DGZ 1 / 2015 - Deutsche Gehörlosen
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DGZ 1 / 2015 - Deutsche Gehörlosen
1 | 20. Januar 2015 | 143. Jahrgang | ISSN 0471-187X | | 5,50 € DEUTSCHE GEHÖRLOSEN-ZEITUNG DEUTSCHE GEHÖRLOSEN-ZEITUNG Zeitschrift für die Gebärdensprachgemeinschaft Politik Auf unserem Rücken? Streit zwischen DGB und Sign Teilhabe Gebärdensprache Eine Bilderbuchfamilie erklärt in fröhlichen Videos die ASL Kultur Der weibliche Signmark: Die taube Rapperin DKN Ratgeber Rabatte, Pannenservice & Co. Tipps rund um das Auto Sport Der 17-jährige Simon Ollert: Taub und schon Profifußballer www.gehoerlosenzeitung.de T H E M A D E S M O N A T S Zum 70. Todestag von Fritz Albreghs Ein kritischer Rückblick auf das Leben eines fanatischen gehörlosen Nationalsozialisten Von Lothar Scharf E s gibt heute kaum noch lebende Zeitzeugen, die sich an den „Führer der Gehörlosen Deutschlands“ während der NS-Zeit erinnern können. Hingegen gibt es Zeitschriften vergangener Tage, die den Werdegang von Fritz Albreghs, dem Mitbegründer des „Reichsverbandes der Gehörlosen Deutschlands“ dokumentieren. Vor 70 Jahren setzten die Alliierten dem Nazi-Terror ein Ende. Zwei Monate, bevor die US-Truppen im April 1945 in Thüringen einmarschierten, kamen Fritz Albreghs und seine Frau bei einem Bombenangriff in Meiningen/Thüringen ums Leben. Ein Anlass, um einen kritischen Rückblick auf die Vergangenheit eines fanatischen gehörlosen Nationalsozialisten zu werfen. 4 DGZ 1 / 2015 Schule und berufliche Tätigkeit Fritz Albreghs wurde 1892 als Sohn eines Bank-Oberbuchhalters in Berlin geboren. Im siebten Lebensjahr ertaubte er, besuchte aber die Taubstummenanstalt in München. Einen Lehrberuf in der Elektrotechnik gab er nach einem Jahr wieder auf und erlernte einen kaufmännischen Beruf. Während des 1. Weltkrieges meldete sich Albreghs freiwillig zum vaterländischen Hilfsdienst. Er wurde im Osten eingesetzt, bis ihn eine Augenerkrankung zurück nach München zwang. Dort diente er in der Intendantur des 1. Bayerischen Armeekorps und ging danach zu den bayerischen Flugzeugwerken. Albreghs brachte es bei den Flugzeugwerken zum stellvertretenden Abteilungsleiter der Kalkulationsabteilung und später zum Vorsteher der Lagerabteilung. Nach Ende des Weltkrieges 1918 musste er wegen seiner nationalen Gesinnung das Werk verlassen. Er zog 1922 nach Berlin. Kontakt zu den Gehörlosen Ab 1925 wurde Albreghs in Berlin in der Gehörlosengemeinschaft aktiv, trotz Anfeindungen einiger „Alten“. Schon in München hatte er Kontakt zu den Gehörlosen, blieb aber ohne Amt. Als Spätertaubter mit einem kaufmännischen Beruf, der fähig war, Aufsätze zu schreiben, und mit seinem Organisationstalent, war Albreghs in der Gehörlosenorganisation ein gefragter Mann. Dass er 1927 in Weimar bei der Gründung des „Reichsverbandes der Gehörlosen Deutschlands“ (REGEDE) der erste Vorsitzende wurde, kam also nicht überraschend. P O L I T I K Gleiche Ziele, andere Stränge Streitpunkt Teilhabegesetz: Zwischen Sign Teilhabe und dem DGB gibt es Meinungsverschiedenheiten – auf Kosten gehörloser Menschen? Von Thomas Mitterhuber Foto: DGZ D ie gute Nachricht vorweg: Der Deutsche Gehörlosen-Bund e.V. ist gerettet! Die letzten Zweifel wurden mit der Neujahrsansprache des Verbandes am 3. Januar auf YouTube ausgeräumt. Darin verkündete Präsident Helmut Vogel, seit seiner Wahl im Juli des vergangenen Jahres seien insgesamt über 142.000 Euro Spenden zusammen gekommen. Damit wurden die Erwartungen des Vorstands weit übertroffen – er hatte sich im September „nur“ 100.000 Euro als Jahresendziel gesetzt. In der Adventszeit sitzt der Geldbeutel locker, so sagt man. Zahlreiche Vereine konnten bei ihren Weihnachtsfeiern und anderen Veranstaltungen Spenden in oftmals dreistelliger Höhe einsammeln. Zudem hatte der Landesverband der Gehörlosen Bayern mit der Überweisung bis kurz vor Silvester gewartet. Dieser spendete zusammen mit allen bayerischen Vereinen knapp 12.000 Euro. Und genau am 31. Dezember ging eine bis dato anonyme Spende von 5.000 Euro ein. Auffallend war, dass Vogel im Video von Versöhnung sprach. Wollte er damit zur moralischen Entlastung seines Vorgängers aufrufen? Jetzt, wo die Finanzkrise praktisch abgewendet ist, neigt man wohl dazu, dessen Fehler in einem anderen Licht zu sehen. Präsident Vogel und Stefan Keller (links), der vom DGB beauftragte Bundesreferent für das Teilhabegesetz beim 1. Workshop am 2. November 2014 in Frankfurt/Main Oder möchte Vogel vielleicht nur seine eigentliche Arbeit in Ruhe beginnen und dabei keine Altlasten mehr am Hals haben? Dass der Präsident die Gebärdensprachgemeinschaft vereinen und den Verband retten kann, hat er bewiesen. Jetzt muss er aber zeigen, dass er Politik kann. Das wird nicht leicht, mit nur zwei Teilzeitangestellten und einem unvollständigen, politisch eher unerfahrenen Präsidium. Auch finanziell gibt es noch zahlreiche offene Fragen. Bei der letzten Bundesversammlung Anfang November wurde bekannt gegeben, dass 34.000 Euro der DGB-Schulden erst Anfang 2015 zurückgezahlt werden müssen. Müssen sie jetzt beglichen werden? Werden die Spenden komplett zum Schuldenabbau verwendet? Und wie hoch sind die Schulden jetzt genau? (siehe Kasten unten) Auf mehrere An- Wie viele Schulden hat der DGB nun? 230.000 Euro Schulden (Stand: 1.11.2014) - 26.000 Euro Verzichtserklärungen (Stand: 30.11.2014) - 142.000 Euro Spenden (Stand: 3.1.2015) = 62.000 Euro Schulden Davon müssen 54.000 Euro erst Ende 2015 zurückgezahlt werden. Außerdem: 40.000 Euro Eigenmittel muss der DGB für das Bundeskompetenzzentrum aufbringen. (eigene Berechnung, Angaben gerundet) 8 DGZ 1 / 2015 fragen zu einem Gespräch reagierte DGB-Schatzmeister Michael Wohlfahrt nicht. Transparenz sieht anders aus. Leichte Verwirrung gab es zum Jahresbeginn bei den Verzichtserklärungen. Bis zum November des alten Jahres hatten sich viele Gläubiger bereit erklärt, auf ihre Forderungen an den DGB zu verzichten: Insgesamt über 36.000 Euro. Doch mittlerweile wurde der Betrag herunter korrigiert auf knapp 26.000 Euro. Außerdem verschwand der Name eines Telefonvermittlungsunternehmens mit einer fünfstelligen Summe von der Verzichtsliste. Doch mitten in seinem Urlaub klärte Helmut Vogel persönlich auf Facebook auf, es habe alles seine Richtigkeit. Der Fehlbetrag werde noch auf die Spendenliste eingetragen werden. Es sieht nach einem Jahresabschluss aus, wie es sich der Präsident erträumt hatte. Doch es ist nicht alles heiter Sonnenschein, wie es aussieht. Noch vor Weihnachten wurde der DGB mit unangenehmer Kritik konfrontiert. Der Kölner Arbeitskreis Sign Teilhabe veröffentlichte am 15. Dezember eine Video-Stellungnahme. Darin warf Jan Eichler dem DGB mangelnde Zusammenarbeit und eigenmächtige Entscheidungen beim Positionspapier zum geplanten Teilhabegesetz vor. Außerdem stellte er in Frage, ob sich die Deutsche Gesellschaft für Hörgeschädigte (DG) ausreichend für die Bis das Herz wächst Mit ASL Nook zeigt die junge amerikanische Mutter Sheena McFeely eine neue und bunte Form des Gebärdenlernens. Ihre ganze Familie macht mit. Von Benjamin Busch D as kleine Herz vom Grinch wächst, bis es dreimal so groß ist“, gebärdet Shaylee in eindrucksvoller Manier. Ganz schwungvoll und bildlich. Das unterschiedliche Gebärdentempo, der Gebärdenumfang, das wechselhafte Mimikspiel, die Oberkörperbewegungen und ihr Blick. Shaylee ist erst fünf Jahre alt und beherrscht schon die Kunst des Geschichtenerzählens. Mit ihrem Mitte Dezember veröffentlichten Video 'Wie der Grinch Weihnachten gestohlen hat' in amerikanischer Gebärdensprache, hat Shaylee auch die Herzen in Deutschland berührt. Das Video wurde hierzulande in den sozialen Netzwerken begeistert geteilt und inzwischen über fünfzigtausend Mal angesehen. Eine amerikanische Nachrichten-Webseite analysierte und lobte die sprachlichen und erzählerischen Fähigkeiten von Shaylee. Das Mädchen erzählt fast zehn Minuten lang. Die Geschichte vom Grinch ist ein in den USA sehr bekanntes Kinderbuch. Der Grinch ist ein grün behaartes Wesen, das in einer Höhle wohnt und Weihnachten hasst. Er verkleidet sich als Weihnachtsmann und stiehlt alles, was an Weihnachten erinnert. Als er auch alle Geschenke gestohlen hat, erkennt 16 DGZ 1 / 2015 der Grinch, dass Weihnachten etwas bedeutet. Vielleicht kommt Weihnachten doch aus dem Herzen, denkt er – und sein kleines Herz wächst um das Dreifache. Schließlich bringt er alle Geschenke zurück. Hier ist es nicht nur eine lustige Weihnachtsgeschichte, sondern auch Werbung für die Gebärdensprache. Hinter diesem Werk steckt ASL Nook (engl.: Ecke), eine Webseite mit Gebärdensprachvideos, die von einer einzigen Familie betrieben wird. Es geht dort um das Frühstück, um Kleidung oder den Valentinstag. Immer mit den Töchtern Shaylee und Ivy. „ASL Nook ist vor allem wegen meiner zwei schönen Mädchen entstanden, wie viele andere Projekte auch“, sagt die taube Gründerin und junge Mutter Sheena McFeely. Aber auch wegen ihrer negativen Erfahrungen bezüglich der Gebärdensprache in ihrer eigenen Familie. „Entweder man findet sich damit ab oder man tut etwas dagegen“, erklärt sie. Sie beschloss, etwas dagegen zu tun und ihre Erfahrungen in der Hinsicht umzudrehen, dass sie sich positiv auf die Öffentlichkeit auswirken. Noch Ende November 2014 schrieb die 30-Jährige eine emotionale Statusnach- richt auf ihre Facebook-Seite. Sie verstehe nicht, warum einige aus ihrer Familie die Gebärdensprache nicht lernen wollten. Sheena McFeely kommt aus einer hörenden Familie, ihr Mann auch. „Wie bei so vielen gibt es auch in meiner Familie eine Person, die nicht bereit ist, die Gebärdensprache zu lernen. In unserem Fall die Frau meines Schwagers“, erzählt Sheena immer noch traurig. Sie entschied, dass die Tante die Kinder so lange nicht sehen durfte, bis sie endlich verstanden hatte, wie wichtig die Gebärdensprache ist. Mit dieser Haltung wollte sie ein Zeichen setzen. „Wie kann jemand sagen, dass er ein Kind liebt, aber sich weigert, auch nur die Grundlagen der Gebärdensprache zu lernen?“, fragt sich Sheena heute noch. Als Kind hat sie das selbst auch erlebt. Ihre Mutter kann zwar gebärden, ihr Vater allerdings nur ein bisschen und der Rest der Familie eben nicht. Also beschloss Sheena, der ganzen Welt die Gebärdensprache zu zeigen, auf ganz natürliche Weise – und es sollte Spaß machen. Sie dachte lange darüber nach, wie man das am besten erreichen konnte. Eines Tages sah sie eine Kochsendung, in der Köche in ihren eigenen Häusern köstliche Mahlzeiten kochten und dabei lebhaft erklärten, wie das Foto: ASL Nook G E B Ä R D E N S P R A C H E S P O R T Von André Neuhaus J eder Fußballer, egal ob hörend, gehörlos oder schwerhörig, träumt davon, eines Tages Profifußballer zu werden. Doch viele sind skeptisch, ob man es mit einem eingeschränkten Hörvermögen weit hoch in die Ligen der Profis schafft. Doch zwei Menschen belehren uns eines Besseren. Der ehemalige Zweitligaspieler Stefan Markolf (damals beim 1. FSV Mainz 05 – mit insgesamt acht Einsätzen) und aktuell Simon Ollert (SpVgg Unterhaching – dritte Fußballbundesliga) beweisen, dass es doch geht. Anfang Januar durften wir uns mit dem 17-jährigen, fröhlichen, selbstbewussten und doch vor allem bodenständigen Youngster Simon Ollert treffen. Lest selbst, ob er unseren Gehörlosenfußball kennt, wie er sein Profileben darstellt und was seine Ziele und Träume sind. „Ein Profivertrag ist, wie wenn ich in der Schule die Note Eins bekomme“ Foto: SpVgg Unterhaching DGZ: Gratuliere, die Gehörlosenwelt hat einen neuen Star – Simon Ollert. Mittlerweile kennen dich nun sehr viele Leute. Wie begann eigentlich deine Fußballkarriere? Simon Ollert (SO): Danke! Ja, früher fing ich schon im Alter von zwei Jahren mit dem Fußballspielen an und zwar im Garten bei meinen Eltern. Danach spielte ich wie jeder anderer Junge in einem Fußballverein, bis zur E-Jugend in Unterammergau (bei Garmisch-Partenkirchen, Anm. d. Red.). Später ging ich dann zur JFG Ammertal und spielte da bis zur B-Jugend in der Kreisliga. Aufgrund meiner guten Leistung hat man mich in die Regionalauswahl der Bayern Süd eingeladen. Nach den Auswahlspielen wurde ich gefragt, ob ich zur SpVgg Unterhaching kommen möchte. Ich hatte am Anfang noch meine Zweifel, weil mein ehemaliger Verein JFG Ammertal eine Kooperationsvereinbarung mit TSV 1860 München hatte. Bei den „Sechzigern“ hatte ich dann im Sommer 2012 mein erstes Probetraining. Die Funktionäre bei den Sechzigern haben mir danach gesagt, dass ich schon gut sei, aber für eine Aufnahme in die Jugend sei ich noch nicht so weit. Im Hinterkopf wusste ich, dass die SpVgg Unterhaching mich seit der Auswahl noch beobachtet hatte. Im Winter 2012 habe ich dann gesagt, dass ich gerne zur SpVgg Ein Interview mit Simon Ollert, einem jungen, tauben Nachwuchsfußballer, der im Dezember 2014 seinen ersten Profivertrag unterschrieben hat und nun in der 3. Bundesliga bei der SpVgg Unterhaching spielt. Unterhaching gehen möchte - und so kam ich dann hierher. DGZ: Es ist noch nicht lange her, dass du in deinem ersten Spiel gegen Erfurt als Stürmer dein erstes Tor in einer Profiliga vorbereitet hast. Gleich darauf bot man dir einen Profivertrag bis zum 30. Juni 2017 an. Was schießt einem Spieler in dieser Phase durch den Kopf? SO: Nein, ich hatte mein erstes Debüt in der dritten deutschen Fußballliga gegen Arminia Bielefeld. Ich wurde da kurz eingewechselt. Danach kam das Spiel gegen den FC Rot-Weiß Erfurt. Erst dann habe ich meinen ersten Profivertrag bekommen. Ich habe mich schon sehr über meinen ersten Profivertrag gefreut. Für mich war es, wie wenn ich in der Schule die Schulnote Eins bekommen würde. Für mich DGZ 1 /2015 25