Gemeinde - Lust und Frust

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Gemeinde - Lust und Frust
:GLAUBEN
Gemeinde
- Lust und Frust
Die (un)vollkommene Gemeinde
Ich seh´s schon wieder kommen! Die
nächste Frustration mit Ansage. Ein
Herr stiefelt nach dem Gottesdienst
auf mich zu und gratuliert sich. Endlich habe er die Gemeinde gefunden,
in der man ganz nach dem Neuen
Testament lebt und in der er sich
zuhause fühlen kann. Unmittelbar
frage ich mich, wie viele Gemeinden
er schon ausprobiert und inspiziert
hat und was ihn bei uns so sicher sein
lässt? Instinktiv weiß ich auch, dass er
irgendwann bei uns genauso enttäuscht wieder gehen wird, natürlich
nicht ohne etliche schlechte Gewissen
und böse Vorwürfe hinterlassen zu
haben.
I
ch möchte nicht unfair sein. Auch
in meinem eigenen Glaubensleben
hat es die Utopie gegeben, eine
perfekte geistliche Gemeinschaft zu
finden, in der alle meine Bedürfnisse
gestillt werden und die ein reiner Ort
der Liebe und Harmonie ist. Es war
nicht leicht zu begreifen, dass es diese
Art von christlicher Gemeinde auf
Erden nicht gibt, und zu akzeptieren,
dass der Himmel noch warten muss.
Und ich habe eine Menge Gemeinden
zu sehen bekommen .... Am Ende
verrate ich ihnen auch noch, welche
mir am meisten zugesagt hat.
Inzwischen bin ich mit meinen
Urteilen über Gemeinschaften vorsichtig geworden, gemäß der alten
Weisheit: „Wenn du mit einem Finger
auf andere zeigst, zeigen drei Finger
auf dich zurück.“ Ein Blick in die Bibel
fördert ja auch Erstaunliches über die
„heilige“ Gemeinde zu Tage. In der
einen findet man es schick, die Briefe
des Paulus auseinanderzupflücken und
Inhalte zu verdrehen (2. Petrus 3,16).
Das dürfte eindeutig ihre „Verkündi­
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gung des reinen Wortes“ in Frage
stellen. Mit der Liebe sah es auch
nicht überall besser aus, wenn man
„Beißen und Fressen“ (Galater 5,15)
nicht als besonders originelle Zeichen
von Zuneigung betrachten möchte.
Aber bei den ersten Christen, der
Urgemeinde, da muss es doch bestimmt besser ausgesehen haben?!
Doch was liest man? Die Jerusalemer
Christen der ersten Stunden konnten
schwer ignorant sein, wenn es um die
Nöte von Witwen ging, die aus dem
falschen kulturellen Lager stammten
(Apostelgeschichte 6,1). Also nichts
mit perfekter Liebe. Die Liste lässt
sich lange fortsetzen und dabei tönen
mir Sätze im Ohr, die ich immer mal
wieder zu hören bekommen habe:
„Und das sollen Christen sein?“ „Die
haben einfach nicht richtig geglaubt.“
Ein Platz für Sünder
Das Fatale an solchen Aussagen ist,
dass sie ein persönliches Missverständnis über das Evangelium und
die Gemeinde erkennen lassen. Das
Evangelium lädt Sünder ein. Das sind
Menschen, die bis dato keine Chance
gesehen haben, bei Gott irgendwie
gelitten zu sein, weil sie ihre eigene
Unvollkommenheit und ihre Sünden
für den Kontakt mit Gott disqualifizierten. Solche Menschen lädt Jesus
zu Tisch, hat mit ihnen Gemeinschaft
und heißt sie in Gottes Reich willkommen; - das heißt, er liebt sie und hat
sie gern. Das kann er machen, weil er
ihre Sünden auf seine eigene Kappe
genommen hat. Solche Glückspilze,
denen die Entschuldigung geschenkt
wird, sind nun Gottes Kinder und sammeln sich in der Gemeinde.
Das macht sie aber nicht gleich
vollkommen. Jesus hat von ihnen nie
verlangt, zukünftig ein perfekt sündenfreies Leben zu führen. - So was
hätte ich nie selber auch nie versprechen können, denn ich kenne mich
ja -. Jesus ruft Menschen zur Umkehr
und Nachfolge. Er will also, dass sie ihr
Glück in Zukunft darin erkennen und
suchen, sich an ihn zu halten und sich
von ihm führen lassen. Die Gemeinde
ist eine Gemeinschaft von Sündern,
die aus der Gnade Gottes leben und
deren Leiter Jesus der Herr ist. In ihre
unvollkommenen Wesen hat er Heiligen Geist gegossen. Weil der in ihnen
ist, sind sie geheiligt, gehören also zu
Gott, aber sündlos sind sie damit noch
nicht.
Genau darin liegt begründet, warum
eine Gemeinde niemals wie der Himmel sein kann. Sie besteht aus Sündern. Wenn man von einer Gemeinde
Vollkommenheit verlangt, macht man
sie kaputt. Wir verlangen dann mehr
als Jesus verlangte und treiben die
Geschwister in Heuchelei oder in die
Verzweiflung. Die gute Nachricht für
Sünder wird dann umgewandelt in
eine Überforderung für Scheinheilige.
Zweifelhafte
Forderungen
Es sind ja oft sehr zweifelhafte
Forderungen, die ich an die Gemeinde
stelle. Projektionen meiner eigenen
Defizite und Wünsche. Ich werde nicht
genug besucht, nicht ausreichend
beachtet, nicht hinreichend geistlich
versorgt und überhaupt betet man
zu wenig für mich. Weil es mir nicht
gelingt, Mitmenschen zum Glauben
zu bewegen, werfe ich der Gemeinde
vor, nicht genügend zu evangelisieren.
Alles, was mir fehlt, muss die Gemeinde kompensieren. Wir erwarten dann
von Menschen, was nur Gott geben
:GLAUBEN
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kann, nämlich das persönliche Glück.
Wenn schon Ehen daran scheitern,
dass sie mit Glückserwartungen überladen werden, wird eine Gemeinde
davon nicht unbeschadet bleiben.
Paulus findet es nicht richtig, zu viel
von der Gemeinde zu verlangen. Darum ordnet er beispielsweise für Witwen folgendes an: Witwen, die Kinder
und Enkel haben, sollen von diesen
versorgt werden (1. Timotheus 5,4).
D.h. die Gemeinde soll nicht überfordert werden. Dieser Grundgedanke
kann auch auf andere Bereiche übertragen werden. Die Gemeinde muss
nicht alle meine Beziehungswünsche
abdecken, nicht allen intellektuellen
Ansprüchen genügen, nicht meinem
Geltungsdrang entgegen kommen,
nicht meine Vorlieben für Musik berücksichtigen, nicht meinen Wohlstand
sichern. Wenn ich meine Wünsche
in der Gemeinde verwirklicht sehen
möchte, kommt Jesus mit seinen Wünschen wahrscheinlich gar nicht mehr
zum Zug. Ich bin Teil der Gemeinde
um zu geben, was Gott mir gegeben
hat und durch das zu empfangen, was
Gott anderen gegeben hat.
Mit den Erwartungen an einander
verdrängen wir die Erwartungen an
Jesus. Am Ende geht es in Gemeinden
dann nur noch um die Mitglieder, nicht
mehr den Herrn.
Aufbauen statt anklagen
Bild: © V.Potapova, fotolia.com
Mir ist übrigens bei mir selber aufgefallen, dass ich in Phasen, in denen
mich eigene Schuldgefühle plagen,
am schärfsten mit der Gemeinde ins
Gericht gehe. Mir ist dabei zunächst
gar nicht aufgefallen, dass ich auf
diese Weise meine Sünden auf die
Gemeinschaft übertragen wollte,
statt sie Jesus zu bringen. Es entging
mir dabei auch, dass Gott schon den
einen Ankläger der Menschen aus dem
Himmel herausgeworfen hat, den
Satan (Offenbarung 12,10). Sonst hätte
ich wohl einsehen müssen, dass ich
gerade selber zum Ankläger werde.
Im Laufe der Jahre sind mir immer
wieder Christen aufgefallen, die mit
viel Liebe und Ehrlichkeit tragende
Säulen in Gemeinden sind. Sie laufen
nicht gleich weg, wenn es schwierig
wird. Sie ringen mit anderen im Gebet
um ein gutes Miteinander. Sie wollen
glauben, dass Jesus es fertig bringt,
durch unfertige Gemeinschaften
weitere Sünder zum Vater zu bringen.
Sie bauen mit auf und klagen nicht an.
Menschen des Glaubens, die nicht nur
die Probleme sehen, die Charakterschwächen, die Meinungsverschiedenheiten, sondern den Geist. Über jedes
kleinste Wachstum und jeden Fortschritt in der Gemeinschaft freuen sie
sich, ohne größere Ziele aus dem Auge
zu verlieren. Sie richten ihre Erwartungen an Gott, nicht an die anderen
Christen. Es ist eine Lust, mit solchen
Christen zusammen zu sein. An solche
Leute habe ich mich immer gern gehalten und mich erfrischt. Durch ihre
positive Art hat sich auch bei mir die
Liebe zur Gemeinde verstärkt. Ihret-
wegen habe ich durchgehalten, wenn
mich das Genörgel anderer Christen
genervt hat. Denn diese Christen
haben mir wieder Jesus vor Augen
geführt, den Grund, warum wir eine
so bunte Truppe von ausgefallenen
Typen sind. Wir gehören durch Jesus
zu einander, nicht weil sich ein paar
nette Menschen getroffen hätten.
Ehrlich hält zusammen
Nun erklärt sich vielleicht auch,
warum ich folgende Gemeinschaft am
meisten geschätzt habe. Es war eine
kleine Truppe von Alkoholikern, die
beim Blauen Kreuz zusammenkam.
Da hat keiner dem anderen etwas
vorgemacht. Alle waren Sünder wie
sie im Buche stehen und ständig in der
Gefahr, dem Alkohol wieder zu verfallen. Die Ehrlichkeit mit der Schuld und
Versagen offengelegt wurden, machte
es mir leicht, Sünder sein zu dürfen.
Der einfache Glaube, das tägliche
Vertrauen auf Jesus waren echt und
Ausdruck dafür, dass sie sich nicht
schämten, bedürftig zu sein. Das war
der Boden, auf dem die Bereitschaft
gedieh einander anzunehmen und
sich in inneren Kämpfen und praktischen Nöten beizustehen. Eine kleine
Gemeinschaft, die Lust macht, Christ
zu sein und die mit dem unausweichlichen Frust umgehen kann.
Frank Neuenhausen
:P
Frank Neuenhausen ist
Pastoralreferent der EFG
Wuppertal-Ostersbaum
(Else-Lasker SchülerStraße).
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