Diener zweier Herren

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Diener zweier Herren
ZEIT ONLINE 15/2007 S. 2 [http://www.zeit.de/2007/15/Fernando−Lugo]
Paraguay
Diener zweier Herren
Fernando Lugo ist Paraguays Bischof der Armen. Jetzt will er die Nation
als Präsident führen und die reiche Elite des Landes entmachten. Doch
die katholische Kirche stellt sich ihm in den Weg.
Von Christian Schmidt−Häuer
Asunción
Viele Häuser in Asunción fressen jetzt Kreide. Je ärmlicher die Wohnblocks in Paraguays Hauptstadt verputzt
sind, desto häufiger dienen sie als Tafeln. Ein friedfertiges Volk beginnt Schreibübungen für die erste
Protestwahl seiner Geschichte. »Lugo, sí, sí« steht an den Wänden. Auf Fernando Lugo hoffen die
Campesinos und die Chacarita, die landlosen Kleinbauern und die Bewohner der städtischen Elendsviertel.
Auf den Bischof, der im Dezember sein Priesteramt niederlegte, um sich im Jahre 2008 als Staatspräsident zu
bewerben. »Mein Gotteshaus ist von nun an die Nation!«, hat er verkündet. Und wenn die Nation am Wahltag
zu ihm strömen sollte, dann will der 56−Jährige die Kirche der Armen mit den Reichen an einen Tisch
bringen. Es wäre ein ganz neuer Akt der alten Befreiungstheologie.
»Lugo, sí, sí« an den Wänden das liest sich wie ein Menetekel im Palacio López, von dem aus Präsident
Nicanor Duarte und seine Entourage einen sonst so ungetrübten, weiten Blick über den Paraguay−Fluss
haben. Duartes rechtskonservative Colorado−Partei, die schon der deutschstämmige Diktator Alfredo
Stroessner anführte, herrscht seit 60 Jahren. Länger als die Kim−Dynastie in Nordkorea.
Doch nicht nur im Palacio López selbst im fernen Vatikan hat das »Lugo, sí, sí« Widerhall gefunden. Im
Mai nämlich wird Papst Benedikt XVI. zur 5. Bischofskonferenz Lateinamerikas nach Brasilien reisen. Auf
jenem Subkontinent aber, den fast die Hälfte aller Katholiken der Welt bewohnt, kam die Kirche der Armen
Ende der sechziger Jahre zur Welt. Und mit ihr die Befreiungstheologie. Juan Pablo II., wie der polnische
Papst dort heißt, und der von ihm 1981 als Präfekt der Glaubenskongregation eingesetzte Joseph Kardinal
Ratzinger hatten diese politische Instrumentalisierung der katholischen Soziallehre verurteilt und bekämpft.
Sie sahen die Hierarchie der Amtskirche von den volksnahen Priestern bedroht, die das Christentum als
innerweltliche, reformerische bis revolutionäre Handlungsanweisung interpretierten. Der Vatikan obsiegte.
Gilt Fernando Lugos weltliche Kandidatur dem Pontifex nun als ein neues Signal dafür, dass sich Priester
wieder von Rom absetzen und dem Feldzug des Populisten Hugo Chávez für die Unterdrückten Südamerikas
folgen könnten? Ein Brief an Lugo aus dem Vatikan und die fast zeitgleiche Abmahnung des angesehenen
Befreiungstheologen Jon Sobrino in San Salvador klingen zumindest wie eine Vorwarnung an
radikalreformerische Kleriker auf der Bischofskonferenz.
Wer Fernando Lugo im Hörsaal der Casa de Jesuitas in Asunción gegenübersitzt, fühlt sich der Kirche der
Armen näher als in den katholischen Akademien Europas. Karge Wände, kein Kreuz, harte, schmale Stühle
mit Klapppult, an der Tafel Lehrsätze in blasser Kreide. Ein Saurier von Ventilator bekämpft die 40 Grad
Hitze von der Straße und verschluckt bisweilen auch Lugos Worte. Er wägt sie lange ab. Schweigt. Spricht
leise weiter. Nein, von der Befreiungstheologie will er sich nicht distanzieren. Durchaus nicht: »Sie ist ein
Beitrag zur sozialen Verpflichtung des Evangeliums.« Pause. »Aber mir geht es nicht um Etikette, nur um
Lösungen. Der tiefe Graben muss weg zwischen den 500 Familien, die im Stand der Ersten Welt leben, und
der großen Mehrheit, die sich am Rande des Elends durchquält.«
Das hat Paraguays Regierung noch kein Kirchenoberer gesagt. Unter Stroessner hätte er nach einer solchen
Forderung die engen Folterzellen in Asuncións Indepencia Nacional Nr. 579 kaum wieder lebend verlassen.
Nach dem Sturz des Diktators rückte die Colorado−Partei immerhin vom nackten Terror ab. Schamlose
Günstlingswirtschaft hält sie seither an der Macht. Ganze zwei Prozent des 6,5−Millionen−Volkes verfügen
über 72 Prozent der bearbeiteten Landfläche. Die Elite denkt nicht an eine Bodenreform. Die bäuerlichen
Kleinfamilien, die der Soja−Anbau immer weiter verdrängt, haben nie aufbegehrt. In ihrer Welt gab es keine
Priester, die sich der Armen annahmen. Die machten nach der vom Zweiten Vatikanischen Konzil (1963 bis
1965) eingeleiteten Generalreform Geschichte vor allem in Brasilien, Peru, Kolumbien, Mittelamerika. Der
legendäre Dom Hélder Cámara zum Beispiel dessen Grab im brasilianischen Olinda Bundespräsident Horst
Köhler jüngst besuchte trug eigenhändig Brot in Rios Elendsquartiere und entkam den Attentaten der
Militärregierungen nur knapp. Erzbischof Oscar Romero, dessen engster Berater der jetzt abgemahnte Jon
Sobrino war, wurde 1980 am Altar in Salvador erschossen. Paraguay lag abseits der sozialrevolutionären und
theologischen Gefechte. »Heute«, sagt der Befreiungstheologe Leonardo Boff, dem Kardinal Ratzinger einst
ein Bußschweigen auferlegt hatte, »treibt die dritte Generation viel weniger Theologie als wir Alten. Die kniet
sich in die Sozialpastorale, arbeitet mit Landlosen, Kindern, Indianern.« Wie Fernando Lugo.
Der suspendierte Bischof trägt ein weißes, vor der Brust besticktes Hemd aus reiner Baumwolle. Das Apooi
gehört zur traditionellen Tracht der Landbevölkerung. Sie wird die Wahl entscheiden. Würde die
Colorado−Partei nicht wie üblich Stimmen kaufen, hätte Lugo leichteres Spiel. Denn er fesselt seine Zuhörer
am meisten, wenn er in der Indianersprache Guarani redet, die heute das Idiom der Campesinos und der
Armen ist. Guarani ist nicht zuletzt so verbreitet, weil der einst vorbildliche Jesuitenstaat dieser Region die
Sprache während der spanischen Kolonialzeit gefördert hatte. Jesuiten standen im 20. Jahrhundert auch in der
ersten Reihe der Befreiungstheologen.
Während der damaligen Auseinandersetzung um die Kirche der Armen studierte Fernando Lugo in Rom
Theologie. Stroessner hatte ihn aus dem Land gejagt, die Kirche fing ihn auf. Fünf Jahre nach der Vertreibung
des Diktators wurde Lugo mit erst 43 Jahren Bischof von San Pedro, einer Schmuggelregion dicht an
Brasilien. Was hat ihn seither zum Grenzgänger zwischen Kirche und Politik gemacht? »Parteien und
politische Klasse haben seit Stroessners Sturz nahezu nichts für den Aufbau des Rechtsstaats getan«, führt
Lugo an. »Die Justiz ist eine Magd der Politik. Die Korruption kennt keine Grenzen mehr, weil das
Bewusstsein der Sünde verloren ging.« Doch dieses Bewusstsein allein wird kaum ausreichen, um sich gegen
die Stimmenkäufe der Regierungspartei zu behaupten. Der politisch unerfahrene Armenpriester braucht
weltliche Berater. Und ob die den Versuchungen standhalten, muss sich noch erweisen. Derzeit zieht seine
kleine Karawane quer durch Paraguay, um das Land politisch zu vermessen. »Wer bezahlt das?« »Die
Reisen haben mich bisher zwei Paar Schuhe gekostet und das Kleingeld für die Maut. Überall leiht man uns
Autos. Die Tankstellen geben den Sprit umsonst her. Wo wir hinkommen, laden uns die Leute zum Essen und
zum Nachtlager.«
»Würden Sie Wahlkampfspenden von Hugo Chávez annehmen?« »Keine Drogengelder, keine
Schmuggeleinnahmen. Eine Schenkung ohne jede Bedingung wäre zu erwägen. Nur sind solche Spenden im
Prinzip illegal. Und wir brauchen jetzt nichts von Chávez.« »Die Regierung warnt davor, dass Sie sich
sofort mit Chávez verbünden würden&« »Dass er den Reichtum zugunsten der armen Mehrheit gerechter
verteilen will, hat meine Bewunderung. Aber Dirigismus im Dienste einer Person kann zu Mangel an
Pluralismus führen. Das bekommt keiner Demokratie.« »Wie wollen Sie eine Landreform ohne Revolution
durchsetzen?« »Ich glaube nicht an Gewalt. Ich will Viehzüchter, Großgrundbesitzer und Campesinos an
einen Tisch bringen. In einem Bezirk war es schon so weit. Gemeinsam beschlossen wir eine Reform, die von
den Produkten der Kleinbauern ausging. Ein knochenhart erarbeiteter Konsens aber wir hatten ihn
gefunden. Doch die Regierung verwarf ihn wieder.«
So lehrt der politische Novize Paraguays Alleinherrscher in ihrem 60. Jahr das Fürchten. Präsident Nicanor
Duarte strebt jetzt in aller Eile eine Verfassungsänderung an, die ihm eine zweite Kandidatur ermöglichen
soll. Überdies kann er auf einen Brief aus Rom pochen. Der stammt von dem für die Bischöfe zuständigen
Kardinal Giovanni Batista Re. Und obzwar der Vatikan Fernando Lugo von seinen Aufgaben suspendiert hat,
heißt es in der am 1. Februar veröffentlichten Epistel, der Priester müsse weiter im Stande des Geistlichen
bleiben. Die Bischofswürde sei frei und für immer angenommen. Die Kandidatur eines Bischofs könne
Verwirrung und Spaltung der Gläubigen verursachen und wäre ein Affront gegen die Laien. Lugo bringe sich
in die Gefahr der Exkommunikation, drohte sogleich einer der Bischöfe aus dem Präsidentenlager.
»Ganz klar«, entgegnen die Rechtsberater des so Attackierten, »die Regierung nutzt Roms Edikt, um dem
Bischof die Rote Karte zu zeigen. Sie arbeitet darauf hin, dass jetzt der Oberste Gerichtshof oder die
Wahlkommission über die Zulässigkeit seiner Kandidatur entscheidet.« Beide Institutionen werden von der
Colorado−Partei beherrscht.
Fernando Lugo aber glaubt weiter an eine höhere Gerechtigkeit. Diesmal verschluckt der rauschende
Ventilator in der Casa de Jesuitas keines seiner Worte: »Paraguay ist ein laizistischer Staat. Und deshalb gilt
Artikel 42 unserer Verfassung, wonach niemand gezwungen werden kann, einer Organisation anzugehören.«
Und die Zeit, um theologische Prinzipien durchzufechten, scheint ihm für Lateinamerika abgelaufen: »Hunger
und Arbeitslosigkeit, erbärmliche Gesundheit und Bildung haben keine Ideologie. Heute nicht mehr.«
Fernando Lugo
1951 geboren in der Provinz Itapua als Sohn paraguayischer Kleinbauern
1971 Eintritt ins Priesterseminar, nachdem er als Dorflehrer gearbeitet hatte
1977 bis 1987 Priester und Missionar in Ecuador
1987 bis 1991 Studium in Rom, dann Professor in Paraguay
1994 Weihe zum Bischof von San Pedro
2006 Lugo legt das Priesteramt nieder, um in die Politik zu gehen
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