Pauken mit dem Atomphysiker

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Pauken mit dem Atomphysiker
Pauken mit dem Atomphysiker
Zu alt? Von wegen: Lothar Arm brecht ist Wissenschaftler - mit 60 hat er in Starnberg eine Nachhilfeschule übernommen
Starnberg - Die 60 Jahre sieht man Lothar
Arm brecht nicht an. Kurze Haare, kräftige
Statur, lässig sitzt er in seinem Büro im
„Studienkreis“, einer Nachhilfeschule am
Tutzinger-Hof-Platz in Starnberg. „Das
hier ist jetzt m ein Reich“ , sagt Arm brecht,
und es klingt durchaus ein bisschen stolz.
Schließlich hat er den Studienkreis erst vor
knapp zwei M onaten kom plett übernom ­
men, ist nun dabei, Aufbauarbeit zu leis­
ten: neue Schüler finden, die Nachhilfe
brauchen, neue Lehrkräfte anwerben,
denn das Unternehmen wächst. „Jetzt ha­
ben wir schon zw ölf Lehrkräfte, können Un­
terricht in allen w ichtigen Sprachen und
naturw issenschaftlichen Fächern anbie­
ten“ , sagt der agile Unternehm er erfre u t.,
Eigentlich hätte sich Lothar Arm brecht
m ental so langsam a u f den Ruhestand vo r­
bereiten können. 25 Jahre hatte der prom o­
vierte Atom - und Kernphysiker bei Sie­
m ens und in diversen Tochterunterneh­
m en des Konzerns wie Infineon gearbeitet.
Zuletzt w ar Arm brecht beim Chip-Herstel­
ler Qimonda beschäftigt, der aus Infineon
ausgegliedert w orden war. Alles schien in
geregelten Bahnen zu verlaufen, bis die glo­
bale W irtschaftskrise die Halbleiterbran­
che erreichte und die Banken Qimonda
den Geldhahn zudrehten. Das Unterneh­
m en wurde abgewickelt, als Betriebsrat
und Aufsichtsratsm itglied der Arbeitneh­
m erseite w ar Arm brecht bis zum Schluss
an Bord des sinkenden Schiffes. Das war
2009.
Das Ende eines Arbeitslebens? Denn
m it knapp 60 als Akadem iker einen neuen
Job zu finden, scheint ein Ding der Unm ög­
lichkeit zu sein. Also eine Weile Arbeitslo­
sengeld I, dann Hartz IV? Für Arm brecht
war das keine Perspektive: „Nichts tun
kam für m ich niem als in Frage“ , erinnert
er sich. Doch auch 50 Bewerbungen führ­
ten zu keinem neuen Job. Kein Personal­
ch ef wollte es Arm brecht direkt ins Gesicht
sagen, dass er doch - trotz eines häufig per­
fekt passendes Profils - zu alt für eine
neue Stelle sei. „Sie versteh en . . . “ , hieß es
achselzuckend.
Arm brecht verstand, und so sah er nach
einem Jahr der Arbeitslosigkeit nur eine
Möglichkeit: sich selbständig zu m achen
und mit knapp 60 Jungunternehm er zu
Wie in der Wirtschaft:
Die Schüler schließen
eine Zielvereinbarung ab
werden. „Als Projektleiter w ar ich ja schon
lange Jahre das selbständige Arbeiten, das
strategische Planen und auch das U m set­
zen gew ohnt“ , erinnert sich der Physiker.
Es folgte ein Ausflug in die M aschinenbau­
branche, Arm brecht w ar im Vertrieb von
Spritzlackierm aschinen tätig. „Doch das
ging mir zu zäh voran, da die Entschei­
dungsfindung in dieser Branche sehr lang­
sam ist“ , sagt Armbrecht. Aber so neben­
bei hatte Arm brecht schon im m er wieder
mal Nachhilfe gegeben, in seinen Spezial­
disziplinen M athem atik und Physik.
Und dann kam ihm der Zufall zu Hilfe.
Bei einem Grillfest lernte er den damaligen
Inhaber des Starnberger Studienkreises
kennen. Der reagierte spontan, als er am
Grill das Wort „Nachhilfe“ hörte, lud Arm ­
brecht zu einem Probeunterricht ein - und
man wurde sich schnell einig. Bei den Schü­
lern kam Arm brecht offenbar sehr gut an,
mit seiner zugewandten, freundlichen und
dann doch w ieder sehr energischen Art.
Schließlich gab er 25 Stunden Unterricht
Seine Spezialdisziplinen: Mathematik und Physik. Lothar Armbrecht hat mit 60 ei­
nen Neuanfang gewagt und unterrichtet jetzt.
f o t o : g e o r g in e t r e y b a l
pro Woche, das Pensum einer normalen
Lehrkraft. „Ich kann m ich sehr gut auf je ­
des Niveau einstellen,“ sagt er von sich.
Und er könne technische Zusam menhänge
einem Studenten in lauter Fremdwörter er­
klären, oder - etwas einfacher - auch ei­
nem Realschüler.
Offenbar m it Erfolg, denn bei vielen
Schülern verbesserten sich die Noten. Arm ­
brechts Erfolgsgeheim nis? „Ich schließe
m it den Schülern eine Zielvereinbarung
ab“ , sagt Arm brecht, so wie es in der W irt­
schaft zum Alltagsgeschäft gehört. Also
wird m it den Schülern vereinbart, welche
Note sie in welchem Zeitraum schaffen w ol­
len - und auch diskutiert, w ie das zu schaf­
fen ist. „M eistens unterrichten wir in Ein­
zelstunden, es gibt aber auch Unterricht in
kleinen Gruppen, meistens einmal, m anch­
mal auch zweim al die W oche“, sagt Arm ­
brecht. Sind m anche Schüler bockig, weil
sie von den Eltern zur Nachhilfe quasi ver­
gattert werden? „Nein“ , sagt Armbrecht,
„und wenn jem and zu nassforsch daher­
kommt, dann klärten w ir das schon unter
uns.“ Erst ein Mal hat er einen Schüler ab­
gelehnt. „Der kam regelm äßig zu spät und
hatte null Bock.“ Etwas, das Arm brecht of­
fenbar gar nicht leiden kann.
Das Starnberger Publikum beschreibt
Arm brecht, der in einem Dorf bei W olfrats­
hausen wohnt, als „anspruchsvoll“. Die El­
tern legten hier viel m ehr Wert auf Einzel­
unterricht als anderswo - w eil m an es sich
bei Preisen von rund 30 Euro für 45 M inu­
ten w ohl auch leisten kann.
W elcher ist der beste Nachhilfelehrer?
Arm brecht überlegt kurz und sagt dann:
„Das ist der, der sich selbst überflüssig
m acht, indem die Schüler den Stoff selb­
ständig erarbeiten und verstehen.“ Um
neue Kunden für sein Nachhilfeinstitut
scheint er sich keine Sorgen zu machen.
„Die w achsen von ganz alleine nach“, sagt
Arm brecht und lächelt dabei ganz ent­
spannt. Ans Aufhören denkt der 60-Jährige noch lange nicht.
o tto frits c h e r