Die Reise des jungen Che

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Die Reise des jungen Che
Die Reise des jungen Che
Der brasilianische Regisseur Walter Salles, der seit seinem Oscar-nominierten „Central
Station“ zu weltweiter Fachberühmtheit aufstieg, hat sich mit seinem neuesten Werk, dem
von Robert Redfort mitproduzierten „Motorcycle Diaries“, an ein Thema heran gewagt, bei
dem man viel falsch machen kann. Die unoriginelle deutsche Übersetzung des Titels macht
das Sujet etwas eindeutiger: „Die Reise des jungen Che“ – es geht um den wohl berühmtesten
und vom Mainstream leider längst verschluckten kubanischen Revolutionär Ernesto Guevara
de la Serna.
Nur wenige wissen, dass er sich in den 50ern als Student der Medizin mit seinem besten
Freund, dem Biochemiestudenten Alberto Granado (Rodrigo de la Serna), auf einem klappriggreisen und voll beladenen Motorrad auf machte, den Lateinamerikanischen Kontinent zu
entdecken – diese Reise ist es, die Walter Salles in seinem Film erzählt, und es ist viel mehr
als die Entdeckung von Ländern, Kulturen, Menschen, von Unterdrückern und Unterdrückten
– es ist vor allem eine Entdeckung des Selbst, die Geburt einer Bestimmung.
In Buenos Aires, der Heimat Che Guevaras (gespielt vom mexikanischen Shooting-Star Gael
Garcia Bernal), geht die Reise los – die ersten Einträge in die „Motorcycle Diaries“ werden
verfasst: „Dies ist keine Bericht beeindruckender Taten“ heißt es zu Beginn, das ist zwar
etwas tief gestapelt, aber im Kern richtig. Denn die erste Hälfte des Films ist ein klassisches
Road-Movie, und zwar mit den besten Zutaten, um einen kinematographischen Reisebericht
spannend zu erzählen: Extrem stimmungsvolle Landschaftsbilder, glänzend eingefangen vom
Kameramann Eric Gautier, verbunden mit einem betörend-meditativen Score von Gustavo
Santaolalla, und vor allem: Bewegung, Bewegung, Bewegung. Das Road-Movie wird es
immer geben – Gott sei Dank –, denn es ist der wohl filmischste Ausdruck der
Kinoerzählungen – ein Mensch legt eine Reise zurück, die ihn verändert; das haben alle Filme
gemein. Es ist so einfach und so genial, eben diese Reise im geographischen Zurücklegen
einer Strecke zu zeigen, als sich nur auf den inneren, emotionalen Weg zu beschränken. Was
das Medium Film nämlich am besten und am eindrucksvollsten fassbar machen kann, ist
Bewegung – Film ist nichts als Bewegung.
„Die Reise des jungen Che“ windet sich zudem in höchster Eleganz um die große Gefahr, die
vielen Road-Movies zum Verhängnis wird: Wenn der Autor sich nämlich nicht im klaren ist,
wohin die innere Reise wirklich führt, und die Geschichte den schwer verdaulichen Charakter
einer „Dann-und-Dann“-Erzählung bekommt – eine Aneinanderreihung von Ereignissen,
unterbrochen durch schöne Landschaftsaufnahmen. Salles und sein Drehbuchautor Jose
Rivera gelingt dies in erster Linie durch Humor. Bei einem solchen Thema eher unerwartet,
trumpft der Film durch feinfühlige, oft subtil-intelligente und meist sehr filmische, weil
visuelle, Witze, die die Geschichte ungemein aufpeppen, ohne dass der
Wirklichkeitscharakter aufgehoben wird, oder die Geschichte und ihre Protagonisten an
Glaubwürdigkeit verlieren.
Deshalb ist es ziemlich schade, aber an die Realität gebunden, dass der fahrbare Untersatz von
Ernesto und Che, etwa ab der Mitte des Films nach einem Zusammenprall mit einer Kuh
völlig den Geist aufgibt, und die „Motorcycle Diaries“ aufhören, eben solche zu sein.
Motiviert und spontan, wie die beiden Studenten sind, geht die Reise zu Fuß weiter – und der
Film verliert viel von seinem buchstäblichen „Drive“; er wird langsamer, verliert viel an
seiner anfänglichen Komik und schlägt eine seriösere Tonart ein. Und doch scheint es
notwendig, denn die wirkliche Reise in das Herz des Lateinamerikanischen Kontinents,
erfahren die beiden – besonders Ernesto – erst in der kontemplativen Langsamkeit des
Fußmarsches. Erst so lernt Che die Menschen kennen – vertriebene Kommunisten,
unterdrückte Bauern, die ausgelöschten Vorfahren –, für die er in seiner Zukunft mit aller
Gewalt kämpfen wird. Erst hier fängt der Film an, im Ansatz politisch zu werden; wenn von
den Auswirkungen der spanischen Kolonisierung gesprochen wird, vom Untergang der
Mayas, vom sozialen Elend, das die Länder nirgends verschont. Es gehört zu den besseren
Qualitäten dieses Films, dass er es weitestgehend vermeiden möchte, in politischer
Weltverbesserungsattitüde den Zuschauer aufzuklären. Wer sich in der Materie auskennt, der
wird zwar schnell erkennen, dass der Film zu seinen Figuren und ihren Vorstellungen und
Idealismen dezidiert Stellung bezieht – aber Walter Salles hat den Holzhammer
glücklicherweise zu Hause gelassen.
„Die Reise des jungen Che“ zeichnet bildgewaltige und humanistische Impressionen eines am
Abgrund befindlichen Kontinents und wie sie den naiven Studenten Ernesto Guevara de la
Serna zum idealistischen Träumer und Revolutionär „Che“ gemacht haben.

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