Der Name Gottes ist Barmherzigkeit. Predigt 22 Mai 2016

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Der Name Gottes ist Barmherzigkeit. Predigt 22 Mai 2016
„Barmherzigkeit“
Ökumenischer Gottesdienst Urdorf, 22.5.2016, 9.45 Uhr
Tagesevangelium Joh 16,12-15
Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem andern zu!
Liebe Schwestern und liebe Brüder, diesen Spruch kennen wir alle.
Der wurde uns oft genug vorgesagt. Die sogenannte Goldene Regel.
Oder auch nicht so salopp formuliert findet man den Spruch wieder im
Immanuel Kants Kategorischen Imperativ.
Natürlich auch in verschiedenen Bibelstellen: wohl erstmals im Buch
Tobit 4,15: Was dir selbst verhasst ist, das mute auch einem andern
nicht zu.
Wenn dir also z.B. Lügen verhasst ist, dann lüge auch selbst nicht.
Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem andern zu!
Liebe Schwestern und liebe Brüder!
Gehen wir einen Schritt weiter, versehen wir diesen Spruch mit einem
Minuszeichen, also mit einer Negation, so wie es der Sprachphilosoph
Ludwig Wittgenstein mit Sätzen machte, um ihren Wahrheitsgehalt zu
überprüfen. Sie wissen, dabei gilt wie in der Mathematik: doppelte
Verneinung ist eine Bejahung.
Also: Was du willst, das man dir tut, das füg auch einem andern zu.
Wenn du zu essen bekommen hast, als du hungrig warst, dann gib
auch dem andern etwas zu essen.
So sind wir ganz schnell, bei der Barmherzigkeit, beim heutigen
Thema, gelandet, genauer gesagt hier bei den Werken der
Barmherzigkeit.
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Auch dazu Bibelstellen: Mt 7,12 und Lk 6,31, beide lauten gleich:
Alles, was ihr also von andern erwartet, das tut auch ihnen.
So stehen scheinbar gegenüber: Gutes tun und Böses nicht tun.
Zugegebener Massen, Gutes tun ist „höherwertiger“ als Böses nicht
tun, denn beim nicht tun, bleibt ja ein Hungriger immer noch hungrig,
wenn ich ihm auch nichts Böses angetan habe.
So steht das barmherzige Handeln über der Goldenen Regel. Denn aus
der Negation der Golden Regel entstehen die Werke der
Barmherzigkeit. Jetzt aber Schluss mit der Moralphilosophie.
Liebe Schwestern und liebe Brüder!
Ich gehe jetzt zu ihnen, um ihren Blickwinkel einzunehmen und
diesen wunderbaren Wandteppich mit ihnen betrachten zu können,
den sie bei jedem Gottesdienst vor Augen haben. Er wurde übrigens
nach einem Entwurf von Ruth von Fischer, der bekannten
Pfarrerstochter aus dem Berner Oberland, von 130 reformierten und
katholischen Frauen in ca. 10.000 h Ende Februar 1987 fertiggestellt.
Dieser „ökumenische“ Teppich hier gilt mit zehn qm nicht als der
grösste, aber als der aufwändigste der 22 Entwürfe von Ruth von
Fischer.
Die Werke der Barmherzigkeit: ganz rechts oben: Kranke besuchen,
darunter: Gefangene besuchen, links davon: Nackte bekleiden,
darüber: Fremde beherbergen und daneben, also links oben:
Hungrige speisen und links unten: Dürstende zu trinken geben.
Das ist eine Darstellung Jesu Forderungen im 25. Kapitel bei
Matthäus, in dem er das Weltgericht schildert und diese sechs
Forderungen Jesu als Kriterium für das Urteil formuliert.
Max Kroiß
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Das siebte Werk der Barmherzigkeit Tote begraben ist nicht
dargestellt. Man leitet es nur aus dem Buch Tobit 1,17 ab, das
wiederum nicht in die Zürcher Bibel aufgenommen wurde.
Amen, so hast du mir getan lesen wir. Daran werden wir gemessen.
Getan oder nicht getan. Der Menschensohn, der Weltenrichter,
unterscheidet knallhart: „Die getan haben“ erhalten das ewige Leben
und „die nicht getan haben“ die ewige Strafe.
Sie haben diese Mahnung immer vor Auge, barmherzig zu handeln,
um eine gerechte Einstufung zu erhalten.
Anders verhält es sich in unserer katholischen Kirche. Dort ist auch
eine grosse Darstellung der Werke der Barmherzigkeit, auch
aufwändig, aber als buntes Betonglasfenster aus dem Jahr 1964. Doch
dieses Fenster sieht man als Kirchenbesucher nicht permanent wie
hier, sondern erst für einen Moment beim Verlassen der Kirche, beim
Hinausgehen in die Welt, sozusagen als letzte grosse Mahnung nach
Lukas 10, 37: Dann geh und handle genauso. Also barmherzig!
So sind unsere beiden Kirchen hier in Urdorf verbunden: als Gebäude
und als Glaubensgemeinschaft, mit den Werken der Barmherzigkeit.
Ich gebe ihnen nach dem GD ein Bildchen mit den Werken der
BarmherzigkeitAber ändern wir jetzt unseren Blickwinkel, verlassen wir unsere
menschliche Sicht, wenden wir uns von der Anthropologie ab und der
Theologie zu, transzendieren wir hinüber zum Blickwinkel Gottes.
Haben sie keine Angst, ich möchte sie nicht katholisch machen. Aber
in ihrer Chileposcht ist ohne mein Zutun zu diesem Gottesdienst der
Titel eines Buches von Papst Franziskus herausgestellt: Der Name
Gottes ist Barmherzigkeit, übrigens ein Interviewbuch von Andrea
Tornielli mit eben dem jetzigen Papst.
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Gottes Barmherzigkeit zieht sich durch die ganze heilige Schrift, weil
Gott mit dem Volk Israel einen Bund schliesst. Genau in diesem Bund
ist Gottes Barmherzigkeit immer wieder gefordert, weil sein Volk
nicht nach seinem Willen handelt und Gott immer wieder seine
unergründliche Liebe zu seinem Volk beweisen muss, gerade wenn
die Menschen nicht nach seinem Gebot der Gottesliebe und der
Nächstenliebe handeln, also nicht barmherzig sind, muss er mit
seinem Beispiel zeigen, was Barmherzigkeit ist.
Gottes Barmherzigkeit hat keine menschlichen Massstäbe, sondern
nur göttliche, also masslos.
Liebe Schwestern und liebe Brüder!
Es ist Zeit, Barmherzigkeit zu definieren: lat: misericordia---ein
Verhalten, wenn man ein Herz für die Bedürftigen hat.
Erbarmen lat. Misereri, jemanden aus Mitleid helfen, aber auch
jemandem leidtun.
Also es gehört eine Not, welche auch immer, und ein Mitgefühl
darüber dazu und daraus entsteht ein helfendes Handeln.
So ist es verständlich, dass Gott immer ein Herz für die Bedürftigen
hat. Gott kann gar nicht anders sein.
Gott fragt nicht, was wir ihm tun oder nicht, er ist immer barmherzig.
Wir bitten Gott deshalb immer um sein Erbarmen:
Kyrie eleison. Herr, erbarme dich unser.
Und er erbarmt sich, im AT und im NT, das Lukas (1, 72, 78.79 im
Benedictus zusammenfasst:
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Er hat das Erbarmen mit den Vätern an uns vollendet und an seinen
heiligen Bund gedacht, an den Eid, den er unserm Vater Abraham
geschworen hat.
Durch die barmherzige Liebe unseres Gottes wird uns besuchen das
aufstrahlende Licht aus der Höhe, um allen zu leuchten, die in
Finsternis sitzen und im Schatten des Todes, und unsere Schritte zu
lenken auf den Weg des Friedens.
Papst Franziskus erzählt in diesem Buch über die Barmherzigkeit eine
Geschichte, an die er sich erinnert, wie er damals seit Kurzem
Weihbischof in Buenos Aires war. Nach einer Messe kam eine alte
Dame voller Demut auf ihn zu und er sprach sie als abuela
Grossmutter an: Wollen sie beichten? Das sie mit ja beantwortete und
er, der in Eile zu einem anderen Termin war, zu ihr: Aber wenn sie
ohne Sünde sind… Aber sie prompt zurück: Sünden haben wir alle.
Und er: Aber vielleicht vergibt der Herr sie nicht alle…Und sie: Der
Herr vergibt alles. Er: Woher wollen sie das wissen? Sie: Wenn der
Herr nicht alles vergäbe, würde die Welt nicht existieren.
Franziskus war tief beeindruckt und wiederholt im Buch:
Ohne Barmherzigkeit, ohne Vergebung Gottes, würde die Welt nicht
existieren, sie könnte nicht existieren.
Weiter hinten schreibt er noch: Ich habe, wenn ich die Beichte gehört
habe, immer an mich selbst gedacht, an meine Sünden, an mein
Bedürfnis nach Barmherzigkeit.
So ist es. Ich versuche zum Schluss, analog der Regel zu Beginn,
einen orientierenden Satz zu formulieren, Anthropologie mit der
Theologie zusammen klingen zu lassen, wie es vielleicht das heutige
Evangelium mit dem Geist der Wahrheit meint:
Du erwartest von Gott, dass er barmherzig ist, dann sei auch du
barmherzig.
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Amen.
Max Kroiß
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