4.7 Am Puzzle arbeiten

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4.7 Am Puzzle arbeiten
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4 Stiefkind Konzept – Es lohnt, an der Idee zu arbeiten
4.7 Am Puzzle arbeiten
Gutes Entrepreneurial Design ist das Ergebnis eines Suchprozesses ähnlich dem Experimentieren und Zusammenfügen
eines Puzzles. Der Prozess ist einer Komposition vergleichbar,
an der so lange gearbeitet wird, bis alles „stimmig“ ist und
jeder „falsche Ton“ eliminiert ist.
Doch woher sollen Sie den Glauben nehmen, dass Sie am
Ende der Puzzlearbeit ein Konzept finden, das die etablierten
Konkurrenten aushebeln kann? Haben nicht viele andere
bereits darüber nachgedacht? Woher wollen Sie, der Sie vielleicht von außen kommen und nicht über langjährige, einschlägige Berufserfahrung in einem Feld verfügen, auf eine
so zugkräftige Lösung hoffen? Schließlich glauben Sie, ein
ganz normaler Mensch zu sein, ohne geniale Eigenschaften
und besonderes Glück, was ja auch erlaubt sein muss.
Ich will Ihnen eine kleine Geschichte erzählen. Ich fahre
als Student mit meinem alten VW durch Südfrankreich. Ein
Tramper winkt am Straßenrand. Ich sitze allein im Wagen
und nehme ihn mit. Wir kommen ins Gespräch und ich frage
ihn, was er arbeite. Er sagt, er sei Discjockey – auf den Seychellen. Wow, sage ich, DJ auf den Seychellen – ein Super-Job.
Dabei sieht der Mensch ganz normal aus. Wie wird man so
etwas? Er sagt, das sei nicht besonders schwierig gewesen.
Nicht schwierig?, frage ich, es müsse doch Zehntausende
geben, die von solch einem Job träumen. Wie er es denn geschafft habe? Er sagt, er habe die Adressen von Hotels auf
den Seychellen herausgesucht und dann einen Brief verfasst
und ein Hotel hätte geantwortet, er solle kommen. Klar, sage
ich, aber das hätten doch Tausende außer ihm auch getan.
Nein, er sei der Einzige gewesen!
Erinnern Sie sich an die Sätze, die man Ihnen sagt, und
vielleicht sagen Sie sich diesen Satz auch selbst: „Glauben Sie
bloß nicht, dass Sie der Erste mit dieser Idee sind.“ Denken
Sie an die Teekampagne. Habe ich die Großpackung erfunden? Habe ich entdeckt, dass man Zwischenhändler umgehen
kann? Aber diese beiden Winzigkeiten, die weder genial noch
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kreativ sind, angewandt auf ein Feld, auf dem sie bisher kein
anderes Unternehmen einsetzte, machten die Teekampagne
zum größten Importeur von Darjeeling in der Welt.
Meine Empfehlung lautet deshalb: Suchen Sie ein eigenes Feld und fangen Sie an zu überlegen. Welche Prinzipien
können in meinem Feld die geschäftlichen Bedingungen zu
meinen Gunsten verändern? Lassen Sie sich nicht durch gut
meinende Freunde und Bekannte abhalten, die nicht glauben
wollen, dass Sie auf eine brauchbare Lösung kommen.
Wenn Sie selber fast aufgeben wollen, machen Sie sich
einen Rat von Daniel Goleman zunutze. Dieser US-amerikanische Psychologie-Professor, bekannt geworden durch seine
Studien über emotionale Intelligenz, beschreibt den Unterschied zwischen einem Genie und einem normalen Menschen.
Es sei nur ein kleiner Unterschied, aber der sei entscheidend.
Beide arbeiten an einem Problem und können es nicht lösen.
Beide stehen vor der Entscheidung, aufzugeben, weil das Problem unlösbar scheint. Was ist dann der Unterschied? Der
Normalmensch gibt auf – was ja angesichts der vergeblich
aufgewandten Zeit und der Aussichtslosigkeit des Unterfangens durchaus vernünftig erscheint. Das „Genie“, so
Goleman, gebe auch auf – aber nicht ganz. Es verschiebe das
Problem in einen hinteren Teil des Bewusstseins – und warte.
Nicht selten passiere es, dass ein Muster an einer ganz anderen Stelle auftauche als auf dem Weg, auf dem man gesucht
habe. Dadurch, dass das Problem nicht völlig aus dem Bewusstsein geschoben würde, hat die Person die Chance, das
Muster in seiner Bedeutung zu erkennen und auf das fast
schon aufgegebene Problem anzuwenden.22
Gibt es eine Garantie dafür, dass Sie eine Problemlösung
finden? Nein. Aber was ist die Alternative? Dass Sie gleich
resignieren und sich damit der Chance endgültig berauben,
vielleicht doch noch eine Lösung zu finden? Wie lange soll
man durchhalten? Meine Antwort: Halten Sie durch, schließlich kostet es Sie nichts, einen Gedanken in Ihrem Hinterkopf
halb bewusst aufzubewahren und von Zeit zu Zeit nachzusehen, wie er aussah.
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Ich glaube, es ist hilfreich, diese Gedankenarbeit, wie es
ja bei einem richtigen Puzzle auch der Fall ist, als Spaß zu
betreiben. Sie werden nach einiger Übung feststellen, dass es
Ihnen nun leichter fällt, die Puzzleteile hin und her zu schieben und auf Passung zu prüfen. So wie ein Kind Spaß am
Puzzeln hat und jedes Mal Freude empfindet, wenn Teile zusammenpassen, sollte es auch Ihnen gehen. Es ist ein Spiel oder
ein Sport. So wie der dänische Philosoph Søren Kierkegaard
an sechs Stehpulten parallel arbeitete – weil er herausfand,
dass immer dann, wenn er an einem Text schrieb, ihm mehr
Gedanken zu Texten kamen, an denen er gerade nicht arbeitete –, können Sie auch an mehreren Puzzles gleichzeitig spielen.
4.8 Ein Ideenkunstwerk schaffen
In Italien, dem Mutterland der Kunst der Neuzeit, gibt es den
Begriff des concetto, der den geistigen Grundriss eines zu
schaffenden Werkes beschreibt. In der italienischen Kunst
wird mit dem Begriff disegno die Vorzeichnung, der Plan
bezeichnet. Im Deutschen haben wir den von Richard Wagner
geprägten Begriff Gesamtkunstwerk, der zum Ausdruck bringen will, dass man verschiedene Künste zu einer Kunst zusammenschmelzen kann. Auch die Entwicklung erfolgreicher
Ideenkonzepte kann sich solcher Elemente bedienen. Neue
Ansätze stammen, wie erwähnt, oft von Branchenaußenseitern oder Marktneulingen, denen bestehende Erscheinungsformen noch nicht selbstverständlich geworden sind, sondern
diese kritisch hinterfragen.
Gutes Entrepreneurial Design ist etwas, was man in der
Literatur als plain style bezeichnen würde – man strafft, simplifiziert und fragt so lange nach der Substanz eines Textes,
bis man jedes überflüssige Wort eliminiert hat. Übertragen
auf die Ökonomie heißt das, Arbeitskraft, Kapital, Energie,
Materialien oder Transportwege zu sparen. Ein gutes Entrepreneurial Design hat die Chance wie gute Literatur, gute