PFLANZENPRODUKTION Journalismus im grünen Bereich

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PFLANZENPRODUKTION Journalismus im grünen Bereich
PFLANZENPRODUKTION
«Die einzige Frucht,
die noch etwas
abwirft»
Im Bayrischen Jura in
Süddeutschland hat sich ein
Verarbeitungsbetrieb auf
Zucht, Anbau und
Verarbeitung von
Topinambur spezialisiert. Die
grosse Herausforderung liegt
dabei nicht im Anbau,
sondern in der Vermarktung.
von Eveline Dudda
publiziert in "die grüne"
Ausgabe 1 / 2005
J
ohann Brunner schaut besorgt zum
dunklen Himmel während er sein
Werkzeug
zusammenpackt.
Die
Reparatur des Kartoffelvollernters hat Zeit
gekostet. Zeit die er für die Ernte der
Topinambur gebraucht hätte. Es ist
bereits Mitte März und erst seit wenigen
Tagen ist der Boden wieder befahrbar.
„Mit den Bestellungen sind wir 3-4
Wochen im Rückstand“ entschuldigt er
sich „Lange Zeit war der Boden gefroren
und als es endlich trocken genug war
hatten wir ein Problem mit dem Vollernter.
Wenn das Wetter hält wollen wir heute
noch
Pflanzmaterial
ernten“.
Das
Pflanzmaterial, also die Knollen, hat im
Boden überwintert. Spätestens Ende April
sollte es wieder im Boden liegen, dann
jedoch bei Brunners internationaler
Kundschaft.
Zwischen
Pflanzgutgewinnung und Pflanzung liegen nur wenige
Tage für den Versand. Topinambur sind
nur begrenzt lagerbar, eine Herbsternte
ist deshalb nicht empfehlenswert.
Ganzjährige Arbeitsauslastung
Der biologisch bewirtschaftete 120Hektar-Betrieb von Johann Brunner
befindet sich in der Oberpfalz, rund 100
km östlich von Nürnberg, im „Bayrischer
Jura“
Deutschlands.
Der
Topinamburanbau
hat
hier,
im
Gegensatz zum badischen Raum
zwischen Rastatt und Offenburg, keine
Tradition. Trotzdem hat sich Johann
Brunner auf Zucht, Anbau und
Vermarktung
dieses
Sonnenblumen-
Journalismus im grünen Bereich
gewächses spezialisiert. Schon während
seines
landwirtschaftlichen
Studiums
interessierte ihn diese vielfältige Pflanze.
Seit er Mitte der 80-er Jahre eine
Topinamburzucht in der Lüneburger
Heide besuchte ist er auch von der
Verwendung
der
Knolle
für
die
menschliche Ernährung überzeugt. Die
ursprüngliche
Motivation Topinambur
anzubauen entsprang allerdings dem
Bedürfnis die Lohnarbeitskräfte des
damals 200 ha grossen Betriebs im
Winter besser auslasten zu können. Denn
sowohl die Pflanzung als auch die Ernte
der Topinamburknolle findet zwischen
Mitte Oktober und Anfangs Mai statt.
Brunner lacht: „Heute haben wir den
grössten Stress im Winter, ab Mai ist es
eher
gemütlich“.
Rund
30
ha
Topinamburfläche machen den Winter zur
Hochsaison.
Züchtung nicht lukrativ
Johann Brunner wurde bald einmal klar,
dass die vorhandenen Sorten für die
Produktion im Speisebereich Mängel
aufwiesen. Also begann er 1992 die
Topinambur züchterisch zu bearbeiten. In
erster Linie um möglichst grosse und
glatte Knollen zu produzieren, in zweiter
Linie um die Erntesaison durch Sorten mit
unterschiedlichem
Reifezeitpunkt
zu
verlängern. Inzwischen sind über 200
Stämme in seinem Zuchtgarten zu
finden. Heute bietet seine TopinamburSaatzucht vier zugelassene Sorten an:
„Topstar“,
eine
frühe,
für
die
Konservenherstellung geeignete Sorte;
„Gigant“ eine mittelfrühe Sorte mit
grossen,
rundlichen
Knollen
für
Speiseware; die „Völkerroder Spindel“
mit hohem Krautertrag und guter
Futtereignung sowie die mittelspäte,
krautreiche, rote Sorte „Lola“. Obwohl
Brunner als Züchter in Europa praktisch
konkurrenzlos ist lässt sich mit
Topinambur-pflanzgut nicht das grosse
Geld verdienen: „Wer einmal Pflanzgut
kauft kann dieses so problemlos selbst
vermehren dass er es in den meisten
Fällen auch macht“ stellt Brunner
nüchtern fest.
Vom Armeleuteessen zum
„Functional Food“
Die Topinambur wurde im 17-ten
Jahrhundert
an
den
Fürstenhöfen
Frankreichs als Delikatesse genossen,
verbreitete sich anschliessend in ganz
Europa und rettete in Notzeiten dank ihrer
Wüchsigkeit viele Menschen vor dem
Verhungern. Zum „Dank“ wurde sie zum
Armeleuteessen und als Viehfutter
abgestempelt. Von diesem Image erholt
sich die Knolle langsam. In den letzten
Jahren findet sie zunehmend Beachtung
in der kalorien- und gesundheitsbewussten Ernährung und wird auch als
Delikatessgemüse verwendet. In den
USA ist
Topinambur
derzeit
als
„Functional Food“ im Aufwärtstrend.
Topinambur
gehört
zu
den
kaliumreichsten Gemüsearten die es gibt
und enthält viel Eisen aber auch Vitamine
Journalismus im grünen Bereich . Eveline Dudda . Krans-Lachenstrasse 69 . CH 9452 Hinterforst . Telefon 0041-71-755 73 09 . [email protected]
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«Die einzige Frucht,
die noch etwas
abwirft»
sowie
wertvolle
sekundäre
Pflanzeninhaltsstoffe.
Der
hohe
Inulingehalt (nicht Insulin!) der Knolle
sorgt zu Recht für die Bezeichnung
„Diabetikerkartoffel“, denn Inulin wird zum
grössten
Teil
in
Fruchtzucker
umgewandelt
und
deshalb
von
Diabetikern besonders gut vertragen. Der
Gehalt an Inulin ist sortentypisch, er kann
aber ganz wesentlich vom Erntezeitpunkt
beeinflusst werden.
Premium Speiseware im
Hochpreissegment
Brunner hat sich mit der Produktion von
Premium Speiseware aus Topinambur
einen
Namen
gemacht.
Ausser
erntefrischen Knollen produziert er
Konserven. Denn zwischen Mai und
September steht keine Frischware zur
Verfügung. Die süss-sauer eingelegte
Topinambur erhielt im Jahr 2000 den
Spezialitätenpreis
der
Centralen
Marketing-Gesellschaft der deutschen
Agrarwirtschaft (CMA). Derzeit ist die
Produktion von Chips aus Topinambur in
der Test-Endphase, wobei sowohl eine
Variante in Fett gebacken als auch fettfrei
geprüft wird. Brunners stellen auch Sirup
aus Blüten her, experimentierten mit Tee
aus Blättern, mit Lebkuchen und vielem
mehr. Ein Kochbuch von Brunners Frau
Brigitte
führt
die
vielfältigen
Einsatzmöglichkeiten in der Küche auf
und ist bereits in zweiter Auflage
erschienen.
Die
Vermarktung
der
Topinambur erfolgt zum grössten Teil
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direkt. 30 bis 40 Päckchen werden täglich
zur
Post
gebracht.
Zahlreiche
Bestellungen erfolgen via Internet, es
werden auch Läden, Händler und
Verarbeiter beliefert.
Topinambur als Maisersatz für
Biobauern
Nicht nur für die menschliche sondern
auch für die tierische Ernährung kann
die Wunderpflanze verwendet werden.
„Topinambur ist gerade im ökologischen
Anbau als Maisersatz interessant“ ist
Biobauer Brunner überzeugt „Wenn
man das Kraut im optimalen Zeitpunkt
erntet sind die NEL-Werte mit denen
von Mais vergleichbar!“ Allerdings muss
man sich für eine der beiden
Nutzungen entscheiden: Kraut oder
Knolle. Beides geht nicht! „Auf den
nicht tief bearbeitbaren Böden ernte ich
während 3-4 Jahren nur das Kraut.
Danach lösche ich die Topinambur mit
einer Kleegras- oder Luzerneeinsaat
bei
der
ich
den
Durchwuchs
konsequent nicht höher als 20 cm
werden lasse damit die Wurzel sich
erschöpft.“ Auf diese Weise kommt
Brunner mit dem Problem des
Durchwuchses gut zurecht.
Seit 5 Jahren lässt Brunner in einer
Grastrocknerei aus dem jungem, frischen
Kraut der Topinambur Pellets herstellen
welche er unter der Bezeichnung „Topis“
eimer- und sackweise verkauft. Topis wird
als Futterergänzung für Pferde aber auch
für Chinchillas, Kaninchen und andere
Kleintiere angeboten und erfreut sich
zunehmender Beliebtheit, vor allem
wegen seiner gesundheitsfördernden
Wirkung.
Internationale Tagung geplant
Weil Topinambur der Zuckermarktordnung
unterliegt
müssen
Topinamburproduzenten in Europa derzeit auf die EUAnbauprämie von 300 Euro pro Hektar
verzichten - ab 2005 soll sich das jedoch
ändern und die Prämie von der Bindung
an die Fruchtart gelöst werden. Der
Prämienverlust ist in klimatisch weniger
geeigneten Gebieten trotzdem kein
Kriterium, denn der Aufwand und
Kapitalbedarf für den Topinamburanbau
ist gering. „Topinambur ist die einzige
Frucht bei uns, die noch was abwirft“
fasst Brunner die ökonomische Seite
zusammen.
Ob als nachwachsender Rohstoff für die
Biogasgewinnung,
zur
Zellulosegewinnung, für biologisch-abbaubare
Tenside, als Füllstoff im Fastfood-Sektor
oder
als
Sichtschutzhecke
im
Hausgarten: die Einsatzmöglichkeiten von
Topinambur sind nahezu unendlich. Kein
Wunder ist Brunner immer noch von der
vielseitigen Pflanze fasziniert: „Ich lasse
gerade
ein
Buch
aus
dem
amerikanischen übersetzen das sich mit
der Heilwirkung der Topinambur befasst.
Das ist wahnsinnig interessant.“ Seine
Zukunftspläne
sehen
vor,
eine
internationale Tagung mit TopinamburSpezialisten durchzuführen. Falls die
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«Die einzige Frucht,
die noch etwas
abwirft»
Finanzierung sichergestellt werden kann
soll diese bereits im Herbst 2004
stattfinden.
Weitere Informationen:
Saaatzucht Brunner, Direktverkauf
von Topinamburprodukten:
www.topis.de
Ein Sonderheft „Topinambur - Anbau
und Verwertung“ der Landesanstalt
für Pflanzenbau (LAP) kann via
Internet heruntergeladen werden:
www.landwirtschaft-mlr.badenwuerttemberg.de/la/lap/
Topinambur
Topinambur ist eine Sonnblumenart,
welche
anfangs
des
17-ten
Jahrhunderts aus Amerika nach
Europa gelangte. Die Kurztagspflanze kann bis zu 4 m hoch
werden. Die Knollen sind frosthart bis
-30° und für eine längere Lagerung
nicht geeignet.
Topinambur wird in Deutschland
zwischen Rastatt und Offenburg
hauptsächlich
zur
Schnapsherstellung angebaut, in anderen Teilen
Deutschland findet sie Einsatz als
Wildacker und Viehfutter. Dabei
eignet sich die Knolle durchaus auch
als „Functional Food“ weil ihr
gesundheitlicher
Wert
den
Journalismus im grünen Bereich
ernährungsphysiologischen
übersteigt.
Nutzen
Anbau und Pflege
Der Anbau ist einfach und wird mit
der herkömmlichen Kartoffeltechnik
bewerkstelligt. Die Pflanzen sind
gesund und konkurrenzstark und
erfordern keine besondere Pflege,
Unkraut
überwachsen
sie
problemlos. Der Vorfruchtwert ist gut,
der Nährstoffentzug trotz hohem
Masseertrag mittel, sie braucht
jedoch genügend Wasser in der
Hauptwachstumsphase. In trockenen
Sommern wie 2003 sind massive
Ertragseinbussen zu erwarten (rund
50%). Die Ernte der Knollen erfolgt
den ganzen Winter hindurch. Der
Ertrag liegt bei bei 40 bis 50 t
Knollen und 50 bis 70 t Kraut pro
Hektar. Auch im Hausgarten kann die
dekorativeTopinambur
erfolgreich
angebaut werden – sofern man ihr
genügend Platz einräumt.
Trotz hohem
Deckungsbeitrag
Schattendasein in der
Schweiz
Allein in Baden-Württemberg werden
rund 400 ha Topinambur angebaut
und es wird erwartet, dass die Fläche
in den nächsten Jahren wesentlich
vergrössert
wird.
An
der
Landesanstalt für Pflanzenbau in
Forchheim (LAP) werden 65 Sorten
gepflegt. Untersuchungen des LAP
zur
Wirtschaftlichkeit
des
Topinamburanbaus
bescheinigten
nicht nur allgemein einen hohen
Deckungsbeitrag,
im
Vergleich
ausgewählter
Marktfrüchte
des
Ackerbaus lagen die unscheinbaren
Knollen im Jahr 2001 sogar an erster
Stelle!
Unsere
österreichischen
Nachbarn halten ebenfalls einiges
von der Knolle: in landwirtschaftlichen Schulen gehört die Kultur von
Topinambur zum Pflichtstoff.
In der Schweiz führt die Topinambur
dagegen ein Schattendasein, obwohl
die Anbauvoraussetzungen für die
anspruchslose
Kultur
gegeben
wären. Nur drei Hektar Anbaufläche
sind offiziell registriert. Knapp zwei
Tonnen Ernte wurden im letzten Jahr
bei der Schweizerischen Zentralstelle
für Gemüsebau gemeldet. Der
Anbau erfolgt im Seeland aber auch
im Jura (z.B. zur Sprossenproduktion) und in kleinem Umfang
bei Biobauern und –gärtnern im
ganzen Land. Die hellbraunen bis
rotschaligen Knollen sind den Winter
über auf wenigen Wochenmärkten, in
Feinkostläden,
Reformhäusern,
Bioläden oder im Direktverkauf ab
(Bio-) Hof erhältlich. ED
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