keine weiteren nach sich?
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Vielleicht liegt es daran, dass wir Wessis den Ossis kollektiv misstrauen. Sie verlassen zu
Tausenden ihre Heimat, arbeiten lieber als Servicekraft am Chiemsee oder Kinderbetreuerin
auf Kreta, statt in Stendal bei der Entwicklung der Stadt dabei zu sein. Menschenleere
Landkreise, verschwendete Aufbauhilfen, Kampf um Jobs – die Angst hat auf Westseite viele
Gesichter.
Einige Erfolgsgeschichten gibt es dennoch: in Traditionsbranchen wie Maschinenbau,
Automobilwirtschaft, der chemischen Industrie oder bei Medizintechnik- und IT-Firmen. Und
vergessen wir nicht Berlin. Die Hauptstadt ist Start-up-Metropole, das kreative Zentrum der
Gründerszene.
Bevölkerungsrückgang und Geburtendefizit belasten den Osten
Der demografische Wandel trifft das gesamte Land. Doch gerade im Osten schlägt er mit aller
Härte zu. Seit 1990 müssen die neuen Länder – Berlin ausgenommen – Abwanderungen von
jobsuchenden jungen Menschen verkraften. Eine nicht zu unterschätzende Bürde. Den
Fachkräftemangel spürt der Osten heute schon stärker als wirtschaftsstarke Westländer, die
ohnehin von Zuwanderung profitieren.
Die meisten fühlen sich als Wessi oder Ossi
Das ist auch 25 Jahre nach dem Mauerfall so. Der Aufbau Ost bleibt eine Aufgabe für uns alle.
Eine große Herausforderung dazu. Wirtschaftlicher Erfolg entsteht dort, wo gegenseitiger
Respekt und Anerkennung zu Hause sind. Wertschätzung und Wertschöpfung gehören
zusammen. Ein unverkrampfter Umgang miteinander hilft dabei.
Ich wünsche mir deshalb FKK für den Kopf. Für das Deutschland, von dem wir als Jugendliche
nicht zu träumen gewagt haben.
Zusammengefasst
»DDR, Mauerfall, Ost, West, Wiedervereinigung, Wertschöpfung, Aufbau, Investition,
Standortwahl, Start-up«
Ein Zufall prägte die deutsche Geschichte und verhalf der Wiedervereinigung durch die Maueröffnung am
9. November 1989 zu einem wichtigen Schritt. Doch das Misstrauen zwischen Ost und West bleibt, das
zeigt sich in der mangelnden Attraktivität von Ostdeutschland als Wirtschaftsstandort und dem
demografischen Wandel. Fachkräfte zieht es nach wie vor in den Westen. Einzige Ausnahme bildet Berlin
als Start-up-Zentrum Europas. Es bleibt offen, wie der Osten weiterentwickelt werden kann.
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Karl Braun
CMO, Mitglied des Vorstands
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