Fall 22 Lösung - Juristische Fakultät

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Fall 22 Lösung - Juristische Fakultät
PROPÄDEUTISCHE Ü BUN GEN ZUM GRU NDKURS ZIVILRECHT I
WINTERSEMESTER 2014/15
JURISTISCHE FAKULTÄT
LEHRSTUHL FÜR BÜR GERLICH ES RECHT, INTERNATIONALES
PRIVATRECHT UND RECHTSVE RGLEICHUNG
PROF. DR . STEPHAN LORENZ
F ALL 22 – L ÖSUNG
O TTOS O BST
A.
Anspruch entstanden ..................................................................... 2
I.
Einigung ....................................................................................... 2
II.
Wirkung der Einigung für und gegen O, § 164 Abs. 1 S. 1, Abs. 3
BGB ............................................................................................. 2
1.
Eigene Willenserklärung ............................................................. 3
2.
„im Namen des Vertretenen“ ....................................................... 3
3.
innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht ........................ 4
4.
Rechtsscheinvollmacht ................................................................ 5
a)
Duldungsvollmacht .................................................................. 5
b)
Anscheinsvollmacht .............................................................. 6
aa)
(1)
Objektiver Rechtsscheintatbestand .................................. 6
(2)
Zurechenbarkeit ............................................................. 6
(3)
Gutgläubigkeit der K ....................................................... 6
(4)
Fehlender Fremdgeschäftswille ....................................... 7
(5)
Zwischenergebnis ........................................................... 8
bb)
c)
5.
III.
B.
Vorliegen einer Anscheinsvollmacht ................................... 6
Umfang der Anscheinsvollmacht ......................................... 8
Zwischenergebnis .................................................................... 8
Zwischenergebnis ....................................................................... 8
Zwischenergebnis ....................................................................... 8
Anspruch erloschen durch Aufrechnung gem. § 389 BGB................. 8
I.
Aufrechnungserklärung, § 388 BGB ................................................ 8
II.
Aufrechnungslage, § 387 BGB ..................................................... 9
1.
Wechselseitigkeit der Forderungen ............................................. 9
2.
Gleichartigkeit der Forderungen .................................................. 9
3.
Zwischenergebnis ....................................................................... 9
III.
C.
Zwischenergebnis ....................................................................... 9
Rechtshemmende Einwendungen – Einreden ................................... 9
I. Recht zur Verweigerung der Leistung wegen Verjährung nach § 214
Abs. 1 BGB .................................................................................... 10
1.
Fristbeginn .............................................................................. 10
VERONIKA EICHHORN ∙ ALEXANDRA ENGL ∙ SUSANNE ZWIRLEIN
AG ZUM GRUN DKU RS ZIVILRE CHT I (PROF. DR. STEPHAN LO RENZ) · WINTERSEMESTER 2014/15
FALL 22 – LÖSUN G
2.
Fristende ................................................................................. 10
3.
Zwischenergebnis ..................................................................... 10
II.
Einrede des nicht erfüllten Vertrages, § 320 Abs. 1 S. 1, 322 Abs. 1
BGB ........................................................................................... 10
III.
1.
Wechselseitigkeit der Forderungen ........................................... 11
2.
Konnexität der Forderungen ..................................................... 11
3.
Zwischenergebnis ..................................................................... 12
IV.
D.
Zurückbehaltungsrecht ............................................................. 11
Recht zur Verweigerung der Leistung aufgrund Verwirkung ....... 12
Ergebnis ..................................................................................... 12
Kathi (K) könnte gegen Otto (O) einen Anspruch auf Übergabe und Übereignung von 20 kg Äpfeln der Sorte „Leuchtend Grün“ am Ort ihrer Wohnung haben. Ein solcher könnte sich aus Kaufvertrag gem. § 433 Abs. 1
S. 1 BGB ergeben.
Voraussetzung hierfür ist, dass zwischen K und O ein wirksamer Kaufvertrag gem. § 433 BGB über die 20 kg Äpfel zustande gekommen ist, diesem keine Wirksamkeitshindernisse entgegenstehen und der Anspruch
nicht erloschen und durchsetzbar ist.
A. Anspruch entstanden
Dies erfordert zunächst, dass zwischen K und O ein wirksamer Kaufvertrag (§ 433 BGB) über die 20 kg Äpfel der Sorte „Leuchtend Grün“
geschlossen wurde.
I. Einigung
Ein Kaufvertrag kommt durch eine Einigung zustande, die hier in
Form zweier auf Abschluss eines Kaufvertrages gerichteter, übereinstimmender und gültiger Willenserklärungen vorliegen könnte, nämlich in Form eines Angebots und einer Annahme (vgl. §§ 145, 147
BGB).
O hat vorliegend keine Willenserklärung gegenüber K abgegeben,
sondern Thorsten (T) hat sich mit K über den Verkauf von 20 kg Äpfeln der Sorte „Leuchtend Grün“ zum Preis von € 100,– geeinigt.
Dabei haben Sie vereinbart, dass T der K am 02.06.2011 die Äpfel
nach Hause bringen sollte.
II. Wirkung der Einigung für und gegen O, § 164 Abs. 1 S. 1, Abs. 3
BGB
Die Willenserklärung des T und die Willenserklärung der K könnten
jedoch gem. § 164 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 BGB unmittelbar für und gegen O wirken, wenn T den O wirksam vertreten hat. Dies setzt voraus, dass T eine eigene Willenserklärung im Namen des O abgegeben hat und hierbei innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht handelte.
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FALL 22 – LÖSUN G
1. Eigene Willenserklärung
T müsste eine eigene Willenserklärung abgegeben haben, d.h. er
dürfte insbesondere nicht nur als Bote eine Willenserklärung des
O übermittelt haben (vgl. § 120 BGB). Dies ist im Interesse des
Erklärungsempfängers vom objektiven Empfängerhorizont aus zu
betrachten. Es ergeben sich vorliegend aus dem Sachverhalt keine Hinweise darauf, dass T eine fremde Willenserklärung überbracht hat. Folglich hat T eine eigene Willenserklärung abgegeben.
2. „im Namen des Vertretenen“
Des Weiteren müsste dieser Vertragsschluss im Namen des Vertretenen, hier im Namen des O erfolgt sein. Ein Vertretergeschäft
liegt nur dann vor, wenn der Vertreter offenlegt, dass die Wirkungen des Rechtsgeschäfts nicht ihn, sondern den Vertretenen
treffen sollen (sog. Offenkundigkeitsgrundsatz), vgl. § 164
Abs. 1 S. 2 i.V.m. S. 1 BGB. Die Offenlegung kann hierbei entweder ausdrücklich erfolgen, sie kann sich aber auch aus den Umständen ergeben, vgl. § 164 Abs. 1 S. 2 BGB. Ob Offenkundigkeit
im konkreten Fall vorliegt, ist durch Auslegung unter Berücksichtigung der Interessenlage zu ermitteln, es kommt darauf an, wie
der Geschäftsgegner das Handeln des Vertreters auffassen durfte
(objektiver Empfängerhorizont). 1
T erklärte vorliegend nicht ausdrücklich, im Namen des O handeln zu wollen und handelte daher zumindest nicht ausdrücklich
in fremdem Namen. 2
Fraglich ist daher, ob sich ein Handeln im Namen des O aus den
Umständen des Falls ergibt. Vorliegend trat T unter Verwendung
der grünen Schürze und Schirmmütze mit der Aufschrift „Ottos
Obst“ beim Obstverkauf auf dem Wochenmarkt auf. T nutzte daher die typische Dienstkleidung des O und übte eine Tätigkeit
aus, die auch O als Obsthändler grundsätzlich vorzunehmen
pflegt. Für einen objektiven Betrachter war mangels entgegenstehender Hinweise im Sachverhalt nicht erkennbar, dass T in eigenem Namen und für eigene Rechnung das Obst aus seinem eigenen Garten verkaufte. Die wahren Fakten, dass das Obst eigentlich aus seinem eigenen Garten kam und dass er dieses auf eigene Rechnung verkaufte, wurden gerade verdeckt. Es musste sich
daher für den objektiven Betrachter der Eindruck ergeben, dass T
nicht in eigenem Namen sondern im Namen des O tätig wurde.
Aufgrund der vorgenannten Umstände liegt somit ein Handeln in
1
Köhler, BGB AT, 38. Aufl. 2014, Rn. 139.
T gab sich vorliegend insbesondere nicht als O aus, so dass die Fallgruppe des sogenannten Handelns unter fremden Namen, bei der eine analoge Anwendung des Vertretungsrechts in Betracht
kommt, nicht vorliegt, vgl. BGHZ 45, 193.
2
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fremden Namen vor, K durfte davon ausgehen, dass T im Namen
des O tätig wurde.
Das Ergebnis wird ferner bestätigt durch die von der Rechtsprechung entwickelten Auslegungsregel zum sog. „unternehmensbezogenen Handeln“. Beim unternehmensbezogenen Handeln
soll nach dem Willen der Beteiligten im Zweifel der wahre Unternehmensinhaber aus dem Rechtsgeschäft berechtigt und verpflichtet, wenn jemand erkennbar nicht als Privatperson, sondern
für ein bestimmtes Unternehmen handelt. Ein objektiver Dritter
an der Stelle der K wäre, wenn er die Berufsbekleidung der Angestellten des O im geschäftlichen Kontext des Wochenmarkts erkannt hätte, davon ausgegangen, dass T nicht als Privatperson,
sondern für O Äpfel verkaufte. Somit war aus den Umständen anzunehmen, dass T im Namen des O handeln wollte.
Die Offenkundigkeit der aktiven und passiven Stellvertretung bei
Vertragsschluss ist daher gewahrt worden.
Nota bene: Die soeben angesprochene Auslegungsregel zum unternehmensbezogenen Geschäft ist nur dann heranzuziehen, wenn sich Zweifel bei der Auslegung einer Erklärung ergeben. Es ist immer zunächst zu prüfen, ob sich nicht bereits ausdrücklich oder konkludent, d.h. aus den Umständen ein Handeln in fremdem Namen ergibt. Die Lösung geht einen Mittelweg: Sie legt die Erklärungen des
Falls zunächst aus und verifiziert das Ergebnis dann anhand der Auslegungsregel.
Klausurtaktisch ist das sinnvoll, denn man kann dem Korrektor zeigen, dass man
die Systematik des Gesetzes verstanden hat (Auslegung vor Anwendung der Zweifelsregel) und kann dennoch zeigen, dass man die Rechtsprechung zur Zweifelsregel kennt.
Bei unternehmensbezogenen Geschäften besteht darüber hinaus eine tatsächliche
Vermutung dafür, dass der Handelnde für das Unternehmen aufgetreten ist. Wer
trotz eines objektiv betriebsbezogenen Geschäfts behauptet, die Verpflichtung des
persönlich Handelnden oder eines Dritten sei gewollt gewesen, trägt hierfür die
Darlegungs- und Beweislast.
Der mangelnde Wille Ts, in fremdem Namen handeln zu wollen, stellt nach umstrittener Ansicht gem. § 164 Abs. 2 BGB analog keinen beachtlichen Erklärungsirrtum dar. 3
3. innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht
Zu prüfen ist weiter, ob T mit Vertretungsmacht gehandelt hat
und somit seine Willenserklärung für und gegen O wirkt (vgl.
§ 164 Abs. 1 S. 1 BGB).
Zumindest konkludent ist dem T durch die Eingehung des Arbeitsverhältnisses hatte O eine Vollmacht zur Durchführung von
Obstverkäufen erteilt, § 167 Abs. 1 Alt. 1 BGB, da T bei O als
Obstverkäufer angestellt war und die Tätigkeit eine Vollmacht zur
Vornahme von Verkaufsgeschäften in der Regel erfordert.
3
BGHZ 30, 36 Rz. 27; a.A. statt vieler Staudinger/Schilken, Neubearb. 2014, § 164 BGB Rn. 21.
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Nota bene: Bei unternehmensbezogenen Geschäften ist stets an die Handlungsvollmacht gem. § 54 HGB und an die „Ladenvollmacht“ gem. § 56 HGB zu denken.
Die Voraussetzungen liegen hier allerdings ersichtlich nicht vor. Dem T war vorliegend keine Prokura (§ 54 HGB) erteilt worden. Ferner ist der Obststand kein Ladengeschäft des O, woraus sich die Anwendbarkeit des § 56 HGB ergäbe. Zwar fallen unter den Begriff auch offene Verkaufsstände, z.B. auf Messen, der durch T
selbst eingerichtete Verkaufsstand kann aber O nicht zugerechnet werden. Auch
wäre T aufgrund der Kündigung nicht zum Verkauf im Laden angestellt, so dass
§ 56 HGB nicht einschlägig ist. 4
Diese könnte jedoch mit Ende des Arbeitsverhältnisses am
01.04.2011 gem. § 168 S. 1 BGB erloschen sein. Das Erlöschen
der Vollmacht bestimmt sich gem. § 168 S. 1 BGB nach dem ihrer
Erteilung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis. Mit dem Wirksamwerden der Kündigung des Arbeitsverhältnisses des T am
01.04.2011 ist folglich – ohne dass es einer gesonderten Widerrufserklärung bedarf – auch die Vollmacht erloschen.
Nota bene: Wenn der Vollmacht jedoch ein Auftragsverhältnis zugrunde liegt,
dann ist bei dessen Beendigung § 674 BGB zu beachten. An dessen Fiktion des
Fortbestehens des Auftrags knüpft § 169 BGB bei gutgläubigem Geschäftsgegner
eine Fiktion des Fortbestehens der Vollmacht.
Somit verfügte T zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses am
01.06.2011 über keine wirksame Vollmacht des O.
4. Rechtsscheinvollmacht
Zwar hat O dem T nicht wirksam gem. § 167 Abs. 1 BGB Vollmacht erteilt, jedoch könnte T durch sein Auftreten als Vertreter
des O einen Rechtsschein gesetzt haben, welcher dem O zurechenbar ist.
Ein gesetzlich geregelter Fall der Rechtsscheinvollmacht gem.
§§ 170 – 172 BGB ist nicht einschlägig. Jedoch kommt eine Zurechnung des Verhaltens des T nach den Grundsätzen von Treu
und Glauben gem. § 242 BGB bzw. einer Analogie zu den
§§ 170 ff. mit § 56 HGB in Betracht.
a) Duldungsvollmacht
In Betracht kommt zunächst eine sogenannte Duldungsvollmacht. 5
Eine solche liegt vor, wenn der Vertretene es wissentlich geschehen lässt, dass ein anderer für ihn wie ein Vertreter auftritt, ohne dagegen einzuschreiten und der Vertragspartner
dieses Dulden dahin versteht und auch verstehen darf, dass der
als Vertreter Handelnde bevollmächtigt ist. Darüber hinaus
muss der Vertragspartner gutgläubig sein, § 173 BGB analog.
4
Vgl. zu den Voraussetzungen Baumbach/Hopt/Hopt, 39. Aufl. 2014, § 56 HGB, Rn. 1 ff.
Bei der Duldungsvollmacht ist die Einordnung als Rechtsscheinvollmacht umstritten, vgl. Köhler,
BGB AT, 38. Aufl. 2014, § 11 Rn. 43 (Rechtsscheintatbestand); Palandt/Ellenberger, 74. Aufl. 2015,
§ 172 BGB Rn. 8 (konkludente Willenserklärung, d.h. rechtsgeschäftliche Vollmacht).
5
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Hier fehlt es jedoch an der Zurechnung des objektiven Rechtsscheintatbestands zu O, da dieser vom Handeln des T zum
Zeitpunkt des Vertragsschlusses keine Kenntnis hatte. Folglich
ist eine Duldungsvollmacht nicht gegeben.
b) Anscheinsvollmacht
Fraglich ist aber, ob sich eine Zurechnung des Verhaltens
nicht aufgrund der Grundsätze über die Anscheinsvollmacht
ergibt.
aa) Vorliegen einer Anscheinsvollmacht
Ergibt sich aus den Umständen des Falls der Anschein einer Bevollmächtigung, den der Vertretene nicht kannte, er
aber das Handeln des Vertreters bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und verhindern können, dann muss der
Vertretene sich das Verhalten nach den Grundsätzen der
Anscheinsvollmacht zurechnen lassen. 6
(1) Objektiver Rechtsscheintatbestand
Hier verwendet T sowohl die Schürze als auch die Kappe
mit der Aufschrift „Ottos Obst“, die er von O an seinem
ersten Arbeitstag ausgehändigt bekommen hat. Diese
Erkennungszeichen verwendete er stets, wenn er Obst
aus seinem eigenen Garten auf dem Wochenmarkt verkaufte. Dieses Verhalten erweckt den Anschein einer
Bevollmächtigung durch O. Dieses Verhalten ist auch
von einer gewissen Dauer und Häufigkeit und wurde von
K auch schon mehrmals beobachtet.
(2) Zurechenbarkeit
O hat T zwar einmal aufgefordert die Arbeitsbekleidung
zurückzugeben, sie aber nicht zurückerhalten. Danach
hat er sich nicht weiter darum gekümmert. Hätte O darauf gedrängt, die Kleidung zurückzuerhalten, dann hätte er verhindern können, dass T sie bei seinen Privatverkäufen verwendet. O hätte bei pflichtgemäßer Sorgfalt auch erkennen können, dass T die Kleidung benutzt
um Obstverkäufe, auf dem Wochenmarkt zu tätigen (a.A.
bei entsprechender Argumentation vertretbar).
(3) Gutgläubigkeit der K
Weitere Voraussetzung ist, dass der Geschäftsgegner
annehmen durfte, das der Vertretene das Handeln des
Vertreters kennt und billigt und der Dritte das Fehlen
der Bevollmächtigung nicht kannte und auch nicht kennen musste (§ 173 BGB analog).
6
BGH NJW 1998, 1854, 1855.
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Nota bene: Schutzwürdig ist nur ein gutgläubiger Rechtsverkehrsteilnehmer, der
die gesetzten Zeichen als Handeln mit Vertretungsmacht deuten darf. Damit soll
ausgeglichen werden, dass die Erteilung der Vollmacht ein internes Rechtsgeschäft zwischen Vertretenem und Vertreter ist, welches aber Außenwirkung entfaltet und somit den Rechtsverkehr beeinflusst. Der Rechtsverkehr wird nur in daher
nur im unbedingt erforderlichen Maße geschützt, nämlich soweit der Geschäftsgegner gutgläubig ist.
Vorliegend ergaben sich für K keine Anhaltspunkte, dass
O das Handeln des T nicht kennt und billigt.
Etwas anderes könnte sich nur dann ergeben, wenn das
getätigte Rechtsgeschäft ungewöhnlich wäre. Das Gebot
von Treu und Glauben verhindert hier nur völlig außerhalb des Üblichen liegende Schuldvereinbarungen, da
der Anschein der Vollmacht sich nur auf übliche Geschäfte erstreckt, die der Vertreter üblicherweise für
den Vertretenen abschließen würde. Vorliegend wurden
20 kg Äpfel zum Preis von € 100,– verkauft, mithin ein
typisches Geschäft eines Obsthändlers.
Weiterhin wurde Lieferung an die Wohnung der K vereinbart. Der Leistungsort kann gem. § 269 Abs. 1 BGB
frei vereinbart werden. Hat der Verkäufer die Ware dem
Käufer an einen bestimmten Ort zu bringen, spricht man
von einer Bringschuld. So liegt der Fall hier. Für den
Verkäufer wäre es zwar günstiger, wenn der Käufer die
Ware an einem bestimmten Ort abholen müsste – Holschuld – oder er diese zumindest nicht selbst transportieren, sondern lediglich an den Käufer zusenden müsste – Schickschuld, jedoch belastet der Mehraufwand
den Vertretenen nicht über Gebühr. Auch für einen
Obsthändler der typischerweise seine Geschäfte innerhalb seines Ladens erfüllt, stellt die Vereinbarung einer
Bringschuld keine derartig unübliche Vereinbarung dar.
Auch im Hinblick auf die geringe Entfernung von 12 km
ist die Vereinbarung einer Bringschuld nicht derart ungewöhnlich, dass die Gutgläubigkeit entfallen würde,
weshalb K auf den Anschein der Bevollmächtigung vertrauen durfte.
(4) Fehlender Fremdgeschäftswille
Fraglich ist, ob eine Anscheinsvollmacht ausscheidet, da
T nicht für O handeln, sondern seine eigenen Äpfel auf
eigene Rechnung verkaufen wollte. Der Wille des Handelnden als Vertreter aufzutreten, ist für den Vertrauenstatbestand der Rechtsscheinvollmacht jedoch nicht
Voraussetzung, weil die sonstigen Voraussetzungen
wirksamer Stellvertretung bei der Rechtsscheinvollmacht nicht vorliegen müssen.
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(5) Zwischenergebnis
Somit liegen alle Voraussetzungen einer Anscheinsvollmacht vor. Der von T gesetzte Rechtsschein ist dem O
zurechenbar.
bb) Umfang der Anscheinsvollmacht
Der Umfang der Anscheinsvollmacht richtet sich nach dem
geschaffenen Vertrauenstatbestand.
K durfte vorliegend vom Kauf von 20 kg Äpfeln der Sorte
„Leuchtend Grün“ zum Preis von € 100,– und Lieferung
durch O zu ihr nach Hause ausgehen.
c) Zwischenergebnis
Folglich handelte T mit einer Vertretungsmacht kraft Rechtsscheins.
5. Zwischenergebnis
Damit wirken die Willenserklärung des T und die Willenserklärung der K unmittelbar für und gegen O.
III. Zwischenergebnis
Folglich liegt zwischen O und K ein wirksamer Kaufvertrag über die
20 kg Äpfel der Sorte „Leuchtend Grün“ zum Preis von € 100,– vor.
Der Anspruch auf Übergabe und Übereignung der 20 kg Äpfel an der
Wohnung der K ist damit entstanden.
B. Anspruch erloschen durch Aufrechnung gem. § 389 BGB
Der aus dem Kaufvertrag resultierende Anspruch der K auf Übergabe
und Übereignung der Äpfel könnte jedoch durch Aufrechnung gem.
§ 389 BGB erloschen sein.
Dies setzt eine Aufrechnungslage gem. § 387 BGB und eine Aufrechnungserklärung gegenüber dem richtigen Adressaten gem. § 388 BGB
voraus.
Nota bene: Bei entsprechenden Hinweisen im Sachverhalt ist auf Aufrechnungsverbote, insbesondere §§ 393 BGB, einzugehen.
I. Aufrechnungserklärung, § 388 BGB
O hat der K für den Fall, dass er „doch irgendetwas schulde“ erklärt,
dass er den Gegenwert der Äpfel mit den Schulden der K i.H.v.
€ 100,– „verrechne“. Eine Auslegung vom objektiven Empfängerhorizont gem. §§ 133, 157 BGB aus ergibt, dass O den Gegenwert der
Äpfel i.H.v. € 100,– mit den Schulden der K aufrechnen wolle. Das
Wort „Aufrechnung“ muss dabei nicht verwendet werden. K ist als
Gläubigerin des Anspruchs aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB richtiger Adressat i.S.v. §§ 388 S. 1, 130 Abs. 1 S. 1 (analog) BGB.
Fraglich ist jedoch, ob diese Erklärung gem. § 388 S. 2 BGB unwirksam ist, weil sie unter einer Bedingung (§ 158 BGB) abgegeben
wurde. Denn O hat die Erklärung für den Fall abgegeben, dass er
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doch irgendetwas schulde. Diese sog. Hilfsaufrechnung stellt jedoch
lediglich eine Rechtsbedingung dar, deren Eintritt kein zukünftiges
ungewisses Ereignis ist, das von einer der Parteien beeinflussbar
wäre. Folglich greift das Verbot des § 388 S. 2 BGB nicht.
Die Aufrechnungserklärung ist folglich wirksam.
II. Aufrechnungslage, § 387 BGB
O kann allerdings nur dann aufrechnen, wenn eine Aufrechnungslage vorliegt. Eine solche verlangt die Wechselseitigkeit und Gleichartigkeit der Forderungen.
1. Wechselseitigkeit der Forderungen
Voraussetzung für die Aufrechnung nach § 387 BGB ist zunächst
die Wechselseitigkeit der Forderungen. Der Aufrechnende muss
Schuldner der Hauptforderung sein und Gläubiger der Gegenforderung. Der Aufrechnungsgegner muss Gläubiger der Hauptforderung sein und Schuldner der Gegenforderung. Der Aufrechnende O schuldet K die Übergabe und Übereignung der Äpfel aus
§ 433 Abs. 1 S. 1 BGB. Die Aufrechnungsgegnerin K schuldet O
die Zahlung der Kaufpreisschulden aus anderen Kaufverträgen
aus § 433 Abs. 2 BGB. Diese sind auf fällig, da trotz Stundung der
Gläubiger O die Fälligkeit durch einseitige Erklärung herbeiführen kann.
Nota bene: Die Stundung endet zu dem vereinbarten Zeitpunkt. Ist keine bestimmte Zeit festgelegt, ist im Zweifel davon auszugehen, dass der Gläubiger das
Recht hat, die Leistungszeit gem. §§ 316, 315 BGB nach billigem Ermessen zu bestimmen.
2. Gleichartigkeit der Forderungen
Weitere Voraussetzung ist jedoch auch die Gleichartigkeit des
Gegenstands der Aufrechnung. Diese Gleichartigkeit ist bei Geldschulden oder anderen Gattungsschulden gleicher Art gegeben.
Hier stehen sich jedoch eine Sachschuld und eine Geldschuld
gegenüber. Es ist daher keine Gleichartigkeit gegeben.
3. Zwischenergebnis
Eine Aufrechnungslage liegt somit nicht vor.
III. Zwischenergebnis
Der Anspruch der K auf Übergabe und Übereignung von 20 kg Äpfeln der Sorte „Leuchtend Grün“ zum Preis von € 100,– ist folglich
nicht durch Aufrechnung erloschen.
C. Rechtshemmende Einwendungen – Einreden
Die Durchsetzung des Anspruchs der K gegen O aus § 433 Abs. 1 S. 1
BGB könnte aber gehemmt sein. Das ist dann der Fall, wenn O sog.
rechtshemmende Einwendungen (Einreden) geltend machen kann.
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I. Recht zur Verweigerung der Leistung wegen Verjährung nach
§ 214 Abs. 1 BGB
O hat vorliegend eingewandt, dass ja jetzt schon so viel Zeit vergangen sei. Möglicherweise kann sich O auf Verjährung des von K geltend gemachten Anspruchs berufen und deshalb gem. § 214 Abs. 1
BGB die Erbringung der von ihm aufgrund des mit K geschlossenen
Kaufvertrags geschuldeten Leistung verweigern. Voraussetzung dafür ist gem. § 214 Abs. 1 Hs. 1 BGB die Vollendung der Verjährung
der Ansprüche der K. Nachdem die Parteien keine Verjährungsfrist
vereinbart haben (vgl. § 202 BGB) und keine der vom Gesetz vorgesehene andere Verjährungsfristen (vgl. §§ 197, 438 BGB) greift, gilt
die regelmäßige, d.h. dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB.
1. Fristbeginn
Diese beginnt gem. § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist, und der Gläubiger von
den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des
Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.
Der Anspruch entsteht, sobald er im Wege der Klage geltend gemacht werden kann, was grundsätzlich Fälligkeit gem. § 271 BGB
voraussetzt. Der Anspruch war am 02.06.2011 fällig. Damit beginnt die Verjährung an sich mit Ablauf des 31.12.2011. Da dieser Tag gem. § 187 Abs. 1 BGB bei der Berechnung der Frist
nicht mitgerechnet wird, beginnt die Verjährungsfrist am
01.01.2012, 0 Uhr, zu laufen.
2. Fristende
Das Fristende bestimmt sich nach § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB. Folglich endet die Frist am 31.12.2014 um 24 Uhr.
3. Zwischenergebnis
Die Verjährung ist am 30.11.2014 noch nicht eingetreten. O kann
sich daher nicht auf Verjährung des von K geltend gemachten Anspruchs berufen und deshalb die Erbringung der von ihm aufgrund des mit K geschlossenen Kaufvertrags geschuldeten Leistung verweigern.
II. Einrede des nicht erfüllten Vertrages, § 320 Abs. 1 S. 1, 322
Abs. 1 BGB
Weiter kommt die dilatorische Einrede des nichterfüllten Vertrags
gem. § 320 Abs. 1 S. 1 BGB in Betracht, wonach O die ihm obliegende Leistung bis zur Bewirkung der Gegenleistung verweigern könnte. K hat den Kaufpreis i.H.v. € 100,– an O bezahlt. Fraglich ist somit, ob sie die Gegenleistung i.S.d. § 320 Abs. 1 S. 1 BGB bewirkt
hat.
K schuldete dem O als Gegenleistung die Zahlung von € 100,– aus
Kaufvertrag i.V.m. § 433 Abs. 2 BGB. Durch Übertragung von Buch-
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geld und die dadurch begründete Forderung des O gegen seine kontoführende Bank hat K diese Zahlung getätigt.
Folglich hat K die ihr obliegende Gegenleistung bereits bewirkt. O
kann sich damit nicht auf die Einrede des nicht erfüllten Vertrages
berufen.
III. Zurückbehaltungsrecht
K hat zwar die Gegenleistung bewirkt, jedoch stehen noch andere
Kaufpreiszahlungspflichten i.H.v. € 100,– aus, welche sie bei O „angeschrieben“ hat, dieser ihr mithin gestundet hat (§ 311 Abs. 1
BGB). Daher könnte O ein Zurückbehaltungsrecht gem. § 273 BGB
geltend machen mit der Wirkung, dass O nur Leistung Zug um Zug
schuldet (vgl. § 274 Abs. 1 BGB).
1. Wechselseitigkeit der Forderungen
Voraussetzung sind – wie bei der Aufrechnung – wechselseitige
Forderungen. Der zurückbehaltende Schuldner muss zugleich
Gläubiger des Gegenanspruchs und der Gläubiger des Anspruchs
zugleich Schuldner des Gegenanspruchs sein. Der zurückbehaltende Schuldner O schuldet K die Übergabe und Übereignung der
Äpfel aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB. Die K schuldet O die Zahlung
der Kaufpreisschulden aus anderen Kaufverträgen gem. § 433
Abs. 2 BGB. Diese sind auf fällig, da trotz Stundung der Gläubiger O die Fälligkeit durch einseitige Erklärung herbeiführen kann
(s.o.).
2. Konnexität der Forderungen
Weiter müssen der Anspruch der K und der Gegenanspruch des O
auf demselben rechtlichen Verhältnis beruhen, mithin die Forderungen konnex sein. Diese Begriff – insbesondere auch in Abgrenzung zu § 320 Abs. 1 S. 1 BGB im weitesten Sinne zu verstehen. Zwischen den beiden Ansprüche muss ein innerer und natürlicher wirtschaftlicher Zusammenhang in der Weise bestehen,
dass es gegen Treu und Glauben verstoßen würde, wenn der eine
Anspruch ohne Rücksicht auf den anderen geltend gemacht und
durchgesetzt werden könnte. Bei Ansprüchen aus ständigen Geschäftsbeziehungen kann ein solcher Zusammenhang bestehen,
sofern die verschiedenen Verträge wegen ihres zeitlichen oder
sachlichen Zusammenhangs als eine natürliche Einheit erscheinen.
K kauft seit 2011 immer wieder bei O ein, womit von einer ständigen Geschäftsbeziehung ausgegangen werden kann. Die verschiedenen Verträge aus 2014, deren Kaufpreiszahlungspflicht K
teilweise gestundet wurde und der Vertrag vom 01.06.2011 liegen
jedoch einige Jahre auseinander. Daher besteht kein Zusammenhang, der bewirkt, dass die Verträge als natürliche Einheit erscheinen.
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AG ZUM GRUN DKU RS ZIVILRE CHT I (PROF. DR. STEPHAN LO RENZ) · WINTERSEMESTER 2014/15
FALL 22 – LÖSUN G
Damit fehlt es an der Konnexität der Forderungen (a.A. bei entsprechender Argumentation vertretbar).
3. Zwischenergebnis
O kann folglich kein Zurückbehaltungsrecht aus §§ 273, 274
Abs. 1 BGB geltend machen.
IV. Recht zur Verweigerung der Leistung aufgrund Verwirkung
O könnte aber die Leistung verweigern, wenn die Geltendmachung
des Anspruchs der K eine unzulässige Rechtsausübung darstellt.
Auch die Verwirkung fußt auf dem Gedanken von Treu und Glauben.
Ein Vertragspartner muss dem Verhalten des anderen Vertragspartners vertrauen dürfen. Verhält sich dieser im Widerspruch zu seinem
Anspruchsverlangen kann die Verwirkung eintreten.
Wie alle Ausnahmen die sich aufgrund von dem Gebot von Treu und
Glauben, § 242 BGB ergeben, ist auch die Verwirkung nur in engen
Grenzen anzunehmen. Im Gegensatz zur Verjährung muss sowohl ein
„Zeitmoment“ als auch ein „Umstandsmoment“ erfüllt sein. Der Berechtigte muss also sein Recht über einen längeren Zeitraum hinweg
nicht geltend gemacht haben und der Verpflichtete sich auf Grund
des Verhaltens des Berechtigten darauf verlassen durfte dass dieser
sein Recht auch in Zukunft nicht ausüben wird. Die Dauer richtet
sich dabei nach den Umständen des Einzelfalls. Das Umstandsmoment setzt sowohl schutzwürdiges Vertrauen der Gegenpartei als
auch eine Unzumutbarkeit der Rechtsausübung für die Gegenpartei
voraus.
Hier ist insbesondere die Unzumutbarkeit in Frage zu stellen. An
diese für § 242 BGB charakteristische Anforderung sind wegen der
besonderen Wirkungen der Verwirkung hohe Anforderungen zu stellen. Vorliegend sind keine ausreichenden Anhaltspunkte erkennbar,
die für eine Unzumutbarkeit sprechen könnten, O hat weder Vermögensdispositionen getroffen noch sein Ladenangebot anderweitig
ausgerichtet, so dass sich das Festhalten an der Verpflichtung zur
Lieferung der Äpfel für ihn als Unzumutbar darstellen würde. Es ist
ihm vielmehr leicht möglich die geschuldeten Äpfel zu besorgen und
zu übereignen.
D. Ergebnis
K hat einen Anspruch gegen O auf Übergabe und Übereignung von
20 kg Äpfeln der Sorte „Leuchtend Grün“ an ihrem Wohnort und besteht damit zu Recht auf die Lieferung.
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