Endokrin und metabolisch bedingte Komazustände.

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Endokrin und metabolisch bedingte Komazustände.
Klinische und Experimentelle
Notfallmedizin 2
Reihenherausgeber
K. Czech, Wien; P. Dangel, Zürich; A. W. de Pay, Lübeck;
H.-P. Schuster, Hildesheim; P. Sefrin, Würzburg
Wissenschaftlicher Beirat:
M. von Clarmann (München), A. Dönhardt (Hamburg), R. Dölp (Fulda),
G. H. Engelhardt (Köln), W. F. Henschel (Bremen), G. Kleinberger (Wien),
R. Ritz (Basel), F. W. Schildberg (Lübeck), H. Vollmar (Aachen)
W. Zuckschwerdt Verlag München • Bern • Wien
Lübecker Notfallsymposion 1983
Die unklare
Bewußtlosigkeit
- interdisziplinäre Aspekte Bandherausgeber:
A. W. de Pay, J. Dageförde, B. Neundörfer, P. C. Scriba
112 Abbildungen und 153 Tabellen
W. Zuckschwerdt Verlag München • Bern • Wien
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Die unklare Bewußtlosigkeit: interdisziplinäre Aspekte /
Lübecker Notfallsymposion 1983.
Bd.-Hrsg.: A. W. de Pay ... - München ; Bern ; Wien : Zuckschwerdt 1984.
(Klinische und experimentelle Notfallmedizin ; 2)
ISBN 3-88603-085-7
NE: Pay, Arno W. de [Hrsg.]; Lübecker Notfallsymposion (1983); GT
Univerittäts-
B'bliothek
Manchen
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© Copyright 1984 by W. Zuckschwerdt Verlag GmbH. Kronwinklcr Stralie 24. D-8000 München 60. Printed in Germany
by Stclzl-Druck München.
ISSN 0176-1765
ISBN 3-88603-085-7
Inhalt
Vorwort
IX
Allgemeine Grundlagen
von Cramon, D. (München): Die neuronalen und neurohumoralen Voraussetzungen
des Bewußtseins
3
Sprick, C. (Düsseldorf): Terminologie bewußtseinsgestörter Zustände
13
in der Beeck, M. (Schleswig): Handlungsfähigkeit und Bewußtseinsstörung
22
Lippen, H.-D. (Blaustein): Rechtliche Aspekte bei der präklinischen Behandlung
bewußtloser Patienten
26
Rossi, R. und Ahnefeld, F.W. (Ulm): Schritte zur Differenzierung unterschiedlicher
Komaformen
34
Dageförde, J.; Weitbrecht W.-U. und de Pay, A.W. (Lübeck): Beurteilung von Bewußtseinsstörungen
40
Zerebrale Anfälle
Neundörfer, D. (Lübeck): Differentialdiagnose der epileptischen und nichtepileptischen
Anfälle
47
Schönle, P.W. (Göttingen): Zur Bedeutung von Etomidat in der neurologischen
Intensivbehandlung des Status epilepticus
57
Kömpf, D. (Lübeck): Das EEG in der Differentialdiagnose der Bewußtseinsstörungen
60
Prange, H.W. undMeinck, H.-M. (Göttingen): Der Einfluß narkotischer Medikamente
auf das Hirnstrombild Bewußtloser
71
Zerebrale Durchblutungsstörungen
Schirmer, M. (Düsseldorf): Bewußtseinsstörungen bei zerebralen Blutungen und
Durchblutungsstörungen
85
Bollensen, E. und Prange, H.W. (Göttingen): Die Rolle der enzymchemischen Liquoruntersuchungen (Adenylatkinase) in der Frühdiagnostik ausgeprägter Hirninfarkte
98
Anstatt, T.; Stober, T.; Sen, S.; Freier, G.; Rettig, 6. und Schimrigk, K. (Homburg/Saar):
Differentialdiagnostische und therapeutische Probleme durch kardiale Komplikationen bei intrazerebralen Blutungen
102
Marx, P. (Berlin): Bewußtseinsstörungen bei Hirndrucksteigerung
109
Schirmer, M. (Düsseldorf): Hirntumoren - eine seltene Ursache für Bewußtlosigkeit
124
V
Traumatologic
Sefrin, P. (Würzburg): Diagnostik und Therapie der Bewußtseinsstörung Verletzter
unter Alkoholeinfluß
133
Kalbe, P.; Lobenhoffer, P. und Echtermeyer V. (Hannover): Notfallmanagement bei
Schwerverletzten mit Schädel-Hirn-Trauma
140
Sobirey, Ch. (Hamburg): Aspekte der BehandlungsFührung in der Initialphase bei
polytraumatisierten Schädel-Hirn-Verletzten
148
Pfenninger, E. und Mehrkens, H.H. (Ulm): Möglichkeiten und Grenzen der Oberkörperhochlagerung beim Transport von Patienten mit akutem Schädel-Hirn-Trauma.. 152
Moecke, HP.; Dürner, P. und Domres, B. (Hamburg, Stuttgart, Tübingen): Langstreckentransport von Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma in Ambulanzflugzeugen
156
Laumer, R. und Buchfelder, M. (Erlangen): Das chronisch subdurale Hämatom als
Differentialdiagnose bei unklarer Bewußtlosigkeit
164
Singbartl, G. und Junker, Ch. (Bochum, Recklinghausen): Analyse der ärztlichen Notfallversorgung neurotraumatisierter Patienten
169
Internistische Differentialdiagnose
Scriba, P.C. (Lübeck): Endokrin und metabolisch bedingte Komazustände
185
Schatz, H. (Gießen): Diagnostik und Therapie des Coma diabeticum
192
Landgraf, R. (München): Differentialdiagnose des hypoglykämischen Komas
202
Forster, J. und Suchenwirth, R.M.A. (Kassel): Hyperkalzämisches Koma als Folge
hochdosierter Vitamin-D-Therapie
216
Brunner, G. (Hannover): Bewußtseinsstörungen beim akuten und chronischen Leberversagen
219
Scherer, B. (München): Bewußtseinsstörungen bei chronischer Niereninsuffizienz 227
Thies, E. und de Pay, A.W. (Lübeck): Bewußtseinsstörungen bei intestinalen
Blutungen
233
Büttner, J.; Voeltz, P.; Herden, H.-N. und Thieme, E. (Hamburg): Die Treffsicherheit der
präklinischen Differentialdiagnose des Komas im Notarztdienst
238
Unterkühlung, Ertrinken
Hirsch, W.-D. (Augsburg): Differentialdiagnostische Probleme und Primärtherapie
bei unterkühlten, bewußtlosen Notfallpatienten
243
Koch, P. (Cuxhaven): Probleme und Möglichkeiten der präklinischen Versorgung bei
Seenotfällen
252
König, H.-J. und Krähling, K.H. (Münster): Zur Differentialdiagnose unklarer Bewußtseinsstörungen nach Schwimmen und Tauchen
258
Allgemeine Therapie
Gorgaß, B. und Driessen, A. (Solingen): Medikamentöse Vertiefung der Bewußtlosigkeit
zur Sicherung der Vitalfunktionen
265
Klöss, Th. undJungck, E. (Tübingen): Sedierung mit Althesin zur Intubation und Beatmung des bewußtseinsgestörten Notfallpatienten
274
Kempe, W. (Goslar): Primärversorgung von Risikopatienten im Kindesalter
282
VI
Intoxikation
Zilker, Th.; von Clarmann, M. und Socher, E. (München): Asservation und dringliche
Therapie der Intoxikationen am Notfallort, insbesondere bei Psychopharmaka-,
Schlafmittel-und Alkoholintoxikationen
287
Okonek, S. (Mainz): Notärztliche Maßnahmen bei Kohlenmonoxid (CO)-, Zyanid
( C N > und Alkylphosphatvergiftungen
301
Munkel, H. (Lübeck): Ursachen, Diagnose und Behandlung des zentralanticholinergischen Syndroms
317
Schneck, HJ.; Tempel, G. und v. Hundelshausen B. (München): Die unklare Bewußtlosigkeit durch das medikamentös bedingte zentralanticholinerge
Syndrom (ZAS)
324
Mall, K. (Quakenbrück): Unklare Bewußtlosigkeit als Folge von Blutungen unter
Antikoagulantientherapie
329
Ibe, K. (Berlin): Die Bewußtseinsstörungen bei Betäubungsmittelabhängigen Probleme in der präklinischen und ersten klinischen Versorgung
335
VII
Endokrin und metabolisch bedingte Komazustände
P.C. Scriba
Klinik für Innere Medizin, Medizinische Hochschule Lübeck
Die direkt auf endokrine oder metabolische Funktionsstörungen zurückzuführenden Bewußtseinsstörungen sind in den größeren Rahmen der endokrin-metabolisch bedingten Enzephalopathien einzuordnen (4,5). Wenn auch der Nachweis
der Kausalverknüpfung zwischen Endokrinologie und neurologisch-psychopathologischer Symptomatik im Einzelfall nicht immer sicher möglich ist, so kann
doch keinerlei Zweifel daran herrschen, daß es Bewußtseins- und Orientierungsstörungen als eine Form der körperlich begründbaren Psychosen (Tabelle I) gibt.
Und auf diese endokrin-metabolisch bedingten Bewußtseinsstörungen haben wir
uns trotz aller neurologischen Abgrenzungsschwierigkeiten heute zu konzentrieren.
Aber auch in pathophysiologischer Hinsicht stellt sich die Beziehung zwischen
Endokrinologie und Bewußtseinsstörung als vielschichtig dar. Bekannt sind beispielsweise die vielfältigen endokrinen Sekundärveränderungen in den verschiedenen Phasen des Schocks (3). Wir können umgekehrt bei den primären endokrin-metabolischen Krisen solche mit dominierender Schocksymptomatik, wie
z.B. akute primäre Nebennierenrindeninsuffizienz oder HypophysenvorderlapTabelle I. Endokrin-metabolisch bedingte Enzephalopathien. Neurologisch-psychopathologische Symptomatik nach Bleuler (S).
1. Körperlich begründbare Psychosen
Bewußtseins- und Orientierungsstörungen, Durchgangssyndrom,
zerebrale Krampfanfälle (sog. Gelegenheitskrämpfe),
delirante, paranoid-halluzinatorische Bilder (akut und chronisch)
2. Zerebrale Herdsymptome
z.B. Hemiparesen, Jackson-Anfälle
3. »Endokrines« Psychosyndrom
Störungen von Stimmung, Triebhaftigkeit und Intellekt
4. Diffuse organische Hirnschädigung (Defekt-Syndrom, Demenz)
anamnestisches Psychosyndrom (chronisch)
185
Tabellen. Endokrin-metabolische Krisen, aus (2).
Überfunktion
thyreotoxische Krise
akutes Cushing-Syndrom
hyperkalzämisehe Krise
hypertone Krise
Hypoglykämiesyndrom
Apudome (z.B. Vipoma)
Unterfunktion
Myxödemkoma
Addison-Krise
hypophysäres Koma
(akute HVL-Insuffizienz)
kritischer Diabetes insipidus
akuter Hypoparathyreoidismus
Tetanie (DD!)
Coma diabeticum (3 Formen!)
peninsuffizienz unterscheiden von Krisen mit akzessorischer, d.h. später einsetzender oder in der Regel fehlender Schocksymptomatik (3). Die pathophysiologischen Mechanismen, die in diesen Zuständen zur Bewußtseinsstörung führen,
sind sowohl zirkulatorischer als auch metabolischer Natur, ohne daß sie sich im
Einzelfall immer besonders scharf abgrenzen ließen.
Es gibt noch eine dritte, grundsätzlich wichtige Beziehung zwischen Endokrinologie und Bewußtseinsstörung. Bewußtseinsstörungen sind nicht nur als Folgen der
endokrin-metabolischen Krisen wichtig. Sie können diese auch ankündigen.
Selbst dem Erfahrenen kann es schwerfallen, bei bekannter schwerer endokriner
Funktionsstörung die Frage zu entscheiden, ob es sich um eine lebensbedrohliche
Exazerbation handelt. Diese Frage ist deswegen so wichtig, weil von ihr die Entscheidung abhängt, ob man von der Normalbehandlung der endokrinen Funktionsstörung auf die intensivere Krisenbehandlung umschalten muß (1,5). Bei dieser Fragestellung hat sich neben anderem das Elektroenzephalogramm bewährt.
Gezeigt werden diffuse Allgemeinveränderungen, vor allem in der Form der langsamen Deltawellen, bei einer Patientin, die eine Hyperkalzämie von 7,9 mval, das
sind knapp 4 mmol/1, aufwies. Mit der therapiebedingten Senkung der Kalziumwerte normalisierte sich das Elektroenzephalogramm. Entsprechende unspezifische EEG-Befunde sind auch von uns (5) wiederholt, z.B. bei thyreotoxischer Krise, bei Nebennierenrindeninsuffizienz und bei Hypoglykämie (Tolbutamidtest!)
beschrieben worden. Das Entscheidende ist, daß das Elektroenzephalogramm das
Vorliegen einer zerebralen Beteiligung, d.h. einer metabolisch bedingten Enzephalopathie, anzeigen kann, bevor die Bewußtseinsstörung klinisch diagnostizierbar wird. Das EEG kann auf diese Weise frühzeitig bestätigen, daß es sich tatsächlich um eine potentiell lebensbedrohliche Verschlechterung einer prinzipiell bekannten endokrinen Funktionsstörung handelt.
Am Notfallort werden Arzt und Rettungssanitäter wohl erst nach Bona-fide-Aus186
Schluß der anderen, viel häufigeren Ursachen von Bewußtseinsstörungen an die
grundsätzlich gut behandelbaren endokrin-metabolischen
Krisen zu denken haben. Prinzipiell lassen sich dieselben in lebensbedrohliche Überfunktions- oder
Unterfunktionszustände (Tabelle II) einteilen. Bewußtseinsstörungen bis zum
Koma spielen bei allen der hier genannten lebensbedrohlichen endokrin-metabolischen Krisen, allerdings in unterschiedlichem Ausmaße, eine Rolle.
Die engere Differentialdiagnose der verschiedenen möglicherweise zugrundliegenden endokrin-metabolischen Erkrankungen muß am Notfallort, aber auch
nach Eintreffen in der Klinik zunächst mit den klinischen Symptomen und fremdanamnestischen Angaben (1) auskommen.
Diese ganze Differentialdiagnose (Tabellen III bis VIII) ist für den Notarzt nur
deswegen wichtig, weil es drei Situationen gibt, in denen er am Notfallort neben
der Aufgabe der Erhaltung der Vitalfunktionen spezifische Maßnahmen durchführen muß. Es sind dies die von mir nicht darzustellenden Formen des Coma diabeticum (vgl. H. Schatz) und das Hypoglykämiesyndrom (vgl. R. Landgraf) sowie
die Addison-Krise (2,3). Addison-Krise und auch hypophysäres Koma verlangen
1. Entnahme einer Blutprobe, 2. intravenöse Injektion von 25 mg Prednisolon oder
Äquivalent, 3. sofortige Einweisung als Notfall (Tabelle IX), wobei mir aus zeitlichen Gründen erspart sei, auf die Intensivtherapie mit Volumenersatz, Kortisolsubstitution, Glukosezufuhr und Schocktherapie hier einzugehen.
Noch ein Wort zu den am Notfallort abzunehmenden Blutproben. Aus meiner
Sicht wäre es höchst begrüßenswert, wenn der Notarzt prinzipiell bei jedem Notfall sofort nach Sicherung der Vitalfunktionen oder schon während dieser Maßnahmen eine Blutprobe gewinnt, die er dem Kranken mit in das weiterversorgende
Krankenhaus gibt. Diese Ausgangsblutproben sind für die Differentialdiagnose,
Tabelle III. Thyreotoxische Krise, aus (1).
Lebensbedrohliche Verstärkung der Hyperthyreose-Zeichen, d.h.
neurologisch-psychiatrische Symptome:
muskuläre Adynamie mit Beteiligung der Schluck- und Atemmuskulatur (Cave: Aspiration)
verwaschene (pseudobulbäre) Sprache,
motorische Unruhe im Wechsel mit apathischen Phasen, delirante Zustandsbilder mit
örtlicher und zeitlicher Desorientiertheit, Somnolenz und Koma;
Hyperthermie bis über 40, Sinustachykardie, Exrasystolie, Vorhofflimmern, Kammertachykardie, Blutdruckerhöhung mit großer Druckamplitude (> 60 mmHg).
Differentialdiagnostisch wichtige Hinweise auf einen M. Basedow können das Vorhandensein einer schwirrenden Struma oder einer Ophthalmopathie geben; bei einer
uninodösen Struma wird man eher an ein autonomes Adenom denken.
187
Tabelle IV. Myxödemkoma, aus (1).
Zeichen des chronischen Schilddrüsenhormonmangels, d.h. Blässe, trockene schuppige
Haut, rauhe Haare, Makroglossie, verlangsamter ASR, und ferner Somnolenz/Koma,
Hypothermie (Spezialthermometer!), Sinusbradykardie, Kardiomegalie (Perikarderguß,
alveoläre Hypoventilation, Hyperkapnie, Hyponatriämie (inadäquate ADH-Sekretion?)
Tabelle V. Addison-Krise, aus (1).
Zeichen der primären Nebennierenrindeninsuffizienz, d.h. Pigmentierung, Verminderung der axillären Behaarung bei Frauen, Kachexie (Gewichtsabnahme), und ferner
extreme Adynamie, Muskelschmerzen, Hypotension, Hyponatriämie, Erbrechen, Exsikkose, »akutes Abdomen«, Oligurie, Anurie, Hypothermie, final in Fieber übergehend,
zerebrale Krampfanfälle, final Koma.
Tabelle VI. Hypophysäres Koma, aus (1).
Bei der kritischen Verschlechterung einer Hypophysenvorderlappeninsuffizienz dominiert die akute sekundäre NebennierenrindeninsufTizienz; typisch sind dabei Pigmentarmut und die Zeichen des chronischen Hypogonadismus. Eine gleichzeitige kritische
sekundäre Hypothyreose haben wir nur in wenigen Einzelfällen gesehen. Wichtig ist es
aber, an die Möglichkeit einer apoplektiformen Blutung in das bestehende Hypophysenvorderlappenadenom zu denken (Kontrolle des Visus, Liquorbefund).
Tabelle VII. Diabetes insipidus, aus (1).
Der Patient mit idiopathischem oder symptomatischem Diabetes insipidus bei hypothalamisch-hypophysären Erkrankungen ist immer dann von einer kritischen Verschlechterung bedroht, wenn die spontane Flüssigkeitsaufnahme zum Beispiel durch
Bewußtseinsstörung, Unfälle, Operationen etc. nicht ausreicht. Bei fortbestehender Polyurie droht rasch eine hypertone Dehydratation mit deliranten Bewußtseinsstörungen,
Hyperpyrexie, Oligoanurie und schließlich Kreislaufversagen. Aus verständlichen anatomischen Gründen ist an das gleichzeitige Vorliegen einer HVL-Insuffizienz zu denken.
Tabelle VIII. Hyperkalzämische Krise, aus (1).
Übelkeit, Erbrechen, Polyurie, Exsikkose, später Oligoanurie, Adynamie, »Tetraplegie«,
psychotische Bilder, Bewußtseinsstörungen, Koma.
188
Tabelle IX. Therapie der Addison-Krise, aus (3).
Notarzt - Hausarzt
- Blutprobe für spätere Kortisol- (und ACTH-?) Bestimmung entnehmen, mitgeben
- i.v. Injektion von 25 mg Prednisolon oder Äquivalent
- sofortige Einweisung als Notfall
Klinik
- Volumenersatz: 3-4 1 0,9% NaCl-Lösung in den ersten 4-6 Stunden;
danach gezielte Elektrolytsubstitution.
- Kortisolsubstitution: 100 mg Hydrokortison® i.v. oder (falls alkoholische Lösung)
schnell per infusionem; danach ca. 10 mg Kortisol pro Stunde! Langsam reduzieren
(s.u.). Falls nur synthetische Glukokortikoide verfügbar, mit 1-3 mg Aldosteron
kombinieren.
- Glukosezufuhr: 50 ml 50% Glukose i.v..; danach 5% Glukose per infusionem.
- ggf. Schocktherapie: Albumin, Katecholamine (?).
Auslösende Ursachen bekämpfen!
Erhöhte Substitutionsdosis bis zur »Gesundung«!
S
Thyreotoxische Krise
Myxödemkoma
Primäre NNR-InsufTizienz
Akutes Cushing-Syndrom
Akute HVL-InsufTizienz
Kritischer D. insipidus
Hyperkalzämische Krise
Tetanischer Anfall
Hochdruckkrise
Hypoglykämie
Coma diabeticum (3 Formen)
+
+
++
+
+
+
++
++
++
+
+
+
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+ +
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Izium
Tabelle X. Notfall-Screening durch Sofortbestimmungen, aus (1).
O X
+
+
+
+
++ +
die Prognose und die weitere Behandlung von größter Wichtigkeit. Im speziellen
Fall der endokrin-metabolisch bedingten Bewußtseinsstörungen können wir
unterscheiden zwischen 1. sofort vom Notfallabor in jedem Fall zu ermittelnden
Meßgrößen (Tabelle X) und 2. speziellen Hormon- und Stoffwechselanalysen, die
gezielt angefordert werden (1). Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang als Bei189
spiel aus Tabelle X nur die Kalziumbestimmung anführen, weil eine hyperkalzämische Krise (Tabelle VIII) allein klinisch wohl niemals diagnostiziert werden
kann.
Mehr für das weiterversorgende Krankenhaus ist dieses »oberste Gesetz« formuliert worden (1): Es ist ein Fehler, bei klinischem Verdacht auf eine endokrin-metabolische Krise mit der gezielten Behandlung zu warten, bis die endgültige Sicherung durch Laboratoriumswerte, speziell Hormonanalysen, vorliegt. Uneingeschränkt gilt diese Regel für die thyreotoxische Krise, das Myxödemkoma, die
akute Nebennierenrindeninsuffizienz, das hypophysäre Koma, den tetanischen
Anfall und die Hypoglykämie; mit Einschränkungen gilt sie auch für die übrigen
Krisen.
Abschließend noch einige Worte zur Ferme/^wwgendokrin-metabolisch bedingter
Bewußtseinsstörungen (2). Vermeidbarkeit läßt sich wohl vor allem für die Kranken diskutieren, bei denen eine Thyreotoxikose induziert wurde, weil jodhaltige
Kontrastmittel oder Desinfektionsmittel eingesetzt wurden, ohne an die Schilddrüse zu denken. Auch die sinnlose Vitamin D-Behandlung normokalzämischer
Hyperventilationstetanien mit Vitamin D-Präparaten wie AT 10® ist hier einzuordnen. Und schließlich lassen sich die dem Patienten mit primärer oder sekundärer Nebennierenrindeninsuffizienz drohenden Krisen vermeiden, wenn konsequenter an die Empfehlungen des viel zu wenig benutzten Kortikoidausweises gedacht wird, nach denen bei akuten Belastungen z.B. die Kortisoldosis des Addison-Patienten bis auf das lOfache heraufgesetzt werden muß. Die Unterlassung
dieser Empfehlung oder ihre halbherzige Befolgung waren die überwiegende
Ursache bei den weit über 100 Addison-Krisen, die wir beobachtet haben.
Zusammenfassung
Dies ist ein kurzer Überblick über das, was von Endokrinologie und Stoffwechsel
für den Notarzt vielleicht wichtig ist. Die eigentliche Intensivtherapie (1) der endokrin-metabolischen Krisen fehlt. Sie ist aber leicht nachweisbar und hat mit den
hier aufgezeigten Ausnahmen Zeit bis zum Eintreffen in der Intensivstation.
Literatur
1
2
190
Scriba, P.C. undPickardt,C.R.: Endokrin-metabolische Krisen. Diagnostik und Intensivtherapie 1:13-18 (1976) und Diagnostik 9:440 (1976).
Scriba, P.C.: Typische Risiken und vermeidbare Fehler der Therapie: Endokrinologie
und Stoffwechsel. Internist 23:155-162 (1982).
3
4
5
Scriba, P.C.; Djonlagic, H. und Müller-Esch, G.: Endokrines System und Schock. Internist 23:443-440 (1982).
Scriba, P.C.: Endokrin-metabolisch bedingte Enzephalopathien. Kongreßbericht,
98. Tagung der Nordwestdeutschen Gesellschaft für Innere Medizin, pp. 50-52 (Hansisches Verlagskontor, Lübeck 1982).
Scriba, P.C.: Endokrin bedingte Enzephalopathien und peripher-neurologische Symptome. In: Bodechtel et al., Differentialdiagnose neurologischer Krankheitsbilder.
4. Aufl., in Vorbereitung (Thieme, Stuttgart 1984).
Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. P.C. Scriba, Klinik für Innere Medizin, Medizinische
Hochschule Lübeck, Ratzeburger Allee 160, D-2400 Lübeck 1
191