Ansehen - Berliner Dom
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Ansehen - Berliner Dom
Oberpfarr - und Domkirche zu Berlin Dompredigerin Dr. Petra Zimmermann 7. Sonntag nach Trinitatis, 7. August 2011 Predigt über Johannes 6, 30-35 Gnade sei mit euch und Frieden von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen Der Predigttext für diesen Sonntag steht im Evangelium nach Johannes im 6. Kapitel: 30 Da sprach das Volk zu ihm: Was tust du für ein Zeichen, damit wir sehen und dir glauben? Was für ein Werk tust du? 31 Unsre Väter haben in der Wüste das Manna gegessen, wie geschrieben steht (Psalm 78,24): »Er gab ihnen Brot vom Himmel zu essen.« 32 Da sprach Jesus zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel. 33 Denn Gottes Brot ist das, das vom Himmel kommt und gibt der Welt das Leben. 34 Da sprachen sie zu ihm: Herr, gib uns allezeit solches Brot. 35 Jesus aber sprach zu ihnen: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten. Liebe Gemeinde, manchmal ist das Zusammentreffen von biblischen Texten und aktuellen Lagen so, dass man verzweifeln könnte. Heute ist wieder so ein Sonntag. Als die Menschen in der Wüste umzukommen drohten, ließ Gott Wachteln und Manna vom Himmel regnen. Als Tausende auf dem Berg lagerten um Jesus zu hören, genügten wenige Brote und Fische, um alle satt zu machen. In den Dürregebieten Somalias und Kenias verrecken die Menschen wie Fliegen und kein Gott greift ein. Kein Wunder kommt den Elenden zu Hilfe. Ich höre die Geschichten der Bibel und sehe die Bilder, von Zeitung und Fernsehen und Internet in unseren Alltag gespült. Menschen unterwegs, ein Bündel auf dem Rücken, ein Kind, das Gesicht mit Fliegen in den Augenwinkeln, zu schwach, um die Plagegeister zu verscheuchen. Fiebergesichter, kleine Nasen, in die Sonden gelegt wurden, mit weißem Pflaster auf die Wangen geklebt. Das Gesicht der Mutter, Halema, zerfurcht und ausgemergelt wie bei einer Greisin, Halema ist 41 Jahre alt. Was ist los mit dieser Welt? Was ist los mit diesem Gott? Hat er seine Erde verlassen? Sich endgültig abgewandt? Weil er nicht mehr erträgt, was er sieht? Ein Blick in die aktuelle Ausgabe der Wochenzeitung DIE ZEIT: Leitartikel: „Hunger in Somalia.“ 'Fast eine Milliarde Menschen, also jeder sechste Bewohner der Erde leidet an Hunger. Die Katastrophen häufen sich, nicht nur in Afrika. Aber Mitleid ist ein knappes Gut und schnell erschöpft.' Blättert man weiter, findet man ein dreiseitiges Dossier zum Thema: „Süßes Leben, fette Not. Immer mehr Menschen werden immer dicker.“ Manchmal, liebe Gemeinde, befallen mich finstere Zweifel. Und ich möchte verstummen. Nichts mehr sagen zu all dem, nichts zu der Welt und nichts mehr zu Gott, dem es offenbar auch längst die Sprache verschlagen hat. Wo bleibt das Wunder? Wo bleiben Brot oder Reis oder Milch zum Überleben? Wo bleibt das Wunder, das die Kinder rettet, das Menschen aus dem Elend reißt, Leben schenkt, das seinen Namen verdient. „Was tust du für ein Zeichen, damit wir sehen und dir glauben? Was für ein Werk tust du? 31 Unsre Väter haben in der Wüste das Manna gegessen, wie geschrieben steht (Psalm 78,24): »Er gab ihnen Brot vom Himmel zu essen.« was Oberpfarr - und Domkirche zu Berlin Am Lustgarten 10178 Berlin tust du?“ So fragten die Menschen Jesus. Damals schon offenbar ein Ungenügen an den Zuständen. Damals schon die Sehnsucht nach einem Wunder. Einem Zeichen, dass der, dem viele zuhörten und manche folgten - Macht hat. Dass er das Leben verändern kann. Was tust du für ein Zeichen, damit wir sehen und dir glauben? Dass wir dir glauben können, dass du von Gott gesandt bist. Dass du der bist, auf den unsere Väter und Mütter hofften, dass er käme, um sie zu erlösen, um diese Welt zu erlösen von all der Bosheit, dem Schmerz, von dem Schatten des Todes. Unseren Vätern und Müttern hat Gott süßes Brot vom Himmel regnen lassen, als sie von Hunger bedroht waren, was tust du? Es ist etwas ganz Elementares, nach dem gefragt wird. Kein Blitz-und Donnerwunder wird erwartet, kein Krachen der Gestirne oder bizarre Lichtphänomene. Nur: Brot gegen den Hunger. „Herr, gib uns allezeit solches Brot.“ Ich bin bei meinen Großeltern aufgewachsen. Die beiden, die den Krieg im Ruhrgebiet erlebt hatten, die Nachkriegszeit mit dem „Hungerwinter“, sie hatten ein besonderes Verhältnis zu Lebensmitteln, besonders zu Brot. Brot warf man nicht weg. Was übrig war und trocken wurde, wurde weiter verarbeitet. In Frikadellen geknetet, zu Paniermehl gerieben, auch mal im Winter an die Enten im Park verfüttert, wenn die Enkelin darum bettelte. Niemals aber in den Müll geworfen. Brot hatte man zu oft vermisst. Brot war Grundnahrung, Brot war Leben. Zu wach war die Erinnerung daran, dass ein Kanten Brot den Unterschied zwischen Tod und Leben ausmachen konnte. Ich erinnere mich an eine Kunstaktion in Kassel. Es war in den 80er Jahren Ein junger Künstler hatte den Eingang zum Ausstellungsraum in voller Breite mit Brotscheiben ausgelegt. Man musste über das Brot gehen, um in den Raum zu gelangen. „Brotstraße“ war die Aktion betitelt. Eine erregte Diskussion war damals entbrannt. Darf man auf Brot treten? Darf man so mit Brot umgehen? Da schwang noch etwas mit von dem symbolischen Mehrwert, den Menschen mit Brot verbunden haben. Brot ist mehr als nur irgendetwas zu essen. Mit dem Brot verband sich die Kraft der Erde, die das Korn hervorbrachte. Die menschliche Arbeit, die aus dem Korn das Mehl mahlte und das Brot daraus buk. Im Brot manifestierte sich die Schöpfungskraft, die leben ließ. In früheren Zeiten wurde das Brot mit einem Kreuzzeichen versehen, bevor man es anschnitt, Ausdruck des Dankes an Gott, den Schöpfer, der seinen Menschen schenkte, was sie zum Leben brauchten. Brot steht für Leben, der Gegensatz zu Brot ist Hunger und Tod. Unser tägliches Brot gib uns heute... 33 Gottes Brot ist das, das vom Himmel kommt und gibt der Welt das Leben, sagte Jesus den Menschen. Himmelsbrot. Gottesbrot. Nahrung für Körper und Seele. Ein Brot, das den Hunger stillt. Den Hunger, der den Körper quält, auch den Hunger, der die Seele heimsucht. Das uns nährt, wenn wir uns ausgelaugt fühlen, leer. Die Kraft des Lebens kommt vom Brot, das uns wieder aufbaut nach Erschöpfung und Müdigkeit. 34 Da sprachen sie zu ihm: Herr, gib uns allezeit solches Brot. Wer möchte in diese Bitte nicht einstimmen? Auf der Suche nach dem wahren Brot sind wir viel zu oft schon in die falschen Bäckereien geraten. Haben uns abspeisen lassen mit Dingen, die angeblich den Hunger stillen. Haben uns irre machen lassen auf der Suche. Was stillt den Hunger? Stillt Erfolg den Hunger? Anerkennung? Die erste Million, die ich mache, oder erst die zweite? Das Einserdiplom? Der endlich errungene Doktortitel? Wer oder was füllt diese Leere aus, die sich unweigerlich wieder einstellt, kaum dass ich eines meiner gesteckten Ziele erreicht habe? Was stillt den Hunger all der Ausgebrannten und Hoffnungslosen, die längst zu kraftlos geworden sind, um sich aufs neue auf den Weg zu machen. Was stillt unseren Hunger, wenn wir Tag aus Tag ein unserer Arbeit nachgehen, dem Alltag trotzen und plötzlich spüren, wie darüber das Leben verrinnt, und die Langeweile zunimmt, und wir noch immer nicht satt geworden sind. Zu lange in den falschen Backstuben gesucht, und nun ist die Seele ist aufgefressen. Seite 2 von 3 Oberpfarr - und Domkirche zu Berlin Am Lustgarten 10178 Berlin 35 Jesus aber sprach zu ihnen: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten. Ich bin das Brot. Gott ließ in der Wüste das Brot aus dem Himmel regnen, in mir ist er selbst gekommen. Ich bin es, Lebenskraft und Lebensmittel. Brot für jeden Tag. Himmelsbrot, geschenkt, nicht erstritten. Himmelsbrot, für dich gegeben, damit ihr Leben habt in Fülle. Gott in seiner essbaren Gestalt. Schmeckt und seht wie freundlich der Herr ist. Gott ist Brot, liebe Gemeinde, aber nicht meins allein. Gott ist das geteilte Brot. Der russische Religionsphilosoph Wladimir Solowjow hat gesagt: das Brot, das ich esse, ist ein materielles Problem, das Brot, das meinem Nachbarn fehlt, ist ein spirituelle Problem. Für mich. Es ruft mich zu Gott, wenn ich es teile. Es trennt mich von Gott, das Brot, das ich dem anderen verweigere. Das ist die Antwort auf die Frage, warum wir bei so vielem, was sich als Lebensmittel aufspielt, nicht satt werden. Wenn wir nicht lernen zu teilen, wird die wunderbare Brotvermehrung nicht erfahrbar. Wenn wir uns verschließen gegen den anderen, werden wir niemals satt werden. Das Brot brechen und miteinander teilen. Uns gegenseitig weitergeben, was uns nährt und erhält. Und wissen, es kommt nicht von uns selbst. Andere haben den Samen ausgesät und das Korn gedroschen, haben gemahlen und gebacken, damit wir unsere Lebenskräfte erneuern können. Wir teilen aus, was wir empfangen haben. Von Anfang an. Noch bevor wir den ersten Menschen nähren konnten, wurden wir genährt, gewärmt, geliebt. Andere haben Lebenszeit eingesetzt, Kraft, Hingabe, damit wir wachsen konnten. Wir leben von der Kraft und der Liebe anderer, die vor uns waren. Wir leben von der Liebe des Einen, der sich selbst verschenkte, damit wir Leben haben, dem der Tod nichts anhaben kann. Brot des Lebens, Liebesbrot. Wir teilen miteinander das Brot. Wir teilen einander mit. Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern. Verbunden in einem Geist, der größer ist als wir es sind. Das Brot des Lebens, es ist nicht nur für den Augenblick. Es nährt uns, damit wir Zukunft haben, Kraft für den nächsten Schritt, der gegangen werden will. Das Brot des Lebens, es nährt die Hoffnung, die wir miteinander teilen: dass diese Welt veränderbar ist. Es nährt die Sehnsucht, dass es einmal sein wird, dass niemand mehr hungern und dürsten muss. Dass es Brot und Liebe gibt, genug für alle. Und so segne uns Gott diese Stunden und halte uns beieinander – über den Tag hinaus. Amen. Seite 3 von 3