Wie die neue Marlboro-Kampagne auf Jugendliche wirkt

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Wie die neue Marlboro-Kampagne auf Jugendliche wirkt
"Vergiss das ewige Vielleicht: Werde Raucher."
Wie die neue Marlboro-Kampagne auf Jugendliche wirkt
Dieter Mennekes-Umweltstiftung, Kirchhundem
Vorabfassung, Mai 2013
Autor: Dietmar Jazbinsek [[email protected]]
Zasammenfassung
Die bekannteste Zigarettenmarke der Welt wird derzeit einem fundamentalen Imagewechsel
unterzogen: Die Herstellerfirma Philip Morris hat den Marlboro Cowboy, die Inkarnation des
rauchenden Machos, aus der Werbung verbannt und ein neues Marketingkonzept entwickeln
lassen, das Frauen ebenso zur Geltung kommen lässt wie Männer und insbesondere für junge
Leute attraktiv sein soll. Testmarkt für das neue Konzept war Deutschland, wo die Be
Marlboro-Kampagne im Dezember 2011 angelaufen ist. Unternehmensvertretern zufolge hat
der Imagewechsel dazu beigetragen, den Marktanteil der Marke in der Gruppe der 18- bis 24jährigen Deutschen deutlich zu erhöhen. Zugleich bestreiten Sprecher von Philip Morris
vehement, dass sich die Marlboro-Werbung in irgendeiner Weise auf das Rauchverhalten der
Minderjährigen auswirken könnte. Im vorliegenden Beitrag werden die Ergebnisse der bislang
einzigen unabhängigen Begleitforschungsstudie zur Be Marlboro-Kampagne vorgestellt. Sie
beruht auf einer Online-Befragung von 1.000 Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren, die
im Spätsommer 2012 von der Gesellschaft für Konsumforschung durchgeführt wurde. Die
Umfragedaten belegen, dass die Werbebotschaften von Philip Morris bei den Minderjährigen
ähnlich hohe Aufmerksamkeitswerte erzielt haben wie bei den jungen Erwachsenen. Vor
allem die Mädchen haben die Marlboro-Motive wiedererkannt und mit anderen über die
Kampagne gesprochen. Bemerkenswert ist dies deshalb, weil die Raucherquote unter den
weiblichen Teenagern in Deutschland im Jahr 2012 zum ersten Mal seit anderthalb
Jahrzehnten wieder gestiegen ist. Eine mögliche Erklärung für die Wirkung der
Zigarettenwerbung auf Minderjährige ist die Tatsache, dass die Jugendlichen die Fotomodelle
der neuen Marlboro-Reklame für sehr viel jünger halten, als sie Philip Morris zufolge
tatsächlich sind. Die Umfrageergebnisse legen die Schlussfolgerung nahe, dass es nicht
genügt, auf die freiwilligen Werbebeschränkungen der Tabakindustrie zu vertrauen, wenn
man Jugendliche vor den Gefahren des Tabakkonsums schützen möchte. Die hier
vorgestellten Erkenntnisse über die Attraktivität des neuen Marketingkonzepts für
Minderjährige sind nicht zuletzt deshalb von Bedeutung, weil die in Deutschland getesteten
Bildmotive und Slogans derzeit in 40 anderen Ländern und Weltregionen eingeführt werden.
1
1. Der Marlboro Cowboy geht in Rente: Merkmale des neuen Marketingkonzepts
Der Zigarettenkonzern Philip Morris hat den Marlboro Cowboy - eine der populärsten
Werbeikonen der letzten Jahrzehnte - in den Ruhestand versetzt. Der Slogan "Come to
Marlboro Country" ist im vergangenen Jahr durch den Claim "Don't be a Maybe. Be
Marlboro" ersetzt worden. Die Marlboro Cowboys verkörperten das Hollywood-Klischee von
Männlichkeit und Unabhängigkeit; ihr Alter war nicht eindeutig zu bestimmen - es lag
irgendwo zwischen Anfang 30 und Mitte 40 - und sie ritten durch zeitlose Naturlandschaften.
Im Vergleich zur klassischen Marlboro-Werbung zeichnet sich die neue Marken-Kampagne
von Philip Morris durch die "Verweiblichung", "Verjüngung" und "Veralltäglichung" der
Werbemotive aus. Eine weitere Auffälligkeit ist das (fast) vollständige Verschwinden der
Zigarette.
"Verweiblichung" meint zum einen, dass nun auch weibliche Identifikationsfiguren für
Marlboro werben. Zum anderen ist damit ein Wandel des Männerbildes gemeint: Während
der Marlboro-Macho nur mit Pferden etwas anzufangen wusste, tauchen in der neuen
Werbung Männer auf, die offenkundig dazu in der Lage sind, romantische Beziehungen mit
Frauen einzugehen.
Was sich Philip Morris von der "Verjüngung" des Werbekonzepts verspricht, hat der
Marketing-Manager Frederic de Wilde auf einer Investorenversammlung im Juni 2012
erläutert: "Wir wissen, dass sich junge Erwachsene von der Flut von Informationen und
Optionen überwältigt fühlen, die durch die neuen Technologien auf sie einströmen. In dieser
Zeit der Verunsicherung haben sie sehr wenige Lebenswegweiser, an denen sie sich
orientieren können."1 Philip Morris will die jungen Leute dazu ermutigen, so de Wilde,
Selbstvertrauen zu entwickeln und wegweisende Entscheidungen zu treffen. Das klingt so, als
würden die Bemühungen des Marlboro-Herstellers, sich als "sozial verantwortliches
Unternehmen" zu präsentieren (corporate social responsibility)2, nun auch auf die Werbung
ausgeweitet.
Schauplatz der Werbeszenen sind nicht mehr die menschenleeren Landschaften des FantasyTerritoriums "Marlboro Country", sondern Situationen aus der Lebenswelt junger Leute (in
einer Motorradwerkstatt, bei einem Rockkonzert, auf der Straße). Dieser Transfer in das Hier
und Heute soll mit dem Stichwort "Veralltäglichung" zum Ausdruck gebracht werden. Dabei
ist auffällig, dass nur in einer der Werbeszenen geraucht wird. Während der Marlboro
Cowboy gerne dabei gezeigt wurde, wie er sich am Lagerfeuer genüsslich eine Zigarette
anzündet, taucht das Produkt, für das geworben wird, in der neuen Kampagne lediglich als
Packung am unteren Bildrand auf.
Das Konzept für die Umsetzung des Imagewandels stammt von der Werbeagentur Leo
Burnett, deren Gründer Mitte der 50er Jahre auch schon den Marlboro Cowboy erfunden
hatte. Die Anleihen bei der Ikonographie des Westerns stellten den ersten fundamentalen
Imagewandel der Philip Morris-Marke dar. In den Jahrzehnten zuvor hatte die Marlboro als
typische Frauenzigarette gegolten, was durch die Einführung von Zigarettenfiltern noch
2
bestärkt worden war. Leo Burnett wollte von diesem "weibischen und schwulen Image"
wegkommen und griff deshalb auf einen Archetypus der Virilität zurück.3 Mit den Fotos
Lasso-schwingender Abenteurer begann der Aufstieg der Marlboro zur meistgerauchten
Marke der westlichen Welt. Doch je mehr die Frauenbewegung in der Industriegesellschaft
Fuß fasste, umso unglaubwürdiger wurden die Werbebilder aus der heilen Macho-Welt.
Schon Ende der 70er Jahre stoppte die Frauenzeitschrift Emma eine Anzeigenserie von Philip
Morris, nachdem Leserinnen den Marlboro Cowboy als "Macker von der hartgesottenen
Sorte" tituliert hatten, "der den Mädels im Saloon auf den Hintern knallt."4 In seinen letzten
Lebensjahren als Werbe-Ikone war der Marlboro Cowboy zum bloßen Dekor inmitten riesiger
Landschaftspanoramen geschrumpft. Die aktuelle Be Marlboro-Kampagne läuft auf den
Versuch hinaus, einen zweiten grundlegenden Imagewandel in Szene zu setzen: Von der
Macho-Marke zum Gender Mainstreaming des Marketings, von der optischen Dominanz des
Mannes in der Marlboro-Werbung zur Gleichstellung der Geschlechter.
2. Der Probelauf der Be Marlboro-Kampagne in Deutschland
Testmarkt für die neuen Werbeslogans und Bildmotive war Deutschland, wo die Kampagne
im Dezember 2011 gestartet wurde. Die Einführung verlief in drei Phasen: Zunächst wurde
die Wortmarke "Maybe" - mit rot durchgestrichenem "May" - plakatiert; um Neugier zu
wecken geschah dies ohne jeden Hinweis auf das dazugehörige Produkt. In einer zweiten
Phase erschienen Kurztexte, die typische Entscheidungssituationen andeuteten ("Left or
right", "Sit or stand") und mit der Aufforderung verbanden "Don't be a Maybe. Be Marlboro."
Danach erst tauchten die Bildmotive auf, die in der Folgezeit das Straßenbild in ganz
Deutschland bestimmen sollten. Die Plakate führten jungen Leuten vor Augen, was sie in
ihrem späteren Leben versäumen, wenn sie keine klaren Entscheidungen treffen ("Maybe will
never be her own boss.")
Die neuen Marlboro-Motive waren nicht nur in der Außenwerbung zu sehen, sondern auch in
Kinospots oder als Bildschirmpräsentation im Tabakhandel. In der "Kickstart"-Phase zogen
Werbeteams durch Kneipen und Bars, um Adressen von jungen Rauchern zu sammeln. Als
Gegenleistung für die Kontaktdaten wurden Feuerzeuge und Zigarettengutscheine verteilt.
Eine Begleitbroschüre erläuterte die Werbe-Botschaft im Stile der Ratgeber-Literatur. Zitat:
"1000 Ideen. Und jede dieser Ideen könnte deine Welt verändern. Jede dieser Ideen könnte
inspirieren, provozieren, Neugierde stillen, glücklich machen. Was hindert dich daran, diese
Chancen zu sehen? Der eigene Zweifel. Das ewige Vielleicht. Das Zögern. Der Mittelweg.
Das Maybe. Vergiss das ewige Maybe." Wer den Animateuren des Tabakkonzerns seine
Anschrift mitteilte, bekam Einladungen zu Tanzpartys und Gratiskonzerten. Hauptgigs waren
drei Auftritte der New Yorker Band "Hercules & Love Affair" in Köln, Stuttgart und
München.5 Die Anfrage, wie viele Maybe-Partys es gegeben hat und wie dort die Einhaltung
des Nichtraucherschutzes gewährleistet wurde, beantwortete Philip Morris mit dem Hinweis,
man könne hierüber keine Auskunft geben, weil es sich um "wirtschaftlich sensible
geschäftliche Informationen" handele.6
3
Die Be Marlboro-Kampagne stieß in Deutschland sowohl bei Fachleuten der Werbebranche,
als auch bei Experten für Tabakkontrolle auf scharfe Kritik. Die Marketingprofis äußerten
Zweifel an der Umsetzung der Grundidee. Die Slogans seien nicht eingängig, die Bildmotive
nicht originell genug, um bei den Rezipienten eine nachhaltige Wirkung zu erzielen, hieß es.7
Dagegen stellte Philip Morris das neue Werbekonzept als großen Erfolg dar. Die Be
Marlboro-Kampagne habe zu einer eindrucksvollen Erhöhung des Marktanteils unter den 18bis 24-jährigen Rauchern in Deutschland beigetragen, betonte der damals für die EU-Region
zuständige Topmanager Jacek Olczak im Juni 2012.8
Kritiker der Tabakindustrie wiederum äußerten die Befürchtung, dass die Kampagne nicht nur
junge Erwachsene, sondern auch Kinder und Jugendliche zum Rauchen animieren könnte.9
Protestschreiben an die Gesundheitsbehörden führten dazu, dass die Kampagne im Juli 2012
für mehrere Monate unterbrochen wurde. Eine Sprecherin von Philip Morris beteuerte damals
der Presse gegenüber, die neue Werbekampagne richte sich ausschließlich an Erwachsene und
nicht an Minderjährige.10 Auf Nachfrage fügte sie hinzu, ihr Unternehmen habe eine mögliche
Werbewirkung auf Minderjährige nicht untersucht.11
3. Die Reaktionen der Jugendlichen. Leitfragen und Ergebnisse der Begleitforschung
Die Dieter Mennekes-Umweltstiftung hat die bislang einzige unabhängige Studie in Auftrag
gegeben, die der Frage nachgeht, wie Jugendliche auf die Botschaften der Be MarlboroKampagne reagieren. In der Woche vom 29.8. bis 5.9.2012 nahmen 1.000 Mädchen und
Jungen im Alter von 14 bis 17 Jahren an einer Online-Befragung teil. Durchgeführt wurde die
Umfrage von dem größten Marktforschungsinstitut Deutschlands, der Gesellschaft für
Konsumforschung (GfK). Dabei bekam jeweils ein Viertel der Befragten ein bestimmtes
Motiv der Be Marlboro-Kampagne vorgelegt, bei dem der Markenname nicht zu erkennen
war. Die Jugendlichen sollten angeben, ob sie wussten, wofür hier geworben wurde, und ob
sie über die Werbung schon einmal mit anderen gesprochen hatten. Die Frageformulierungen
stammen aus einer unveröffentlichten Marktstudie, die sich auf die Altersgruppe der 18- bis
39-Jährigen beschränkt hatte und von Philip Morris bezahlt worden war.12 Darüber hinaus
wurden die Jugendlichen in der GfK-Studie danach befragt, für wie alt sie die Fotomodelle
der Be Marlboro-Werbung hielten.
Die Ergebnisse der Umfrage werden im Folgenden in sechs Abschnitten zusammengefasst
und kommentiert.
3.1 Die Be Marlboro-Kampagne hat sich vielen Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren
nachhaltig eingeprägt.

Ein Drittel der Jugendlichen (33%) hat die Philip Morris-Plakate als Zigarettenwerbung
identifiziert, obwohl auf keinem der ausgewählten Plakate eine Zigarette zu sehen war.

Ein Viertel der Jugendlichen (25%) hat die Philip Morris-Plakate als Marlboro-Reklame
wiedererkannt, obwohl auf den Bildvorlagen der Markenname abgedeckt war.
4
Kommentar: Philip Morris ist es durch die Kampagne gelungen, die Aufmerksamkeit einer
großen Zahl von 14- bis 17-Jährigen auf sich zu ziehen. Die hohen Wiederkennungswerte
sind umso bemerkenswerter, als zum Zeitpunkt der Befragung schon seit gut einem Monat
keine Marlboro-Plakate mehr in der Außenwerbung zu sehen waren.
3.2 Die Wirkung der Be Marlboro-Kampagne auf minderjährige Raucher ist mit ihrer
Wirkung auf erwachsene Raucher vergleichbar.
Wenn man die Marktstudie von Philip Morris (Altersgruppe 18 bis 39) mit den GfK-Daten
(Altersgruppe 14 bis 17) vergleicht, zeigen sich auffällige Ähnlichkeiten:

40% der minderjährigen Raucher hatten das Werbemotiv, das ihnen bei der Befragung
vorgelegt wurde, schon einmal gesehen. Bei den "jungen erwachsenen Rauchern" waren
es laut Philip Morris 57%.

42% der minderjährigen Raucher hatten schon einmal mit anderen über die Be MarlboroKampagne gesprochen. Bei den "jungen erwachsenen Rauchern" waren es laut Philip
Morris 56%.

In beiden Altersgruppen war Marlboro die beliebteste Zigarettenmarke mit einem ähnlich
hohen Marktanteil: Er lag in der Gruppe der 14-bis 17-jährigen Raucher bei 21% und in
der Gruppe der 18- bis 24-jährigen Rauchern bei 20%.
Kommentar: Die höheren Wiedererkennungswerte und der größere Kommunikationseffekt
bei den Erwachsenen könnten auf den Zeitpunkt der Befragung zurückführen sein. Die
Marktstudie von Philip Morris wurde im März 2012 durchgeführt, als in ganz Deutschland die
Marlboro-Motive plakatiert waren. Dies war zum Zeitpunkt der Jugendbefragung nicht mehr
der Fall. Die Schlussfolgerung, die der Philip Morris-Manager Frederic de Wilde aus den
Ergebnissen der Erwachsenenbefragung gezogen hat, dürfte demnach auf für die
Minderjährigen gelten: "Die neue Kampagne wirkt."13 Die direkte Wirkung der Plakate sei
durch die von ihnen ausgelöste Mund-zu-Mund-Propaganda noch verstärkt worden, so de
Wilde.
3.3 Auch zahlreiche Jugendliche, die zum Zeitpunkt der Befragung (noch) nicht rauchten,
haben die Be Marlboro-Kampagne aufmerksam registriert.

Von den minderjährigen Nichtrauchern gab jeder Vierte (25%) an, das ihm vorgelegte
Bildmotiv wiederzuerkennen.

Von den minderjährigen Nichtrauchern, die das Bildmotiv wiedererkannten, hatte jeder
Dritte (32%) schon einmal mit anderen über die Be Marlboro-Kampagne gesprochen.
5
Kommentar: Die neue Zigarettenwerbung von Philip Morris ist ein Identifikationsangebot für
junge Menschen auf der Suche nach Sinn. Entscheidungsunsicherheiten gibt es bei jungen
Nichtrauchern genauso wie bei jungen Rauchern. "Was hindert dich daran, deine Neugier auf
Zigaretten zu stillen?" so lautet die unterschwellige Botschaft, "Probiere es doch einfach mal
mit Marlboro." Die Kampagne spricht auch deshalb viele Nichtraucher an, weil auf den
Plakaten fast ausschließlich Nichtrauchende zu sehen sind. Sie ist also grundsätzlich dazu
geeignet, den Raucheranteil unter Minderjährigen zu erhöhen. Tatsächlich ist die
Raucherquote bei den Mädchen im Alter von 12 bis 17 Jahren im Jahr 2012 von 12% auf 13%
gestiegen, nachdem sie in den 15 Jahren zuvor kontinuierlich gesunken war. Bei den Jungen
im Alter von 12 bis 17 Jahren ist der langanhaltende Rückgang der Raucherquote im Jahr
2012, also auf dem bisherigen Höhepunkt der Be Marlboro-Kampagne in Deutschland, zum
Stillstand gekommen und verharrte wie im Vorjahr bei 11%. Das geht aus aktuellen Zahlen
der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hervor.14
3.4 Die Jugendlichen halten die Fotomodelle auf den Marlboro-Plakaten für sehr viel jünger,
als sie offiziell sind.
In dem in Deutschland geltenden Werbekodex der Tabakindustrie nimmt der Jugendschutz
breiten Raum ein. Dort heißt es: "Die Darstellung von Models, die jünger als 30 Jahre sind
oder von der Mehrzahl der Jugendlichen für jünger als 30 Jahre gehalten werden, ist
unzulässig."15 Philip Morris verwendet in der Werbung eigenen Angaben zufolge "keine
Models unter 25 Jahren".16 Die Be Marlboro-Kampagne missachtet diese freiwillige
Selbstverpflichtungen in eklatanter Weise:

53% der befragten Jugendlichen sind davon überzeugt, dass die Fotomodelle auf den
Marlboro-Plakaten höchstens 20 Jahre alt sind.

12% der befragten 14- bis 17-Jährigen glauben, dass es sich bei den Fotomodellen auf den
Marlboro-Plakaten um Gleichaltrige handelt.
Kommentar: Die Marlboro Cowboys trugen oft altertümliche Oberlippenbärte und hatten
Falten im Gesicht. Bei ihnen dürfte kaum ein Jugendlicher auf die Idee gekommen sein, dass
die Fotomodelle minderjährig sein könnten. Das ist bei der neuen Kampagne anders. Die
Antworten lassen ein klares Muster erkennen: Je jünger die Befragten sind, umso jünger
schätzen sie die Fotomodelle ein.
3.5 Einige Philip Morris-Plakate weisen Gestaltungsmerkmale auf, die Minderjährige in
besonderer Weise ansprechen.

Bei keinem anderen Bildmotiv waren so viele Jugendliche (22%) davon überzeugt, dass
sie es mit einem Gleichaltrigen zu tun haben, wie bei "Maybe never learned to fly".

Über kein anderes Bildmotiv haben sich so viele Jugendliche (41%) unterhalten wie über
"Maybe never learned to fly".
6
Kommentar: Für die außergewöhnliche Resonanz auf dieses Plakat gibt es plausible Gründe:
Zum einen ist das Gesicht des Fotomodells nicht zu erkennen, was die Zuordnung zur eigenen
Altersgruppe erleichtert; zum anderen wird eine für Jugendliche typische Mutprobe gezeigt:
ein Sprung in voller Montur von einer Felskante in einen See. Der Philip Morris-Manager
Jacek Olczak hat dieses Bildmotiv ausgewählt, um die wachsenden Marktanteile von
Marlboro bei jungen "erwachsenen" Rauchern zu illustrieren.17 In der aktuellen MarlboroKampagne finden sich noch andere Motive mit denselben jugendaffinen
Gestaltungsmerkmalen, z.B. auf dem Plakat "Maybe never found a way" und in der eingangs
erwähnten Begleitbroschüre.
3.6 Die Be Marlboro-Kampagne ist von Mädchen aufmerksamer wahrgenommen worden als
von Jungen.

Von den Mädchen konnten sich 30% an das ihnen vorgelegte Marlboro-Plakat erinnern,
bei den Jungen waren es nur 25%.

40% der Mädchen, die das Bildmotiv wiedererkannten, haben sich über die Be MarlboroKampagne unterhalten, bei den Jungen waren es nur 28%.
Kommentar: Die Grundidee der neuen Marlboro-Kampagne, ein "feminineres" Markenimage
zu kreieren, scheint aufgegangen zu sein. Das zeigt sich besonders bei dem Motiv mit einem
Liebespaar ("Maybe never fell in love"), das von den Mädchen doppelt so oft wiedererkannt
wurde wie von den Jungen. Der Bedeutungsgewinn der Mädchen als Zielgruppe der
Zigarettenwerbung spiegelt sich auch in den Angaben der Jugendlichen zu ihren eigenen
Rauchgewohnheiten wieder. Der Raucheranteil unter den befragten 14- bis 17-Jährigen war
bei den Mädchen deutlich höher (17%) als bei den Jungen (13%).
4. Die Be Marlboro-Kampagne 2013: Von Deutschland aus in alle Welt
Ende 2012 tauchten nach einer mehrmonatigen Pause erstmals wieder Marlboro-Plakate in
einigen deutschen Städten auf. Es handelte sich jedoch nicht um dieselben Motive, die zu
Beginn des Jahres bundesweit plakatiert worden waren: Zum einen hatte man den
Kampagnen-Claim abgewandelt zu Parolen wie "History does not start with a maybe"; zum
anderen war das Werbepersonal deutlich gealtert. Der jüngere Mann trug nun einen
gepflegten Vollbart und die jüngeren Frauen waren zu einer Rentnerin mutiert, die dem
Betrachter ihre Faust entgegen reckte.18 Man kann diese Bildauswahl als Versuch deuten, die
Kritik an der Ausrichtung der ursprünglichen Kampagne auf junge Zielgruppen zu ironisieren.
Die ursprünglich in Deutschland getesteten Bildmotive kamen zur selben Zeit in anderen
Ländern zum Einsatz. In Mexiko war das Stagediving-Plakat zu sehen, in Griechenland wurde
das Motto "Don't be a Maybe" mit einer jungen Gitarristin bebildert, die raucht und ihr
Gesicht vom Betrachter abwendet.19 Weltweit soll die Be Marlboro-Kampagne Frederic de
7
Wilde zufolge auf 40 Märkte ausgeweitet werden. Wo genau welche Motive plakatiert
werden, hat Philip Morris zum Geschäftsgeheimnis deklariert.
Obwohl bislang nur bruchstückhafte Informationen über die Globalisierung der Kampagne
vorliegen, ist schon heute absehbar, was Philip Morris-Manager de Wilde gemeint haben
könnte, als er vor Investoren betonte, die Be Marlboro-Kampagne sei "eine flexible Plattform,
die sich auf verschiedene Umwelten maßgeschneidert zuschneiden" lasse20: Je nach den
regulatorischen Rahmenbedingungen kann die Marlboro-Reklame mal mehr, mal weniger
deutlich auf junge Zielgruppen ausgerichtet werden. Sollte die Begleitforschung tatsächlich
einmal nachweisen, dass sich auch und gerade Minderjährige von der Zigarettenwerbung
angesprochen fühlen, tauscht man die Bildmotive - zumindest zeitweise - einfach aus, bis die
Kritik verstummt ist. Hierfür sprechen jedenfalls die Erfahrungen auf dem Testmarkt
Deutschland.
5. Schluss: Die Verantwortung der Politik
Philip Morris-Vertreter erwecken in ihren Stellungnahmen zur neuen Marketingstrategie des
Unternehmens den Eindruck, die Be Marlboro-Kampagne würde von den "jungen
Erwachsenen" aufmerksam registriert, von den Minderjährigen dagegen vollkommen
ignoriert. Die hier vorgestellte Befragung einer repräsentativen Auswahl von Jugendlichen
aus Deutschland belegt, wie realitätsfremd diese Werbewirkungshypothese ist. Die
Botschaften der Be Marlboro-Kampagne sind auf ein jüngeres, weiblicheres Publikum
zugeschnitten und werden in der Gruppe der 14- bis 17-Jährigen in ähnlicher Weise rezipiert
wie in der Gruppe der jungen Leute, die 18 Jahre oder älter sind.
Die Ergebnisse der GfK-Umfrage sprechen für eine nachhaltige Wirkung der neuen
Marlboro-Werbung auf Jugendliche, so wie sie von Fachleuten für Tabakkontrolle befürchtet
worden ist. Die Skepsis vieler Marketingexperten gegenüber den Slogans und Bildmotiven
der Philip Morris-Kampagne könnte damit zu tun haben, dass sie den Mythos des MarlboroCowboys als Maßstab heranziehen und sich persönlich von einer Werbung wenig
angesprochen fühlen, die in erster Linie an junge Leute adressiert ist.
Unter den zuständigen Politikern und Beamten in Deutschland ist umstritten, wie die
Tabakwerbung in Zukunft reguliert werden soll. Während das Verbraucherschutzministerium
für ein Verbot der Außenwerbung eintritt, vertraut das Wirtschaftsministerium bis heute auf
die freiwilligen Werbebeschränkungen der Tabakindustrie. Die Begleitforschung zur Be
Marlboro-Kampagne führt vor Augen, dass ein umfassendes Tabakwerbeverbot zwingend
erforderlich ist, wenn der Schutz der Minderjährigen vor den Gefahren des
Zigarettenkonsums verbessert und ein Anstieg der Raucherquote unter Jugendlichen
verhindert werden soll.
8
Quellenangaben
1
Frederic de Wilde (Philip Morris International): Slides and remarks. Investor Day.
Lausanne, 21.6.2012; Remarks p.6
Internet: https://edge.media-server.com/m/s/a27vta8g/p/ny3a2u57/l/1
2
Dietmar Jazbinsek: Das Don Corleone-Prinzip. Warum Philip Morris soziale Projekte
fördert. Transparency International, Zeitschrift "Scheinwerfer", Juli 2008
3
Wolfgang Hars: Der Marlboro Cowboy. In: Ders. (2000): Lurchi, Klementine und Co.
Unsere Reklamehelden und ihre Geschichte. Argon Verlag, Berlin
4
Freier Geist. Der Verkaufserfolg der Marlboro ist nicht zu bremsen. Spiegel Nr.34/ 1979
5
Internet: http://www.intro.de/festivalguide/news/23067802/dont-be-a-maybe-mit-herculeslove-affair-keine-jein-sager-erwuenscht
6
Elfriede Buben (Philip Morris GmbH): Mail vom 15.8.2012
7
Ines Imdahl: Marlboro schickt den Cowboy in die Wüste. Handelsblatt, 17.7.2012; Kathrin
Nielscher: Maybe will never be a cowboy. Markentechnik Blog, 16.3.2012; Internet:
http://www.markentechnik-blog.de/maybe-will-never-be-a-cowboy/2236
8
Jacek Olczak (Philip Morris International): Slides and remarks. Investor Day. Lausanne,
21.6.2012; Slide 65
Internet: https://edge.media-server.com/m/s/a27vta8g/p/ny3a2u57/l/1
9
Marlboro-Werbekampagne empört Wissenschaftler und Krebsmediziner. Der Spiegel 27/
2012;
Forum Rauchfrei: Sofortiger Stop der Zigarettenwerbekampagne Maybe. Presseerklärung
vom 12.7.2012
Internet: http://www.forum-rauchfrei.de/files/20120712_stoppt-zigarettenwerbekampagne.pdf
10
Marlboro unter Beschuss: Droht den Maybe-Plakaten das Aus? Horizont.net, 2.7.2012;
Internet: http://www.horizont.net/aktuell/marketing/pages/protected/Marlboro-unterBeschuss-Droht-den-Maybe-Plakaten-das-Aus_108537.html
11
Elfriede Buben (Philip Morris GmbH): Mail vom 17.8.2012
12
Frederic de Wilde (Philip Morris International): Slides and remarks. Investor Day.
Lausanne, 21.6.2012; Slide 31
13
Frederic de Wilde (Philip Morris International): Slides and remarks. Investor Day.
Lausanne, 21.6.2012; Slide 32
Internet: https://edge.media-server.com/m/s/a27vta8g/p/ny3a2u57/l/1
14
Peter Lang: Neueste Daten zum Rauchen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen.
Vortrag auf der 10. Deutschen Konferenz für Tabakkontrolle, Heidelberg, 6.12.2012
15
Deutscher Zigarettenverband: Werbekodex. Internet: http://www.zigarettenverband.de/posdata/page_img/Themen/Werbung/DZV_Werbekodex.pdf
16
Philip Morris Deutschland: Werbung und Marketing. Internet:
http://www.pmi.com/deu/tobacco_regulation/regulating_tobacco/Pages/advertising_and_mark
eting.aspx
17
Jacek Olczak (Philip Morris International): Slides and remarks. Investor Day. Lausanne,
21.6.2012; Slide 65
18
Susanne Schunk: Be Marlboro-Kampagne in Mannheim, Fotodokumentation 12.12.2012
19
Jacek Olczak (Philip Morris International): Slides and remarks. Consumer Analyst Group
of Europe (CAGE) Conference 18.3.2013; Slides 31 f.; Remarks p. 9
Internet: http://investors.pmi.com/phoenix.zhtml?c=146476&p=IROL-Presentations
20
Frederic de Wilde (Philip Morris International): Slides and remarks. Investor Day.
Lausanne, 21.6.2012; Slide 32
9

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