Liebesleben - Es gibt noch Sex in der Ehe -

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Wissen
Liebesleben
Es gibt noch Sex in der Ehe
16.11.2010, 11:59
Von Werner Bartens
Wenn zwei ständig miteinander ins Bett wollen, haben sie
möglicherweise ein Problem, wenig Sex in der
Langzeitbeziehung muss dagegen kein schlechtes Zeichen
sein. Was Paare zusammenhält und warum Liebe manchmal
gelingt.
Wenig Sex in der Langzeitbeziehung? Das muss nicht zwangsläufig
ein schlechtes Zeichen sein - sofern nicht schon jedes Interesse
füreinander erloschen ist. Vielmehr können seltenere Intimkontakte
in einer längeren Paarbeziehung darauf hindeuten, dass sich beide
Partner sicher gebunden fühlen und nicht befürchten, dass einer
die Beziehung bald verlassen wird. Wer hingegen ständig
miteinander ins Bett will, könnte eher in Konflikten verstrickt sein
oder chronisch unsicher, ob die Beziehung noch hält.
Wenn eine Frau auf eine lange Partnerschaft hofft, sollte sie sich tendenziell einen Mann
suchen, der Konflikten gern aus dem Weg geht und Entscheidungen vermeidet. (© imago)
Für zufriedene Paare folgt daraus allerdings auch: "Dauerhafte
Sicherheit und häufiger, guter Sex schließen sich aus", wie die
Psychotherapeutin Kirsten von Sydow von der Universität Hamburg
nüchtern feststellte.
Am vergangenen Wochenende konnte man während der Münchner
Tagung "Bindungen - Paare, Sexualität und Kinder" viel fürs Leben
lernen, zumindest fürs Beziehungsleben. Karl Heinz Brisch, Leiter
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der Psychosomatik am Haunerschen Kinderspital der LudwigMaximilians-Universität, hatte ein sehr abwechslungsreiches
Tagungsprogramm zusammengestellt. Die Konferenz war seit Juli
ausgebucht, was sicherlich auch am Thema Sex lag.
Die Referenten waren sich einig darüber, dass Sex kein
triebgesteuerter Instinkt ist, der die Menschen mehr (nach
Expertenansicht sind hier eher Männer gemeint) oder weniger
(tendenziell Frauen) überfällt und dem sie sich nicht entziehen
können. Vielmehr spiegeln sich im Sexualverhalten und den
entsprechenden Wünschen frühe Bindungserfahrungen wider.
Ein unsicherer Mann ist oft eine sichere Partie
So haben ängstliche Frauen häufiger wechselnde Sexpartner,
während Menschen, die sich ihrer selbst sicher fühlen, weniger zu
Affären neigen, und ihr erster Geschlechtsverkehr auch in
fortgeschrittenerem Alter stattfindet.
"Melancholischer Sex ist sehr verbreitet", sagte die Therapeutin
Kate White vom Bowlby Centre in London, was eine freundliche
Umschreibung für Sex ist, der wenig Lust bereitet. Sie beschrieb
einen unsicheren Patienten aus ihrer Praxis. Er könne zwar, wie er
sagt, "mit vielen Leuten vögeln, aber einem Partner aufrecht und
direkt ins Gesicht zu schauen, fällt mir schwer".
Es ging während der Tagung natürlich nicht nur um Sex, sondern
auch darum, was Paare auf Dauer zusammenhält. Wenn eine Frau
auf eine lange Partnerschaft hofft, sollte sie sich tendenziell einen
unsicheren Mann suchen, könnte ein Fazit der Untersuchungen
von Julia Berkic vom Bayerischen Staatsinstitut für Frühpädagogik
lauten.
Ihr Team hatte Paare im ländlichen Bayern untersucht, die im Mittel
bereits 28 Jahre miteinander verheiratet waren. Nicht nur, weil es
ihnen so gut ging. Ein Drittel war "stabil unglücklich" oder "unsicher
und resigniert in der Beziehung". Gemeinsame Kinder, Projekte wie
Hausbau oder berufliche Entwicklung und psychische
Verstrickungen hielten die Paare aber in ihrem Unglück zusammen.
Auf der Suche nach einer Formel für stabile Paarbeziehungen
kommen Forscher daher nicht nur zu dem naheliegenden Schluss,
dass gefestigte Menschen, die sich in ihrer Beziehung wohl und
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sicher gebunden fühlen, vermutlich recht lange zusammenbleiben
werden. Sicherheit aus der Herkunftsfamilie ist ein "Schutzfaktor"
für eine lange Ehe. Und wer sich sicher gebunden fühlt, kann den
Partner genauer wahrnehmen und auf ihn eingehen und stabilisiert
damit wiederum die Bindung.
Sex zu geplanten Zeiten
Manchmal garantieren aber auch vermeintliche Schwächen ein
dauerhaftes Eheleben. Ambivalente wie auch ängstliche Frauen
trennen sich nur ungern. Männer, die Konflikten gern aus dem Weg
gehen und Entscheidungen vermeiden, sind ebenfalls besonders
geeignet für eine stabile Beziehung.
"Ein unsicherer Mann und eine sichere Frau - das ist oft ein
ziemlich haltbares Paket", sagt Julia Berkic. "Vermeidende Männer
haben naturgemäß ja eine Scheu davor, ihre Frauen zu verlassen."
Zu einiger Erregung führten im mit 800 Teilnehmern voll besetzten
Auditorium die Thesen des erfahrenen Paartherapeuten Hans
Jellouschek. Er sprach über die Partnerliebe, die der
Handlungslogik der Hingabe folge, und in der keine Schuldscheine
ausgestellt werden könnten. Gerechtigkeit zwischen Partnern sei
zwar vielleicht wünschenswert, aber damit lasse sich Liebe nicht
wieder herstellen.
Da Beziehungen die Tendenz haben, "von selbst schlechter zu
werden", müsse das Paar etwas dafür tun, dass ihnen die Liebe
nicht abhandenkommt - als Nebenwirkung stärkt die Partnerliebe
schließlich auch die Bindungssicherheit und Autonomie der Kinder.
Auch für den Sex altgedienter Paare regte Jellouschek "geplante
Zeiten und Orte" an, "weil es einen ja nicht mehr so zum anderen
treibt". Und manchmal käme der Appetit ja auch beim Essen.
Im Publikum war die Reaktion zwiespältig. Diese Argumentation
höre sich für viele Leute komisch an, ereiferte sich eine
Teilnehmerin. "Gerade ältere Frauen haben ja so oft schon ihrem
Mann zuliebe mitgemacht", obwohl sie keine Lust verspürten.
Es entwickelte sich eine muntere Diskussion darüber, wie oft Sex
bei chronischen Paaren "normal" sei. Man müsse die aus
humanistischen Quellen überlieferte Anregung: zweimal in der
Woche nicht so eng sehen, kamen die Diskutanten überein, viele
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Paare mit Kindern hätten nur einmal im Monat Sex.
Händchenhalten senkt die Schmerzwahrnehmung
Spätestens jetzt machte sich die linke Hälfte des Hörsaals wieder
Gedanken über das Paar in der achten Reihe, das dem Alter nach
auch schon Jahrzehnte zusammen sein konnte. Die beiden hielten
während der zweitägigen Konferenz permanent Händchen,
kuschelten sich aneinander und tauschten bei dramatischen
Passagen im Vortrag Küsschen aus. Waren sie frisch verliebt?
Mussten sie sich permanent ihrer Bindung versichern? Oder hatten
sie eine Wette mit ihrem Paartherapeuten laufen?
Wie gut, dass James Coan von der University of Virginia den
Turteltauben Rüstzeug aus dem Hirnscanner lieferte. Sein Vortrag
lautete: "Warum wir uns gern an der Hand halten". In zahlreichen
Studien hatte Coans Team beobachtet, dass Händchenhalten nicht
nur das subjektive Bedrohungsgefühl senkt, sondern die lindernde
und stärkende Wirkung an vielen Körperfunktionen abzulesen ist.
Die motorische wie die emotionale Anspannung sind geringer, auch
die Schmerzwahrnehmung sinkt. Sogar ein Hügel wirkt anders.
Allein empfinden Menschen einen Berg als steiler, als wenn ein
Freund dabei ist. Je länger und besser man den Freund kennt,
desto flacher erscheint der Anstieg.
Während der Tagung ging es auch um Störungen und Pathologien
der Bindung und Elternschaft. Bezeichnend sei hier nur ein Fall von
Egon Garstick genannt, dem es gelungen ist, in der Zürcher
"Stiftung Mütterhilfe" eine "Vaterschaftswerkstatt" aufzubauen. Er
berät unruhige und depressive Männer, die nach der Geburt ihres
Kindes nicht damit zurechtkommen, dass sie nicht mehr die
wichtigste Rolle für ihre Frau spielen, sondern erst an zweiter - oder
fünfter - Stelle kommen.
Besonders drastisch drückte dies ein Mann aus, der in der
Beratung für sich feststellte: "Ich habe gezeugt und verloren."
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Quelle:
(SZ vom 16.11.2010/mcs)
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