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STEUERUNGSTECHNIK Getriebeautomatfertigung bei ZF Saarbrücken: Datendurchgängigkeit in der Praxis Bild 1: Hoher Durchsatz auf engem Raum: Endmontagelinie der Automatikgetriebe 6HP19 Halle 7, Stand 414 Die Implementierung einer neuen Montageanlage bedeutet immer auch einen Technologiesprung. Wie man es erreicht hat, bei gleicher Anlagenfläche und Mitarbeiteranzahl die Produktivität zu verdoppeln, zeigt der folgende Beitrag. 116 SPS-Special 2003 Dass alle Theorie grau ist, ist genauso eine Binsenweisheit, wie auch der Satz, dass die Wahrheit auf, oder besser im Feld liegt. Tatsächlich liegt hier aber ein Körnchen Wahrheit verborgen, besonders wenn man an die moderne Industrieautomation denkt, bei der in den letzten Jahren eine ganze Reihe innovativer Konzepte und Technologien entstanden sind, die nun in der betrieblichen Praxis umgesetzt werden müssen. Das SPS-MAGAZIN eröffnet mit dem folgenden Beitrag eine Artikelserie, die sich mit Lösungskompetenz im Betrieb auseinandersetzt. Die Zentrale Fragestellung lautet dabei, welche Probleme mit welchen Technologien überwunden werden können. ösen neue Generationen von Automatikgetrieben alte ab, so ändert sich nicht nur das Produkt, sondern die Linien zur Montage dieser Getriebe müssen auch effizienter arbeiten, um dem zunehmenden Kostendruck der Automobilhersteller gerecht zu werden. In der Praxis führte dies bei der Planung der neuen Montagelinien für 6-Gang-Automatikgetriebe bei der ZF-Getriebe GmbH Saarbrücken zu anspruchsvollen Vorgaben: Verdopplung der Stückzahl auf gleichbleibender Fläche mit gleicher Anzahl an Mitarbeitern. ZF stellt an die Kompaktheit L seiner Anlagen hohe Anforderungen. Auch für den Aufbau der neuen Linie im Werk Saarbrücken stand eine Fläche von ca. 1000m2 für die gesamte Montagelinie zur Verfügung. In der Vergangenheit reichten bei ZF solche Flächen für die Produktion von etwa 200.000 Getrieben pro Jahr. Mit den neuen Getriebemodellen sollen in der Endausbaustufe im Dreischichtbetrieb jedoch die doppelte Menge pro Jahr vom Band laufen. Die beträchtliche Produktionssteigerung kann neben der Erhöhung des Automatisierungsgrades im Wesentlichen durch eine durchgängige Leit- technik erzielt werden. Dem Automatisierungsgrad sind bei der Montage produktbedingt gewisse Grenzen gesetzt. Aufgaben wie das Heben schwerer Getriebegehäuse oder gar kompletter Getriebe können von Robotern bewerkstelligt werden. Viele Montageschritte aber lassen sich gar nicht, oder nur mit unverhältnismäßig hohem Kostenaufwand automatisieren. Hier gilt es, dem Monteur die Arbeit soweit wie möglich zu vereinfachen und ihn von arbeitsbegleitenden Tätigkeiten soweit wie möglich zu befreien. Das gesamte Montagefeld besteht aus insgesamt fünf Vor- FACHARTIKEL systeme, d.h. das Werkstück wird am gleichen Platz aufgelegt, wo es auch wieder entnommen wird. Dieses Konzept bietet größere Flexibilität im logistischen Ablauf, z. B. durch die Möglichkeit eines zweiten Umlaufs zur Fehlerbehebung bei einem beanstandeten Bauteil. HMI Bild 2: Werkstück in der Vormontage montagelinien: Vier Kupplungslinien und einer Linie zur Montage der Ölversorgung sowie einer Linie für die Endmontage und einer zusätzlichen Montagelinie für die Allradgetriebe. Standardgetriebe werden in der Endmontage fertig gebaut und dann von einem Roboter zum Prüffeld transportiert. Allradvarianten werden über eine Pufferstrecke automatisch an die Allradendmontage ausgeschleust. Die Vormontagen und die Endmontage haben die gleiche Taktzeit, ohne jedoch zwangsläufig vollständig synchron arbeiten zu müssen. Kleine Pufferbestände zwischen Vor- und Endmontage entspannen den Teilefluss etwas und sorgen im Fall von Maschinenstörungen dafür, dass die Endmontage weiterhin produzieren kann. Lediglich der Montagetakt für die Allradgetriebe ist aufgrund der geringeren Stückzahl zum Rest der Linie gänzlich asynchron organisiert. Der Teilefluss, die Auslegung der Pufferstrecken und die optimale Anzahl der Werkstückträger wurden in der Planungsphase in einer Simulation bestimmt, deren Ergebnisse in die Konstruktion der einzelnen Linien einflossen. Alle Montagelinien sind prinzipiell gleich aufgebaut. Die auf Werkstückträgern liegenden oder hängenden Baugruppen durchlaufen nacheinander die einzelnen Stationen, die durch Transportsysteme miteinander verbunden sind. Diese Transportsysteme sind Umlauf- Getriebe: Die ZF Getriebe GmbH in Saarbrücken ist ein Hersteller von PKW-Automatgetrieben für Fahrzeuge aller Klassen mit Heck-, Front- oder Allradantrieb. Gegenwärtiger Höhepunkt der technischen Entwicklung bei ZF in diesem Bereich sind 6Gang-Automatgetriebe, wie sie z. B. ab 2001 im neuen 7er BMW eingesetzt werden. Präzise Komponenten wie beispielsweise die Zahnräder werden in der mechanischen Fertigung in Transferstraßen und flexiblen Bearbeitungszentren direkt am Standort Saarbrücken hergestellt. Im Bereich Montage entstehen daraus auf Vormontagelinien Baugruppen, welche dann in der Endmontage zu kompletten Getrieben fertiggestellt werden. Die fertigen Getriebe durchlaufen anschließend in angegliederten Prüffeldern automatische Funktionsprüfungen. Obwohl die einzelnen Montagelinien von unterschiedlichen Zulieferern stammen, sind die Mensch-Maschine-Schnittstelllen alle gleich. Dieser für die Planung wichtige Punkt wurde durch die Vorgabe der HMIHardware (Siemens MP370 Touch Panel) und der zu programmierenden Bedienoberflächen erreicht. Während bei den Vormontagen mittlerweile ein hoher Automatisierungsgrad erreicht ist, gibt es bei der Endmontage noch eine große Zahl von manuellen Arbeitsplätzen. Einen immer größeren Anteil an den Montageoperationen nimmt das Prüfen und Dokumentieren der Arbeitsschritte beispielsweise das Anzugsdrehmoment von Schraubverbindungen und die Verfolgung der verbauten Teile ein. Gefertigt wird im Losbetrieb. Dabei ist das System so ausgelegt, dass unterschiedliche Modellvarianten im Mix ohne Rüstzeit gefertigt werden können. Lediglich der dadurch bedingte Austausch der zu montierenden Komponenten nimmt Zeit in Anspruch. Tagesgenau legt die Logistik morgens den Produktionsplan fest. Der Auftrag umfasst die Stückliste, die Stükkzahl und den Getriebetyp. Die Aufträge werden dann in der angegebenen Reihenfolge abgearbeitet, wobei sich während der Schicht auch kurzfristig Änderungen ergeben können, falls beispielsweise Kundenabrufe berücksichtigt werden müssen. Leittechnik „Aufgrund der hohen Anforderungen an die Qualität der Getriebe, die Variantenvielfalt und die angestrebte Stückzahl war die Einführung eines Leitsystems absolut notwendig“, erläutert Dipl.-Ing. Jörg Kiefer, der als Projektleiter Montageplanung bei dieser Linie für die Steuerungs- und Leittechnik verantwortlich ist. Logistikabteilung, Instandhaltung und Planungsabteilung sollen auf die Getriebe- und Auftragsdaten sowie den Status (Automatikbetrieb, Handbetrieb, Störung) der Montagelinie zugreifen können, um eine optimale Auslastung der Linie sicher zu stellen. Die Logistikabteilung hat ständigen Zugriff auf den Leitrechner der Montagelinie und ist so informiert, in welchem Zustand eine bestimmte Vormontagelinie ist und welche Baugruppen von welchem Auftrag bereits gefertigt sind. Die Anbindung der Leitrechner an das übergeordnete PPS-System gewährleistet ständig aktualisierte Stücklistendaten, die dem Mitarbeiter vor Ort typbezogen für das Produkt, das momentan an seinem Arbeitsplatz bereit steht, am Simatic MP370 Touch Panel angezeigt werden. Verwechslungsgefährdete, d. h. von Typ zu Typ variierende Anbauteile, werden noch einmal explizit am MP370 angezeigt und sind dort vor Verarbeitung vom Monteur zu quittieren. Verwechslungsgefährdete Baugruppen müssen beim Einbau eingescannt werden, das Leitsystem prüft daraufhin die Zugehörigkeit des Teiles zum aktuellen Getriebetyp. Ein Verbau falscher Teile ist somit praktisch nicht mehr möglich. Die Leittechnik ist somit auch ein wichtiges Instrument für die Qualitätssicherung. Zentrale Datenhaltung Fest eingeplant ist eine zentrale Verwaltung aller notwendigen Arbeitspapiere, wie Arbeitsanweisungen, Stücklisten und Prüfanweisungen. Diese werden zentral auf dem Server abgelegt, so dass sie von jeder Bedienstation aus abgerufen werden können. Dies macht die frühe- SPS-Special 2003 117 STEUERUNGSTECHNIK rung. Die Instandhaltung erhält durch Online-Zugriff Rückmeldung über den Zustand der Anlage und kann auf Stillstandszeiten reagieren. Durchgängiges Systemkonzept Bild 3: Das Simatic MP370 TP mit einer einheitlichen Bedienoberfläche ist Standard an allen Arbeitsplätzen. ren Jobzettel mit den Arbeitsfolgekarten und Prüfanweisungen überflüssig. Die Daten lasssen sich bei Veränderungen im Montageablauf oder bei dem Modell leichter aktualisieren. „Als besonderes Highlight werden in einer späteren Planungsstufe ganze Videosequenzen, die Arbeitsfolgen illustrieren, auf dem Werkerterminal abrufbar sein,“ erläutert Kiefer. Eine zentrale Verwaltung der Aufträge, Stücklisten, Baugruppenpuffer und Parameter der einzelnen Arbeitsstationen werden möglich. Zur Dokumentation und Qualitätssicherung strebt man eine lückenlo- se Datenarchivierung zu allen montierten Getrieben und Baugruppen an. Durch die Leitttechnik lassen sich die Ansprüche an die Qualifikation der Werker verringern. Er muss nicht mehr über explizites Wisssen über den jeweiligen Getriebetyp verfügen, sondern die Tätigkeiten lassen sich weitestgehend auf das Montieren der vorgegebenen Teile reduzieren. Die Überwachung des korrekten Ablaufs der Montagetätigkeiten in den Linien kann die Leittechnik übernehmen. Die Fertigungsplanung kann die Abläufe analysieren und hat Möglichkeiten zur Optimie- Bild 4: Mit Hilfe der Anlagenbilder ist stets eine aktuelle Darstellung des Linienzustands möglich, dabei kann aus Bildern mit verschiedenem Detaillierungsgrad gewählt werden. 118 SPS-Special 2003 Für das Leitsystem erarbeitete Siemens Saarbrücken in enger Zusammenarbeit mit ZF das Konzept, sorgte für die Umsetzung und lieferte den größten Teil der Hardware-Komponenten und die Software. In Anlehnung an den Standard Solutions for Powertrain, der sich bei ZF bereits mehrfach in der mechanischen Fertigung (Transferstraßen) eingesetzt wird wurde die neue Montagelinie geplant und realisiert. Großen Wert wurde dabei auf eine einheitliche Visualisierung und Diagnose an allen Arbeitsstationen gelegt. Mit dem Konzept Totally Integrated Automation von Siemens erreichte man eine vertikale Durchgängigkeit von Projektierung, Datenhaltung und Programmierung von der Feldebene bis hin zur Büroebene. Für alle Anlagenzulieferer in der Montagelinie war der Simatic-Standard verbindlich. Alle Montagelinien besitzen Simatic S7-300-Steuerungen und Simatic MP 370 Touch Panel PCs unter Windows CE als Bedien- und Beobachtungsgeräte an den Handarbeitsplätzen und Automatikstationen. Zusammen mit der räumlich getrennten Steuergeräte-Montage sind insgesamt etwa 90 dieser Bedien-Panels auf der Linie verteilt. Alle diese Stationen kommunizieren über Industrial Ethernet mit dem zentralen Montageleitrechner. Die Verbindung erfolgt über Lichtwellenleiterkabel mit 100Mbit/s Übertragungsrate. Der Montageleitrechner ist ein hochverfügbarer Primergy-Server von Fujitsu Siemens mit RAID-Festplatten. Zur Verknüpfung mit den SPSen wird das Scada-System Simatic WinCC eingesetzt. Die Erfassung der Daten auf den WinCC-Stationen erfolgt über eine Applikation, die von Siemens Saar- brücken entwickelt wurde. Die Daten werden zentral auf dem SQL-Server abgelegt. Hohe Verfügbarkeit wird durch redundanten Aufbau und den Anschluss an eine unterbrechungsfreie Stromversorgung unterstützt. Der Montageleitrechner ist gleichzeitig auch über das standortweite Netz mit den Rechnern von Planung, Logistik und Instandhaltung verbunden, die ebenfalls über WinCC Zugang zu allen Prozessen haben. Über das standortweite Industrial Ethernet läuft auch die Verbindung zum Prüflinienrechner und dem Leitsystem für die FTS sowie zum FTP-Server. Als Anlagenrechner direkt an der Montagelinie ist ein Simatic Panel PC 670 mit Windows 2000 Professional und WinCC im Einsatz. Die ersten Erfahrungen mit der Linie sind nach Auskunft von Jörg Kiefer viel versprechend. Auch für die Nachfolgelinien für das Getriebemodell 6HP26 ist das Leittechnikkonzept für eine "Linienführung" fest vorgesehen. ■ 18904 www.ad.siemens .de Autor: Josef Schweinsteiger ist Mitarbeiter der Siemens AG, Abteilung A&D MC MT 1, Erlangen.