Futurum der Schulsozialarbeit in Niedersachen
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Futurum der Schulsozialarbeit in Niedersachen
Futurum der Schulsozialarbeit in Niedersachsen Notwendiges Handlungsfeld mit besonderer Spannung Prof. Dr. Maria Busche-Baumann forscht an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/ Holzminden/ Göttingen zur Schulsozialarbeit in Niedersachsen. Für den Parität Report gibt sie Einblicke in die Schlußfolgerungen aus ihrer Studie und Empfehlungen und Impulse zur Weiterentwicklung der Schulsozialarbeit in Niedersachsen. Der französische Politiker André Malraux sagt: „Wer in der Zukunft lesen will, muss in der Vergangenheit buchstabieren.“ Bevor ich in die Zukunft der Schulsozialarbeit schaue, blicke ich zunächst 10 Jahre zurück. Und da können wir eine erstaunliche Dynamik feststellen: • Wer hätte damals gedacht, dass sie heute an allen Schulformen zu Schulformen zu finden ist? • Wer hätte gedacht, dass vor allem die Gymnasien laut nach ihr rufen? • Und wer hätte gedacht, dass die Kommunen sie fördert und mit eigenen regionalen Konzepten umsetzt? Heute sind sich alle einig: Schulsozialarbeit ist notwendig und wichtig. Unter anderem durch immer mehr Ganztagsschulen, ein professionelleres Übergangsmanagement und die schwierigeren Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen wird Schul sozialarbeit immer bedeutsamer. Mit den nachfolgenden Szenen vom 1. Fachtag Schulsozialarbeit in Niedersachsen an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen (HAWK HGG) im Jahr 2014 möchte ich beispielhaft den Veränderungsbedarf skizzieren: 1. Szene Los geht es mit der Frage „Wohin geht es mit der Schulsozialarbeit in Niedersachsen? Die Vorsitzende des Schulleitungsverbandes, Brigitte Naber, formuliert ihre Antwort so: „Ohne Schulsozialarbeit kann ich keinen Ganztag vernünftig umsetzen und ich kann auch keine Inklusion umsetzen. Ich benötige die multiprofessionellen Teams und die Fachkompetenz, (…) um in den Schulen auch ein soziales Curriculum aufzubauen, das es uns ermöglicht, eben wirklich die optimale Förderung von (…) Kindern (…) zu gewährleisten (…). Wir brauchen einmal das Bindeglied zwischen Schule und Jugendhilfe (…) und wir brauchen dazu eine Kontinuität und Verlässlichkeit, das heißt klare rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen.“ 2. Szene Die Podiumsdiskussion läuft seit geraumer Zeit. Einig sind sich alle, dass Schulsozialarbeit notwendig ist, dass aber die derzeitigen Rahmenbedingungen unzureichend sind. Nun ergreift eine Schulsozialarbeiterin das Mikrofon: „Wir reden von Visionen, wie Schulsozialarbeit in fünf Jahren aussieht. Mich reibt diese Diskussion so sehr auf, dass mein Blutdruck ständig steigt. Es kann nicht angehen, dass wir als Akademiker an eine Schule gehen, dort wichtige Arbeit leisten (…) und es kommt einfach sehr wenig Wertschätzung im Sinne der Arbeitsbedingungen zurück (…). Ich bin befristet in einem Jahresvertrag. Jetzt läuft mein Vertrag (…) aus, geht’s weiter ab Januar? Ich weiß es nicht! Und das ist die Situation mit der wir über Jahre hinweg leben müssen. (…) Leute, liebe Politiker, jetzt genug geredet. Ihr seid dran.“ 3. Szene Im Workshop „Konzepte“ stellt Eva Heuermann, Schulsozialarbeiterin, das „Konzept zur Schulsozialarbeit im Landkreis Stade“ vor. Wie in vielen anderen Kommunen auch sind dort die Bedingungen für Schulsozialarbeit an den einzelnen Schulen unterschiedlich. Anstellungsträger, finanzielle Ausstattung, Bedarf an der Schule, Qualifikation der sozialpädagogischen Fachkräfte und weitere Faktoren führen zu einer variantenreichen Ausgestaltung der Arbeit. Die Schulsozialarbeitenden sahen es deshalb als notwendig an, gemeinsame Qualitätsstandards herauszuarbeiten. Die positiven Wirkungen dieser Konzeptarbeit auf eine bessere Arbeit für die Kinder und Jugendlichen sind im Laufe der Jahre deutlich geworden. Die Teilnehmenden hören alle motiviert zu und berichten selbst über ähnliche Diskussionen. Gleichzeitig hören wir auch die Barrieren: Eine wesentliche liegt danach in unklaren rechtlichen Regelungen. Ein Schulsozialarbeiter drückt es in unserer Befragung so aus: „…offiziell existieren wir gar nicht. Schulsozialarbeit gibt es in Niedersachsen nicht. (…) Und alles was wir machen ist ja informell. Also, wenn man uns hätte Böses wollen, hätte man durchaus sagen können, was macht ihr da eigentlich während eurer Arbeitszeit!“ Ergebnisse und Empfehlungen Welche Erkenntnisse und Schlussfolgerungen lassen diese exemplarischen Szenen zu? 1. Einen hohen Bedarf von Schule an sozialpädagogischen Fachkräften für die Zusammenarbeit in interprofessionellen Teams zur Umsetzung des Erziehungs- und Bildungsauftrages. 2. Unzureichende Arbeitsbedingungen für sozialpädagogische Fachkräfte hinsichtlich rechtlicher, finanzieller, trägerbezogener und fachlicher Fundierung. 3. Fehlende Konzepte für Schulsozialarbeit auf unterschiedlichen Ebenen. Liegen sie vor, so werden sie überwiegend von Fachkräften als förderlich für ihr professionelles Selbstverständnis und die Qualität der Arbeit angesehen. Durch unsere Untersuchungsergebnisse sind wir zu der Erkenntnis gelangt, dass Schulsozialarbeit in Niedersachsen trotz langjähriger Praxis nach wie vor ein Handlungsfeld mit besonderer Spannung ist. Einerseits erweist sie sich als notwendig und nachgefragt. Andererseits bleibt sie in den Rahmenbedingungen, politisch, rechtlich und finanziell ungesichert, in der Zuständigkeit unklar und dadurch fachlich nicht immer voll entfaltet (vgl. Busche-Baumann u.a. 2014). Soll das häufig genannte Ziel, die Lern- und Lebenschancen von Kindern und Jugendlichen nachhaltig zu fördern, nicht nur Bekenntnis bleiben, so bedarf es jetzt eines Bündnisses aller Beteiligten, um die Baustellen nicht nur notdürftig zu flicken, sondern in gemeinsamer Anstrengung grundlegend zu bearbeiten. An erster Stelle steht hier das Recht. Schulsozialarbeit ist im Sozialgesetzbuch VIII nicht geregelt. Die Fachwelt hat hierzu seit etwa 15 Jahren Vorschläge erarbeitet. Aufgegriffen wurden diese jedoch bislang nicht. Die Bundesländer haben jedoch auch eine eigene Gestaltungskraft. Der § 15 SGB VIII/KJHG ermöglicht, dass die Landesgesetzgebung Ausführungsgesetze zur Kinder- und Jugendhilfe eigenständig regeln kann. Drei Bundesländer haben dies für die Schulsozialarbeit auch schon genutzt: Berlin, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt. Aus den Ergebnissen unserer empirischen Untersuchung empfiehlt es sich dabei folgende Kriterien festzuschreiben: 1. Trägerschaft in der Jugendhilfe, 2. Fachliche Eigenständigkeit, Selbstverantwortung, 3. Abstimmung mit Schulleitungen, 4. Verknüpfung der Lebens- und Bildungsräume. Es ergibt sich auch für Niedersachsen die Notwendigkeit, in Abstimmung von Schul- und Jugendhilfegesetzen, kompatible Zuständigkeiten zu schaffen und damit eine neue Qualität im Feld der Schulsozialarbeit zu bewirken. Wer soll das machen und wie kann das gehen? Meine Auffassung ist, dass Menschen, die von diesen Gesetzen betroffen sein werden, hier zusammenarbeiten und mitbestimmen sollten. Deshalb schlage ich vor: Ein „Niedersächsisches Netzwerk Schulsozialarbeit“ ins Leben zu rufen. Mitglieder aus den Bereichen: Ministerien, Schulverwaltung, Kommunen, Jugendhilfe, Erziehungsberechtigte, Schüler/innen, Berufsverbände, Hochschulen, u.a. könnten hier gemeinsam Vorschläge erarbeiten, durch externe Beratung auch aus anderen Bundesländern erweitern und mit gebündelter Kraft in zuständige politische, fachliche Gremien bringen. Weiterhin schlage ich die Entwicklung eines landesweiten Konzeptes Schulsozialarbeit vor. Das niedersächsische Kultusministerium arbeitet derzeit hieran. Dieses Vorhaben ist gut. Besser wäre es, wenn von Beginn an auch Vertreter/innen aus der Praxis der Schulsozialarbeit, von Berufsverbänden, den Hochschulen, Schulleitungsverbänden, u.a. mit beteiligt worden wären. Meine Position ist auch hier: Nicht versäult nebeneinander her arbeiten. Unsere Untersuchung hat gezeigt: Dort wo Schulsozialarbeit in Bildungsregionen eingebunden ist, kann es zu fachlichen Verbesserungen führen. Dies sollten wir besser als bisher systematischer fördern und ausbauen. Regionale, schulformbezogene und schulbezogene Konzepte können hierauf aufbauen und fachliche Orientierungen für alle von Schulsozialarbeit Betroffenen geben. So wie Schulsozialarbeit als Kernaufgabe Kooperation ist und nur in Kooperation gelingen kann, so muss auch die Weiterentwicklung der Schulsozialarbeit in Kooperation mit allen Beteiligten erfolgen und kann nur durch das Zusammenwirken aller gelingen. Prof. Dr. Maria Busche-Baumann HAWK HHG Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim / Holzminden / Göttingen Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit Quelle: Busche-Baumann, Maria (2015): Futurum der Schulsozialarbeit in Niedersachsen Notwendiges Handlungsfeld mit besonderer Spannung, in: Paritätischer Wohlfahrtsverband Niedersachsen e.V (Hrsg.): Parität Report, 3 + 4 2015, S. 4041