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„Wenn du ein Schiff bauen willst, so beginne nicht, mit ihnen Holz zu sammeln, sondern wecke in ihnen die Sehnsucht nach dem großen weiten Meer.“ (Antoine de Saint-Exupery) Seite 1 von 77 Inhaltsverzeichnis I I.1 II Einleitung 4 Zum Verlauf der Unterrichtsreihe Übergreifende Sachanalyse 5 6 II.1 Inhalt und Sinn der Kunst-Pädagogik 6 II.2 Zum Kunstverständnis der Waldorfschule 10 II.3 Das Plastizieren 12 II.4 Gewähltes Thema in Bezug auf menschenkundliche Belange 22 III Fachdidaktische Überlegung zum Aufbau der Unterrichtsreihe 26 III.1 Frage 1: In welcher Absicht tue ich etwas? 27 III.2 Ziele der Unterrichtsreihe 29 III.3 Frage 2: Was bringe ich in den Horizont der Kinder? 37 III.4 Frage 3/4: Wie tue ich das? Mit welchen Mitteln verwirkliche ich das? 39 III.5 Frage 5/6: An wen vermittel ich das? In welcher Situation verwirkliche ich das? 42 IV Durchführung der Unterrichtsreihe 47 IV.1 Beschreibung der 1. Unterrichtseinheit 47 IV.2 Beschreibung der 2. Unterrichtseinheit 49 IV.3 Beschreibung der 3. Unterrichtseinheit 55 IV.4 Beschreibung der 4. Unterrichtseinheit 58 IV.5 Beschreibung der 5. Unterrichtseinheit 61 IV.6 Beschreibung der 6. Unterrichtseinheit 64 Reflexion und Evaluation der Reihe 67 V V.I Übereinstimmung von Konzeption und Verlauf 67 V.2 Evaluation der Ziele 70 V.3 Selbstreflektion 71 VI Schlussreflexion 74 Seite 2 von 77 Literaturverzeichnis Abbildungsverzeichnis Versicherung Seite 3 von 77 I Einleitung Einführung in das Plastische Gestalten Die vorgestellte Unterrichtsreihe fand in ihrer Umsetzung 2012 in einer städtischen Gemeinschafts-Grundschule in Köln statt. Aufgrund fehlender Fachlehrer wurde bislang an dieser Schule kein plastischer Unterricht angeboten. Ausgehend von einem kunstpädagogischen Verstehen, bei welchem der Erwerb und die Erfahrung von motorischen Fertigkeiten zu den Grunderfahrungen bildnerischer Erziehung gehören, und welches vorsieht den Schülern und Schülerinnen1 möglichst in den ersten Jahren originäre und sinnlich basierte Primärerfahrungen zu ermöglichen, entwickelte ich unter Einbeziehung waldorfpädagogischer Ansätze diese Unterrichtsreihe. (vgl. II.2) In einer von Elektronik und virtuellen Medien bestimmten Welt, die SuS über Fühlen und (Be-)Greifen im sensomotorischem-künstlerischen Tun, die „Handlungs-Fähigkeit“ ihrer Hände entdecken zu lassen, beschreibt einen wesentlichen Aspekt meines Vorhabens und zeigt zugleich den Versuch, bei den SuS eine Bereitschaft zum plastischen Arbeiten zu erzeugen, sich dieser mutig zu öffnen und sich diese zuzutrauen. Diesem Anspruch gerecht werden zu wollen, konzipierte ich diesen Unterrichtsentwurf. In seiner Entwicklung kristallisierten sich für mich folgende vier Fragen, deren Beantwortung das Konzept und die Umsetzung der Reihe gerecht werden sollen. • Lässt sich durch die Bearbeitung eines Naturmaterials und über das Erwecken des Willens schöpferische Energien und Freude am künstlerischen Tun erzeugen? • Wie können parallel dazu die SuS auf didaktisch-methodisch sinnvollem Wege zu gestalterischen Fähigkeiten und Fertigkeiten gelangen? • Lassen sich einfache Übungen des Formens und erste Grunderfahrungen der Genese von Formen und Tierkörpern, mimetisch, verstehend und einfühlend erfahren und gleichzeitig das „Ich“ als eine selbstbildende Kraft im Gestalt,- und Formgeben entdecken? 1 Im folgenden Verlauf wird für Schülerinnen und Schüler das Kürzel SuS verwendet. Seite 4 von 77 • Gibt es Möglichkeiten positiver Sinnerfahrung im künstlerischen Tun, um Willkür vermeidend hin zu einer verantworteten Gestaltung zu kommen, welche dem Selbstwert dienend die SuS in ihrer weiteren Entwicklung positiv bestärken können? I.1 Zum Verlauf der Unterrichtsreihe Die Unterrichtsreihe erstreckte sich über einen Zeitraum von sechs Wochen. Aufgrund der Klassengröße wurden die SuS ab der zweiten Unterrichtseinheit von der Lehrerin der Klasse in zwei Gruppen mit jeweils 13 SuS eingeteilt. Die einzelnen Unterrichtseinheiten fanden jeweils an zwei aufeinander folgenden Tagen statt. Die Reihe gliedert sich in folgende 6 Unterrichtseinheiten: 1. Kugelform Kugelformen fühlen 2. Kugel sehend formen / Kugel blind formen 3. Handschmeichler 4. Eine Maus / Igel formen 5. Pinguin formen 6. Anmalen der Tiere, Gemeinsame Reflexionsrunde zur Unterrichtsreihe Der Aufbau dieser Arbeit, gliedert sich in eine Sachanalyse, in fachdidaktische Vorüberlegungen und in ihre Durchführung und Reflexion. Seite 5 von 77 II Übergreifende Sachanalyse II.1 Inhalt und Sinn der Kunst-Pädagogik Kunstprozesse sind Bildungsprozesse Der Mensch als Person kennzeichnet sich durch Begriffe wie Freiheit, Vernunft, Relationalität und Verantwortung gegenüber sich selbst und der Welt. Als sich bildendes, kulturelles Wesen ist er aufgefordert, sich in die Welt einzufinden und sich als entwickelndes Individuum in Gemeinschaften verantwortungsvoll einzufügen. Ausgehend von einem Menschenbild, in welchem schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts dem Kind ein unverstelltes natürliches Schöpferpotenzial nachgesagt wurde, sieht die Kunstpädagogik ihre Aufgabe darin, dieses zu bewahren, seiner Imaginationskraft Raum zu geben und seine kreative Gestaltungsfähigkeit und sein Ausdrucksbedürfnis zu fördern. Es gilt: „Das Kind im Kinde zu retten, es zu potenzieren, es reif und bereit zu machen für die Wirkung des Genius!“2 (Zitat Gustav Hartlaub) Angesichts einer sich durch Mechanisierung und Digitalisierung rasant verändernden Gesellschaft, in welcher als Resultat eine zunehmende Entfremdung des eigenen Lebens droht, gilt das Erhalten der Achtsamkeit gegenüber den anthropologisch verankerten künstlerisch-ästhetischen Ausdrucksbedürfnissen von Kindern und Jugendlichen als eines der Hauptanliegen der kunstpädagogischen Arbeit. Der Gefühlsinnenwelt des Kindes, seinem Ausdrucks- und Erkundungswunsch entgegenkommend, werden im Kunstunterricht Fähigkeiten und Fertigkeiten vermittelt, welche nicht zuletzt auch zukünftige berufsrelevante Wünsche und Möglichkeiten mitbestimmend prägen und die in der Berufswelt gefragten Schlüsselqualifikationen wie Team- und Kommunikationsfähigkeit, Lernbereitschaft, kreatives Denken, Handeln und Ausdauer, entscheidend mit fördern. Das Erlernen von besagten Fähigkeiten und Fertigkeiten als tragender Grund für das individuelle Ich-Erleben, bietet dem Kind innere Sicherheit, stärkt sein Selbstvertrauen, wirkt persönlichkeitsfördernd und dient somit der eigenen Arbeit 2 Gustav Hartlaub, 1930, S. 145. Seite 6 von 77 an dem Selbst. Nach Klafki sollen die von ihm benannten „Schlüsselprobleme der Gegenwart“ 3 grundsätzlich zum Fokus der Bildungsinhalte für das fachübergreifende und fächerverbindende Lernen werden. Themen wie ökologische Verantwortung, Friedensfragen, oder gesellschaftlich produzierte Ungleichheit, können als Bildungsinhalt das Fach Kunst bestimmen und lassen sich hier auf kunstspezifische Weise erfahren und reflektieren 4. Ein werkorientiertes Arbeiten, sich aufhaltend im Spannungsfeld zwischen der Theorie und Praxis, bietet neben den zu erlernenden praktischen Fertigkeiten Raum für eigenständiges Lernen, experimentelle Problemlösung und kritische Reflexion von Kontexten. Des Weiteren sind ästhetisch-künstlerische Prozesse auch Such- und Erkundungsprozesse mit offenem Ausgang. Die SuS machen dadurch Erfahrungen, wie sie Irritationen, Enttäuschungen und Frustrationen aushalten um sie über gemeinsames Reflektieren als neue Lernchancen nutzen zu können. Dazu ein Zitat von Jochen Krautz: „Kunst verstanden als interpersonale Erziehungs- und Bildungsprozesse hofft, dass aus der Ich-Zentrierung, (Individuation), Sinngebung für Andere (Sozialisation), wächst!“ 5 Neben der musischen Erziehung bei geistiger und seelischer Erhöhung durch Freude und Erweiterung im Bereich der sicht- und greifbaren Dinge, schafft die Kunstpädagogik durch Erziehung zur Kritikfähigkeit und Verantwortlichkeit einen Dialog zwischen der Eigenwelt und der Sachwelt. Erst wenn der Schüler mittels der Produktion sinnvoll einsetzbarer Objekte, durch die Frage nach der Brauchbarkeit, die Notwendigkeit seiner eigenen Arbeit erkennen kann, ist es ihm möglich, sich seiner sozialen Verantwortung und der Bereitschaft Aufgaben zu übernehmen, mit Zuversicht zu stellen und sich gleichsam in einem unmittelbaren Verhältnis zur Welt zu sehen. Das Gefühl des somit „Eingebundenseins ins Welt-Ganze“, schenkt ihm das nötige Vertrauen und erfordert gleichzeitig vom Lehrer ein 3 Zu den wesentlichen Inhalten der Allgemeinbildung gehören bei Wolfang Klafki die sog. „epochaltypischen Schlüsselprobleme“der Gegenwart. Dazu gehören Frieden, Umwelt, Technikfolgen, Demokratisierung, gerechte Verteilung in der Welt, Gleichberechtigung/Menschenrechte und Glücksfähigkeit. Es handelt sich dabei um „Strukturprobleme von gesamtgesellschaftlicher, meistens sogar übernationaler bzw. weltumspannender Bedeutung, die gleichwohl jeden Einzelnen zentral betreffen“. Klafki 1996. S. 60, und http://hypersoil.uni-muenster.de/2/01/04.htm, recherchiert am 28.04.2013. 4 Jochen Krautz, 2010, S. 29. 5 Jochen Krautz, 2010, S. 25. Seite 7 von 77 verantwortliches Auswählen von Inhalten, künstlerischen Techniken und gestalterischen Aufgaben. In der Psychoanalyse wird nach Donald W. Winnicott die menschliche Schöpferkraft als Akt der „Symbolbildung“ verstanden. Stellvertretend für die Objektbeziehung in der äußeren Realität werden Kunstwerke aus der eigenen Reflexion von Wahrgenommenem im intermediären Bereich, (kennzeichnet den „(...) Erlebnis- und Erfahrungsbereich, der zwischen dem Daumenlutschen und der Liebe zum Teddybär liegt, zwischen der oralen Autoerotik und der echten Objektbeziehung“ (Peez6) illusorisch als sogennante symbolische Übergangsobjekte geschaffen. Der Kunstunterricht übernimmt die Aufgabe, die menschliche Schöpferkraft einerseits zu erhalten, auszubauen und zu fördern und parallel dazu Räume zu erschließen, in welchem die künstlerische Arbeit als Symbol von geschichtlichen, kulturellen und biografischen Erfahrungen und Erkenntnissen aufgearbeitet und kompensiert werden kann. Zur Vermittlung von Kulturkompetenz als Bildungsauftrag der Kunstpädagogik gehört neben der Aktualität der Alltagswissenschaften, eine Orientierung an der humanen Dimension der Kunst in ihrer ganzen Geschichte und der reichen Diversität der Weltkunst. Die Begleitung der personal-geistigen Orientierung in der sichtbaren Welt und in der Welt der Bilder bedeutet insbesondere in Anbetracht der fortschreitenden Digitalisierung der Medien das Erlernen einer komplexen Bildkompetenz, um „produktiv“, „rezeptiv“ und „reflektiv“ der fortschreitenden Bilderflut begegnen zu können. Die ästhetische Erfahrungssuche welche dem Aufbau des eigenen Urteilsvermögens dient, als auch die Frage nach Qualität7 stellt, bildet im Sinne von Jochen Krautz Möglichkeiten für die Entfaltung des ganzen Menschen in einer visuellen und taktilen Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit. In den folgenden vier Dimensionen wird der Mensch unter dem Blickwinkel einer 6 Georg Peez, 2008, S. 87. 7 Qualitäten hier zu verstehen als das menschliches Vermögen, wie physische, geistige und seelische Schätze des Menschen. Fragen die an Qualität heranführen sind: Ist das gut; ist das stimmig, angemessen, funktional richtig; ist es sinnvoll; was ist besser? Jochen Krautz, 2010. S. 49. Seite 8 von 77 personalen Kunstpädagogik aufgebaut, unterstützt und gestärkt: „Innerlichkeit, Sozialität, denkende Erfassung der Welt und tätiges Handeln!“8 Hierbei wird deutlich, was auch im gesamt kunstpädagogischen Kontext immer wieder betont werden muß, dass das Fach Kunst gegenüber dem mehr intellektuellen Fächergefüge nicht allein auf eine kompensatorische Funktion reduziert werden darf; Persönlichkeitsformung und kulturelle Rezeption als Resultat von künstlerischem Selbstausdruck, bietet die Grundlage für die oben genannten „Schlüsselqualitfikationen“. Die Rolle des Kunstlehrers macht deutlich, mit welch kontroversen Positionen die Kunstpädagogik in der aktuellen Bildungsdebatte diskutiert wird. Hubert Sowa fasst dies wie folgt zusammen: „Ein rational- funktional und pragmatischer Ansatz auf der einen Seite und rein ästhetischer und auf Sinnlichkeit ausgerichteter Ansatz auf der anderen Seite.“ 9 Zum einen bilden „Fakten- (Know-that), Orientierungs- (Know that und Know-how), Ausführungs- und Anwendungswissen (Know-how)“10 ein Regulativ, an welchem die Schritte innerhalb der eigenen Entwicklung gemessen werden können. Zum anderen hat der Lehrer die Aufgabe, die künstlerische, intuitive Eigentätigkeit und Ausdrucksfähigkeit des Schülers wachsen und geschehen zu lassen. Nach Gert Selle gleicht hier ein Eingreifen des Kunsterziehers in den Gestaltungsprozess einer, „(...) Störung der unveräusserlichen Grundrechte des ästhetischen Subjekts, indem sie diesem verwehren sich ein eigenes Wahrnehmungsurteil (zu) nehmen oder es (zu) verweigern.“ 11 Zwischen diesen beiden Polen findet der Lehrer sich in seiner Aufgabe als Lernbegleiter und Lehrender. Eine pädagogischdidaktische Grenzziehung kann an der Stelle demnach eigentlich nur situativ begründet werden. Ob Kunstunterricht in seiner Wirkung nach Gunther Otto als „Selbstbildung und Erkenntnisgewinn“ zu definieren ist oder nach Gert Selle vielmehr als eine „biographieerschließende Lebenssinn verändernde Instanz“ 12 wirkt, wird wohl weiterhin Gegenstand der fachdidaktischen Diskussion bleiben. Mit einem Zitat von Gert Fröbel (1782-1852) lässt sich beides zusammengefasst so formulieren: 8 Jochen Krautz, 2010, S. 50. 9 Hubert Sowa, 2010, S. 137. 10 Hubert Sowa, 2010, S. 21. 11 Gert Selle, 2003, S. 4. 12 Franz Billmayer, 2009, S. 12. Seite 9 von 77 “Gesang, Zeichnen, Malen und Formen müssen früh als wirkliche Gegenstände der ernsten Schule behandelt werden, weder in der Absicht, (...) dass jeder Schüler in Kunstfächern Künstler werde, sondern in der bestimmten Absicht, dass jeder Mensch dahin erhoben werde, sich seinem Wesen getreu...vollkommen zu entwickeln!“ 13 Eine Kunstpädagogik welche als Förderung der Persönlichkeitsentwicklung verstanden wird, benötigt nach Fritz Oser und Ma. als entscheidendes Merkmal eine sogennante „Desäquilibration“, d.h. dass neue Strukturen nur dann entstehen können, wenn ein aus der Umwelt kommender Impuls so stark ist, dass er durch Herausreißen aus Konventionen und Erzeugung von Ungleichgewicht so stark verunsichert, dass nichts mehr in gewohnte Denkmuster eingeordnet werden kann14. Guter Kunstunterricht kennzeichnet sich somit durch Polarisierung und Selbstreflektion, Konfrontation mit dem anderen und mit der Herausforderung von ungewohnten Blickwinkeln, was mitunter auch Tendenzen subversiven Charakters deutlich machen kann. II.2 Zum Kunstverständnis der Waldorfschule „(...) die Waldorfschule ist überhaupt kein pädagogisches System, sondern sie ist eine Kunst, um dasjenige, was da ist in den Menschen, aufzuwecken!“15 So versteht sich die Didaktik der Waldorfpädagogik als ein maieutisches Vorgehen, das dem Schüler hilft, sinnstiftend, durch Vertrauen in die eigenen schöpferischen Kräfte und durch Selbst-Berufung zu eigenem Erkennen zu gelangen. „Vom Spiel zur Arbeit“ lautet das Motto Rudolf Steiners; hiernach begründet er die Aufgabe der kunstpädagogischen Arbeit, eine Brücke zu schaffen, von einem dem frohen, befreienden, spontanen und unreflektierten Spieltrieb des Kindes hin zu einem geordneten reflektierten Wirken und Handeln in der Arbeit. Die anthropologische Orientierung der Kunstpädagogik der Waldorfschule zielt auf den 13 Vgl. Wieland/Keßler, 2005, S. 27. 14 Fritz Oser und Ma.,1990. 15 Steiner, GA 217, S. 22. Seite 10 von 77 Menschen als ganzes Wesen. Die Qualifizierung des Anschauungs- und Auffassungsvermögens, die Sensibilisierung der Wahrnehmung und eine ästhetische Schulung werden im schöpferischen Prozess durch die Bildung von Kopf, Herz und Hand, in Form der gegenseitigen Durchdringung von Intellekt, Gefühl und Wille zu einem zentralen Thema innerhalb des Bildungsauftrags. Mittels differenzierter Sinneserfahrungen, welche durch vielfach erprobte Materialbearbeitung zu Darstellungs- Gestaltungskompetenzen führen, lassen sich die drei Wesensbereiche des Menschen, Handeln (Wollen), Fühlen (Fühlen) und Verstehen (Denken), gleichermaßen bilden und entwickeln. Durch den Wechselbezug von Reflexion und Handlung im künstlerischen Tun verbindet sich „das Gefühl und der Wille mit dem Intellekt zu einer höheren Erkenntniskraft“ und verhilft dem Schüler so zu einer Begegnung mit sich selbst und der Welt 16. Im Kunstprozess stimmen das 'Ich' und die Welt überein und ermöglichen ein Identitätserlebnis als sinnvolles Eingebundensein in einen übergeordneten Weltzusammenhang. Im praktischen Tun entwickelt sich das erkennende Bewusstsein gegenüber dem eigenen Handeln, welches zunehmend dadurch bestimmt, die Grundlage für ein identitätsstiftendes Handeln aus Erkenntnis bietet, um welches sich die Waldorfpädagogik in der Erziehung der Heranwachsenden hin zur Freiheit originär bemüht. Um der Gefahr einer einseitigen Intellektualisierung entgegen zu treten, wird durch die Betätigung des Willens und des Gemüts im Malen, Zeichnen und Handwerken der Intellekt auf sein Seelisch-Geistiges verwiesen, bzw. von ihm durchdrungen, gespeist und genährt. Das zuvor intellektuell Gedachte verbindet sich im künstlerisch-praktischen Arbeiten mit den seelischen und geistigen Inhalten. Indem auf ästhetische Weise das Gemüt- und Gefühlsleben angesprochen und entwickelt wird, wird der Intellekt auf des Seelische hingewiesen. Erst das von Gefühl und Willen ergriffene und durchdrungene Denken kann in die geistige Welt hineinführen und dauerhaft „tote von lebendigen“ Wahrheiten unterscheiden 17. Um den Menschen in seiner Ganzheit zu fördern und entwicklungsgemäße Fähigkeiten 18 und 16 Michael Martin, 1991, S. 328. 17 Michael Martin, 1991, S. 312. 18 „Fähigkeiten sind im Laufe des Lebens gesammelte Erfahrungen, welche durch die Auseinandersetzung des 'Ich' mit den Welterscheinungen erworben wurden. Im Vergleich zu dem ad hoc-Wissen des kurzfristigen Gedächtnisses, können sie ein Leben lang immer wieder schnell aktualisiert werden und bilden somit einen kontinuierlichen biographischen Grund für die menschliche Persönlichkeit.“ Jochen Seite 11 von 77 Fertigkeiten auszubilden zu können, werden die Schüler in künstlerische Prozesse einbezogen, welche sich jeweils an der körperlichen, seelischen und geistigen Entwicklungsstufe des Kindes orientieren. Hierzu bemerkt Jochen Krautz kritisch, dass bezüglich einer als gemeingültig betrachteten Anthropologie „(...) die bildnerische Entwicklung nicht unabhängig auch von kulturellen Kontexten gesehen werden kann und von daher nicht überzeitlich, sondern historisch gebunden sei“ 19. Die Arbeit am künstlerischen Werk bietet den Schülern lebensbedeutsame Sinneserfahrungen, welche ihnen hilft in der Begegnung mit der Eigengesetztlichkeit der Welt, sich mit ihr zu verbinden und im Sinne der Salutogenese nach A. Antonovsky 20 sie in ihrem menschlichen Kohärenzbedürfnis, durch die Erfahrung von Sinnhaftigkeit, Verstehbarkeit und Handhabbarkeit bestärkt. 21 II.3 Das Plastizieren22 „Im Greifen, Bearbeiten und Umwandeln der Erdenstoffe wird der Mensch eins mit der Welt, in der er lebt. Im Bewußtwerden der Außenwelt durch Wahrnehmung und Denken entsteht zuerst eine Distanz, die aber durch die Tätigkeit an ihr und in ihr überwunden wird.“ 23 Krautz, 2010, S. 63. 19 Jochen Krautz, 2010, S. 31. 20 Aron Antonovsky (1923-1994) entwickelte die Salutogenese als ein Konzept der Entstehung von Gesundheit. Gesundheit ist kein Zustand, sondern muss als Prozess verstanden werden. Ins Zentrum seiner Antwort auf die Frage: Wie entsteht Gesundheit? stellt er einen „Sinn für Kohärenz“. Das Kohärenzgefühl wird jeweils als (subjektive) Empfindung von drei Komponenten gebildet: Sinnhaftigkeit, Verstehbarkeit, Handhabbarkeit. Der Mensch sieht sein Wirken als sinnhaft und wertvoll, vertraut in sein Handeln und erlebt sich sinnstiftend eingebunden in das Welt-Ganze, (Sinnhaftigkeit). Er erlangt die Fähigkeit, seine Umwelt auch übergeordnet zu verstehen und sinnvoll zu interpretieren, (Verstehbarkeit). Im Wissen um die eigenen Ressourcen weiss er Situationen und Probleme aktiv zu bewältigen, (Handhabbarkeit). 21 Jochen Krautz, 2010, S. 30. 22 Für das Arbeiten mit Ton wird im weiteren Verlauf der Begriff Plastizieren verwendet. Plastizität bedeutet die Formbarkeit eines Materials (Duden 2013); durch das plastische Arbeiten werden Formen, Formbarkeit selbst erlebt, hingegen Modellieren mehr auf Modell-Abnehmen verweist. Anke-Usche Clausen/Martin Riedel 1979, S.169. 23 Michael Martin, 1991, S. 24. Seite 12 von 77 „Material kommt vom lat. Substantia oder Materia = Gegensatz von Geist, Seele oder Idee“ 24 gleichzeitig dient es als Mittler und Replik und bietet Widerstand. „Es bildet die emotionale Grundlage der Plastik, gibt ihr den Grundakzent und bestimmt die Grenzen ihrer ästhetischen Wirkung.“25 Der Begriff Plastisches Gestalten wird im deutschsprachigen Raum in zweifache Weise definiert: Zum einen findet er Verwendung für das Additive, Antragende, Massebildende Verfahren beim Arbeiten mit weichen, formbaren Materialien, zum anderen wird er gebraucht für das durch Schnitzen und Meißeln subtraktive Arbeiten mit harten Materialien, wie Holz und Stein. Der etymologische Ursprung des Begriffs Plastik stammt von dem griechischen Verb plassein für bilden und formen und wird in seiner engeren terminologischen Verwendung auf jene Tätigkeit des modellierenden Bearbeitens von bildsamer Tonmasse durch Zusammenfügen, Anhäufen und Umformen beschränkt 26.Unter Formen verstehen wir alles, was die kubisch, räumliche Tastbarkeit als bildnerische Aufgabe hat. Das plastische Gestalten ist im Vergleich zur Kinderzeichnung ein noch grundsätzlich wenig erforschtes Feld. In den allgemeinen Lehrplänen der staatlichen Schulen findet es kaum Platz; mangelndes Wissen und Können seitens der Lehrer, ein eher unbequemes, unsauberes Arbeiten und das vergleichsweise schwierige Dokumentieren der entstandenen Werke, klammern den Bereich aus. Historisch betrachtet richteten sich die wenigen Publikationen der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts entweder auf das Vorschulalter oder blieben in der Mehrzahl ohne Rücksicht auf entwicklungspsychologische Fragestellungen allein auf den Werkunterricht bezogen. Noch die letzten drei veröffentlichten Werke zum Ende des 20. Jahrhunderts, welche erstmals gestaltpsychologische und methodisch-didaktische Inhalte ansprachen, bezogen sich in der Regel auf ein noch aus vollkommen anderem soziokulturellen historischen Kontext entstandenem Fachwissen.27 24 Elke Wieland/Wolfgang Keßler, 2005, S. 46. 25 H. Kurz, 2000, S. 47. 26 Stefan Becker, 2003, S. 10. 27 Stefan Becker, 2003, S. 9-10. Seite 13 von 77 In den pädagogischen Vorträgen Rudolf Steiners können wir ein wenig über das elementare Plastizieren als festen Bestandteil des künstlerischen Unterrichtes finden; gemeinsam mit dem Zeichenunterricht dient es in den ersten vier Schuljahren als voraussetzende Grundlage für das Formanschauen und Formempfinden des Kindes. Alle möglichen Formelemente sollen begleitend im Zeichenunterricht geübt werden, um das Kind in das Formempfinden hineinzubringen, noch bevor es dieselben Gestaltungen in der äußeren Welt wiederfindet, noch bevor der Nachahmungstrieb erwacht ist28. Steiner geht davon aus, dass die dem Menschen innewohnenden Bildekräfte (vgl. II. 4) über das künstlerische Schaffen und Beleben zu Formkräften werden; dieselben Formen und Kräfte, welche er in seinem inneren Erlebnisbereich trägt, die Kräfte der Bewegung, Sammlung, Dehnung, Aufrechte, der Schwere und der Leichte, des Wachstums und der Formung, findet er in der äusseren, gegenständlichen Welt wieder. D.h. über das Entdecken und Schulen des eigenen Formempfindens wird er vertrauter und sicherer den äusseren Formen und damit der Welt begegnen und sich dieser nicht gegenüber, sondern mit ihr verwoben und in ihr aufgehoben fühlen29. Im Alter von neun bis zehn Jahren soll im Kinde über die Beschäftigung mit den Organformen des Menschen das Interesse nach plastischer Gestaltung angesprochen werden, weniger kopierend, als vielmehr aus der Hohlhand heraus, die Formen selbst entdeckend und entwickelnd30. Auch in der anthroposophischen Kunsttherapie gilt das plastische Gestalten als Aus- und Eindrucksmittel auf Körper, seelischer und geistiger Ebene und bildet damit einen wesentlichen Beitrag, um charakterologische und entwicklungsbedingte Einseitigkeiten auszugleichen. So können z.B. temperamentsbedingte Schwankungen, Nervosität u.Ä. durch das Arbeiten mit Ton wieder ins Gleichgewicht finden. Entwicklungspsychologisch ist man sich mittlerweile einig, dass die triebdynamische, emotionale und sinnliche Erfahrung sensomotorisch-haptischen Tuns die Basisfunktionen für den Aufbau von strukturierten Wahrnehmungs- und Erkenntnisprozessen, wie z.B. der Sprachentwicklung bilden. Die ersten Material- und Tasterfahrungen aus frühester Kindheit, 28 Rudolf Steiner, GA 295, 1919. 29 Michael Martin, 1991, S. 306. 30 E.A. Karl Stockmeyer, 200, S. 325. Seite 14 von 77 wie Matschen, Schmieren und Behauen, welche als Entdeckungs- und Gestaltungshaltungen in uns angelegt sind, verweisen heute bei den zunehmend medienorientierten Kindern und Jugendlichen auf ein deutliches Defizit. Materialien im sensomotorischen Tun tastend zu erleben, zeigt sich für viele Kinder heute weitgehend ausgeklammert. Werden diese ganzheitlichen Sinneserfahrungen in den entsprechenden kindlichen Entwicklungsphasen nicht gelebt, kann dies zu erheblichen Entwicklungsdefiziten führen. Das Arbeiten mit Ton als polyästhetische31 Sinneserfahrung soll als kompensatorische Möglichkeit für diese gesellschaftlich erzeugten Defizite, über die Tastwahrnehmung als haptischen Anteil, an diese alten Erfahrungen anknüpfen. Emotionale Befindlichkeiten sollen erzeugt und verdrängte und verschüttete Bedürfnisse wachgerufen werden, um eine labile Verhaltensbasis stabilisieren zu können;32 später lassen sich leider diese sogenannte „regressiven“ Verfahren nur mühsam und bedingt nachholen33. Dazu Rudolf Steiner: “Wenn man Gegenstände betastet, nimmt man nichts vom Gegenstand wahr, sondern man nimmt nur wahr, was in einem selber bewirkt wird.“34 Der Gestaltvorgang Der plastische Vorgang, das Phänomen der Gestaltbildung selbst gliedert sich in der anthroposophischen Dreigliederung nach Rudolf Steiner, in “die polaren Prinzipien von Chaos (Wollen) und Form (Denken), zwischen denen der Rhythmus (Fühlen) vermittelt“35, mit dem Willen lassen sich die Gliedmaßen ergreifen, um über das Fühlen und Formen des Materials die eigenen Vorstellungen zum Ausdruck zu bringen und um sich darüber hinaus an den Raumgesetzen orientieren zu können. Dadurch, dass das Wollen, Fühlen und Denken in der körperlichen Motorik vereint gemeinsam angesprochen und gefördert werden, können über das Formen, unsere Vorstellungen in eigens generierten Begriffen Klärung und Ordnung finden. 31 Aisthesis (Wahrnehmung). Der Terminus „Polyästhetik“ verweist auf aristotelisches Gedankengut, auf das „sensorium commune“ in Aristoteles; d.h. Dinge werden immer im Zusammenwirken von mehreren Sinnen wahrgenommen. Polyästhetik kann also als „vielgestaltige sinnliche Wahrnehmung“oder, wie Wolfgang Roscher (Musikpädagoge,1927-2002) selbst, als „sinnliche „Mehr-Wahrnehmung“ übersetzt werden. 32 Barbara Wichelhaus, 1995, zitiert in Georg Peez, 2008, S. 83. 33 Georg Peez, 2008, S. 82-83. 34 Rudolf Steiner, GA 199, 3. Vortrag, 1920. 35 Elke Wieland/Wolfgang Keßler, 2005, S. 26. Seite 15 von 77 Das Seelisch-Geistige steigt während des Plastizierens belebend und prägend in die Form schaffenden Bildekräfte (vgl. II.4), aus welchen die Natur den Menschen geschaffen hat, während die Hände frei die Raumeswelt denkend begreifen können36. Im Vollzug erlebt der Schaffende ein Zusammenspiel von Körper, - Seelisch,- und Geistigem. Über seinen Leib erlebt er im Fühlen sinnlich Erfahrbares, in der Seele bewahrt er die Eindrücke und verbindet sie mit seinem Dasein und im Geiste, in seinem Wesenskern, bildet sich Erkenntniss, baut sich sein individuelles Ich. Nach Steiner begreift der Mensch erst durch den Formnachvollzug im plastischen Tätigsein das eigentliche Wesen der den Körper aufbauenden Kräfte, das Wesen des Bildekräfteleibes (Ätherleib) . (Vgl. II.4) Der Ton als Material bietet durch seine Weichheit und Formlosigkeit großmögliche Flexibilität und Freiheit im Ausdruck, er lädt zum Spielen ein, wobei das Eigene gut entdeckt werden kann. Entsprechend seinem spezifischen Aufforderungscharakter will er über berühren und spüren eher sachte, behutsam und vorsichtig bearbeitet werden, wobei sich die Konzentration während des Arbeitsvorganges auf Material, Gegenstand und Art der Bearbeitungstätigkeit beschränkt. Im Versuchen, Untersuchen, Zusammenfügen, Aufbauen, Maß nehmen, aneinanderfügen und Ordnen befindet sich der Gestalter hierbei gleichzeitig in einem Prozess von Suchen und Finden, Denken und Tun, welche gleichrangig und ineinander existieren. Durch die Bewegung im Wahrnehmen treten Subjekt und Objekt in Beziehung. Das Material nimmt die Bewegung des Gestalters auf, löst in ihm eine innere Bewegung, welche den schöpferischen Entwicklungsprozess in Gang setzt, während im wechselseitigen Dialog mit Aussagen über Wölbung und Höhlungen, über additives und subtraktives Verformen, das Bildnerische entsteht 37. Zwischen dem entstehenden Objekt, dem Raum und dem eigenen Körpergefühl tritt eine Wechselwirkung zwischen Formwollen und der Formveränderung des Materials 38. Im direkten Zugriff auf das weiche, formbare Material, dessen Empfänglichkeit für Druck jede Formgestalt als Spur konserviert, reagieren die Hände sich selbst korrigierend auf das formannehmende Material; aus neuen sich wiederholenden Gesten des Formens ergeben sich neue Gestaltvorschläge, die über die Wahrnehmung wieder zu neuerlichen Korrekturen der Bewegung des Gestaltens führen und den Gestaltenden über die Nähe zu Material und Werk 36 Anke-Usche Clausen/Martin Riedel, 1979, S. 23. 37 Elke Wieland/Wolfgang Keßler, 2005, S. 37 - 38. 38 Elke Wieland/Wolfgang Keßler, 2005, S. 48. Seite 16 von 77 hin zu sich selbst führt39. Das Eine fällt in das Andere. Die wahrnehmend, aufnehmende Geste geht in die körperlich-sinnliche Erfahrung über und wird durch die Reflexivität des Bewußtseins und das gestalterische Handeln über den Tastgriff zum Formgriff. Der Gestaltungsvorgang vollzieht sich aus der unauflösbaren Verbindung zwischen den Sinnesaktivitäten und der Reflexivität des Bewußtseins 40. Die im Raum entstehende Plastik, welcher sich der Schaffende als Betrachter gegenüberstellt, wird also nicht nur von außen gesehen, sondern auch beim Erschaffen erfühlt. Gemäß ihrer Stimmigkeit in Rückwirkung auf sie selbst, wird sie nicht nur von außen erzeugt, sondern gleichzeitig auch aus sich selbst heraus geschaffen. Neue Erfahrungen werden gemacht, gesichert und gleichzeitig neu entworfen; die Erfahrungsneugier als Vorgriff und die Ahnung, dass da noch mehr zu holen ist, wecken die Erfahrungsphantasie und treiben den Gestaltungsvorgang voran41. Sich über die Hand von den eigenen Sinnen und dem Körpergefühl dirigieren zu lassen, bringt den Gestalter in die Nähe zu sich selbst und den eigenen Wesensgrund, aus welchem heraus er zur Gestaltbildung drängt.42 Das Drücken, Streichen, Kneten, Ansetzen und Höhlen des Materials unterstützt das Erleben der eigenen Fähigkeiten, Dinge selbst gestalten und verändern zu können und wirkt in seinem ruhigen, sachten Arbeitstempo klärend und ordnend auf Leib und Psyche. Die zu erfahrende Grenze zwischen dem Material und der Umgebung, zwischen Innen und Außen, kann den Kindern helfen, auch in schwierigen Situationen Klarheit und Orientierung zu finden. Die Sinne Das plastische Gestalten ist in erster Linie eine von den Sinnen bestimmende Tätigkeit. Alexander Baumgarten, Begründer der Ästhetik, formuliert zwei Seiten unserer Weltzuwendung; eine wissenschaftliche und eine ästhetische. Als Hauptgegenstand der Ästhetik versteht er das sinnliche Erkennen, als das sich Einfühlen in die Phänomene der Welt, um ihnen nahe zu stehen. Parallel dazu und ähnlich formuliert, spricht Jost Schieren bezugnehmend auf Goethe in seinem Aufsatz über „Die Veranlagung von intuitiven Fähigkeiten in der Pädagogik“, dass unsere Sinneswahrnehmungen zunächst als vorgestellte 39 Gert Selle, 1993, S. 146. 40 Gert Selle, 1993 S. 35. 41 Gert Selle, 1993, S. 33. 42 Wieland, Elke/Keßler, Wolfgang, 2005, S. 22. Seite 17 von 77 Erlebnisqualitäten in unser Bewusstsein gelangen. Erst durch das mittels unserer unverfälschten Sinneserfahrungen eigene Erfahren der Dinge, kann es zu dem Bruch unseres Vorstellungspanzers kommen, um somit zum Eintritt in die Qualitäten der Welt 43. Für die Schulung und Kultivierung unserer Sinneswahrnehmungen, für die Vergegenwärtigung ihrer Qualitäten und folglich vom Wahrnehmen der Qualitäten der Welt gilt folgendes als Voraussetzung: Eine bewußt geführte Beobachtungsintention, die Differenzierung von Beobachtung- und Denktätigkeit als auch die Deutung von Wahrnehmungen durch den Verstand, welcher Im Wahrnehmen, Erfahren und Erkennen bildend eingreift44. Um einen Ausgleich zu der rein vom Intellekt bestimmten Welt des Denkens zu schaffen, ist es möglich, sich im gestaltenden Tun, als auch in der Rezeption dessen, über das sinnliche qualitative Empfinden des Materials und der Formen mit den Dingen zu verbinden und Vorstellungen durch gemachte Erfahrungen 45 zu ersetzen; im forschenden Arbeitsprozess verwandeln sich die Vorstellungen über das Bewußtsein zu eigen erlebten, individualisierten Begriffen46. Nach Steiner ermöglichen diese lebensbedeutsamen Sinneserfahrungen dem Schüler Einsicht in höhere Erkenntnisstufen, welche er neben dem Begriff der Intuition (vgl. III.2.1) auch als Imagination47 und Inspiration bezeichnet. Bereits am Anfang des letzten Jahrhunderts forderten die Reformpädagogen für den 43 Jost Schieren, 2010, S. 6. 44 Jost Schieren, 1998, S. 135. 45 Im Text versteht sich Erfahrung als die von Goethe für seine naturwissenschaftlichen Forschungsmethoden genannte Definition von Erfahrung. Erfahrungen als das durch die Sinne Gegebene, werden von den Seelenkräften aufgefasst, geordnet und ausgebildet. Das Aufgenommene wird durch das Wie und Was thematisiert und findend durch den Versuch eine bewusste Vergegenwärtigung seines Inhaltes. Dazu ein Zitat Jvon ürgen Blasius „Der Versuch ist bei Goethe, „(...) die Erfahrung, die sich durch intersubjektive Reproduzierbarkeit auszeichnet“. Jost Schieren, 1998, S. 88. 46 Wir erschließen uns den zunächst unüberschaubaren Bereich des Wahrnehmbaren dadurch, dass wir ihn im Tun, im Erfahren, allmählich mit eigenen Begriffen durchdringen und diese dabei gleichzeitig von dem individualisierenden Einfluß des Wahrnehmbaren durchdringen lassen. Die Anpassung von dem Begriff an die Wahrnehmung nennt Steiner “Die Individualisierung des Begriffs“. Jost Schieren, 2012, S. 19. 47 Imagination ist hier nicht nur zu verstehen als kulturell geformte Vorstellungskraft, sondern als eine produktive Vorstellungskraft. Seite 18 von 77 Unterricht der Schüler mehr Anschauung, Handlungsmöglichkeiten und Erlebnisqualitäten. Dies beinhaltend wurde der Ruf nach mehr Förderung der Körper- und Sinneswarnehmung insbesondere durch die künstlerischen Fächer unabdingbar und hat bis heute an seiner Aktualität nichts verloren. Neuere Ergebnisse der Lern- und Hirnforschung zeigen, dass diese Forderungen erneut in den Focus unserer aktuellen Bildungsdebatte rücken mussten: „Die Gehirnforschung macht deutlich, dass unter den Sinneserfahrungen ganz besonders die Tast- und Berührungserlebnisse, die kognitiven Fähigkeiten, b.z.w. die Entwicklung des Gehirns begünstigen, fördern und es lebenslang 'ernähren'!“ 48 Hinweise für die Verbindung der beiden Bereiche zeigen sich insofern auch, als das viele Bezeichnungen wie Erfassen, Behalten, Begreifen, Verbinden, Verknüpfen, für geistige Vorgänge dem taktilen Bereich entnommen werden. Einen weiteren Hinweis ihrer Verbindung liefert die moderne Hinforschung insofern, als dass sie die unsere Sprache als eine Weiterbildung und Folge der Kommunikation mit Handzeichen deutet49. Hände und Augen „Zuerst lernte der Mensch den Gebrauch der Hände (...) und erfüllte die Umwelt mit Taten.“ Rudolf Steiner50 Im plastischen Vorgang sind unsere Hände nicht nur Werkzeug, sondern gleichzeitig abtastendes, Körper- und Stofflichkeit empfindendes Sinnesorgan, welches entsprechend erfahrende Informationen an unser Gehirn weiterleitet und somit aus physiologischer Sicht den Organismus in seiner Eigentätigkeit stärkt. Der hierfür verantwortliche Tastsinn als Sammelbezeichnung für die Wahrnehmungsoptionen der menschlichen Haut umfasst die drei Sinnesqualitäten: Druckempfindung, Berührungsempfindung und Vibrationsempfindung51. Der durch ihn sensibilisierte, sich anschließende Propriozeptive Sinn 52 ist der uns 48 Manfred Spitzer, 2007. 49 Georg Peez, 2002, S. 90. 50 Rudolf Steiner, GA 93a, 1905, S. 124 51 http://www.flexikon.doccheck.com/de/Tastsinn, recherchiert am 15.05.2013. 52 Unter dem Propriozeptiven Sinn verstehen wir den „Bewegungssinn“ und „Gleichgewichtssinn“, von Rudolf Steiner auch „Nachtsinne“ oder „Willenssinne“ genannt. Propriozeption bezeichnet die Wahrnehmung von Körperbewegung und -lage im Raum, bzw. der Lage/Stellung einzelner Körperteile zueinander. http://de.wikipedia.org/wiki/Propriozeption, recherchiert am 19.04.2013. Die über den Tastsinn Seite 19 von 77 unbekannteste, unzugänglichste Sinn und selten ist uns bewußt, dass er, verantwortlich für unsere Eigengestalt- und Raumwahrnehmung, dem Kind den Aufbau seiner Leib-SeeleKongruenz (Übereinstimmung von Fühlen, Denken und Handeln) erst ermöglicht und somit die Basis seines Realitätsbezuges bildet. Der Pädagoge Karl Klöckner unterteilt die Hände in ihren Aufgaben in folgende zwei Funktionen: Die „Tasthand“, welche mehr „erfühlend“ und aufnehmend die Welt erkundschaftet; die „Arbeitshand“, mehr konzentriert auf das „Erfassen der Dinge“ und die Willensspannung, ist die stärker auf den Intellekt bezogene 53. Indem unsere Hände als Gestaltungs- und Wahrnehmungsorgan im plastischen Vorgang Formen nach-, um- und neuschaffen, vermitteln sie zwischen der Innen- und der Aussenwelt. Unsere Sinne als Organe der Verinnerlichung nehmen auf und geben nach Innen weiter; hingegen die Hände das Aufgenommene durch die eigene Art des Menschen im Verinnerlichen verwandeln und das, was sie als Impuls von innen empfangen, nach aussen wieder abstrahlen54. Für das plastische Gelingen spielt hier die enge Zusammenarbeit zwischen Hand, (sinnlichere Sinn) und Auge, (geistigere Sinn) eine wesentliche Rolle. Dadurch, dass das Auge im Arbeitsprozess mitverfolgt, was die Hand tut, wird es im Wahrnehmen der Formbildung der Hand wach, und die Kontrolle im gegenseitigen Wechselbezug wirkt schulend und stark belebend auf das physische Sehvermögen. Als gleichberechtigter, bestimmender Sinn und weltwahrnehmendes Organ nährt es von aussen die Bilder unserer Innenwelt, stärkt zugleich die Kräfte unserer Vorstellungen, welche die Hände im plastischen Vorgang führen. Des Weiteren macht ihre Beziehung zueinander den entscheidenden Unterschied zwischen zwei- und dreidimensionaler Gestaltung deutlich; eine Zeichnung ist mit geschlossenen Augen undenkbar, während ein Blinder durchaus eine plastische Arbeit schaffen kann. In ihrer Tätigkeit stellen die Hände intelligente Erkenntnisinstrumente dar, welche den erhaltenen Informationen können uns nur durch die propriozeptiven Sinne, die räumliche Vorstellung eines dreidimensionalen Gegenstandes vermitteln. Stefan Becker 2003, S.12. 53 Karl Klöckner, 1969, S. 435. 54 Michael Martin, 1991, S. 113. Seite 20 von 77 Sinnesorganen und dem Gehirn zuarbeiten, damit diese sich selbst und die Welt begreifen können. Mit Beginn der Evolution treiben sich Gehirn und Hand in ihrer Ausbildung gegenseitig an und stehen in einer komplexen, kaum zu überbietenden Wechselbeziehung zueinander. Bezugnehmend dazu weist der Neurobiologe Gerhard Neuweiler darauf hin, dass bei allen Vorgängen der Hände, die einen zeitlichen Ablauf beinhalten, das Kleinhirn sich als lernende Zeitmaschine zuschaltet und aufkommende Fehler in den Bewegungsabläufen so lange korrigiert, bis die neurale Absicht und der motorische Ablauf identisch sind55. D.h. durch die Rückkopplung des Gehirns und die damit einhergehenden Fehlerkorrekturen, wird durch wiederholtes Handeln und Üben nicht nur das Gehirn trainiert, sondern gleichermaßen auch die Gestaltungskraft unserer Hände ausgebildet. Im Plastizieren wie grundsätzlich im Handwerk, ist der Gedanke also unmittelbar mit dem Tun der Hände verbunden, es wird eine Denkweise stimuliert welche sich gerne/auch als ein „Denken mit den Händen“ beschreiben läßt. Die Gedankenlogik, die sich unmittelbar aus der Sache und dem Material folgend ergibt, wird somit auf „lebensvolle“ Weise geübt56. Der Mensch, im Vergleich zum Tier ein Hand- und handelndes Wesen, vermag es anhand seiner Hände seine Vorstellungen nach aussen tragen zu können. Die Arme und Finger werden nach Steiner im plastischen Vorgang zu unseren Gedankenwerkzeugen. Forciert durch das dem Menschen innewohnende Plastische Prinzip, gelangt das gedanklich Erfasste und das Gesehene von den Augen über die Arbeit der Hände nach Aussen und manifestiert sich in den zu entstehenden bildhaften Formen57. „Der Mensch denkt so also mit seinem ganzen Leibe.“58 In der Hand als ein Instrument der Erkenntnis, zeigt sich ihre außerordentliche Bedeutung für das Begreifen der Wirklichkeit und des Erinnern von Welt und Selbst. „Immer ist die Tätigkeit der Hände Ausdruck der inneren Aktivität, der Empfindung, der Bewegung des ganzen Menschen.“59 (Zitat Eva-Maria Garbe) In der klassische Kunsttherapie benennt der schwedische Bildhauer und Psychiater P. Bjerre den Akt des künstlerischen 55 Neuweiler (2007) attestierte der Hand sogar eine „motorische Intelligenz“. Hubert Sowa, 2012 56 Michael Martin, 1991, S. 325. 57 Rudolf Steiner, GA 307, 1923. 58 Rudolf Steiner, 1919. 59 Eva-Maria Garbe, 1977, S. 102. Seite 21 von 77 Schaffens selbst, die “Psychosynthese“, als den wichtigsten Heilfaktor und sieht darin sogar eine Analogie zu der Wundheilungstendenz in der Organmedizin: „Mithilfe der Hände lassen sich Geheimnisse enträtseln, an denen sich der Verstand vergebens bemühte!“ 60 Das Plastizieren als Begriffsbildung verstanden, geht von einem plastischen Wahrnehmungshandeln aus, indem die Hand sowohl sich selbst als auch die vor ihr befindliche Welt begreift. Das Ergebnis dieses Begreifens ist ein Begriff, ein Begriff von Selbst und ein Begriff von Welt, der sich durch das plastische Handeln bildet. Diese Weise der Begriffsbildung ist eine Form von Identitätsbildung und Weltbildung. Durch die persönliche Begegnung der äußeren und inneren Bilder im handelnden Begreifen, folgt das eigene „Aneignen“ der Dinge als Voraussetzung für jegliches Verstehen. Indem der Handelnde versucht, die eigenen Ideen in bildhafte Formen zu kleiden, werden sie zu „lebendigen Ideen“, die den ganzen Menschen in seinem Denken, Fühlen und Wollen ergreifen. Steiner formuliert an der Stelle paradox: „Die Idee ist eine plastische Form, das Kind lernt eigentlich auch alles das zu machen, was es denken lernt.“ So entsteht, dass die Schüler auch das machen können, was sie wissen, d.h. “Könnendes Wissen und wissendes Können“.61 II.4 Gewähltes Thema in Bezug auf menschenkundliche Belange Im Menschen lebt der innere Drang, die innere Sehnsucht, plastisch gestaltend tätig zu sein. Bereits die ersten Kunstwerke der Menschheit bestanden neben der Wandmalerei aus plastisch, gestaltender Kunst. Diese Freude im Umgang mit dem Naturmaterial Ton ist bereits auch deutlich im Kleinkindalter zu erleben. Das Spiel als Ausdruck von kindlichem Tatendrang beschreibt Rudolf Steiner als eine “Befreiung von einer Tätigkeit, die heraus will“. dieser Drang, etwas machen zu wollen, eine Gestalt, etwas Ganzes, begleitet von einer noch offenen, bildsamen Kinderseele und einem starken Einfühlungsvermögen, gilt es behutsam überzuführen in die schöpferische Tätigkeit, ins plastische Gestalten. Mit dem Schuleintritt wird dennoch die von ungehemmten Trieben und Wünschen 60 Elke Wieland/Wolfgang Keßler, 2005, S. 20. 61 Rudolf Steiner, GA 307, 1923. Seite 22 von 77 ausgerichteten Welt des Kindes durch Ordungen, Zeit und Ruhe behutsam Grenzen gesetzt. In der noch ergebnisoffenen Welt des Spielens erfährt das Kind erste einschränkende Widerstände, geistiger als auch körperlich-motorischer Anpassungsdruck wird ihm abverlangt. Seinem “Werksinn“62 weiterhin folgend, möchte es Wirken, Schaffen und sich selbst ausprobieren. Seiner Trieblenkung bewußt, erwacht der Wille und lenkt seine Aktivitäten zielgerichteter. Da das Kind besonders jetzt in seiner zweiten Lebensepoche noch in die eigene Schöpferkraft vertrauend, seine Welt als schön empfindet, offen und am empfänglichsten für alles Künstlerische ist, läßt sich über das künstlerische Arbeiten viel erreichen. Noch stark in seiner Vorstellungswelt verhaftet, baut es in seinem Weltverstehenund Aneignen Bildvorstellungen, öffnet sich Räume der Phantasie von Möglichem und Unmöglichem und schafft so wichtige Grundlagen für ästhetische Erscheinungen und Vorgänge; so ist die “(...) Bildnerische Tätigkeit als Gestaltung im Sicht- und Greifbaren eine Grundform kindlichen Seins und Lebens“.63 Nach der anthroposophischen Pädagogik und Menschenerkentniss Rudolf Steiners, verwandelt sich während des Zahnwechsels mit der Geburt des Äther- oder Bildekräfteleibes 64 die ganze Seelenkonstitution des Kindes; das Seelisch-Geistige emanzipiert sich allmählich vom Leib und richtet sich neu ein; die zuvor den Leib-und organbildenden Kräfte werden frei, verwandeln sich über den Appell an das Gefühlsmäßige, das auf den Willen wirkt, in Verstandeskräfte und wollen im Aussen wirken. Die im Leib bis zum neunten bis zehnten Lebensjahr aufbauende und formende Ätherkraft 62 Erik Erikson, 2003, S. 61. 63 Karl Klöckner, 1969, S. 426. 64 Für Rudolf Steiner erfolgt die gesamte Entwicklung des Menschen in Rhythmen von ca. sieben Jahren. Dabei unterteilt er den Menschen in vier verschiedene, ineinander greifende Wesensglieder oder Lebensleiber, welche er bis zu 21. Lebensjahr durchwandert. 1.-7. Jahr Bildung des Physischen Leibes, (mineralisch) 7.-14. Jahr Bildung des Ätherleibes, (Lebensleib) 14.-21. Jahr Bildung des Astralleibes (Empfindungsleib). Ab dem 21 Jahr ist der Ich-Leib voll entwickelt und damit die Zeit der Selbsterziehung erreicht. Die Bildung des Ätherleibes oder Bildekräfteleibes bedeutet die Zeit der Entwicklung der Neigungen, Gewohnheiten, des Gewissens, des Charakters, des Gedächtnisses, der Vorstellungen und der Tempramente. Der Organismus findet langsam den Ausgleich zwischen Blutzirkulations,- und Atmungssystem. Jetzt ist die Zeit, wo von Aussen auf das Kind eingewirkt werden kann, im Denken, Fühlen, und Wollen; um ihm die Möglichkeit geben zu können, sein Seelisch-Geistiges aus dem PhysischLeiblichen heraus zu entfalten, ist ein Lernen über Gleichnisse, Bilder, Religion und Vorbild von Nöten. Rudolf Steiner, 1965, S. 26. Seite 23 von 77 (Bildekraft) bildet jetzt im Kind den Wunsch und Drang auch im Aussen nach ebenso schaffendem und selbsttätigem Arbeiten. Diese im Inneren wirkenden organbildenden Kräfte, die das Kind mit plastischer Tätigkeit durchzieht, es selbst als “unbewusst inneren Plastiker“ beschreibt, können im äusseren Schaffen durch plastisches Formen und Malen vom Kinde erfahren und gelebt werden. Diese innerlich plastischen Anlagen gilt es ins Aussen hervorzuholen. “All das, was aus dem Kind herauskommen muß, ist in kindlicher Weise an das Kind heranzutragen“.65 Um diesen charakterologischen Qualitäten pädagogisch begegnen zu können, bietet sich der Ton als Material künstlerischen Arbeitens in seiner Qualität und plastischen Eigenschaft hervorragend an; er wirkt aufbauend und formbildend auf den Gestaltungsprozess des Ätherleibes und fordert gleichzeitig im Gestaltungsvorgang die IntellektuellenVerstandeskräfte. Um eine Differenzierung ästhetischer Ausdrucks- und Gestaltungsformen aufzubauen, bzw. sein eigenes Formgefühl entwickeln zu können, bietet sich das Plastizieren jetzt als eine Tätigkeit an, bei welcher das Kind mit Hilfe seiner im Inneren wirkenden lebendigen Lebensprinzipien, den Bildekräften, im Aussen jetzt nicht mehr unbewußt nachahmend, sondern aus der eigenen Formkraft herausarbeitend, für sich Formen finden und entwickeln kann. Die innere Gesetzmäßigkeit des Gestaltens zu wecken, ist durch das Nachahmen im Aussen nur zwischen dem 7.-14. Lebensjahr möglich.66 Der so geschulte Formensinn gibt ihnen mehr Gefühl und Empfindlichkeit für die Schönheit und die Qualitäten allgemeiner Gestaltung; das über die Augen aufgenommene und an die Hände ableitende lernt geschmackvoll zu schaffen, was gefällt. Oder mit Steiners Worten: “Aus der Pflege des Schönheits- und Kunstsinnes, erwächst Freude am Leben, Liebe zum Dasein und Kraft zur Arbeit.“67 Die Umbildung des Ätherleibes zwischen dem Zahnwechsel und der Geschlechtsreife, wirkt 65 Rudolf Steiner, 2009, S. 26. 66 Rudolf Steiner, 2009, S. 25. 67 Rudolf Steiner, 1965, S. 36. Seite 24 von 77 von Aussen bewußt auch auf die Fortentwicklung des Gedächtnisses. Das vorher noch stark situativ bezogene Erinnern des kleinen Kindes verwandelt sich mit der Geburt des Ätherleibes erstmals zu einem unabhängigen, aus den eigenen, inneren Bildern gespeistem Erinnern und Vorstellen; zu abstrakte und intellektuell gebildete, rationale Begriffe wirken da noch stark belastend auf das Gedächtnis des Kindes. Ausgleichend dazu spricht Rudolf Steiner in den “drei goldenen Regeln“ 68 zum Einen vom lebendigen oder imaginativen-geistigen Anschauen, der Dinge im plastisch und malerischen Arbeiten. Bilder und Gleichnisse nach dessen innerem Sinn und Wert es sich richten kann, wirken ansprechend und hervorrufend auf die inneren Bilder, lenken die Phantasie und rufen damit zugleich diejenigen Kräfte auf, die bis in den physischen Körper hinein das Gedächtnis in der richtigen Weise zur Entfaltung kommen lassen. Zum Anderen wirken die für den plastischen Prozess notwendig treibenden Kräfte der Motivation, Ausdauer und Entschlossenheit, als Willensbetätigung und Willensbildung, fördernd für die Gedächtnisentwicklung. Um die Zeit mit ca. neun Jahren erlebt das Kind, hervorgerufen durch den seelischen Umbruch, eine erste Trennung zwischen sich und der Welt und zwischen sich und den Erwachsenen69. Seine Unbefangenheit und Naivität schwinden zunehmend zugunsten auftauchender Fragen nach der eigenen Identität und Herkunft. Ein verstärktes “Sich-selbstErleben“ wird wach, und alles drängt darauf, sich empfindungsgemäß von der Umgebung zu unterscheiden. Besonders in dieser Zeit kann das plastisch-bildnerische Arbeiten beleben und helfend wirken; das Kind wendet sich im freudigen Tun willensstark der Welt zu und erfährt als Schöpfer und Gestalter sich seiner Kräfte bewußt, Festigung und Halt. (Vgl. II.3) 68 „Wenn wir die drei Grundsätze festhalten: Begriffe belasten das Gedächtnis; Anschaulich-Künstlerisches bildet das Gedächtnis, Willensanstrengung, Willensbetätigung befestigt das Gedächtnis.“ Rudolf Steiner, GA 307, 1923, S. 204. 69 Rudolf Steiner, GA 307, 1923, S. 104. Seite 25 von 77 III Fachdidaktische Überlegung zum Aufbau der Unterrichtsreihe Um die Unterrichtsreihe organisiert und entsprechend meiner Anforderungen gut planen zu können, habe ich die „Strukturanalyse“ aus dem lerntheoretischen Modell, dem „Berliner Modell“ von P. Heimann, G. Otto und W. Schulz angewendet 70. Dieses bietet mit Hilfe der folgenden 6 Fragen eine klärende Struktur für die didaktische Herangehensweise der Unterrichtsgestaltung. Nach Heimann stehen die Fragen in strenger „Interdependenz“ zueinander, sie bedingen sich gegenseitig und die eine ist ohne die andere kaum beantwortbar. Miteinander verknüpft, präzisieren und ergänzen sie sich untereinander und erst ihr Zusammenspiel bietet die Möglichkeit für einen guten Unterricht. 1. In welcher Absicht tue ich etwas? 2. Was bringe ich in den Horizont der Kinder? 3. Wie tue ich das? 4. Mit welchen Mitteln verwirkliche ich das? 5. An wen vermittele ich das? 6. In welcher Situation vermittele ich das? Die ersten vier Fragen unterliegen ausschließlich der Entscheidung des Lehrers, wie Intentionalität, Thematik, Methodik und Medienwahl, (Entscheidungsfelder) und sind an bestimmte Voraussetzungen gebunden. Diese, die anthropogenen,- und soziokulturellen Voraussetzungen, zusammengefasst mit den Fragen 5 und 6, auch Bedingungsfelder genannt, werden nach dem Grad ihrer Veränderbarkeit unterschieden. In Bezug auf die Rahmenbedingungen des Unterrichtes wird ergänzend dazu die sich aus den drei folgenden Punkten zusammensetzende Faktorenanalyse empfohlen, welche dem Lehrer eine zweite Reflexionsmöglichkeit bietet. Diese zielt auf die gegebenen Voraussetzungen der schulischen Realität und die seine eigenen Entscheidungen beeinflussenden Faktoren: 1. Normenkritik. Welche ideologischen und außerpädagogischen Normen prägen meine 70 Das „Berliner Modell“, auch „Lerntheoretisches Modell“ genannt, wurde um 1965 von Paul Heimann, Gunter Otto und Wolfgang Schulz konzipiert. Es teilt sich auf in die die Struktur- und die Faktorenanalyse, zwei Reflexionsebenen als Fahrplan für eine Unterrichtsgestaltung. Werner Jank/Hilbert Meyer, 1994, S. 183-185. Seite 26 von 77 Entscheidungen, wie z.B. Weltanschauung, Menschenbild, Schulgesetze, politischgesellschaftliche Richtlinien, Religionen? 2. Faktenbeurteilung. Die gegebenen Tatsachen wie personelle, materielle und institutionelle Rahmenbedingungen müssen hinsichtlich ihrer Stabilität oder Veränderbarkeit in Bezug auf den Unterricht durchdacht werden. 3. Formenanalyse. Sie dient dazu, bekannte und bewehrte Unterrichtsmethoden auf ihren Erfolg bzw. ihre Wirkung hin zu untersuchen, um gemessen daran, den eigenen Unterrichtsstil- und Haltung zu finden und gegebenenfalls selbstreflexiv zu optimieren. III.1 Frage 1: In welcher Absicht tue ich etwas? Als mein Anliegen und zugleich zentrale Aufgabe und größte Herausforderung in meiner Arbeit als Kunstlehrerin sehe ich, den beiden wichtigsten Fragen des Kindes: „Kannst du mir zu einer Weltbegegnung verhelfen?“ und „Siehst du mich wirklich?“ 71 sachgemäß und verantwortungsvoll begegnen zu können. Um dieser Aufgabe gerecht werden zu können und weil das pädagogische Modell der rein kognitiven Wissensvermittlung nicht reicht um der Welt vollständig zu begegnen, sie begreifend erfahren zu können, erarbeitete ich diese Unterrichtsreihe unter waldorfpädagogischen Ansätzen. (Vgl. II.2) Mit Blick auf eine freiheitliche Selbstbestimmung verhilft er dem Kind durch das eigene Tun in seiner Weltbegegnung und läßt es in seiner seelisch und geistigen Tätigkeit die Welt selbst erfahren. Mit dieser Unterrichtskonzeption verfolge ich weniger die Suche nach dem jungen Künstler und seiner individuellen Ausdrucksform, als vielmehr dasjenige, was das schöpferische Tun im Prozess bei den SuS auslöst, was als gemachte Erfahrung in ihnen begleitend zurückbleibt und sie in ihrem Weltbegegnen stärkt. Das „Kunst-Machen verstanden als Methode, um eine Brücke zu bauen, über die er aus seiner eigenen Welt in die Welt seiner späteren Wirksamkeit schreiten kann.“72 Sie sollen die Möglichkeit bekommen, über die Sensibilisierung ihrer Sinneswahrnehmungen die Hände als Werkzeug zum schöpferischen Tun kennen und nutzen zu lernen, um ihnen neben dem Umgang mit dem Virtuellen, Leblosen, das Künstlerische als 71 Tobias Richter, 2006 S. 44. 72 Michael Martin, 1991, S. 308. Seite 27 von 77 Kraftquell zur Seite zu stellen, ihnen den Zugang zu diesen lebendigen Werdeprozessen zu erschließen. Um den hier gemeinten Begriff von Bildung durch das Potenzial von Kunstunterricht zu beschreiben, möchte ich erneut auf Paul Heimann verweisen, dessen Bildungsbegriff als ein Instrument der Entfaltung, auf die Entwicklung der Schüler zu einer „Daseinsbewältigenden Persönlichkeit“73 zielt. Durch das gleichzeitige Ansprechen von Denken, Fühlen und Handeln sollen sie in ihrer Persönlichkeitsbildung, Sozialfähigkeit und Kreativität gefördert und gestärkt werden. Für den geplanten Unterricht bedeutet das, über • die Sensibilisierung der Wahrnehmungsfähigkeit gegenüber bildnerischer Gestaltungsmöglichkeiten, • das kritische Reflektieren gegenüber eigenen und anderer Gestaltungswege und • durch das Üben von Imagination und Vorstellung und deren Darstellungsfähigkeit die Bildung und Übung des künstlerischen Denkens und Handels auszubauen. Zur Motivwahl Fachwissenschaftlich bestätigt, lässt sich über das persönliches Interesse der SuS an den Lerninhalten und ein gefühlsmäßiges, positives Verbinden mit diesen, das Lernverhalten positiv beeinflussen und damit steigern. Im Hinblick darauf habe ich als Arbeitsmotiv und Identifikationsfläche altersentsprechend interessante Tiere gewählt, welche auch ihren gestalterischen Möglichkeiten entsprechen. In diesem Alter zeigen die Kinder noch viel Sympathie für die Tierwelt und hegen mitunter eine enge, positive und emotionale Beziehung zu diesen. Des Weiteren lassen sich mittels der Tierkörperformen erste einfache Grundübungen und Formen des Plastizierens sehr gut üben und darstellen und gleichzeitig erste Grunderfahrungen der Genese von Formen erfahren, bzw. erleben. Da ich die Frage nach der Intention des Lehrers in enger Verwandtschaft mit der Frage nach den Unterrichtszielen sehe, möchte ich mit diesen fortfahren. 73 Werner Jank/Hilbert Meyer, 1994, S. 213. Seite 28 von 77 III.2 Ziele der Unterrichtsreihe Als übergeordnetes Ziel der Unterrichtsreihe steht das Anfertigen einer kleinen Tierplastik aus Ton. Ausgehend von einer Kugel, sollen die SuS mittels didaktischer Schritte lernen, erfahrend und entdeckend ein kleines Tier zu formen. Als die dem untergeordneten Ziele stehen, • das Fördern der körperlichen, geistigen und auf die Bewegung gerichteten Wahrnehmung und • der Versuch, in ihnen ein Gefühl für ein Formanschauen und Formempfinden zu wecken und aufzubauen. Ihr Mitteilungs-, Handlungs- und Gestaltungsbedürfnis befriedigend soll es nicht primär um Wissenserwerb oder ein zweckorientiertes aufgesetztes Kunstschaffen gehen, sondern um eine intensive Erfahrungsarbeit als Handlungsziel, bei welcher der Verarbeitungsprozess des Erlebens im künstlerischen Schaffen, die Übergänge von Aufnehmen, Erinnern, Verarbeiten bis zu gestaltendem Antworten auf das Empfundene und Wahrgenommene in den Mittelpunkt des Unterrichtsgeschehens rückt. Grundsätzlich beziehen sich die Ziele auf die zu bewirkende Internalisation der SuS; sie stehen nicht isoliert, sondern sind immer abhängig von den anthropogenen und soziokulturellen Voraussetzungen und stehen darüberhinaus in enger Abhängigkeit mit den Unterrichtsinhalten- und methoden. Ihr Wechselspiel untereinander bildet die Grundlage für einen gelungenen Unterricht. Ziele legen die Handlungsrichtungen fest, sind zukunftsorientierte Vorwegnahmen der angestrebten und zu erwartenden Ergebnisse und bieten Kriterien zur reflexiven Überprüfung unterrichtlicher Handlungen. Dabei unterscheidet man zwischen den vom Lehrer gesteckten Lehrzielen und dem erreichten Lernziel, dem Lerngewinn des Schülers. Werden die Lehrziele zu den Handlungszielen der Schüler, zeigt das im Idealfall einen positiven Unterrichtsverlauf und verweist auf die intrinsische74 Motivation der Schüler; ihr Lernbedürfnis ist 74 Als intrinsische Motivation bezeichnet man das Bestreben, etwas um seiner selbst willen zu tun, weil es einfach Spaß macht, Interessen befriedigt oder eine Herausforderung darstellt. Intrinsisch bezieht sich auf die Motivation, die aus einer Aufgabe selbst entspringt. Personen die aus intrinsicher Motivation Verhalten Seite 29 von 77 deckungsgleich mit dem Anliegen des Lehrers und dem Unterrichtsprozess. Übergeordnet möchte ich hier die Unterrichtsziele in explizite und implizite Lernziele einteilen, wobei folglich die expliziten auch den impliziten Leistungen dienen. Die expliziten Ziele beschreiben die Steigerung der eigenen Kompetenzen und Fähigkeiten der SuS, welche sich im Kunstunterricht im handlungsbezogenen Arbeiten und den entsprechenden Arbeitsergebnissen ablesen lassen. Unter impliziter Zielsetzung verstehe ich eine durch den mehr unbewußt-emotional positiv erlebten Vollzug, eine aus dem natürlichen Anreiz heraus „selbstgeschaffene“ Zielrichtung. Einem intrinsischen Motiv folgend, möchte ich mit Hilfe ausgesuchter Unterrichtsinhalte, die Interessengewinnung, die Initiativ- und damit die Lernfreude der SuS wecken und sie so zu mehr Selbstmotivation, selbst gesteuertem- und selbst verantwortetem Lernen und einer eigenen Lernerfolgskontrolle motivieren. Diese Ziele wirken tiefer und mehr wesenshaft auf die SuS, und deren Ergebnisse lassen sich eher dauerhaft an ihrer Persönlichkeitsentwicklung und der eigenen Lebensgestaltung ablesen. Um eine Präzisierung der Lernzielformulierung zu finden, habe ich mich an den beiden Lerntheoretikern Benjamin Bloom und David Krathwohl 75 orientiert; in den 50er und 60er Jahren entwickelten sie ein Dimensionierungsraster und klassifizierten die Ziele in folgende drei Dimensionen. Die Grob- Richt- und Feinziele habe ich diesen untergeordnet. Die kognitiven Lernziele beziehen sich auf den Bereich des Erinnerns (Kennen, Reproduzieren) von Wissen und auf die Erweiterung intellektueller Fähigkeiten und Fertigkeiten. Sie beschreiben ein Verhalten, das den Wahrnehmungs-, Gedächtnis- und Denkbereich des Menschen betrifft76. Die affektiven Lernziele beziehen sich auf den Bereich der Gefühle und Wertungen. Sie beschreiben ein Verhalten, das den Bereich der Triebe, Interessen und Einstellungen betrifft; zeigen sind im Vergleich mit extrinsisch motivierten Personen zufriedener mit ihrer Tätigkeit (genießen den Weg), verfolgen die Ziele hartnäckiger, freuen sich mehr über das Erreichen eines Zieles und kommen besser mit Mißerfolg zurecht. www.de.wikipedia.org/wiki/Motivation und www. wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/intrinsische-motivation.html, recherchiert am 25.03.2013. 75 Werner Jank/Hilbert Meyer, 1994 S. 305. 76 paedpsych.jk.uni-linz.ac.at/internet/arbeitsblaetterord/LERNZIELORD/LernzieleDimens.html, recherchiert am 29.05.2013. Seite 30 von 77 d.h. ein Lernen bezügl. der Veränderungen von Interessenlagen, der Bereitschaft etwas zu tun oder zu denken und auf die Entwicklung von Werthaltungen. Die Psychomotorische, bzw. handlungsorientierte Lernziele beziehen sich auf das Lernen im Bereich von z.T. auch sichtbaren, erwerbbaren Fertigkeiten; sie beschreiben die psychische Fähigkeiten und Fertigkeiten des Schülers, z.B. Leibeserziehung, handwerkliche und technische Fähigkeiten, Handschrift und Sprache Im Kunstunterricht sind diese drei Zielebenen grundsätzlich eng miteinander verknüpft; das psychomotorisch-handlungsorientierte Ergebnis ist gleichzeitig auch das Ergebnis kognitiver Lernleistung. Kognitive Lernziele Die kognitiven Lernziele stehen in dieser Unterrichtsreihe für den Erwerb von inhaltlichem Wissen und für Lösungen von handwerklichen und gestalterischen Aufgaben. Dabei verweist einem speziellen Zweck dienend, das lösungsorientierte Denken auf die geistigen Prozesse des Organisierens und Reorganisierens von Material und zielt im Kombinieren und Neuordnen des vorgegebenen Materials auf die intellektuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten der Kinder. Entscheidend ist hierbei im inneren wie auch im äusserlichen Tun selbst, die Einigung von dem gefassten Willen, der Idee und dem entstehenden Werk in seiner Erscheinung77. An der von im Selbst durchgeführten Tätigkeit soll das Kind lernen, die dem Material innewohnenden Gesetzmäßigkeiten und Möglichkeiten zu erkennen, um gemessen daran seine Ideen, Vorstellungen und sein Handeln aus zu richten. Ein schön gestaltetes Tier erfordert im Arbeitsprozess ein permanentes Abwägen, Vergleichen und Kontrollieren der Ergebnisse, d.h., ein Denken im permanenten Wechselspiel mit äusserem Handeln schult neben dem Urteilsvermögen ein Denken, welches gemessen am praktischem Tun bei aller Abstraktheit doch sachbezogen bleibt 78. Wichtig für jede kreative Form der Wirklichkeitsdeutung und Aneignung ist auch die Fähigkeit zum bildnerischen Denken79. Im künstlerischen Handeln, (eben anders als in 77 Tobias Richter, 2006 S. 44. 78 Georg Rist und Peter Schneider, 1977, S. 321. 79 Nach Reinhard Pfennig handelt es sich beim bildnerischen Denken um ein „Sichtbarmachen“. Jeder Gestaltungsvorgang besteht aus einem Erfinden und Realisieren; das Konkretisieren einer nicht Seite 31 von 77 anderen wissenschaftlichen Tätigkeitsfeldern), sind Produktion, Rezeption und Reflexion, Denken, Finden und Machen oft und ausdrücklich eins und sind insofern als gleichwertig zu betrachten. Im Erfinden und Umsetzen sollen sie im Wechselspiel von „machen - sehen einfühlen - finden - reflektieren - reagieren und neuem machen“ ein Denken üben und schulen, welches zwischen rational Gedachtem und intuitiv Erspürtem im Ausdruck “Das Eigene“sichtbar werden lassen kann. Ein weiteres sich diesem anschließendes Ziel, ist die Entwicklung und Förderung des kreativen Denkens und Handelns. Die Kraft der Kreativität gilt allgemein als Motor evolutionären Fortschritts und gehört zur Grundausstattung flexibler Intelligenz. Charakteristisch für kreative Prozesse ist ein Zusammenspiel von divergenten, (innovativ, flexibel) und konvergenten, (prüfen, bewerten) Denkweisen80. Mittels des Plastischen Arbeitens neue Erfahrungen zu machen und Dinge auszuprobieren fordert und fördert gleichsam beide Denkweisen und unterstützt damit ihre Fähigkeit, Dinge anders zu sehen oder anders machen zu können. Das schöpferische Tun, der Gestaltungsprozess selbst, soll ihnen den Raum bieten für kreatives Entwickeln; die hierbei gemachten Erfahrungen sind von Dauer und bilden den Boden für ein Vertrauen in das eigene schöpferische Potenzial und somit für ein Vertrauen in sich Selbst. Affektiv, emotionale Lernziele Das plastische Arbeiten soll die künstlerischen Kräfte der SuS wecken. Der Umgang mit dem Material und das Gelingen der Arbeit soll ihnen Freude bereiten und ihnen erste Erfahrungen vermitteln, wie plastisches Formen wirkt. Den Ton mit den Händen zu (be‐)greifen, das Erleben, Dinge selbst gestalten und verändern zu können, schenkt Vertrauen in die eigene schöpferische Kraft und soll helfen, sich selbst und die eigenen Ressourcen zu entdecken. Ziel ist, das Ich als eine selbstbildende Kraft zu erkennen, um zukünftig als Schöpfer der eigenen Entwicklung zu dienen. Anhand der Verarbeitungsverfahren und der verschiedenen Techniken, sollen sich die SuS vorhandenen Wirklichkeit als auch das Abstrahieren der vorhandenen Wirklichkeit bedeutet sowohl den Weg als auch das Ziel des bildnerischen Denkvorganges. www.artwebs.de/pfennig.html, recherchiert am 04.06.2013. 80 Die Grundschulzeitschrift, 2012, S.33. Seite 32 von 77 auf ihre Ausdrucksmöglichkeiten hin erkunden und erproben und nach Möglichkeit lernen, eigene Gestaltungsbedürfnisse abzuleiten, um fortdauernd gelernte Verfahren und Techniken in Gestaltungsprozessen absichtsvoll nutzen zu können. Das angeeignete Wissen und Können zu nutzen und zu optimieren dient dazu, den Spielraum der gestalterischen Möglichkeiten und inhaltlichen Freiheiten zunehmend selbstbewußter zu gestalten, wie z.B. auch ausserhalb des Schulkontextes Ideen entwickeln zu können und sich mit ästhetischem Arbeiten auseinander zu setzten. Insofern kann der Erwerb der eigenen Handlungskompetenz durch das schöpferische Tätigsein, den SuS auch als Weg dienen, das eigene Handeln in Bezug auf ihre Lebens- und Erfahrungswelt in einen sinnhaften Zusammenhang stellen zu können. Die Entwicklung und Ausdifferenzierung der Sinne und der Empfindungsfähigkeit (Wahrnehmungsfähigkeit) als eine der wichtigsten Aufgaben kunstpädagogischen Handelns, verweist unter anderem auf ein ästhetisches Erfahren, auf den Auf- und Ausbau einer Ästhetischen Bildung81. Das Arbeiten mit Ton als sinnliches Empfinden und Wahrnehmen und das Form-Erkunden und Finden im eigenen Gestalten, sollen den SuS sowohl rezeptive als auch produktive ästhetische Lern- und Erfahrungsprozesse ermöglichen. Im besten Falle erzeugt ästhetisches Erfahren als Staunen und neues Erleben, einen Augenblick des glückhaft bildnerischen Schaffens in Übereinstimmung von sich und der Welt und lässt sich als Moment der genussvoll erlebten Gegenwart82 als sinngebendes Moment in den SuS dauerhaft verankern. Im Zusammenhang damit steht die Schulung der Phantasiekräfte. Die Phantasie, verstanden als ein produktives Imaginieren, verbindet sich mit den inneren Bildern und arbeitet so als eine von der Wirklichkeit losgelöste Vorstellungstätigkeit. Als eine bildschaffende Kraft bildet und beeinflusst sie den Auf- und Ausbau des Gehirns und wirkt bei aller Selbstverwirklichung und Sozialgestaltung als treibende Kraft. Als engste Verwandte der Urteilskraft holt sie im Urteilen das Wirkliche ins Bild und schafft somit wirklichkeitsunabhängig die Bilder für Zukünftiges.“Die Phantasie nimmt Zukunft vorweg 81 Ästhetische Bildung ist hier im engeren Sinne zu verstehen als eine auf das sinnliche Wahrnehmen und Empfinden gerichtete Bildung. Über Erkunden, Ins-Bewusstsein-Rufen, Auslegen und Deuten, sich des Wahrnehmens bewußt werden und dem Spüren und Erfahren einen Sinn geben, beschreibt sinnliches als auch ästhetisches Verhalten. Sievert-Staudte, 1998, S. 25, online unter www.georgpeez.de/texte/aesbild.htm, recherchiert am 14.05.2013. 82 Duncker, 1999, S.15. www.georgpeez.de/texte/aesbild.htm, recherchiert am 23.05.2013. Seite 33 von 77 und holt das Mögliche in das Wirkliche.“ 83 Der künstlerische Prozess als ein „Erfahrungsorientiertes Lernen“ ist im Hinblick auf die Schulung des intuitiven Bewußtseins von zentraler Bedeutung. In Anlehnung an Rudolf Steiner schreibt Jost Schieren in einem Aufsatz über die intuitiven Fähigkeiten in der Pädagogik „Intuition ist ihrem Wesen nach Vollzug“84. Ausgehend von einem vorgestelltem Wirklichkeitsbewußtsein, welches sich auf eine Vorgegebenheit der Wirklichkeit bezieht und einem intuitiven, tätigem Wirklichkeitsbewußtsein, welches von sich selbst wissend im Tätigsein seine Inhalte selbst generiert, sollen sie im Arbeitsprozess mittels ihrer aktiv wahrgenommenen Sinneserfahrungen, einen intuitiven Umgang 85 mit der Wirklichkeit erlernen. (Vgl. II.3) Da der Wille und nicht die Vorstellung das Medium unserer Wirklichkeitsbegegnung ist 86, die Wirklichkeit nicht vorgestellt sondern „getan“ werden muss, sollen die SuS im Arbeitsprozess über das Gefühl der liebevollen Hingabe an das Werk, ihre Willenskräfte mobilisieren und schulen. Ihre subjektive Triebkraft, die Freude und das Begehren, Tun und Gestalten zu dürfen und der den SuS innewohnende Wunsch, auch Dinge besser machen zu wollen, fordern ihre Willenstätigkeit, mit welcher Hilfe sie lernen sollen, über Übung, Ausdauer und Entschlossenheit das Ziel, ein selbst gestaltetes Tier zu erreichen. Zusammenfassend läßt sich sagen, dass die Einigung zwischen ihrem Willen und dem zu schaffendem Werk, zwischen Vorgestelltem und der Erscheinung, auf dem Weg einer gesunden Entwicklung in ihnen ihre Wirklichkeit bilden. 83 Stefan Leber, 1993, S. 466. 84 Jost Schieren, 2010, S. 12. 85 Jost Schieren spricht in seinem Aufsatz „Die Veranlagung intuitiver Fähigkeiten in der Pädagogik“ von der Wesensintuition, als die prinzipielle „intuitive Verfasstheit des menschlichen Erkennens“. Sie bezieht sich auf den von Rudolf Steiner formulierten Intuitionsbegriff, welcher von folgenden zwei verschiedenen Denkformen ausgeht: „Das gegenständliche Denken, welches bezogen auf die Vorstellungen von Welt und von uns Selbst im Gegenüberstellen beider Formen ein duales Bewußtsein hervorruft und ein intuitives Denken, welches nicht nur 'etwas weiß' sondern von 'sich selbst weiß'. Steiner: 'Nur durch die Intuition kann die Wesenheit das Denkens bewusst werden!'“ Jost Schieren 2010, S. 8. 86 Jost Schieren, 2010, S. 12. Seite 34 von 77 Psychomotorische bzw. handlungsorientierte Lernziele Im Hinblick auf bestimmte Bewegungsformen unterliegen die SuS mit dem Schuleintritt einem gewissen Anpassungsdruck; ihre spielerisch-ungestümen Verhaltensformen der Vorschulzeit werden auf ein „Klassenraum-Niveau“ reduziert 87. Parallel dazu zeigt sich für sie aufgrund sich verändernder Lebensbedingungen, ein deutlicher Mangel an Bewegungsangeboten; weitreichende Auffälligkeiten im physischen als auch im psychischen Bereich sind die Folgen. Das plastische Arbeiten soll über das gezielte Ansprechen ihrer grob- und feinmotorischen Bewegungsformen, über taktile Erfahrungen wie Berühren, Spüren und Handhaben, ausgleichend dazu wirken. In der Begegnung, der direkten Berührung mit dem Ton, sollen sie sich fühlend selbst wahrnehmen und eine gefühlsmäßige Formvorstellung vom eigenen Körper bekommen. Über das Erlebnis der Hand als tastendes Kontrollorgan von plastischen Formen können sie in sich ein Formempfinden entdecken (vgl. II. 3), und die Bewusstheit für das eigene Wahrnehmen läßt sie ihre Hände als natürliche „Werkzeuge“ erleben. Das Erproben der Materialeigenschaften und das geführte Hantieren mit dem plastischen Material trainiert ihre neuromuskuläre Koordination, welche letztendlich verantwortlich ist für die Entwicklung ihrer muskulären und motorischen Fertigkeit. Sie sollen lernen, ihre Hände und Finger geschickt und gezielt zu führen um ihre Feinmotorik zu differenzieren und perfektionieren. Die mit der Bewegung im aktiven Berühren der Finger, Gelenke und Bänder verbundenen Sinnesempfindungen lösen im Inneren sensorische Prozesse, welche die Vorstellung dreidimensionaler Gegenstände ermöglicht. Insofern ist hervorzuheben, dass die Schulung der Feinmotorik, neben der Stärkung der Handmuskulatur und deren Beweglichkeit handwerkliches Geschick befördern und gleichzeitig das Ausbilden und Verfeinern eines differenzierten Raumwahrnehmens ermöglichen soll. Zusammengefasst lassen sich wie folgt, die jeweiligen Ziele in die explizite und implizite Zielsetzung einteilen. 87 Stefan Becker, 2003, S. 61. Seite 35 von 77 Explizite Zielsetzung Kognitive Lernziele • Fachwissen • Anleitung zum gestalterischen Prozess nachvollziehen und umsetzen können Affektiv, emotionale Lernziele • Verantwortliches Umgehen mit dem Material • Über partnerbezogenes, sprachliches Handeln Kommunikations,- Reflexions,- und Sozialkompetenzen üben • Ordnungsliebe • Kreative Ideen und Lösungen auch außerschulisch suchen und anwenden Psychomotorische bzw. handlungsorientierte Lernziele • Aufbau und Erweiterung der bildnerischen Fähigkeiten • Erlernen von Technik • Erweitern der taktil-motorischen Fähigkeiten im Umgang mit dem Werkstoff • Erweiterung der kreativen Fähigkeiten im Umgang mit dem Werkstoff • Implizite Zielsetzung Kognitive Lernziele • Schulung von lösungsorientiertem Denken • Schulung von begrifflichem und bildnerischem Denken • Eigenes Urteil in sich finden und vertreten können, Fähigkeit zur Selbstkorrektur • Aufmerksamkeit, Konzentration, zielgerichtetes Arbeiten Affektiv, emotionale Lernziele • Freude an der künstlerischen Arbeit gewinnen • Vertrauen in die eigene schöpferische Kraft gewinnen, Selbstbewußtsein aufbauen • Das „Ich“ als eine selbstbildende Kraft erkennen • Erkennen eines sinnhaften Zusammenhangs bezogen auf Welt Seite 36 von 77 • Übereinstimmung von sich und Welt erleben • Über emotionales Beteiligen an dem Werkstück, eine verantwortliche Beziehung herstellen • Sensibilisierung der Sinne und Entwicklung und Ausdifferenzierung der Wahrnehmungsfähigkeit • In sich ein Formempfinden entdecken • Aufbau eines ästhetischen Bewußtseins, Förderung der Phantasiekräfte • Erweiterung und Differenzierung der Imagination und des Vorstellungsvermögens • Ausbau des intuitiven Bewusstseins • Förderung der Willenstätigkeit, Entwicklung von Arbeits,- und Gestaltungswille • Lernen, die eigene Arbeit Wert zu schätzen • Bewußtsein entwickeln für den eigenen Lernfortschritt • Herausforderungen annehmen, Experimentierfreude entwickeln • Lernen, Hilfe anzunehmen und anderen zu helfen • Üben von Empathie • Achtung vor der Leistung anderer Psychomotorische bzw. handlungsorientierte Lernziele • Sich fühlend selbst wahrnehmen, eine Formvorstellung vom eigenen Körper bekommen • Entwicklung der Körper-und Raumvorstellungen • Erwerb von eigener Handlungskompetenz III.3 Frage 2: Was bringe ich in den Horizont der Kinder? Der Unterrichtsinhalt und damit die zentral didaktische Figur des Unterrichts bildet das Plastizieren als eigenständiges Arbeiten an dem Werk und das daran Erlernte und Erfahrene. (Vgl. II.3) Über das Anfertigen einer kleinen Tierplastik aus Ton machen die SuS, dem organischen Formbildeprozess folgend, erste Grunderfahrungen der Genese, lernen empfindend ihre Formenwelt differenzierter und intensiver wahrzunehmen und gestalten mit den Händen formend ihr Inneres als auch das über die Wachheit ihrer Sinnesorgane auch Seite 37 von 77 äusseres Erleben. Durch das blinde Ertasten von Kugeln aller Arten, den Versuch selber eine Kugel sowohl sehend als auch blind zu formen, verschaffen sie sich im Erproben ihrer Hände ein sensibilisiertes körperliches Wahrnehmen und erhalten über das Aufspüren des eigenen Formgefühls,- und Empfindens, einen ersten Einstieg ins plastische Arbeiten. Entscheidend dabei ist, sie über den Formprozess in die Form selber sich einfühlen zu lassen, ein „inneres Verwachsensein“ mit dieser zu erzeugen. Insbesonde das blinde Formen der Kugel bietet ihnen im konzentrierten Bei-Sich-Sein, einen elementaren Zugang zur Welt der Formen und des Raumes. In Anlehnung an Goethes Gedanken der Metamorphose 88, erleben die SuS im plastischen Vorgehen, dass die Formen, bestimmt durch eine ihnen innewohnende Beweglichkeit, sich fortwährend verändernde Gebilde sind. Sie erfahren im eigenen Erleben, dass die Form der Kugel vielen Tieren als eine gemeinsame Grundform innewohnt, welche sich über die Form eines Eies hin zu einer Tiergestalt verwandeln läßt. Die äussere Bewegung im Bilden und Umbilden der Kugel, ihre stufenweise organische Verwandlung hin zu einem gegenständlichen Tier, vollzieht sich ebenso in ihrem Inneren und schult als inneres Mitvollziehen ein lebendiges Denken. Rudolf Steiner griff die Gedanken der Metamorphose auf und erweiterte diese Idee auf alles lebendig sich Entwickelnde und führte sie ein in die plastische und architektonische Kunst: „Man kann in der künstlerisch-plastischen Gestaltungskraft dem Schaffenden der Natur nahe kommen, wenn man liebevoll nachfühlend ergreift, wie sie in Metamorphosen lebt.“ 89 Das Gestalten aus dem Ganzen der Kugel, sie ohne ihre Einheit aufzugeben, über den organischen Formbildprozess hin zu einer differenzierten Tiergestalt zu formen und zu verwandeln, erzeugt bei den SuS eine Form der inneren Ruhe und Harmonie und schafft ein Bewusstsein für die Wirklichkeit des OrganischLebendigen. 88 Auf der Suche nach der sogenannten „Urpflanze“ und dem „Urtier“, forschte J. W. v. Goethe nach einer gemeinsamen Grundstruktur, auf welche sich die Vielheit der Natur zurückführen läßt. Er dachte an ein gleiches Grundkonzept, an eine gemeinsame Idee, welche den Pflanzen und den Tieren, so verschieden sie sich auch darbieten, verbindend zugrunde liegt. In seinem Gedicht über die Metamorphose der Pflanzen schreibt er: „Alle Gestalten sind ähnlich und keine gleichet der andren, und so deutet das Chor auf ein geheimes Gesetz, auf ein heiliges Rätsel.“ (1798) 89 Rudolf Steiner, 1991, S. 246 zitiert in Michael Martin, 1991, S. 246. Seite 38 von 77 Grundsätzlich setzt der Erwerb und die Vertiefung gestalterischer Darstellungskompetenzen ein kontinuierliches Üben der Arbeitstechniken voraus. Da jede der Übungen als Grund- und Ausgangsform die Kugel nutzt, werden die Kinder über das wiederholte Üben des Kugelformens sicherer und selbstbewußter im eigenen Arbeiten, als auch vertrauter im Umgang mit dem Material. Der wiederholt konzentrierte Vollzug von Wahrnehmen, Empfinden und Entdecken im Tun, läßt sie im Bei sich-sein den Augenblick freudig erleben, wo die Hände zunehmend selber wissen, was sie tun müssen. Die dabei zu erlernenden Fähigkeiten werden intuitiv erfasst und zeigen sich auf der Ebene des Handelns, im Mitvollziehen, Durchdringen und Verstehen des gesetzmäßigen Wesens der Sache. Jost Schieren formuliert dies mit folgenden Worten: „Eine Fähigkeit auszuüben bedeutet, dass wir uns in tätiger Übereinstimmung mit dem Gesetz einer Sache befinden.“ 90 Über die Unterrichtsinhalte erlangen die SuS die Fähigkeit, aus dem Werdeprozess Formen empfindend zu verstehen und diese ins Bildnerische umzusetzen. Sie im Gestaltungsprozess die Gestalt eines Tieres selbst entwickeln und entdecken zu lassen, fordert ein bewusstes Umgehen mit ihren Vorstellungen; die Suche nach Formen und Bildern im Aussen zielen auf die Erfassung von Kohärenz und bieten ihnen somit letztendlich eine sinnvolle Verortung und Orientierung in der Welt 91. Darüberhinaus bietet ähnlich wie im Spiel der Kinder, das konzentrierte Einsteigen ins plastische Arbeiten den Schülern die Möglichkeit, über das selbstvergessene Versunkensein im Tun den genussvollen Augenblick glückhaften bildnerischen Schaffens. III.4 Frage 3 und 4: Wie tue ich das? Mit welchen Mitteln verwirkliche ich das? Die gewählten Arbeitsmethoden sind grundsätzlich handlungsorientiert und versuchen in den SuS durch ein Wechselspiel von Reflexion, Rezeption und Produktion ein ästhetisch90 Jost Schieren, 2010, S. 16. 91 Das Suchen nach Formen und Bildern folgt als ein Abstraktionsvorgang von Imagination; das Abstrahieren auf wesentliche Formen beinhaltet das Reduzieren der Imagination auf das im Aussen bereits erworbene Schemata; oder mit den Worten von R. Steiner, „im Herablähmen der Vorstellungen durch die Wahrnehmungen“ kann die Vorstellung eine Erkenntnis der äußeren Wirklichkeit vermitteln und sich somit in Beziehung mit ihr setzen. In dem Kunstunterricht der Waldorfpädagogik findet die „Vorstellungsreduktion“ als didaktische Figur eine zentrale Bedeutung. Hubert Sowa, 2012, S. 90. Seite 39 von 77 künstlerisches Verhalten zu entwickeln, welches seinen erkundenden Zugang zur Welt fördern, unterstützen und bereichern soll. Die bildnerischen Mittel, in diesem Fall das Plastizieren, gehören im Kunstunterricht grundsätzlich auch zum Inhalt, während die zu verwendeten Materialien, der Ton und die Arbeitstechniken, „aus einem Stück heraus arbeiten“, gleichzeitig auch medialen Charakter haben. Die hier vorgestellte Unterrichtsreihe verweist in ihrer Methode insofern auf einen handlungsorientierten Unterricht92, weil versucht wird, durch das gleichzeitige Ansprechen von Kopf, Herz und Hand die SuS in ihrer Gesamtpersönlichhkeit zu fördern. Das rationale Kopfarbeiten plant und beurteilt das sinnlich-ausführende, wirklichkeitsschaffende Arbeiten der Hände. Die einzelnen Unterrichtseinheiten sind aufeinander aufbauend konzipiert, wobei das einmal Erfahrene und Erworbene in der folgenden Stunde wieder aufgenommen, weitergeübt, vertieft und neu variiert werden kann. Entsprechend dazu vollzieht sich der Lernprozess Schritt für Schritt. Im Hinblick auf den Entwicklungsstand der SuS erhält jede Aufgabe entsprechende Anforderungen und Förderimpulse an das Handwerk und die Gestaltung . Die Aufgabenstellung reicht vom Formen einer Kugel als Grundform, über das Formen einfacher Tierformen, wie Maus und Igel, hin zu einer komplexer werdenden Tierform, dem Pinguin. Die Kugel gilt als das beständige Gestaltungskriterium, von welcher aus in jeder Unterrichtseinheit das jeweils zu Gestaltende aufgebaut werden soll; als wiederkehrendes Element verknüpft sie darüberhinaus die einzelnen Unterrichtseinheiten miteinander. Unter Berücksichtigung des kindlichen, noch kurzatmigeren Wesens der SuS soll jede Aufgabe innerhalb einer Unterrichtseinheit fertig gestellt werden. Unterschiedliche Vorerfahrungen spielen keine wesentliche Rolle und differenzierte Kenntnisse von Einzelheiten für das jeweils zu Gestaltende sind nicht nötig. 92 Im handlungsorientierten Unterricht sollen Kopf- und Handarbeit in einem ausgewogenen Verhältnis sich gegenseitig fordern und im Hinblick auf den Lernprozess miteinander eine ideale, dialektische Verbindung eingehen. Das Konzept baut darauf, dass Selbsttätigkeit die unverzichtbare Voraussetzung für Selbstständigkeit ist; neben dem Wechsel zwischen Führung und Selbsttätigkeit gliedert sich der didaktische Fahrplan in eine „Einstiegsphase“, „Erarbeitungsphase“ und „Auswertungsphase“. Die Inszenierungstechniken reichen vom Lehrervortrag als Frontalunterricht zu Gruppenunterricht in kleinen Gruppen, schriftlichem und praktischem Arbeiten, offenem Unterrichtsgespräch und Gruppenpräsentation. Vgl. Werner Jank / Hilbert Meyer, 1994, S. 337. Seite 40 von 77 Das methodische Grundgerüst der einzelnen Stunde zeigt sich in einem strukturierten Wechselverhältnis von Reflexion, Rezeption und Produktion und gliederte sich wie folgt in zwei Abschnitte: 1. Unter Berücksichtigung der drei Grundfragen in der Einstiegsphase „Wie führe ich die Schüler an das Thema heran?“, „Wie wecke ich Interesse?“, „Wie bereite ich sie vor?“ sollen zum Einstieg und als Vorbereitung für die praktische Arbeit die Ergebnisse der vorherigen Stunde gemeinsam besprochen und reflektiert werden. Durch die Ergebnissicherung erhalten die SuS die Gelegenheit, das Erlebte gedanklich nochmals zu durchdringen, um gestärkt den folgenden Aufgaben begegnen zu können. 2. Die Erarbeitungsphase, in welcher nach Absprache der jeweiligen Stundenaufgabe an dem zu erarbeitenden Objekt mit Ruhe gearbeitet werden kann. Den methodischen Bedürfnissen der SuS nach freier Experimentiermöglichkeit und gleichzeitiger Hilfestellung und Orientierung an Vorgaben entgegenkommend, soll der Arbeitsprozess von mir im Wechsel zwischen Führen und Gewährenlassen begleitet werden. Sie werden von mir mittels Wissensvermittlung, Anregungen, Unterstützung bei Urteils- und Entscheidungsfindung angewiesen, als auch phasenweise im Suchen und Ausüben ihrer Experimentierneugierde gelassen. Ein korrigierendes Eingreifen soll nur innerhalb der eigenen Gestaltungsbemühung helfend gerecht werden. Das Arbeiten mit Ton erfordert unter anderem den Einsatz von körperlicher Kraft. Da sich die SuS in diesem Alter noch sehr bewegungsintensiv zeigen, sollen sie ihren Arbeitsplatz selber wählen. Zur Auswahl steht das Arbeiten stehend oder sitzend am Tisch und das Arbeiten auf den Knien sitzend vor einem Stuhl. Um im gegenseitigen Betrachten der Arbeiten voneinander zu lernen und sich gegenseitig helfen zu können, dürfen sie bedingt umherlaufen. Für das Formen der Kugeln und des Handschmeichlers, für das gemeinsame Gespräch und das Betrachten der Arbeiten in der Einstiegsphase wähle ich den Stuhlkreis, um über das gegenseitige Sich-Anschauen eine bessere Kontakt,- und Kommunikationsmöglichkeit zu schaffen. Eine gemeinsame Abschluss-Reflexionsrunde, ein Austausch über die eigenen Problemlösungsversuche und über gemachte Erfahrungen soll die Unterrichtsreihe beenden. Seite 41 von 77 Neben den SuS bringt auch die Lehrerperson ihre Anlagen und Erfahrungen mit in den Unterricht ein. In meiner Rolle als Lehrer versuche ich von eigenem intrinsischen Interesse geleitet, die SuS ermutigend über auftauchende Hürden zu begleiten, sie über Lob und Würdigung immer wieder neu zu motivieren und auch ein nicht sofortiges Gelingen als eine positive Erfahrung erleben zu lassen. Das gesamte Unterrichtsgeschehen wird von mir initiiert und ich versuche sowohl als Moderator, Anreger und Berater die SuS in ihrem Arbeitsprozess zu begleiten. Um Unterricht grundsätzlich zu einer fruchtbaren Begegnung zwischen SuS und Unterrichtsinhalt werden zu lassen, möchte ich die Aufgabe des Lehrers abschließend mit den Worten von Heinrich Rot formulieren: „Alle methodische Kunst liegt darin beschlossen, tote Sachverhalte in lebendige Handlungen rückzuverwandeln, aus denen sie entsprungen sind; Gegenstände in Erfindungen und Entdeckungen, Werke in Schöpfungen, Pläne in Sorgen, Verträge in Beschlüsse, Lösungen in Aufgaben, Phänomene in Urphänomene“. III.5 Frage 5 und 6: An wen vermittele ich das? Die Eingangsvoraussetzungen und Rahmenbedingungen der Unterrichtsreihe beinhalten grundsätzlich die Frage nach den soziokulturellen und anthropogenen Voraussetzungen der SuS. Die Schule als bestehende Konstante, der soziokulturelle Hintergrund der SuS und ihre damit verbundene individuelle Vorgeprägtheit bilden die Voraussetzungen, unter deren Berücksichtigung ein guter Unterricht geplant werden muß. Die Unterrichtsvorbereitung ist also abhängig davon, welche Voraussetzungen innerhalb der Klasse gegeben sind und in welcher Art von Schule der Unterricht gegeben werden soll. Die Schule Die Kölner Gemeinschaftsgrundschule Balthasarstrasse, eine städtische Schule, befindet sich in einem schönen, alten Schulgebäude aus dem Jahr 1904 und ist seit 2007/2008 eine Offene Ganztagsschule. Die Schule weist ein breites Spektrum der Zusammenarbeit zwischen Lehrern, Eltern und Schülern auf. Gemeinsam von einem Schülerrat, einer Steuerungsgruppe, Klassen- und Schulpflegschaften, einer OGS-Elternvertretung, einem Seite 42 von 77 Förderverein und einer Schulsozialarbeiterin wird die Arbeit der Lehrer und der Schuldirektorin unterstützt. In einem festgelegten Schulprogramm sind alle Grundlagen der Schule formuliert; diese werden aber immer wieder gemeinsam überdacht und weiter ausgearbeitet. Als GU Schule (Gemeinsamer Unterricht) bietet sie ein spezielles Förderangebot für lernbehinderte Kinder, die betreut von zwei Sonderschullehrerinnen, gemeinsam mit den anderen Kindern in jahrgangsgemischten Lerngruppen unterrichtet werden. Jeweils zwei Jahrgänge, d.h. Schüler der 1./2. Klasse und Schüler der 3./4. Klasse bilden einen Zug und werden gemeinsam unterrichtet. Zurzeit gibt es zehn jahrgangsübergreifende Lerngruppen, die in fünf Zügen aufgeteilt sind. Wechseln die Kinder von der 1./2. in die Klasse 3./4., treffen sie auf eine neue Lehrerin, aber auch auf Schüler, die sie bereits aus dem gemeinsamen Schuljahr in der 1./2. kennen. Mit dem Ziel des Aufbaus von Selbstständigkeit und selbstgesteuerten Lernens gelten für den Unterricht, Lern- und Sozialformen, wie Arbeitsplan, Freiarbeit, Projektwochen, Werkstattarbeit, Gruppenarbeit und Partnerarbeit. Im musischen Bereich haben die Kinder je nach Interessenslage die Möglichkeit, ein klassisches Instrument zu lernen und in einem kleinen Orchester mitzuspielen oder im Balthasar-Chor mitzusingen, welcher gemeinsam mit schauspielinteressierten Kindern jährlich ein selbst einstudiertes Musical aufführt. Laut des Lehrplans Kunst für Grundschulen in NRW hat eine 3. und 4. Klasse zwei Stunden Kunstunterricht pro Woche. Diese gliedern sich in die Bereiche: • Räumliches Gestalten • farbiges Gestalten • grafisches Gestalten • textiles Gestalten • Gestalten mit technisch-visuellen Medien • szenisches Gestalten • und die Auseinandersetzung mit Bildern und Objekten. Am Ende der 4. Klasse werden in Bezug auf die einzelnen Aufgabenbereiche jeweils Seite 43 von 77 entsprechende Kompetenzerwartungen an die Schüler gestellt. Meine Beobachtungen und Nachforschungen diesbezüglich haben jedoch gezeigt, dass der Kunstunterricht dieser Schule sich auf Bilder-Malen und Basteln zu den Jahresfesten konzentriert. Hinzu kommt, dass das Fach Kunst oft in Kombination mit Musik- Sach- oder Deutsch unterrichtet wird, bzw. von diesen Inhalten geschluckt wird. Zur Begründung dieser Misere wird meist eine zu hohe Schüleranzahl genannt oder es herrschen seitens der Lehrerschaft keinerlei Vorbildung oder Kenntnisse im Fach Kunst; auch ein zu aufwändiges Materialaufkommen und entsprechende Verunreinigungen als Folgeerscheinung wurden angeführt, den Kunstunterricht eher „bescheiden“ zu gestalten. Das Raumangebot der Schule umfasst einen Ruhe- und Bewegungsraum, zwei Mehrzweckräume, seit einem Jahr eine Holzwerkstatt, eine Bücherei, einen Computerraum, eine Turnhalle und zwei Schulhöfe mit Sandkasten und einem Baumhaus. Als Leitmotiv der Schule steht die Ausbildung der Gemeinschaftsfähigkeit; als Zielsetzung gilt: • Selbstständigkeit • verantwortliches Verhalten und Handeln • Konfliktfähigkeit • und gegenseitiges Helfen und Hilfe annehmen. 2011 war die Schule Preisträger beim Schulentwicklungspreis NRW „Gute Gesunde Schule“. Rahmenbedingungen Für die Durchführung der Reihe stand uns ein Mehrzweckraum im Keller zur Verfügung, leider ausschließlich beleuchtet mit künstlichem Licht. Abgesehen von der fehlenden Tafel diente er überwiegend als Klassen, anstatt als Werkraum. Dies hatte zur Folge, dass nach jeder Stunde Stühle, Tische und Boden gründlich geputzt werden mussten. Die Klasse Die Klasse 3/4 setzt sich zusammen aus 27 SuS, davon 14 Mädchen und 13 Jungen. 14 Kinder sind 3. Klässler und 13 Kinder sind 4. Klässler. Ein(e)n speziell Seite 44 von 77 förderungsbedürftigen Schüler gibt es in dieser Klasse nicht. Wie die meisten SuS der Schule leben sie überwiegend in Familien mit einem höheren Bildungsniveau. Nach Angaben der Lehrerin gilt die Klasse insgesamt als sehr leistungsstark und mehr kognitiv orientiert; sie gehen meist mit Interesse ans Lernen, zeigen sich aufgeschlossen mit einer ausgeprägten Neigung zur Diskutierfreudigkeit. Das Miteinander unter ihnen lässt sich als harmonisch und friedlich beschreiben. Der Schüler Paul93 Paul ist der einzige Schüler, der mitunter ein leicht auffälliges Verhalten zeigt. Er ist körperlich und geistig normal entwickelt, hat aber nach Angaben der Lehrerin ein Konzentrationsproblem. An manchen Tagen fällt es ihm schwer, bei einer Tätigkeit zu bleiben, er schweift ab und stört seine Mitschüler. Sein familiärer Hintergrund gestaltet sich schwierig. Die Eltern sind mit drei Kindern und Beruf überfordert, die Mutter ist beruflich oft über Monate unterwegs, sodass Paul im Alter von neun Jahren bereits sehr viel Verantwortung zu tragen hat. Aufgrund des bereits erwähnten eingeschränkten Kunstangebotes lassen sich die künstlerischen Fähigkeiten und Vorkenntnisse auch dieser Klasse nur auf ein Minimum einschätzen. Bislang wurde überwiegend gemalt und ausgemalt, gezeichnet oder mit Papier gebastelt. Plastisches Arbeiten und Handarbeiten, ein haptisches Arbeiten zum Aufbau der Feinmotorik und Koordinationsfähigkeit wurde bisweilen nicht gefördert. Unter Punkt II.4 findet sich eine eingehendere Beschreibung zur anthropogenen Entwicklung der SuS. Ergänzend dazu erleben wir die Kinder zwischen dem 7.- 9. Lebensjahr als neugierig mit einem Verlangen nach phantasievollen Darstellungen der Dinge. Sie blicken optimistisch in die Welt und zeigen noch eine ausgeprägte Lernbereitschaft. Nach Rudolf Steiner erleben die Kinder etwa ab dem 9.-10. Lebensjahr die Zeit des „Rubikon“, eine Zeit des seelischen Umbruchs. Die bisher noch immer vorherrschende Grundempfindung, seelisch mit der Welt eine Einheit zu bilden, bricht auf. Naivität und Unbefangenheit verschwinden langsam, und das Erleben von Distanz zur Umwelt und erste Einsamkeitsempfindungen verweisen das Kind verstärkt auf ein „Sich-selbst-Erleben“. 93 Aus Datenschutzgründen wurde der Name geändert. Seite 45 von 77 Fragen nach der biologischen Herkunft und der geistigen Abkunft werden jetzt wichtig 94. Die SuS begegnen ihrem Umfeld und auch ihrem Lehrer zunehmend kritischer und suchen eine Bezugsperson, die durch ihre Worte ebenso wahrhaft wirkt, wie durch ihr Handeln. Das Kind will verehren und will auch spüren, dass seine Verehrung berechtigt ist. Der Aufbau der unterrichtlichen Vorhaben im Kunstunterricht ist nur bedingt an einen festen Lehrplan gebunden; vielmehr richtet er sich nach den unterschiedlichen Entwicklungsbedürfnissen der SuS, die sich nur einfühlend feststellen lassen. Um mir einen ersten Eindruck von den SuS zu verschaffen, hatte ich, bevor ich die Unterrichtsreihe plante, einen kurzen Unterrichtsbesuch absolviert. In einem vorangegangenen Gespräch mit der Lehrerin hatte diese mir bereits signalisiert, dass sie es begrüßen würde, wenn ich mit ihren SuS plastisch arbeiten würde; sie hätten diesbezüglich keinerlei Vorkenntnisse. In einem gemeinsamen Gespräch mit den SuS zeigte sich, dass sie alle den Wunsch hatten, mit Ton zu arbeiten. 94 Stefan Leber, 1993, S. 262. Seite 46 von 77 IV Durchführung der Unterrichtsreihe IV.1 Beschreibung der 1. Unterrichtseinheit 11.09.2012, 8.00 bis 9.00 Uhr Thema Kugelformen fühlen Zeitplan 8.00 – 8.05 Einstiegsphase, Begrüßung, allgemeine Vorstellungsrunde, Vorstellung der Unterrichtsreihe 8.05 - 8.35 Erarbeitungsphase, Ertasten der Kugeln 8.35 - 8.55 Gemeinsames Unterrichtsgespräch 8.55 - 9.00 Kleine Anekdote, Verabschieden Material Kugeln verschiedenster Art liegen verborgen unter einer Decke auf einem Tisch in der Mitte des Stuhlkreises Stundenziel Einfühlendes Wahrnehmen von unterschiedlichen Kugelformen Stundenverlauf In der Mitte des Raumes stand ein Tisch, beladen mit verdeckten Kugeln und Bällen aus unterschiedlichen Materialien, verschiedener Größe und Gewicht. Nachdem ich mich und mein Anliegen vorstellte, folgte eine allgemeine Vorstellungsrunde, bei welcher wir uns über die jeweiligen, bereits gemachten Erfahrungen mit Ton austauschten. Unter Berücksichtigung der Voraussetzung, dass die Schüler kaum nennenswerte Erfahrungen im plastischen Gestalten hatten, versuchte ich als ersten Schritt, über das Erwecken ihres Formgefühls sie ins Plastische hineinzubringen; die Form der Kugel sollte von ihnen zunächst rein emotional erfahren werden. Die SuS zeigten Vorfreude und großes Interesse an meinem Vorhaben und brannten vor Neugierde, wissen zu wollen, was sich unter Seite 47 von 77 dem Tuch wohl verbergen mag. Ich stellte die Aufgabe, die Kugeln unter dem Tuch im Ertasten zu erraten. Ein erster, rein emotionaler Zugang zur Kugelform ermöglicht ein intensiviertes, einfühlendes Wahrnehmen in diese und ruft über die Neugierde nach zugehörigen inneren Bildern. Mit diesen verbindet sich die Kraft der Vorstellungstätigkeit und schafft neue Assoziationen zu scheinbar Bekanntem und Gewohntem. Unter Inanspruchnahme von Fühlen, Wollen und Denken, waren die SuS aufgerufen, sich im Erleben der Form emotional und kognitiv mit dieser zu verbinden und gelangten so zu mehr Identifikation mit dieser. Nachdem wir das Tuch endlich lüfteten, konnte das Formwahrnehmen mit den daran geknüpften Vorstellungen überprüft werden. Als Ergebnis stellten sie freudig fest, dass fast alle Kugeln in ihrer Bezeichnung erraten werden konnten. Um der Kugel als Ur,- und Elementarform mehr Präsenz zu verleihen, sie den SuS noch näher zu bringen, suchten wir gemeinsam in unserem Alltag und in sämtlichen natürlichen Bereichen der Erde nach kugeligen Gebilden aller Art. Entdeckt wurden sie in der Natur, in dem Tier,- und Mineralienreich, in Plantenensystemen und im öffentlichen Raum. „Sie bilden sich oft da, wo neues Leben entstehen will.“95 Auch am eigenen Körper ließen sich sowohl die kreisrunden Formen finden als auch Möglichkeiten, selbst durch verschiedenste Bewegungen mit dem Körper neue Kreise schaffen und bilden zu können. Zum Abschluss erzählte ich ihnen die kleine Anekdote von Albrecht Dürer, wie er einen perfekten Kreis aus der freien Hand an die Wand zeichnete. Die Geschichte sollte sie ermuntern, dies einmal selbst zu versuchen. Die Stunde schloss mit meiner Bitte an die SuS, bis zur nächsten Stunde noch weitere, nicht genannte runde Formen und Kreise zu entdecken und zu sammeln. Um den SuS der zweiten Gruppe das Ergebnis nicht vorweg zu nehmen, wurden die jeweils entstandenen Arbeiten nach Ablauf der Stunde abgedeckt. 95 Michael Martin, 1991, S. 223. Seite 48 von 77 IV.2 Beschreibung der 2. Unterrichtseinheit 12.09. und 13.09.2012, jeweils 8.00 bis 9.50 Uhr Thema Kugel sehend formen / Kugel blind formen Zeitplan 8.00 – 8.15 Begrüßung, Reflexion der vorangegangenen Stunde, gemeinsames Definieren der Kugelform, Materialkunde 8.15 – 8.20 Kurze Pause 8.20 – 8.25 Verteilung von Arbeitsmaterial 8.25 – 9.05 Arbeitsteil weisse Kugel formen 9.05 – 9.45 Arbeitsteil braune Kugel blind formen 9.45 – 9.50 Gemeinsames Aufräumen Material Weißer und brauner Ton Stundenziel • Reflexionsrunde, Üben im sach- und partnerbezogenen sprachlichen Handeln • Kognitives Erfassen der Kugelform • SuS erhalten fachkundige Einblicke in das Material Ton • Erste Kontaktaufnahme mit dem Ton, Sensibilisierung der Sinne • Kugel formen • Erlernen von Techniken • Kugel blind formen • Konzentriertes Erleben der eigenen Innenwelt • Verstärktes Erleben von Urteilsfindung über die Augen, Kognitive urteilen, gegenüber der Hände, ein emotionales urteilen Stundenverlauf Als Einstieg und in Vorbereitung auf das Unterrichtsthema beginnt jede Stunde zunächst mit einem kleinen theoretischen Teil, einer gemeinsamen Reflexionsrunde. Durch den Wechsel Seite 49 von 77 von Reflexion und Handlung sollen sie sowohl lernen, aus Erkenntnis zu handeln und ihr eigenes Handeln zum Gegenstand der Erkenntnis zu machen, als auch ihre Sozial- und Kommunikationskompetenzen stärken. Über das Gespräch sollen sie lernen, den anderen Aufmerksamkeit zu schenken, ihnen zuzuhören, ausreden lassen, und ihren eigenen Gefühlen und Gedanken Ausdruck zu verleihen. Im verbalisieren des Prozesses, erhalten sie die Gelegenheit das Erfahrene nocheinmal gedanklich zu durchdringen und ergänzend durch die Augen und Erfahrungen der anderen nochmals anders zu verarbeiten. In der reflexive Auseinandersetzung mit den entstandenen Arbeiten, sollen sie sich in Toleranz und Einfühlungsvermögen gegenüber anderer Gestaltlösungen üben; auch die Fähigkeit Urteilen zu können und die Ergebnisse, gemessen an der Aufgabenstellung objektiv zu beurteilen, soll entdeckt und gelernt werden. Begleitend habe ich als Lehrerperson versucht das Gespräch über Impulsgebung anzuregen und die Aussagen zu konzentrieren. Im Hinblick auf die Aufgabe der vorangegangenen Stunde wurden als Einstieg nochmals die gesammelten Kugel- und Kreisformen wiederholt und die neu entdeckten Kreisformen hinzugefügt. Durch das weitere Gespräch sicherten wir die Erkenntnis, dass das Ertasten verschiedener Oberflächen unterschiedliche Gefühle hervorruft, dass nicht nur die Augen, sondern auch die Hände „sehen“ können, bzw. dass die Hände die Augen mitunter ersetzen können. In Vorbereitung auf das Formen der Kugel betrachteten wir sie als nächsten Schritt noch eingehender. Während jeder von ihnen eine Holzkugel in seiner Hand haltend fühlte, versuchten wir, ihr Wesen und ihre charakterlichen Eigenschaften zu beschreiben: • Sie hat kein Rechts, kein Links, kein Oben und kein Unten, keine Ecken und Kanten. • Sie hat kein Anfang oder Ende, sie ist eine unendliche Form. • Sie hat ein vollkommenes Gleichmaß in ihrer Flächenkrümmung und wirkt somit harmonisch. • Sie bildet ein umschlossenes, geborgenes Innen und ein ausgegrenztes Außen. • Sie strahlt von einem Punkt gleichmäßig von Innen nach Aussen oder umgekehrt, von Aussen nach Innen. • Um vollkommen zu bleiben, muss sie eigentlich im Raum schweben. • Sie berührt den Untergrund nur an einem Punkt und vermittelt dadurch eine gewisse Seite 50 von 77 Leichtigkeit. Gut vorbereitet auf die Kugel als plastische Form, konnten wir uns nun der Erarbeitungsphase, dem Arbeitsteil zuwenden. Bevor die praktische Arbeit begann, sollten sie zunächst zur Einführung mittels einer kurzen, knappen altersgerechten Materialkunde den Werkstoff Ton kennen lernen: „Ton ist eine Erdschicht, ein natürliches Material und ist durch Verwitterung enstanden. Er besteht aus verschiedenen Mineralien wie Kaolinit, Quarz-, Feldspat und Kalkspat. Vor vielen Millionen Jahren wurden diese unter Einwirkung von Temperatur, Wasser und Wind zu feinem Staub zerrieben, welcher sich im Boden ablagerte und sich mit Wasser und anderen Bodenlösungen verband und den Ton bildete. Er lagert oft tief im Erdboden und kann nur mit riesigen Maschinen in sog. Tongruben abgebaut werden. Durch einen entsprechenden Wassergehalt wird er plastisch formbar, während er an der Luft aushärtet. Der Ton findet in verschiedenen Lebensbereichen eine wichtige Bedeutung. So benutzten ihn die Menschen bereits in der Steinzeit, um für sich Gefäße herzustellen; diese wurden im Ofen unter so viel Hitze trocken und hart gebrannt, dass man sie dauerhaft benutzen konnte (Keramik). In der Medizin wird er in veränderter Form als Heilmittel benutzt. Auch in der Industrie und Architektur findet er als Baumaterial verschiedenste Verwendung; zusammen mit Schluff (Feinböden) und Sand wird er zu Lehm, aus welchem der Urbaustoff der Menschheit, die Ziegel für den Hausbau, hergestellt werden. Oder zusammen mit Kalkstein wird er als Zement verwendet. Die bildenden Künstler formen aus ihm Skulpturen. Er kommt vor/es gibt ihn in erdigen Farbtönen, in Weiß, Gelb, Rot, Braun oder Schwarz. Seiner Eigenschaft entsprechend beginnt er unter der Einwirkung von Wärme zu trocknen. Für den Arbeitsvorgang bedeutet das, dass die Hände immer wieder leicht nach zu feuchten sind, um die Arbeit vor Austrocknen und Rissen an der Oberfläche zu bewahren.“ Nachdem die Arbeitsaufgabe „eine Kugel frei aus der Hand heraus arbeiten“ formuliert war, wurde der weisse Ton verteilt. Da es erfahrungsgemäß Kinder gibt, welche sich gerne lautstark zieren, den „ekligen“ Ton anzufassen, warf ich jedem SuS aus sicherer Entfernung einen Klumpen Ton zu. Über die Freude und den Ehrgeiz ihren Klumpen fangen zu dürfen, ward der „Ekel“ schnell vergessen. Um den SuS eine kleine „Einstiegserleichterung“, Sicherheit und Vertrauen im Umgang miteinander zu geben und darüberhinaus die allgemeine Stimmung positiv zu beeinflussen, wiederholten wir dieses kleine Spiel als Ritual in jeder Stunde. Seite 51 von 77 Jeder SuS erhielt die Menge Ton, die er mit großmöglicher Oberflächenberührung mit beiden Händen umschließen konnte. Um mit der Eigengesetzlichkeit des Materials vertraut zu werden, eine Beziehung herzustellen und die plastischen Formen schon mal „vorzufühlen“, musste der Ton zunächst ordentlich mit den Handballen und den Fingern durchgeknetet werden. Um die Aufmerksamkeit ganz bewußt auf ihre Sinne zu lenken, rief ich sie an, das Material, seine Oberfläche, die kleinen Körnchen zu fühlen, den Ton zu riechen und sein Gewicht zu spüren. Dass sich der Ton über das Einwirken der eigenen Handtemperatur erwärmen ließ, unterstrich nochmals zusätzlich das eigene Wahrnehmen. Um dem Gestaltungsvorgang Struktur und den Kindern Halt und Sicherheit zu geben und in ihnen das Vertrauen auf ein erreichbares Ergebnis zu wecken, verwies ich sie auf bestimme Arbeitstechniken. Ich bat sie jeweils mit einer Hand eine Schale zu formen und beide Schalen im Anschluss so aufeinander zu legen, dass im Handinneren ein Hohlraum entstand. So spürten und entdeckten sie bereits die Kugel liegend in ihren Händen. Des Weiteren machte ich ihnen zur Aufgabe, die Kugel aus dem Handinneren „herauszustreicheln“. Zur Unterstützung weckte ich in ihnen die Vorstellung vom Sandkuchenbauen und Schneeballformen und der Geste, etwas Liebevolles zu streicheln. Falten, Ritzen und Risse sollten immer abwechselnd mit den Daumen glattgestrichen und die Kugel dabei immer wieder gedreht, abgetastet und ausgeglichen werden. Die Handinnenflächen sollten dabei den Gegendruck aus dem Kugelinneren empfinden. So versuchte ich ihnen mehr Bewußtheit gegenüber ihren Händen zu verschaffen, sie diese als ihre natürlichen Werkzeuge zu erfahren, begleitet von den Augen als tastendes Kontrollorgan. Um auf auftauchende Schwierigkeiten besser reagieren zu können, motivierend dazustehen und meiner Rolle als Vorbild gerecht zu werden, erarbeitete ich ebenfalls eine Kugel. Dadurch, dass meine Kugel zunehmend Gestalt annahm, fühlten sie sich zusätzlich in ihrem Ehrgeiz gepackt, auch so eine Kugel anzufertigen. Um der notwendigen Stärkung ihres Selbstwertgefühls war mir eine kurze persönliche Ansprache und ein positiv motiviertes Feedback für jede(n) SuS besonders wichtig. Auffällig war, dass sie mich immer wieder fragten, wann ihre Kugel denn fertig sei. Ich bat sie, sich an die Perfektion einer Kugel zu erinnern um so entsprechend selbst bestimmen zu können, wann die eigene Kugel fertig sein könnte. Über die Selbstprüfung, das sich wiederholende Reflektieren und das Abwägen der eigenen Arbeit auch Fehler erkennen und Seite 52 von 77 verändern zu lernen, entdeckten sie in sich den Maßstab für Zufriedenheit; auf dem Weg ihrer ästhetischen Erfahrungsfähigkeit schulten sie ihr Urteilsvermögen als wichtigen Schritt zur Selbstständigkeit. Der Zeitplan gab vor, nach der Hälfte der Stunde die Arbeit zu beenden ,um die nächste Kugel zu beginnen. Der unterschiedliche Anspruch an die eigene Arbeit zeigte sich, indem einige von ihnen weiterarbeiten wollten und andere sich mit dem Erreichten zufrieden gaben. Bemerkt wurde von ihnen, dass das fortwährende Korrigieren, angehalten durch die Augen, an anderer Stelle wieder zu neuen Unebenheiten führte. Amüsiert zeigten sich alle darüber, dass eine wirklich perfekte Kugel nicht erreichbar ist, bzw. dass somit die Arbeit an ihr niemals ein wirkliches Ende finden kann. Im zweiten Teil der Unterrichtseinheit machte ich den SuS zur Aufgabe, aus der gleichen Menge Ton eine zweite Kugel, diesmal mit verbundenen Augen, zu formen. Der sich wiederholende Formvorgang versprach neue Entdeckungen und so machten sie sich mit Interesse und Begeisterung ans Werk. Für das Blindarbeiten wünschte ich das Sprechen miteinander einzustellen, um in der Stille konzentriert und mit gerichteter Aufmerksamkeit nach Innen, werkverbunden die Form finden zu können. Das rein emotionale Wahrnehmen intensiviert das Fühlen und Reflektieren für das eigene Formvorstellen und fördert ein Formen aus der inneren Empfindung. „Im Wahrnehmungsprozess wird immer auf Empfindungen zurückgegriffen, die aus früheren Erfahrungen stammen und diese werden mit neuen Informationen verglichen und überprüft.“ 96 Durch das Formen der ersten Kugel haben die SuS die Kugelform bereits verinnerlicht, sich zu eigen gemacht, bzw. den Begriff von Kugel erfahren; jetzt können sie intuitiv aus der im Gedächtnis gespeicherten Erinnerung von Kugelformen die Kugel erarbeiten und diesmal ihr rein gefühlsmäßiges Urteilen üben. Das erneute Formen, das Tasten, weckt ihre Empfindung und Imagination von Kugelform, sodaß Kraft dieser zuzüglich der Phantasie, die „blinde“ Kugel nach dem inneren Bild erarbeitet werden kann. Das emotionale, intuitiv durchdrungene Formfinden fördert ihre Fähigkeit, zur „inneren Gesetzmäßigkeit des Gestaltens“ zu kommen. Das Blindarbeiten erprobt die Verlässlichkeit und das Vertrauen in die eigene Hand und schult die Wahrnehmung von Formen und deren Umsetzung; ein gutes Ergebnis erfordert ein gelungenes Zusammenspiel von Form,- und Materialwissen. Während 96 Klaus Eid / Michael Langer und Ruprecht Hakon, 2002, S. 54. Seite 53 von 77 die Hand den Rundungen und Flächen fortwährend nachspürt, nimmt der Bewegungssinn alle Flächen und Konturen wahr, während der Gleichgewichtssinn für Symmetrie und Ausgleich sorgt. Ebenso wirkt das Blindarbeiten belebend auf die Augen; in ihren Bemühungen die ertastete Form mitzuverfolgen, werden sie besonders wach und der Willensimpuls im Auge läßt sie anschließend wacher hinausblicken. 97 Sich auf den Prozess des blinden Formfindens, auf die Begegnung mit sich selbst einzulassen, gestaltete sich anfänglich für die SuS schwierig. Bestimmt von ihrer bereits gemachten Erfahrung des Kugelformens und dieses nun „schon zu können“, zuzüglich der Neugierde auf das Ergebnis wurde ich bereits nach kurzer Zeit gefragt, ob sie die Augenbinde abnehmen dürften. Nachdem ich sie jedoch alle zur Weiterarbeit anrief und langsam die gewünschte Arbeitsruhe einkehrte, zeigte sich, dass sie im Vergleich zur Arbeit an der ersten Kugel, sich nun viel ruhiger und intensiver ins Kugelformen,- Streicheln,- und Glätten einlassen konnten; nach Ablauf der Zeit musste ich sie dann mehrmals bitten, die Arbeit zu beenden. Das Ausblenden optischer Reize intensiviert den emotionalen Zugang zum Material und erleichtert das intuitive Erspüren im Arbeiten; man erfährt die stoffliche Eigenart des Materials und die Besonderheit des eigenen Zugriffs darauf, die Art des Dialogs mit dem Material, den man körperlich-sinnlich und emotional-geistig mit ihm führt,98ermöglichte ihnen ein fühlendes Selbstwahrnehmen als genussvoll erlebte Gegenwart. Um zur Freude aller, eine ordentliche und ästhetische Umgebung aufrecht erhalten zu können, gehört es zur Aufgabe der SuS, die Schulräume sauber und ordentlich zu hinterlassen. Am Ende jeder Stunde hatten sie ihren Arbeitsplatz zu säubern und ihre Arbeiten in das Regal zu räumen. Das gemeinschaftliche Aufräumen fördert den Gemeinschafts- und Ordnungssinn und lehrt sie im eigenverantwortlichen Handeln einen achtsamen Umgang gegenüber den Materialien und ihrer Umgebung. Der Schüler Paul Wie unter Punkt III.1. beschrieben, fällt es dem Schüler schwer, sich mitunter dem Unterrichtsgeschehen unterzuordnen. Weil er zeitweise störte und versucht war, andere abzulenken, wurde ihm abseits ein eigener Platz zugewiesen. Das Erleben, dass um ihn herum mit Freude überall kleine Objekte entstanden, diese ausgetauscht und besprochen 97 Michael Martin, 1991, S. 247. 98 Gert Seele, 1988, S. 29. Seite 54 von 77 wurden, ließ ihn mitunter seine anfängliche Lustlosigkeit überwinden und am Unterrichtsgeschehen aktiv teilnehmen. Gewann das Stören dennoch überhand, ließ ich ihn als geeignete Diszipinarmaßnahme zeitweise eine Runde über den Hof laufen. IV.3 Beschreibung der 3. Unterrichtseinheit 18.09. und 19.09.2012, jeweils 8.00 bis 9.50 Uhr Thema Handschmeichler Zeitplan 8.00 - 8.30 Begrüßung, Reflexion der vorangegangenen Stunde, Beurteilen und Auswerten der Kugeln 8.30 – 8.35 Kurze Pause 8.35 – 9.35 Arbeitsteil, Kugel formen, eindrücken, ausbessern 9.35 – 9.45 Handschmeichler untereinander tauschen, Namensfindung 9.45 – 9.50 Gemeinsames Aufräumen Material Ton Stundenziel • Reflexionsrunde, Üben im sach- und partnerbezogenen sprachlichen Handeln • Verstärktes Erleben des Handinnenraums • Eindrücken der Kugel • Erstes Erleben der beiden polaren plastischen Grundkräfte Konkav und Konvex Stundenverlauf Zum Einstieg wiederholten wir in der gemeinsamen Reflexionsrunde den Ablauf der letzten Stunde. Dadurch, dass die einfache klare Form einer Kugel ihnen ein Gestalten mit offenen Augen, als auch blindes Gestalten ermöglichte, konnte die jeweilige Funktion und Aufgabe der Hände und Augen selbsterfahrend im Vergleich festgestellt werden. Im Betrachten der Seite 55 von 77 ersten Kugel zeigte sich, dass mit einer Ausnahme alle Kugeln in der Rundung ihrer Form mehr oder weniger gleich gut gelungen waren. Der Vergleich zeigte, dass zwischen beiden Kugeln kaum nenneswerte Unterschiede zu sehen waren; eine Ausnahme bildeten drei „blind“ geformte Kugeln, welche noch deutlich runder waren als die übrigen. Die Hälfte der SuS schilderte ihre Wahrnehmung während des blind Arbeitens mit folgender Beobachtung: “Mit geschlossenen Augen war es einfacher zu arbeiten, ich konnte mich besser konzentrieren und war mehr bei mir und der Kugel. Die Augen wollten immer verbessern und verändern, das hat mich gestört und machte alles immer schlimmer“! Auch waren sich alle einig darüber, dass das Arbeiten mit geschlossenen Augen „viel schöner“ gewesen sei. Erstaunt darüber, wie gut Hände wahrnehmen und sehen können, erklärte ich ihnen, dass Augen und Hände sich je eigene Urteile bilden können. Das Miteinander von Rundungen und Höhlungen, von Material und Oberfläche wird mehr durch das Tasten der Hände empfunden, während Linien, Statik, Proportionen und Farben von den Augen beurteilt werden. Über das Wegfallen von kontrollierendem Bewerten und Vor-Urteilen der Augen, erlebten sie, dass ein rein vom Gefühl geleitetes Arbeiten und Wahrnehmen mitunter sogar zu besseren Ergebnissen führen kann. Die Wahrnehmung des Gelingens, das sich aus der Hand ergibt, steht hier einem Misstrauen des Bewusstseins gegenüber. Das Arbeiten, von den Urteilen des Visuellen befreit, ein reines Erleben von Form ohne ein verstandesmäßiges Zutun, ermöglichte ihnen im tätigen Erkennen einen „Blockaden-freien“-Zugang zu dem eigenen emotionalen-intuitiven Selbst-Ausdruck. Ohne im Vorfeld mit den SuS über unser nächstes Vorhaben zu sprechen, ließ ich sie als ersten Schritt erneut eine Kugel formen, worin sie sich nun zunehmend geschickter zeigten. Auch hier, in dem für sie neuen künstlerischem Gebiet machten sie die Erfahrung, dass wiederholtes Üben zu zunehmendem Geschick führt. Die Freude über den spür- und sichtbaren Erwerb der eigenen Handlungskompetenz ließ jetzt auch die eher zögerlich arbeitenden SuS forscher und sicherer im Arbeiten auftreten. Die „fertige“ Kugel ruhte, den Handinnenraum ganz ausfüllend, in einer Hand. Seite 56 von 77 Mit dem zweiten Schritt erhielten sie die Aufgabe, möglichst mit geschlossenen Augen und gelenkter Aufmerksamkeit auf Daumen, Fingerpolster und Handinnenfläche die Finger so weit in die Kugel langsam einzudrücken, bis für diese eine ruhende, angenehme Position gefunden wurde. Diese Übung zeigte erstmals ein unterschiedliches Verhalten zwischen den Mädchen und Jungen. Während die Jungen tendenziell forscher und kräftiger zudrückten, der Fokus mehr beim Machen lag, waren die Mädchen eher vorsichtig mit der Suche nach einer sich gut anfühlenden Position für ihre Finger beschäftigt; war diese gefunden, ging es ans Glattstreichen und Ausbessern. Unterdessen hatten die Jungen eine zweite Kugel geformt um nochmals, diesmal konzentrierter und besonnener, zudrücken zu dürfen. Ein reger, freudiger Austausch über das eigenen Erleben und das Fühlen begleitete die Entdeckung des Handinnenraums. Hatte jed(e)r seine Formen gefunden, ließ ich sie, um das Erleben noch ein wenig zu verinnerlichen, mit gelenkter Aufmerksamkeit auf die Hand und das Gefühl noch einige Minuten still im Kreis sitzen. Um im Anschluss aus dem entstandenen Negativ des Handinnenraums ein kleines ansehnliches Objekt werden zu lassen, wurden zum Abschluss noch die aufgetretenen Spreißel der Handform angepasst und entsprechend glattgestrichen. Sofort tauschten sie freudig die fertigen Objekte untereinander aus und versuchten sie sich gegenseitig anzupassen; dass sich keinerlei exakte Übereinstimmungen finden ließen, verdeutlichte ihnen die Einzigartigkeit ihrer Hand und verwies sie darin auf ihre Individualität. Diese kleine Übung ließ die SuS die einzelne Bereiche der Hand noch eindringlicher erfassen und zielte weniger auf das Ergebnis als vielmehr auf das eigene plastische Erleben im Tun und dessen Begegnung mit dem Material und den Formen. Unter Einsatz der eigenen körperlichen Kraft erlebten sie ein erstes unmittelbares formendes Geschehen und dessen Wirkung in Ton. So wie mit Hilfe der eigenen Kraft und dem Willen folgend, der Ton mit der Hand als Werkzeug gedrückt und geformt wird, so drückt auch eine Kraft, bildlich gesprochen, von Innen nach Aussen und zeigt im Ton gespannte Oberflächen. Diese erste entschiedene Geste des Gestalters, hinterlässt eine bestimmte Form, die wiederum Rückschlüsse auf den Gestaltenden zulässt. Mittels dieses ersten Gestaltungsaktes erfuhren sie im Kleinen eine erstes Wirken von plastischen Formen. In der sich anschließenden Reflexionsrunde, betrachteten und beschrieben wir die beiden entscheidenden Formelemente und damit die zwei grundlegenden Begriffe des plastischen Gestaltens; Rundungen und Wölbungen (Konvex) fühlen sich weich und angenehm an, Seite 57 von 77 lassen das Aussen eher abprallen, während Einbuchtungen (Konkav) mehr schwierig anzufassen sind, dafür aber eher an-ziehend wirken. Die starke Identifizierung der SuS mit dem Objekt zeigte sich in ihrem Wunsch, dem kleinen Objekt einen gemeinsamen Namen geben zu wollen; wir einigten uns auf „Handschmeichler“, weil es sich „so schön anfühlt“ und somit der Hand und dem eigenen Gefühl schmeichelt. Eine weitere Nutzung und damit ein nächstes sinnstiftendes Element fand das Objekt in seiner Möglichkeit, das Wachsen und Verändern der eigenen Hände zu messen und festzustellen. Innerhalb eines Jahres wird die Hand sich bereits so verändert haben, dass sich das „Schmeichelnde“ des kleinen Objektes nicht mehr fühlen lässt. IV.4 Beschreibung der 4. Unterrichtseinheit 25.09. und 26. 09.2012, jeweils 8.00 bis 9.50 Uhr Thema Eine Maus / Igel formen Zeitplan 8.00 - 8.20 Begrüßung, Reflexion der vorangegangenen Stunde, Beurteilen des Handschmeichlers, Erfahrungen austauschen 8.20 - 9.00 Arbeitsteil, Mäuse und Igel formen 9.00 - 9.05 Kurze Pause 9.05 - 9.40 Arbeitsteil, Mäuse und Igel formen 9.40 - 9.50 Gemeinsames Aufräumen Material Ton / Holzstäbchen Stundenziel • Reflexionsrunde, Üben im sach- und partnerbezogenen sprachlichen Handeln Seite 58 von 77 • Üben der Feinmotorik • Weiterentwickeln der Kugel über das Oval zur Eiform • Üben des Vorstellungsvermögens, Tierform eigenständig entdecken • Erste Grunderfahrung der Genese • Üben sich in kooperativen Arbeitsformen, indem sie sich gegenseitig Helfen Stundenverlauf Zum Einstieg ließ ich die Schüler den Ablauf und den Inhalt der vergangenen Stunde nochmals gedanklich wiederholen und durchdringen. Für die kommende Stunde stellte ich ihnen die Aufgabe, ausgehend von einer Kugel, ein kleines Tier zu formen, wobei das Wesentliche des Tieres ohne überflüssige Details dargestellt werden sollte. Ohne die Gattung des Tieres zu nennen, sollten sie die Form eines möglichen Tieres im plastischen Vorgehen weitgehend selbst entdecken. Die wichtigsten Verhaltensweisen bestehen dabei im Versuchen, Entdecken, Auswählen, Bestimmen, Verbinden und Bestimmen von Handlungen und Begriffen. Als kleine optische Orientierungshilfe für den Formfindeprozess zeichnete ich für sie die zu erarbeitenden Grundformen in ihrer Entwicklung zum Tier, in der jeweiligen Stunde an die Tafel. Aufgrund der gewölbten Flächen einer abgeschlossenen Kugelgestalt entstehen meist rundliche Tiere; die Kugel als Grundform ließ ich sie über ein Oval weiter verwandeln, bis sie allmählich in eine Richtung spitzer, tropfenförmiger wurde und schließlich an ein Ei erinnerte, an dessen Spitze eine kleine Schnauze geformt werden konnte. Während bislang beim Kugelformen hauptsächlich der Handinnenraum tätig werden durfte, erforderte die Hauptarbeit jetzt zunehmend die Feinmotorik der Fingerspitzen, währenddessen begleitend auch die Beobachtung eine wesentliche Rolle spielte. Im Wechselspiel zwischen Tun und Schauen entsteht aus dem Erinnern und neu Ausprobieren allmählich die Gestalt; nicht ihre begriffliche Vorstellung, sondern das innere Erleben der Formbildung führte sie dabei zur Gestaltung des Tieres. Schöpfend aus dem Wissen der bereits gemachten Erfahrung im Umgang mit Materialeigenschaft und Formvermögen, arbeiteten sie intuitiv, ganz aus den eigenen Sinnen und dem eigenen Körpergefühl heraus. Aus der Kugel herausarbeitend, formverändernd die Gestalt zu finden, schulte ihr Seite 59 von 77 Vorstellungsvermögen und forderte ihr kreatives Potenzial. Die eigene, persönliche Triebkraft, das Wünschen und Hoffen auf ein gelungenes Ergebnis, trieb sie an und wurde in der objektiven Form der Tiergestalt sichtbar. Das Gefühl während des Formens, angetrieben von dem Willen, das Tier fertig zu stellen, mündet im Denken mit der Auseinandersetzung über Frage nach einer möglichen Lösung. Die Sinne ansprechend wurden gemeinsam Kopf, Herz, Hand gefordert. Schnell hatten die ersten Schüler die Form der Maus und die des Igels entdeckt und fragten nach der Gestaltung der Ohren und des Schwanzes. Beides wurde an entsprechender Stelle aus der Gesamtmasse geformt. Als gestalterisches Hilfsmittel ließ ich einzig ein Holzstäbchen zu um die Löcher für Augen und Stacheln anzudeuten. Ein mitgebrachtes Foto oder Gummitier hätte zum einen diesen Prozess des eigenen Formfindens gehemmt und zum anderen in ihnen einen Konflikt zwischen dem inneren vorgestellten Bild und dem optischen Eindruck erzeugt. Den Arbeitsprozess unterstützte ich, indem ich sie immer wieder motivierte dranzubleiben, sich einzulassen und sich auf Augen, Hände und Gefühl zu konzentrieren. Nur wo tatsächlich die Notwendigkeit bestand, griff ich helfend ein und rief ansonsten dazu auf, sich auch gegenseitig zu helfen. Deutlich zeigte sich, dass die stärkeren SuS formal die Richtung wiesen; war erst ein ausdrucksstarkes, in seiner Form gelungenes Tier gefunden, wurde dies gerne und schnell von den anderen SuS kopiert. Dies machte deutlich, das einige Schüler noch stark über das Nachmachen von Vorhandenem versuchten, ihr Tier zu formen. Da die Aufgabenstellung, eine Maus oder einen Igel zu formen für alle SuS mit ihren Möglichkeiten gut umsetzbar war, waren sie nach den ersten erfolgreichen Ergebnissen in ihrem Eigenwillen gestärkt und selbstmotiviert wiederholt ein nächstes Tier zu formen. Mit jeder neuen Ausführung erlebten sie sich zunehmend kompetenter, bauten eine emotionale Verbindung zu den Tieren auf, was zu einer Ansammlung von ganzen Mäuse- und Igelfamilien führte. Dies zeigte deutlich ihre eigenen inneren Vorstellungsbilder und das ihrem Alter entsprechendem Bedürfnis nach „Begegnung und Gegenüberstellung“. Über ihr emotionales Verbundensein zeigten sie Verantwortung gegenüber ihrer Arbeit und ihres Seite 60 von 77 Werkstücks. Die gefühlte Notwendigkeit, darüberhinaus die kleinen „Familien“ noch mit modelliertem Essen und Alltagsutensilien auszustatten, läßt sich auf die für das Alter typischen Phase des „einfühlenden Orientierungsstrebens“ zurück führen. Die grosse „Ausschmückfreudigkeit“ zeugt von einer nun eher sachbezogenen Wirklichkeitsauffassung; nach Arno Förtsch löst im Alter zwischen sechs- bis acht Jahren eine eher detaillierte, realitätsbezogenere Auffassung von den Dingen die Phase des ganzheitlichen, intuitiven Erlebens ab 99. Nach dem gemeinsamen Aufräumen verabschiedeten sich einige SuS zum Abschied mit Streicheleinheiten bei ihren Tieren. Dieser gegenseitige Austausch bedeutet eine Form der Achtung und Wertschätzung gegenüber der eigenen Arbeit und dem Tier und erzeugt für die SuS zugleich Sinnhaftigkeit und ein Stück weit Aneignung von Welt. IV.5 Beschreibung der 5. Unterrichtseinheit 01.10. und 02.10.2012, jeweils 8.00 bis 9.50 Uhr Thema Pinguin formen Zeitplan 8.00 - 8.20 Begrüßung, Reflexion der vorangegangenen Stunde, Beurteilen und Auswerten der Tiere 8.20 - 9.00 Arbeitsteil Pinguin formen 9.00 - 9.05 Kurze Pause 9.05 - 9.45 Arbeitsteil Pinguin formen 8.45 - 8.50 Gemeinsames Aufräumen Material Ton Stundenziel • Reflexionsrunde, Üben im sach- und partnerbezogenen sprachlichen Handeln 99 Arno Förtsch, 1933, in Stefan Becker, 2003, S. 62. Seite 61 von 77 • Gesprächsaustausch über den Pinguin, Versuchen, sich in das Tier einzufühlen • Üben der Feinmotorik • Weiterentwickeln der Kugel zu einem Zylinder • Unter Anleitung den Pinguin formen • Statische Herausforderung meisternSinn für Symmetrie entdecken • Üben sich in kooperativen Arbeitsformen, indem sie sich gegenseitig Helfen Stundenverlauf Zur Begründung für die Wahl des Pinguins möchte ich folgendes anführen. Jeder Klasse der Schule wurde als ein Identifikationsmerkmal ein Tier zugeordnet; die hier genannten SuS gehören der Pinguinklasse an. Bilder von Pinguinen hängen an den Wänden und Bücher über diese stehen zur Verfügung. Da seit Beginn ihrer Schulzeit der Pinguin sie begleitet, sie sich also bereits ein Stück weit mit ihm identifiziert fühlen, äusserten sie in Folge den Wunsch, einen eigenen Pinguin formen zu dürfen. In unserer gemeinsamen Reflexionsrunde ließ ich die SuS zum einen von ihren Erfahrungen und Schwierigkeiten der vergangenen Stunde berichten und zum anderen die für sie besonders gut gelungenen Tiere mit Begründung auswählen. Bei eingehender Betrachtung aller Tiere sammelten wir folgende Punkte als Bewertungskriterien für ein gelungenes Tier: Proportionen, Gleichgewicht, Symmetrie, Ausdrucksstärke und die Gestaltung einer Ganzheit aus verschiedenen Ansichten. Nicht eine möglichst naturalistische Darstellung war mir primär wichtig, sondern vielmehr die charakterlichen Züge, das Gestalttypische des Tieres zu erfassen und hervor zu heben. Auch aus didaktischer Sicht ließ sich in die Reihenfolge der Elementarformen von Kugel, Ei, Oval die Gestalt des Pinguins mit der Säule als Grundform gut integrieren. Des Weiteren ließ sich mit seiner Gestaltung auch der nächst folgende Lernschritt, von der mehr horizontalliegenden hin zu einer aufrecht stehenden Figur gut erüben. Zum Einstieg und zur Vorbereitung auf das Thema, ließ ich die SuS kleine Geschichten über den Pinguin austauschen, sein Gestalttypisches aufzählen und sie selbst im Pinguingang durch den Raum „watscheln“. Das sich Einfühlen in die charakterlichen Züge, das Erleben seines typischen Wesens, erzeugt vorbereitend eine eigene begriffliche Vorstellung, ein Seite 62 von 77 inneres Bild auch als Impuls zur Verwirklichung dessen. Zur Unterstützung für die Gestaltfindung, zeichnete ich in stark vereinfachter Form einen Pinguin an die Wand. Um ihnen eine Orientierung zu bieten und ihnen über das Nachmachen einen Moment der Beruhigung und Festigung zu geben, formte ich ebenfalls gemeinsam mit ihnen einen Pinguin. Vormachen galt hier als Methode. Mit Rücksicht auf ihre eingeschränkten plastischen Erfahrungen entschied ich mich für eine stark vereinfachte Pinguinform; ich versuchte entsprechend ihren inneren Bildern eine altersgemäße Gestaltung zu finden, welche das Wesentliche des Tieres darstellte. Das Nachmachen versteht sich hier mehr als Mit- oder Nachvollzug, in welchem sie durch die Begegnung von inneren und äusseren Bildern, im Aneignen von Techniken Form- und Bildsprache entdeckend lernten. Die Arbeit begann mit dem Formen einer Kugel, welche später hin zu einer kleinen kräftigen Säule flachgedrückt wurde. Ein Ende zogen wir zu einem kleinen kugelartigem Kopf mit Schnabel, aus dem anderen Ende formten wir die Füße und den Schwanz. Die beiden Flügel „wuchsen“ seitlich, rechts und links aus dem Körper. Da wir uns gemeinsam Schritt für Schritt die Gestalt erarbeiteten, bestimmte der langsamste Schüler das Arbeitstempo der Gruppe. Mitunter zeigten sich die verschiedenen Fähigkeiten der SuS; einige konnten besonders gut den Schnabel formen, anderen gelangen die Füße besser. Auch hier ließ ich sie sich untereinander helfen und griff nur dort ein wo es mir notwendig schien. Im Korrigieren der Arbeiten versuchte ich nur innerhalb ihrer der persönlichen Gestaltungsmöglichkeit des jeweiligen Schülers helfend einzugreifen. Grundsätzlich bildete die Zeichnung an der Wand und mein Mitgestalten für sie ein Regulativ, an welchem sie sich messen konnten; dennoch war es mir innerhalb dessen ebenso wichtig, sie ihre eigene Gestaltungsform finden zu lassen, bzw. sie darin zu unterstützen. Fortwährend hielt ich sie immer wieder zu dem Versuch an, die Figur als Ganzes, alle Seiten gleichzeitig im Auge zu behalten. Gerne verloren sie sich im Vorgang an irgendeinem Detail, worunter andere Bereiche dann vernachlässigt wurden. Wurde so z.B. der Schnabel oder der Flügel zu dünn geformt, brach er ab. Das eigene Kontrollieren und Korrigieren der Arbeit gepaart mit dem sinnlich-einfühlendem Herantasten an die Gesetzmäßigkeiten des Formens und des Materials, bildete hier die Grundlage des Lernvorganges. Ein permanentes Abwägen, Seite 63 von 77 Vergleichen und Kontrollieren der Ergebnisse lässt das Denken der Kinder zwischen rational Gedachtem und intuitiv Erspürtem pendeln; im Wechselspiel zwischen bildnerischem und begrifflichem Denken versucht sich darüberhinaus das „Eigene“ zu zeigen. Die Frage, ob das Entstandene so gut und wann was fertig sei, tauchte auch hier immer wieder auf; ich rief sie an, auf das eigene Schöpferische zu vertrauen und Kraft ihres geschulten Urteilsvermögens zu versuchen, sich die Fragen selbst zu beantworten. Die größte Herausforderung zeigte sich in der Statik der kleinen Figur. Die beiden Füßchen und die Schwanzspitze miteinander so zu koordinieren, dass der Pinguin zum Stehen kam, er von allen Seiten betrachtet werden konnte, forderte ein lösungsorientiertes Denken und schulte im Raumwahrnehmen ihren Gleichgewichtssinn. In Anbetracht der Komplexität der Aufgabe war es diesmal keinem Schüler möglich, weitere Ausstattungen für den Pinguin herzustellen. Auch das vorab genannte charakteristische Merkmahl der glatten Haut wurde von keinem SuS berücksichtigt. Der Vorgang bedeutete für jeden ein ernsthaftes Ringen mit dem Material und dem eigenen Können, welches durch sichtbar schöne Ergebnisse belohnt wurde. IV.6 Beschreibung der 6. Unterrichtseinheit 04.10.2012, 8.00 bis 9.50 Uhr Thema Anmalen der Tiere, Gemeinsame Reflexionsrunde zur Unterrichtsreihe Zeitplan 8.00 - 8.05 Begrüßung, Arbeitsmaterial verteilen 8.05 – 8.15 Reflexion der vorangegangenen Stunde, Beurteilen und Auswerten des Pinguins 8.15 – 9.05 Arbeitsteil, Pinguin anmalen 9.05 – 9.10 Kurze Pause 9.10 – 9.35 Gemeinsame Reflexionsrunde der gesamtem Unterrichtseinheiten 9.35 – 9.45 Gemeinsames Aufräumen Seite 64 von 77 9.45 – 9.50 Verabschieden Material Gouachefarben, Pinsel, Wassergläser Stundenziel • Farbfindung, Farben mischen • Differenzierte Pinselführung, Farbauftrag • Lernen sich Arbeitsmaterialien zu teilen • Reflexionsrunde, Üben im sach- und partnerbezogenen sprachlichen Handeln • Üben in der Urteilsfindung, lernen sinnlich und emotional Erlebtes sprachlich zum Ausdruck zu bringen Stundenverlauf Um sich die Arbeitsmaterialien besser teilen zu können, setzte ich alle SuS gemeinsam an einen großen Tisch. Ich ließ sie selbstständig die Farbgebung für den Pinguin bestimmen. Um sie das Farbmischen üben zu lassen, stellte ich ihnen bewußt kein Orange zur Verfügung; ein schönes Orange für den Schnabel und die Füße musste gefunden werden. Das Wetteifern um den gelungensten Orangeton hatte zur Folge, dass fast alle vom Ehrgeiz gepackt mit Freude die Farben mischten. Untereinander wurden dann die schönsten Orangetöne getauscht, sodass schließlich jedem SuS ein Orange zur Verfügung stand. Um den Pinguin anzumalen, mussten sie sich erneut intensiv auf ihn einlassen; erst die jeweilige Farbe und der entsprechend dafür ausgewählte Bereich bestimmte wesentlich die einzelnen Körperpartien und damit die Individualität des Tieres. Den fertigen Pinguinen wurden Namen erteilt und im eigenen Zuhause Standorte reserviert. Das abschließende gemeinsame reflexive Betrachten beinhaltete den Austausch über das Arbeiten mit dem Ton als Werkstoff, die verschiedenen Schwierigkeitsgrade im Formfinden und das Interesse und die Freude an der jeweiligen Arbeit. Ein kleiner Auszug: „Was hat euch, am meisten Spass gemacht“? Seite 65 von 77 Die Kugel... „weil sie einfach so schön ist.“ „weil sie so beruhigend wirkte.“ „weil wir mit geschlossenen Augen arbeiten durften.“ Der Handschmeichler... „weil er sich so schön für die ganze Hand anfühlte.“ „weil ich damit in Zukunft meine Handgröße messen kann.“ Die Maus... „weil sie am einfachsten war.“ „weil das so schnell ging und ich dann viele davon machen durfte.“ Der Igel... „weil wir mit einem Zahnstocher arbeiten durften.“ Der Pinguin... „weil er am schwersten war.“ „weil wir da am meisten machen durften.“ „weil da am meisten zu sehen ist, er sieht am echtesten aus.“ Als Kritikpunkt wurde von vier SuS bemängelt, dass keine Zeit zur Verfügung stand um eine eigene, ausgedachte Arbeit anfertigen zu können. Bis auf zwei Jungen waren die SuS mit den Ergebnissen sehr zufrieden und baten alle inständigst auf eine Fortführung des Unterrichts. Zum Abschluss bedankte ich mich lobend bei ihnen für die gemeinsam verbrachte Zeit. Seite 66 von 77 V Reflexion und Evaluation der Reihe Die Reflexion folgt in Anlehnung an die von Jank Meyer genannten Gütekriterien von gutem Unterricht100 und bildet als greifbare Bestandsaufnahme eine Grundlage für weitere Unterrichtskonzepte. Sie bezieht sich auf die Übereinstimmung von Unterrichtskonzeption und tatsächlichem Handlungsverlauf. Sowohl die positiven als auch die negativen Ergebnisse des Selbstreflektierens bieten Erkenntnisse, welche für zukünftiges Handeln genutzt werden können. Insofern die angestrebten Ziele überprüfbar sind, werden sie unter dem Grad ihrer Erreichung bewertet. Die entstandenen Arbeitsergebnisse dokumentieren die vollzogenen Prozesse und die Leistungen. Aufgrund einer länger andauernden Erkrankung der Klassenlehrerin, bezieht sich das Reflektieren und Evaluieren ausschließlich auf die Aussagen der SuS. V.1 Übereinstimmung von Konzeption und Verlauf Unterrichtsklima / Individuelles Fördern Das mitgebrachte Interesse auf beiden Seiten und die Begeisterung für die Unterrichtsinhalte und das Arbeiten mit Ton erzeugte im Laufe des gesamten Unterrichts durchweg ein positives Arbeitsklima. Der Aufruf und die Möglichkeit, sich gegenseitig zu helfen, lehrte sie neben eigenverantwortlichem Arbeiten, ein respektvolles und verantwortliches Umgehen im Miteinander. Aufgrund ihres überwiegend selbstständigen Arbeitens fand ich genügend Zeit, unterstützend und helfend einzugreifen. Begleitet von immer wieder positiv motivierenden Worten, konnte ich entsprechend meiner Anforderungen jeder(m) SuS Anteilnahme, Zuwendung und Wertschätzung zukommen lassen, was letztendlich ein gelungnes und somit gesundes Arbeitsklima mitverantwortete. 100 Jank Meyer, www.peterkoester.de/download.php?file=610b2b444303&req, recherchiert am 01.05.2013. Seite 67 von 77 Struktur Entsprechend meiner Unterrichtsplanung zeigte der Unterrichtsverlauf über die Einstiegsund Arbeitsphase eine klare Struktur. Dass die SuS grob informiert darüber waren, was in der jeweiligen Stunde auf sie zu kam, stimmte sie grundsätzlich ruhiger und wirkte ordnend. Nicht geplant aber positiv ergänzend bereicherte das „Ton-Verteil-Ritual“ jede Unterrichtsstunde mit einer erfreulichen Portion Humor und Lockerheit. Das der Raumsituation geschuldete gemeinsame Aufräumen am Ende jeder Stunde ritualisierte sich und bildete die Abschlussphase einer jeden Stunde. Zeiteinteilung In die für jede Unterrichtseinheit zur Verfügung gestellten 110 Minuten (abzüglich der fünf Minuten Pause) ließ sich das Unterrichtsvorhaben sehr gut integrieren. Die nach der Halbzeit veranschlagte fünf Minuten Pause wurde von den SuS bis auf sehr wenige Ausnahmen nicht wahrgenommen. Demzufolge konnte ich am Ende einer Stunde zügig arbeitende SuS, mitunter etwas früher in die nächste Pause verabschieden. Das gemeinsame Reflektieren der Arbeitsprozesse und der Ergebnisse an den Anfang der Unterrichtsreihe zu stellen, wirkte insofern auch positiv auf das Unterrichtsgeschehen, als dass die sich anschließende restliche Zeit, in Ruhe und Entspanntheit für den Arbeitsteil verwandt werden konnte. Auch möglichen unvorhergesehenen Vorkommnissen hätte man so zeitlich noch begegnen können. Grundsätzlich halte ich für den Kunstunterricht 90-110 Minuten Unterrichtszeit für optimal, um jedem Schüler die Chance geben zu können, sein motorisches, intellektuelles, emotionales und soziales Potential umfassend entwickeln zu können. Kommunkationsebene Für die gemeinsamen Gesprächsrunden galten die der Klasse verbindlich aufgestellten Gesprächsregeln über gegenseitige Rücksichtnahme, Respekt und Höflichkeit. Mitunter zeigte sich für einige SuS, dass das Einhalten der Regeln noch einiger Übung bedarf; möglicherweise lässt sich dies auch auf die für sie ungewohnte Unterrichtsform zurückführen. Methodenebene Grundsätzlich muss die Methodenvielfalt mit einer stimmigen Kombination von Ziel- und Seite 68 von 77 Inhaltsentscheidungen verknüpft werden. In dieser Unterrichtsreihe bildetet das Arbeiten mit dem Ton als durchgängiges Handlungsmuster, gleichzeitig Inhalt und Ziel. Der Wechsel zwischen der gewählten Kreisform für das Gespräch und dem Rückzug auf den eigenen Arbeitsplatz ermöglichte den SuS ein „Miteinander“ und „Für-Sich-Sein“ als zwei zu empfehlende Sozialformen für einen guten Kunstunterricht. Gemessen an den Erfahrungen und Arbeiten der Mitschüler, konnten gemeinsam Umsetzungsmöglichkeiten und Handlungsschritte genannt werden um das eigene Arbeiten zu optimieren. Schüleraufmerksamkeit, Mitarbeit Bis auf Ausnahme von Paul zeigten alle SuS während des gesamten Unterrichtsablaufs grundsätzlich eine sehr engagierte und freudige Arbeitshaltung. Diese Tatsache führe ich unter anderem auf folgende Faktoren zurück: Da der Unterricht jeweils morgens in den ersten beiden Stunden stattfand, begegneten die SuS dem Unterricht frisch ausgeruht und noch mit ganzer Aufmerksamkeit; des Weiteren hegten sie bereits schon seid längerem den Wunsch, mit Ton arbeiten zu dürfen. Neben der beruhigenden und harmonisierenden Wirkung des Tons begünstigte dies die gesamte Arbeitsatmosphäre und stimmte die Mitarbeit und das Lernverhalten durchweg positiv. Mit Ausnahme von Paul waren insofern Disziplinarmaßnahmen kaum nötig. Die Zeit des Rubikon zeigte sich bei den 4. Klässlern deutlich; sie arbeiteten insgesamt unruhiger, unkonzentrierter und benötigten mehr Hilfe. Das vermeintliche „Fertigsein mit der Arbeit“, der schnell erreichte Grad an Zufriedenheit und Glücksgefühl ist beispielhaft für die SuS in diesem Alter. Weniger voreingenommen, zeigen sie noch wenig „Ich-Rigidität“, lassen mehr zu und sind schnell über die eigene Leistung am Ende überrascht und zufrieden. Dies führte mitunter zu voreiligem versuchtem Abbrechen der Arbeitsprozesse. Persönliche Tiefpunkte und div. Motivationseinbrüche, erzeugt durch eine im Arbeiten gefühlte Diskrepanz zwischen Vorgestelltem und Wirklichkeit, behinderte ebenso das kontinuierliche Arbeiten. „Wie helfe ich den SuS aus ihrem Tief?“ „Wie schaffe ich es, sie zur Weiterarbeit zu bewegen?“ Über Nachfragen, Anregen, Aufmuntern oder auch nonverbale Gesten versuchte ich ihnen darin unterstützend zu begegnen. Sie immer wieder zur Selbstüberwindung und Seite 69 von 77 zum kontinuierlichem Arbeiten anzuhalten, erfuhr ich als eine echte Aufgabe und betrachte dies als eine große Herausforderung, sowohl für den Lehrer als auch für die SuS. „Machen“, „Sehen“ und „Sagen“ bildeten als Einheit die drei Tätigkeiten ihrer Mitarbeit. Durch Übung, Anspornen, Anerkennung, Beobachten bei den Anderen und gemeinsames Reflektieren, vollzog sich das Lerngeschehen. V.2 Evaluation der Ziele Im Hinblick einer salutogenetischen Zielsetzung diente der Arbeitsprozess zum einen als Grundlage und Möglichkeit der Ich-Bildung und zum anderen dem Prozess des inneren Wachstums zur Steigerung des Selbstwertes und der Selbstbildung (vgl. II.2). Die Unterrichtsreihe zielte nicht primär auf das Resultat, sondern auf das zu Erfahrende, was die SuS im Arbeitsprozess willentlich übend zu entwickeln versuchten. Was als implizite Zielsetzung angeregt, gefördert und veranlagt wurde, kann insofern nur bedingt überprüft werden, als dass sich die Ergebnisse vielmehr zukünftig an der Entwicklung ihrer Gesamtpersönlichkeit und ihres Handelns ablesen lassen. Die Vielzahl der entstandenen Tierfamilien und der Wunsch, innerhalb der Schule als auch ausserschulisch weiterhin mit Ton plastizieren zu dürfen, verweisen auf • eine großen Freude am plastischen Arbeiten, • auf eine Form der Wertschätzung gegenüber der eigenen Arbeit, • und auf ein zunehmendes Vertrauen in diese und damit verbunden auch auf ein Vertrauen in die eigene schöpferische Kraft und in sich. Das Erkunden und Deuten des Materials, das Spüren und Erfahren von fremder und eigener Körperlichkeit stieß einen Lernprozess in Gang, welcher Bewegung, Sinneswahrnehmung und Erkenntnis effektiv miteinander verknüpfte und somit den SuS die Möglichkeit gab, das Arbeitsvorgehen in Übereinstimmung mit sich selbst und der Welt sinnhaft zu erleben. Seite 70 von 77 In Bezug auf die expliziten Ziele lässt sich die Steigerung ihrer technischen und gestalterischen Kompetenzen und Fähigkeiten anhand der Ergebnisse, bzw. der daran erkennbaren Gestaltqualitäten ablesen. Mit Hilfe von viel Übung und Anstrengung steigerten sich ihre motorischen Fähigkeiten, sodass jedes nächste Tier wiederum formvollendeter erschien und es somit jeder(m) SuS gelang, selbstständig einen stehenden Pinguin zu formen und ihm über die Formbildekraft der eigenen Hände sein Temperament und damit eine persönliche Eigenart zu verleihen. Über die regelmäßigen Reflexionsrunden ließen sich ihre Kommunikationskompetenzen grundsätzlich stärken, dennoch vollzog sich das für sie ungewohnte allgemeine Sprechen über Gefühle und Wahrnehmungen eher schleppend; nur ein kontinuierliches Üben desselben, vermag es ihrem Fühlen und Erleben Ausdruck zu verleihen und dies ihnen dauerhaft zu erleichtern. Dem Begriff von Bildung unter Punkt III.2 möchte ich ergänzend hinzufügen, dass das kognitiv, volitiv und emotional Erfahren und Gelernte dieser Unterrichtsreihe zusammengefasst einen Bildungsbegriff beschreibt, welcher Wolfgang Klafki wie folgt formuliert: „Bildung ist eine kategoriale Bildung in dem Doppelsinn, dass sich dem Menschen eine Wirklichkeit 'kategorial' erschlossen hat und das eben damit er selbst - dank der selbstvollzogenen 'kategorialen' Einsichten, Erfahrungen, Erlebnisse - für diese Wirklichkeit erschlossen worden ist.“ 101 101 Klafkis „kategorialer“ Begriff von Bildung, beinhaltet die Einheit und den Zusammenschluss einer materialen objektbezogene Seite des Gelernten, als auch einer formalen subjektiven Seite des Lernenden. Als „doppelte Erschließung der Wirklichkeit“ werden wir im eigenen Erleben oder im Erleben Anderer unmittelbar der Einheit eines subjektiven (formalen) und eines objektiven (materialen) Momentes gewahr. Werner Jank / Hilbert Meyer, 1994, S. 143, und studsem.rp.lonet2.de/f07/.ws_gen/2/Infotext/Bildungstheorie%20_ausf%FChrlich.pdf, recherchiert am 16.06.2013 Seite 71 von 77 V.3 Selbstreflexion Die vielen positiven Stimmen der SuS und ihr nachhaltiges Interesse an einer dringend gewünschten Fortführung des Unterrichts freuen mich sehr und weisen insbesondere darauf hin, dass ich den SuS dieses Unterrichtsfach erschließen konnte und meine Aufgabe und das Ziel, sie für das plastische Arbeiten mit Ton zu begeistern, erreicht habe. Insofern wünsche für die Zukunft und hoffe ich gleichzeitig, mit dieser Unterrichtsreihe den Lehrplan Kunst der Grundschulen sinnvoll erweitert und ergänzt haben zu können. Als Kritikpunkt und Möglichkeit einer Verbesserung der Unterrichtsinhalte möchte ich Folgendes hinzufügen: Ebenso wie die konvexe Form gehört als Pendant auch die konkave Form mit zu den Grundformen des plastischen Gestaltens; als Einheit bilden sie die Kugel. Insofern sollte den SuS ergänzend zu dem „genussvollen“ Erleben der konvexen Form ausführlicher als geschehen, das Formerleben des Konkaven nahe gebracht werden. Ebenso wie sich die konvexe Form zuvor in dem Handinnenraum erfahren ließ, lässt sich das Konkave ebenfalls als Form in der Hand finden und erleben. Um eine einfache, schöne konkave Form zu erhalten, würde man wiederum eine Kugel formen und diese bis hin zu der Form einer Schale eindrücken und ausformen. Auch zeitlich ließe sich die Übung in diese Einheit noch gut eingliedern. Aus zeitlichen Gründen und mangelndem Interesse seitens der Lehrerin kam es leider zu keiner Präsentation der Arbeiten; auch weil die letzte Stunde kurz vor den Herbstferien lag, gab ich dem eindringlichem Bitten nach, die Tiere unbedingt mit in die Ferien nehmen zu dürfen. Grundsätzlich halte ich es aber für unbedingt notwendig, die entstanden Arbeiten in Form einer kleinen Ausstellung zu präsentieren. Zur Stärkung ihres Selbstwertes und ihrer Individualität erhalten sie somit auf angemessene Weise eine Form der Wertschätzung gegenüber ihrer Arbeit und damit gegenüber sich Selbst. Zum Abschluss möchte ich noch auf einen letzten Punkt aufmerksam machen, der sich mir insbesondere während des Gestaltens der Pinguine eröffnete. Als eines der zentralen Anliegen von gutem Kunstunterricht verstehe ich es, den SuS über das künstlerische Arbeiten zu ihrem persönlichen Ausdruck zu verhelfen. Im Hinblick darauf sollen die zu erlernenden gestalterischen Prinzipien, Ordnungen und Gesetzmäßigkeiten sie in ihrem ästhetischen Ausdrucksvermögen unterstützen; diese angewandt, können mitunter aber auch Seite 72 von 77 einschränkend wirken und die SuS in ihren eigenen Gestaltungszielen behindern (vgl. II.1). D.h. das künstlerische Arbeiten mit Anspruch auf einen freien Ausdruck einerseits und die Pädagogik mit Anspruch auf einen didaktisch-methodischen Umgang mit Kunst andererseits, stehen sich insofern im Kunstunterricht „provokant“ gegenüber. Die Aufgabe, entsprechend der eigenen Gestaltungsgesetzen in den Arbeitsprozess der SuS fordernd und ordnend einzugreifen, sie zu führen und ihnen gleichzeitig den Raum für ihre individuelle Entfaltung, für die Entwicklung ihrer Gestaltungsabsichten zu lassen, erlebe ich als eine Art Gradwanderung und betrachte diese zukünftig als eine der entscheidenden Herausforderung für meine Arbeit als Kunstlehrerin. Seite 73 von 77 VI Schlussreflexion Kugeln, Handschmeichler, Tiere, Werke, deren Bildung den Werkschaffenden selbst bilden, erstreben eine von Jochen Krautz postulierte „personale Kunstpädagogik“, (vgl. II.1) welche versucht, die SuS in seiner Ganzheit anzusprechen. Um den vielfältigen Herausforderungen einer Kultur gerecht werden zu können, in welcher es zunehmend mehr um Geschwindigkeit und Erfolg als um das „Wozu“ und „Warum“ geht, sollten zum Aufbau von Persönlichkeitsmerkmalen insbesondere den Grund- und Basiskompetenzen (vgl. auch „Schlüsselqualifikationen“ unter II.1) mehr Bedeutung und Gewichtung verliehen werden. Eine geschulte Wahrnehmungsfähigkeit, eine gesunde Leibergreifung und ein lebendiges, vom Willen und Gefühl durchdrungenes Denken ermöglichen den SuS nicht nur den Anforderungen der Welt zu begegnen, sondern sie in der vertrauensvollen Begegnung mit dem Wir, gemeinsam schöpferisch mitzugestalten. So schafft das Plastizieren nicht nur Grundlagen für Welterkenntnis und -aneignung, sondern erweitert Verstehens- und Interpretationsfähigkeiten für die ästhetische Erscheinungen und Vorgänge in der Welt. Insofern hoffe ich mit dieser Unterrichtsreihe bei den SuS altersadäquate Entwicklungsprozesse angeregt zu haben, welche ihnen begleitend auf dem Weg ins Leben die Möglichkeiten bieten, ihre individuelle Gestalt ihrem Wesen nach im besten Sinne vollkommen entwickeln zu können. Abschließend bleibt zu hoffen (als auch zu fordern), dass das Plastizieren zukünftig auch an den Grundschulen als ein fester Bestandteil des Kunstunterrichtes verankert werden kann; denn die persönliche Erfahrung des Greifens, das allem Begreifen vorausgeht, lässt sich auch zukünftig weder durch Medien noch durch den Computer ersetzen. Seite 74 von 77 Literatur Becker, Stefan: Plastisches Gestalten mit Kindern und Jugendlichen. Auer, 2003. Billmayer, Franz: Nachgefragt. Kopaed, 2009. Die Grundschulzeitschrift, Nr. 257, 2012. Eid, Klaus / Langer, Michael / Hakon, Ruprecht: Grundlagen des Kunstunterrichts, eine Einführung in die kunstdidaktische Theorie und Praxis. Schöningh, 2002. 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