Psychologie aktuell: Kroatien: viel Korruption, wenig Recht

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Psychologie aktuell: Kroatien: viel Korruption, wenig Recht
Psychologie aktuell: Kroatien: viel Korruption, wenig Recht
25-06-11
Kroatien: viel Korruption, wenig Recht
Kroatien proklamierte seine Unabhängigkeit vor 20 Jahren und erfreut sich inzwischen
intensivierter Freundschaftsbekundungen aus Brüssel. Progressive Kräfte im Land hoffen,
eine EU-Mitgliedschaft könne den nach wie vor hohen Level an Korruption und
Menschenrechtsverletzungen zumindest senken. Kroatiens ehemaliger Premier Ivo Sanader
sitzt seit Dezember 2010 in Österreich unter Bestechungsverdacht in Haft: Der ungarische
Energiekonzern Mol habe ihn mit zehn Millionen Euro "honoriert"; im Gegenzug habe er den
Magyaren gestattet, im kroatischen Energiekonzern INA etwa ein Drittel der Anteile günstig zu
erwerben.
Sanader bestreitet jede Korruption und wehrte sich zunächst dagegen, in sein Heimatland ausgeliefert
zu werden; dessen Justiz sei nicht imstande, ein rechtsstaatlich einwandfreies Gerichtsverfahren
durchzuführen. Inzwischen hat Sanader sein Urteil revidiert und wartet auf seine Abschiebung nach
Zagreb. Gleichzeitig recherchiert die österreichische Justiz nach wie vor, wieweit Sanader in die
Skandale der Hypo Alpe Adria Bank involviert ist.
Während die Weltöffentlichkeit und Publizistik die jahrzehntelangen Auseinandersetzungen in
Jugoslawien primär nationalistisch motiviert sieht, wird immer deutlicher, dass hinter völkischen
Parolen blanke ökonomische Egoismen als Triebkräfte agieren. Während des zweiten Weltkriegs
kämpften Kroaten gegen Kroaten - und unter Titos jugoslawischer Herrschaft hielten die
Verteilungskämpfe innerhalb wie zwischen den Volksgruppen an. In jugoslawischen Zuchthäusern
saßen bis Ende der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts - gemessen an der Bevölkerungszahl mehr politische Gefangene als in der Sowjetunion; Folter war die Regel, oft mit tödlichem Ausgang.
Ökonomische Verteilungskämpfe zwischen den wohlhabenderen Ländern Slowenien und Kroatien
einerseits sowie den eher unterentwickelten Ländern Serbien/Montenegro anderseits führten in den
beiden nördlichen Regionen zu Sezessionsbewegungen, die zunächst keine Unabhängigkeit konkret
ins Auge fassten. Erst verschärfte aggressive Umverteilungsbestrebungen aus Belgrad initiierten die
slowenische und dann die kroatische Staatsgründung.
Der folgende fünfjährige Krieg lädierte die gesamte kroatische Gesellschaft. Die serbische Minderheit
im Land, zuvor fast problemfrei akzeptiert, geriet unter Druck; Eigentum serbischer Familien
wechselte unter oft ungeklärten und selten gerechten Umständen die Besitzer, Serben wurden in
südliche Richtung mehr oder weniger freiwillig evakuiert. Korruption wurde auf allen Ebenen beinahe
zur Regel. General Vladimir Zagorec, mit dem Waffeneinkauf für die neu gegründete kroatische
Armee betraut, konnte das Waffenembargo unterlaufen - und energisch in die eigene Tasche
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wirtschaften.
Auch nach dem Krieg, bis Ende der 90er Jahre, blieb das flächendeckende Korruptionswesen
erhalten. Erst nach dem Tod von Präsident Franjo Tudjman 1999 drehte sich in Kroatien das Blatt
allmählich in Richtung Strafverfolgung; Zagorec beispielsweise wurde wegen seiner
Waffen-"Provisionen" 2008 in Zagreb zu siebenjähriger Haft verurteilt - mit Balkan-typischen
Konsequenzen: Die Tochter seines damaligen Anwalts starb wenig später an den Folgen zweier
Schussverletzungen. Und der entscheidende Belastungszeuge Ivo Pukanic verbrannte nach der
Explosion einer Autobombe.
Der Staatsanwaltschaft im österreichischen Klagenfurt liegen Anzeigen vor, denen zufolge der
Exgeneral in Nachkriegszeiten mit Immobiliengeschäften die Hypo Alpe Adria Bank um mehr als 100
Millionen Euro geschädigt haben soll. Er selbst äußert sich dazu nicht.
Amnesty International und EU-Beobachter sehen zwar erste Erfolge in Richtung Rechtsstaat. Die
Massenmedien im Land betreiben eine (auflagenstabilisierende) Jagd auf kleine bis große, angebliche
oder wirkliche Korruptionsfälle im Land. Diese erhöhte Aufmerksamkeit führt u.U. zu dem Eindruck,
dass das Problem eher zu- als abnimmt, diagnostiziert PD Dr. Angelos Giannakopoulos (Projektleiter
der EU-Forschungsprojekte "Crime and Culture" an der Universität Konstanz).
Der Soziologe sieht in der kroatischen Gesellschaft vormoderne Muster sozialen Verhaltens: Es wird
in Großfamilien bzw. Gruppen gedacht und gehandelt, Freundschaftsdienste im eigenen Bereich
werden nicht als Korruption wahrgenommen - wohl aber, und zwar umso greller, in anderen Gruppen.
Analog führte Tudjman das Land bis 1999 autoritär - wie eine überdimensionierte Großfamilie - mit
einem System von Beziehungen und Abhängigkeiten, die sich außerhalb juristischer Normen
befanden. Diese Machtstrukturen sind zum Teil bis heute erhalten und kaum an einer Änderung ihrer
alten wie neuen Privilegien interessiert. Giannakopoulos und andere Beobachter sehen daher als
entscheidenden Motor in Richtung Rechtsstaatlichkeit eine Justiz, der zwar rechtsstaatliche Tradition
und reichliche Personalausstattung fehlen, jedoch achtbare erste Erfolge zu verdanken sind. Die wenn auch noch immer problematische - Zusammenarbeit mit dem internationalen Gerichtshof in den
Haag belegt dies.
Professor Dr. Goran Opacic und Kollegen (Belgrad) haben die Situation von Vertriebenen im
ehemaligen Jugoslawien untersucht: In Kroatien ging zwischen 1993 und 2009 die Zahl von etwa
631.000 auf 4.000 zurück. Opacic und Kollegen sind von ihrem eigenen Befund überrascht: Wer in
seinem Herkunftsort eine Bleibe und ein Auskommen findet, ist fast immer dorthin zurückgekehrt.
Nationalität, Traumatisierungen, persönliche Feindschaften, fortbestehendes Unrecht spielen kaum
eine Rolle. Fast immer gibt die alltägliche materielle Grundlage den Ausschlag. Damit hat das
zunächst virulente Flüchtlingsproblem seine destabilisierende Sprengkraft verloren, auch wenn es hier
an rechtlich sauberen Regelungen nach wie vor fehlt.
A. Giannakopoulos, K. Maras, D. Tänzler: Perceptions of Corruption and their Relevance to
Anti-curroption Measures: Research Findings of the EU-Project "Crime and Culture". In: Th. Kliche, St.
Thiel (Hrsg.) Korruption - Forschungsstand, Prävention, Probleme. Pabst, Lengerich/Berlin 2011
G. Opacic, G. Knezevic, V. Jovic, B. Radovic: Concomitants of Repatriation - The Case of Former
Yugoslavia. In: Traue, Johler, Jancovic Gavrilovic (Eds.) Migration, Integration and Health. Pabst,
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Lengerich/Berlin 2010
W. Pabst: Der Terror des jugoslawischen Regimes gegen kroatische Bürger. MC Wolf, Herne
1982/Pabst, Lengerich/Berlin
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