18904_Siemens AG

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18904_Siemens AG
STEUERUNGSTECHNIK
Getriebeautomatfertigung bei ZF Saarbrücken:
Datendurchgängigkeit in der Praxis
Bild 1: Hoher Durchsatz auf
engem Raum: Endmontagelinie
der Automatikgetriebe 6HP19
Halle 7, Stand 414
Die Implementierung
einer neuen Montageanlage bedeutet immer
auch einen Technologiesprung. Wie man es
erreicht hat, bei gleicher
Anlagenfläche und Mitarbeiteranzahl die Produktivität zu verdoppeln,
zeigt der folgende Beitrag.
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SPS-Special 2003
Dass alle Theorie grau ist, ist genauso eine Binsenweisheit, wie auch der Satz,
dass die Wahrheit auf, oder besser im Feld liegt. Tatsächlich liegt hier aber ein
Körnchen Wahrheit verborgen, besonders wenn man an die moderne Industrieautomation denkt, bei der in den letzten Jahren eine ganze Reihe innovativer Konzepte und Technologien entstanden sind, die nun in der betrieblichen
Praxis umgesetzt werden müssen. Das SPS-MAGAZIN eröffnet mit dem folgenden Beitrag eine Artikelserie, die sich mit Lösungskompetenz im Betrieb
auseinandersetzt. Die Zentrale Fragestellung lautet dabei, welche Probleme
mit welchen Technologien überwunden werden können.
ösen neue Generationen
von Automatikgetrieben
alte ab, so ändert sich
nicht nur das Produkt, sondern
die Linien zur Montage dieser
Getriebe müssen auch effizienter arbeiten, um dem zunehmenden Kostendruck der Automobilhersteller gerecht zu werden. In der Praxis führte dies bei
der Planung der neuen Montagelinien für 6-Gang-Automatikgetriebe bei der ZF-Getriebe
GmbH Saarbrücken zu anspruchsvollen Vorgaben: Verdopplung der Stückzahl auf
gleichbleibender Fläche mit
gleicher Anzahl an Mitarbeitern.
ZF stellt an die Kompaktheit
L
seiner Anlagen hohe Anforderungen. Auch für den Aufbau
der neuen Linie im Werk Saarbrücken stand eine Fläche von
ca. 1000m2 für die gesamte
Montagelinie zur Verfügung. In
der Vergangenheit reichten bei
ZF solche Flächen für die Produktion von etwa 200.000 Getrieben pro Jahr. Mit den neuen
Getriebemodellen sollen in der
Endausbaustufe im Dreischichtbetrieb jedoch die doppelte
Menge pro Jahr vom Band laufen. Die beträchtliche Produktionssteigerung kann neben der
Erhöhung des Automatisierungsgrades im Wesentlichen
durch eine durchgängige Leit-
technik erzielt werden. Dem
Automatisierungsgrad sind bei
der Montage produktbedingt
gewisse Grenzen gesetzt. Aufgaben wie das Heben schwerer
Getriebegehäuse oder gar kompletter Getriebe können von
Robotern bewerkstelligt werden.
Viele Montageschritte aber lassen sich gar nicht, oder nur mit
unverhältnismäßig hohem Kostenaufwand automatisieren.
Hier gilt es, dem Monteur die
Arbeit soweit wie möglich zu
vereinfachen und ihn von
arbeitsbegleitenden Tätigkeiten
soweit wie möglich zu befreien.
Das gesamte Montagefeld besteht aus insgesamt fünf Vor-
FACHARTIKEL
systeme, d.h. das Werkstück
wird am gleichen Platz aufgelegt, wo es auch wieder entnommen wird. Dieses Konzept
bietet größere Flexibilität im
logistischen Ablauf, z. B. durch
die Möglichkeit eines zweiten
Umlaufs zur Fehlerbehebung
bei einem beanstandeten Bauteil.
HMI
Bild 2: Werkstück in der Vormontage
montagelinien: Vier Kupplungslinien und einer Linie zur Montage der Ölversorgung sowie
einer Linie für die Endmontage
und einer zusätzlichen Montagelinie für die Allradgetriebe.
Standardgetriebe werden in der
Endmontage fertig gebaut und
dann von einem Roboter zum
Prüffeld transportiert. Allradvarianten werden über eine Pufferstrecke automatisch an die Allradendmontage ausgeschleust.
Die Vormontagen und die Endmontage haben die gleiche Taktzeit, ohne jedoch zwangsläufig
vollständig synchron arbeiten zu
müssen. Kleine Pufferbestände
zwischen Vor- und Endmontage
entspannen den Teilefluss etwas
und sorgen im Fall von Maschinenstörungen dafür, dass die
Endmontage weiterhin produzieren kann. Lediglich der Montagetakt für die Allradgetriebe ist
aufgrund der geringeren Stückzahl zum Rest der Linie gänzlich
asynchron organisiert. Der Teilefluss, die Auslegung der Pufferstrecken und die optimale
Anzahl der Werkstückträger
wurden in der Planungsphase in
einer Simulation bestimmt,
deren Ergebnisse in die Konstruktion der einzelnen Linien
einflossen. Alle Montagelinien
sind prinzipiell gleich aufgebaut.
Die auf Werkstückträgern liegenden oder hängenden Baugruppen durchlaufen nacheinander die einzelnen Stationen,
die durch Transportsysteme miteinander verbunden sind. Diese
Transportsysteme sind Umlauf-
Getriebe:
Die ZF Getriebe GmbH in Saarbrücken ist ein Hersteller von
PKW-Automatgetrieben für Fahrzeuge aller Klassen mit
Heck-, Front- oder Allradantrieb. Gegenwärtiger Höhepunkt der
technischen Entwicklung bei ZF in diesem Bereich sind 6Gang-Automatgetriebe, wie sie z. B. ab 2001 im neuen 7er
BMW eingesetzt werden. Präzise Komponenten wie beispielsweise die Zahnräder werden in der mechanischen Fertigung in
Transferstraßen und flexiblen Bearbeitungszentren direkt am
Standort Saarbrücken hergestellt. Im Bereich Montage entstehen daraus auf Vormontagelinien Baugruppen, welche dann in
der Endmontage zu kompletten Getrieben fertiggestellt werden. Die fertigen Getriebe durchlaufen anschließend in angegliederten Prüffeldern automatische Funktionsprüfungen.
Obwohl die einzelnen Montagelinien von unterschiedlichen
Zulieferern stammen, sind die
Mensch-Maschine-Schnittstelllen alle gleich. Dieser für die
Planung wichtige Punkt wurde
durch die Vorgabe der HMIHardware (Siemens MP370
Touch Panel) und der zu programmierenden Bedienoberflächen erreicht. Während bei den
Vormontagen mittlerweile ein
hoher Automatisierungsgrad
erreicht ist, gibt es bei der Endmontage noch eine große Zahl
von manuellen Arbeitsplätzen.
Einen immer größeren Anteil an
den
Montageoperationen
nimmt das Prüfen und Dokumentieren der Arbeitsschritte
beispielsweise das Anzugsdrehmoment von Schraubverbindungen und die Verfolgung der
verbauten Teile ein. Gefertigt
wird im Losbetrieb. Dabei ist
das System so ausgelegt, dass
unterschiedliche Modellvarianten im Mix ohne Rüstzeit gefertigt werden können. Lediglich
der dadurch bedingte Austausch
der zu montierenden Komponenten nimmt Zeit in Anspruch. Tagesgenau legt die
Logistik morgens den Produktionsplan fest. Der Auftrag
umfasst die Stückliste, die Stükkzahl und den Getriebetyp. Die
Aufträge werden dann in der
angegebenen Reihenfolge abgearbeitet, wobei sich während der
Schicht auch kurzfristig Änderungen ergeben können, falls
beispielsweise Kundenabrufe
berücksichtigt werden müssen.
Leittechnik
„Aufgrund der hohen Anforderungen an die Qualität der
Getriebe, die Variantenvielfalt
und die angestrebte Stückzahl
war die Einführung eines Leitsystems absolut notwendig“,
erläutert Dipl.-Ing. Jörg Kiefer,
der als Projektleiter Montageplanung bei dieser Linie für die
Steuerungs- und Leittechnik
verantwortlich ist. Logistikabteilung, Instandhaltung und Planungsabteilung sollen auf die
Getriebe- und Auftragsdaten
sowie den Status (Automatikbetrieb, Handbetrieb, Störung) der
Montagelinie zugreifen können,
um eine optimale Auslastung
der Linie sicher zu stellen. Die
Logistikabteilung hat ständigen
Zugriff auf den Leitrechner der
Montagelinie und ist so informiert, in welchem Zustand eine
bestimmte Vormontagelinie ist
und welche Baugruppen von
welchem Auftrag bereits gefertigt sind. Die Anbindung der
Leitrechner an das übergeordnete PPS-System gewährleistet
ständig aktualisierte Stücklistendaten, die dem Mitarbeiter vor
Ort typbezogen für das Produkt,
das momentan an seinem
Arbeitsplatz bereit steht, am
Simatic MP370 Touch Panel
angezeigt werden. Verwechslungsgefährdete, d. h. von Typ
zu Typ variierende Anbauteile,
werden noch einmal explizit am
MP370 angezeigt und sind dort
vor Verarbeitung vom Monteur
zu quittieren. Verwechslungsgefährdete Baugruppen müssen
beim Einbau eingescannt werden, das Leitsystem prüft daraufhin die Zugehörigkeit des
Teiles zum aktuellen Getriebetyp. Ein Verbau falscher Teile ist
somit praktisch nicht mehr
möglich. Die Leittechnik ist
somit auch ein wichtiges Instrument für die Qualitätssicherung.
Zentrale Datenhaltung
Fest eingeplant ist eine zentrale
Verwaltung aller notwendigen
Arbeitspapiere, wie Arbeitsanweisungen, Stücklisten und
Prüfanweisungen. Diese werden
zentral auf dem Server abgelegt,
so dass sie von jeder Bedienstation aus abgerufen werden
können. Dies macht die frühe-
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STEUERUNGSTECHNIK
rung. Die Instandhaltung erhält
durch Online-Zugriff Rückmeldung über den Zustand der
Anlage und kann auf Stillstandszeiten reagieren.
Durchgängiges
Systemkonzept
Bild 3: Das Simatic MP370 TP mit einer einheitlichen Bedienoberfläche ist Standard an allen Arbeitsplätzen.
ren Jobzettel mit den Arbeitsfolgekarten und Prüfanweisungen überflüssig. Die Daten lasssen sich bei Veränderungen im
Montageablauf oder bei dem
Modell leichter aktualisieren.
„Als besonderes Highlight werden in einer späteren Planungsstufe ganze Videosequenzen, die Arbeitsfolgen illustrieren, auf dem Werkerterminal
abrufbar sein,“ erläutert Kiefer.
Eine zentrale Verwaltung der
Aufträge, Stücklisten, Baugruppenpuffer und Parameter
der einzelnen Arbeitsstationen
werden möglich. Zur Dokumentation und Qualitätssicherung strebt man eine lückenlo-
se Datenarchivierung zu allen
montierten Getrieben und Baugruppen an. Durch die Leitttechnik lassen sich die Ansprüche an die Qualifikation
der Werker verringern. Er muss
nicht mehr über explizites Wisssen über den jeweiligen Getriebetyp verfügen, sondern die
Tätigkeiten lassen sich weitestgehend auf das Montieren der
vorgegebenen Teile reduzieren.
Die Überwachung des korrekten Ablaufs der Montagetätigkeiten in den Linien kann die
Leittechnik übernehmen. Die
Fertigungsplanung kann die
Abläufe analysieren und hat
Möglichkeiten zur Optimie-
Bild 4: Mit Hilfe der Anlagenbilder ist stets eine aktuelle Darstellung
des Linienzustands möglich, dabei kann aus Bildern mit verschiedenem Detaillierungsgrad gewählt werden.
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Für das Leitsystem erarbeitete
Siemens Saarbrücken in enger
Zusammenarbeit mit ZF das
Konzept, sorgte für die Umsetzung und lieferte den größten
Teil der Hardware-Komponenten und die Software. In Anlehnung an den Standard Solutions
for Powertrain, der sich bei ZF
bereits mehrfach in der mechanischen Fertigung (Transferstraßen) eingesetzt wird wurde die
neue Montagelinie geplant und
realisiert. Großen Wert wurde
dabei auf eine einheitliche Visualisierung und Diagnose an allen
Arbeitsstationen gelegt. Mit dem
Konzept Totally Integrated
Automation von Siemens
erreichte man eine vertikale
Durchgängigkeit von Projektierung, Datenhaltung und Programmierung von der Feldebene
bis hin zur Büroebene. Für alle
Anlagenzulieferer in der Montagelinie war der Simatic-Standard
verbindlich. Alle Montagelinien
besitzen Simatic S7-300-Steuerungen und Simatic MP 370
Touch Panel PCs unter Windows CE als Bedien- und Beobachtungsgeräte an den Handarbeitsplätzen und Automatikstationen. Zusammen mit der
räumlich getrennten Steuergeräte-Montage sind insgesamt etwa
90 dieser Bedien-Panels auf der
Linie verteilt. Alle diese Stationen kommunizieren über Industrial Ethernet mit dem zentralen
Montageleitrechner. Die Verbindung erfolgt über Lichtwellenleiterkabel mit 100Mbit/s Übertragungsrate. Der Montageleitrechner ist ein hochverfügbarer
Primergy-Server von Fujitsu Siemens mit RAID-Festplatten.
Zur Verknüpfung mit den SPSen
wird das Scada-System Simatic
WinCC eingesetzt. Die Erfassung
der Daten auf den WinCC-Stationen erfolgt über eine Applikation, die von Siemens Saar-
brücken entwickelt wurde. Die
Daten werden zentral auf dem
SQL-Server abgelegt. Hohe Verfügbarkeit wird durch redundanten Aufbau und den
Anschluss an eine unterbrechungsfreie Stromversorgung
unterstützt. Der Montageleitrechner ist gleichzeitig auch
über das standortweite Netz mit
den Rechnern von Planung,
Logistik und Instandhaltung
verbunden, die ebenfalls über
WinCC Zugang zu allen Prozessen haben. Über das standortweite Industrial Ethernet
läuft auch die Verbindung zum
Prüflinienrechner und dem
Leitsystem für die FTS sowie
zum FTP-Server. Als Anlagenrechner direkt an der Montagelinie ist ein Simatic Panel PC
670 mit Windows 2000 Professional und WinCC im Einsatz. Die ersten Erfahrungen
mit der Linie sind nach Auskunft von Jörg Kiefer viel versprechend. Auch für die Nachfolgelinien für das Getriebemodell 6HP26 ist das Leittechnikkonzept für eine "Linienführung" fest vorgesehen.
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www.ad.siemens .de
Autor: Josef Schweinsteiger ist
Mitarbeiter der Siemens AG,
Abteilung A&D MC MT 1,
Erlangen.