rechtliche grundlagen freiheitsentziehender massnahmen

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rechtliche grundlagen freiheitsentziehender massnahmen
RECHTLICHE GRUNDLAGEN
FREIHEITSENTZIEHENDER MASSNAHMEN
Rechtsanwalt Christian Keller
Schutzgut: Persönliche Freiheit
Art. 2 GG
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit,
soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die
verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die
Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf
Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
Schutzgut: Persönliche Freiheit
Art. 104 GG
(1) Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes
und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt
werden. Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich
misshandelt werden.
(2) Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur
der Richter zu entscheiden. Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung
beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung
herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden
länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem
Gewahrsam halten. Das Nähere ist gesetzlich zu regeln.
Schutzgut: Persönliche Freiheit
§ 239 Strafgesetzbuch (Abs. 1- 3)
(1) Wer einen Menschen einsperrt oder auf andere Weise der Freiheit
beraubt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe
bestraft.
(2) Der Versuch ist strafbar.
(3) Auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren ist zu erkennen,
wenn der Täter
1. das Opfer länger als eine Woche der Freiheit beraubt oder
2. durch die Tat oder eine während der Tat begangene Handlung eine
schwere Gesundheitsschädigung des Opfers verursacht.
§ 1906 BGB (Gesetzeswortlaut)
(1) Eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer, die mit
Freiheitsentziehung verbunden ist, ist nur zulässig, solange sie zum Wohl des
Betreuten erforderlich ist, weil
1. auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen
Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder
erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt, oder
2. eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder ein
ärztlicher Eingriff notwendig ist, ohne die Unterbringung des Betreuten nicht
durchgeführt werden kann und der Betreute auf Grund einer psychischen
Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der
Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann.
§ 1906 BGB (Gesetzeswortlaut)
(2) Die Unterbringung ist nur mit Genehmigung des Betreuungsgerichts
zulässig. Ohne die Genehmigung ist die Unterbringung nur zulässig, wenn mit
dem Aufschub Gefahr verbunden ist; die Genehmigung ist unverzüglich
nachzuholen.
(3) Der Betreuer hat die Unterbringung zu beenden, wenn ihre
Voraussetzungen wegfallen. Er hat die Beendigung der Unterbringung dem
Betreuungsgericht anzuzeigen
(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten entsprechend, wenn dem Betreuten, der sich in
einer Anstalt, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung aufhält, ohne
untergebracht zu sein, durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder
auf andere Weise über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig die
Freiheit entzogen werden soll.
§ 1906 BGB (Gesetzeswortlaut)
(5) Die Unterbringung durch einen Bevollmächtigten und die Einwilligung eines
Bevollmächtigten in Maßnahmen nach Absatz 4 setzt voraus, dass die
Vollmacht schriftlich erteilt ist und die in den Absätzen 1 und 4 genannten
Maßnahmen ausdrücklich umfasst. Im Übrigen gelten die Absätze 1 bis 4
entsprechend.
Rechtliche Voraussetzungen einer freiheitsentziehenden
Maßnahme gem. § 1906 BGB
Freiheitsentzug
Betroffene wird am Verlassen des Aufenthaltsort gehindert
Keine Einwilligung des einwilligungsfähigen Betroffenen: Natürliche
Einsichtsfähigkeit hinsichtlich Bedeutung und Tragweite erforderlich
Einwilligung von Verwandten und Ärzten ist irrelevant
Wille vorhanden, den Aufenthaltsort zu verlassen (entsprechende
Gesten/ Versuch Bettgitter zu überwinden etc.)
Körperlich besteht die Möglichkeit, den Aufenthaltsort zu verlassen
Rechtliche Voraussetzungen einer freiheitsentziehenden
Maßnahme gem. § 1906 BGB
über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig
längerer Zeitraum liegt in der Regel vor, wenn die in Art. 104 Abs. 2
GG angegebene Frist zur Freiheitsentziehung erreicht ist (Zeitraum von
einem Tag oder einer Nacht)
Regelmäßigkeit: stets zur selben Zeit oder aus wiederkehrendem Anlass.
Keine Regelmäßigkeit bei: kurzfristigem postoperativem Unruhezustand
(Durchgangssyndrom) oder einmaligem akutem Verwirrtheitszustand,
etwa nach Heimaufnahme
Rechtliche Voraussetzungen einer freiheitsentziehenden
Maßnahme gem. § 1906 BGB
durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf
andere Weise
Bettgitter oder besondere Schutzdecken
Leibgurte am Stuhl oder Bett
nächtliches Abschließen des Zimmers
Anbringen eines Therapietisches am Stuhl oder Rollstuhl
Komplizierte Schließmechanismen, zeitweises Sperren der Eingangstür
Arretieren des Rollstuhls
Rechtliche Voraussetzungen einer freiheitsentziehenden
Maßnahme gem. § 1906 BGB
Verhindern des Verlassens der Einrichtung durch Pförtner oder Personal
Schwergängige Türen
Hoch angebrachte Türgriffe, Drehknaufe
Wegnahme der Straßenbekleidung
Ausüben psychischen Drucks: Verbote, List, Zwang und/ oder Drohungen
Rechtliche Voraussetzungen einer freiheitsentziehenden
Maßnahme gem. § 1906 BGB
Verhindern des Verlassens der Einrichtung durch Gabe von
Medikamenten, Schlafmittel oder Psychopharmaka.
Nur dann einschlägig, wenn Sedierung der alleinige Zweck ist und
die Verabreichung nicht auch zu Heilzwecken erfolgt.
Genehmigungserfordernis in der Praxis irrelevant
(„Grauzone“),
da Ärzte Medikamente in der Regel nicht allein zur Sedierung
verabreichen, sondern immer auch eine gesundheitliche Verbesserung
anstreben werden.
Möglicherweise aber Genehmigung nach § 1904 BGB
Rechtliche Voraussetzungen einer freiheitsentziehenden
Maßnahme gem. § 1906 BGB
Einsatz von Signalsendern
Strittig, ob bereits unzulässig wegen Verstoßes gegen die
Menschenwürde.
Einsatz selbst nicht genehmigungsbedürftig. Einsatz nur
dann
freiheitsentziehend, wenn nach der Signalgebung der Betroffene
gegen seinen Willen in die Einrichtung zurück
gebracht wird.
Rechtliche Voraussetzungen einer freiheitsentziehenden
Maßnahme gem. § 1906 BGB
Maßnahme ist erforderlich, geeignet und erfolgt zum Wohl
des Betroffenen (Selbstgefährdung)
Gefahr, dass der Betroffene sich aufgrund einer geistigen oder
seelischen Behinderung erheblichen Schaden zufügt
Herausfallen aus dem Bett
Sturzverletzungen
Zielloses Verlassen des Heimes mit Herumirren unter Missachtung des
Straßenverkehrs.
Rechtliche Voraussetzungen einer freiheitsentziehenden
Maßnahme gem. § 1906 BGB
Ablegen der Kleidung, Herumschmieren mit Kot und Herumirren im
Heim
Herausziehen von Kathetern, Infusionen oder PEG-Sonden
Laufen bis zur körperlichen Erschöpfung bei innerer Unruhe mit der
Folge von Stürzen und fehlender Nachtruhe
Rechtliche Voraussetzungen einer freiheitsentziehenden
Maßnahme gem. § 1906 BGB
Ermöglichen ärztlicher Eingriffe
Fixierungen und Sedierungen zur Gabe von Infusionen bei motorisch
unruhigem oder wahnhaftem Betroffenen
zum Entfernen von Wundverbänden
Erforderlichkeit der Maßnahme
Prüfung ob zu Bettgitter und Fixierung „mildere“ Alternativen bestehen.
Mildere Mittel können sein:
Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung, wenn dadurch
Fixierungen vermieden werden können.
Rechtliche Voraussetzungen einer freiheitsentziehenden
Maßnahme gem. § 1906 BGB
Elektronische Maßnahmen (Sender) an Schuh, Kleidung oder
Handgelenk (streitig)
Einsatz von Hüftprotektoren
Einsatz geteilter Bettgitter
Anpassung von Stuhlhöhen, Sitzflächen, Lehnen etc.
Einsatz absenkbarer Betten
Schockabsobierende Fußbodenbelege (Kunstkautschuk, Kork)
Rechtliche Voraussetzungen einer freiheitsentziehenden
Maßnahme gem. § 1906 BGB
Alleiniger Maßstab ist das Wohl des Betroffenen:
Drittinteressen spielen im Rahmen von §1906 keine Rolle. Anders bei
öffentlich-rechtlicher Unterbringung nach PsychKG (Gefahrenabwehr).
Allein die Gefährdung anderer Heimbewohner (Stören der Nachtruhe,
Diebstahl, tätliche Angriffe) rechtfertigt keine Maßnahmen. Nur gezielte
Intervention des Personals möglich oder Unterbringung nach PsychKG durch
Behörde.
Rechtliche Voraussetzungen einer freiheitsentziehenden
Maßnahme gem. § 1906 BGB
Aber: Maßnahme dann möglich, wenn Dritte durch das Verhalten des
Betroffenen gefährdet sind und damit zugleich die Gefahr verbunden
ist, dass der Betroffene selbst einen gesundheitlichen Schaden erleidet
(Gegenwehr, drohende Eskalation)
Vorsorgliche Schutzmaßnahmen ohne konkrete Gefährdung sind
unzulässig
Rechtliche Voraussetzungen einer freiheitsentziehenden
Maßnahme gem. § 1906 BGB
Genehmigung durch das Betreuungsgericht
Ohne Genehmigung ist die Maßnahme nur zulässig, wenn mit Aufschub
Gefahr verbunden ist. Die Genehmigung ist unverzüglich nachzuholen.
Stellt der Betreuer den notwendigen Antrag nicht oder ist noch kein
Betreuer bestellt, ist das Pflegeheim verpflichtet, das Gericht über die
Notwendigkeit der Genehmigung zu informieren. Bis zur Bestellung
können Maßnahmen des Heims nach allgemeinen
Rechtfertigungsgründen (Notstand/ Nothilfe) gerechtfertigt sein.
Rechtliche Voraussetzungen einer freiheitsentziehenden
Maßnahme gem. § 1906 BGB
In besonderen Eilfällen können Maßnahmen auch durch das Gericht
veranlasst werden, § 1846 BGB
Sind verschiedene freiheitsentziehende Maßnahmen erforderlich, so muss
das Gericht jede einzelne Maßnahme genehmigen
Außerdem möglich: Verfahrenspflegerbestellung und
Gutachteneinholung. Nicht zwingend: Es genügt ein ärztliches Zeugnis
und die richterliche Anhörung.

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