Der Hörer ist der Gewinner

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Der Hörer ist der Gewinner
Der Siegeszug der MP3-Player hat den Rundfunkanbietern in den letzten drei Jahren einen
neuen Vertriebsweg beschert: Sie stellen ihre
Sendungen als Audio- oder Videofiles so ins
Internet, dass interessierte Hörer und Zuschauer
sie sich mit so genannten Podcatchern im – bei der
ARD kostenlosen – Abonnement auf ihren PC
und auf mobile Abspielgeräte herunterladen
können. Nach dem Download sind die Radio- und
TV-Sendungen dann jederzeit an jedem Ort
abspielbar.
hre Lieblingssendung läuft genau dann,
wenn Sie arbeiten oder im Kino sind?
Abonnieren Sie Ihr ARD-Wunschprogramm als Podcast und hören Sie es,
wann und wo immer Sie wollen«, werben die
öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten auf
ihrer Portalseite ARD.de.
ARD: Wunschprogramm im Abo
Die meistgesehene Nachrichtensendung des
deutschen Fernsehens: die »Tagesschau« als
Video- und Audio-Podcast. Welcher Promi war
bei SWR1-»Leute« zu Gast? Um welche Story
ging es in SWR3-»Täglich Pop«? Und wer die
letzte Folge »Angela – Schicksalsjahre einer
Kanzlerin« verpasst hat, findet bei NDR 2 die
erfolgreiche Radiocomedy als Podcast.
hr3 bietet »Moment Mal«, religiöse Gedan­
ken zum Tag, als »Godcasting« an. Außerdem gibt’s »Lachen mit Klaus«-Comedy und
»Schnack mit Lack«-Promiklatsch. Bayern2- Radio hat die »Podcast-Parade« im Angebot.
Ein junges Medium
»Radio zum Mitnehmen«, so könnte man
Podcasting umschreiben, eine technische Entwicklung, die im Herbst 2004 begann – und die
auch für das Kulturradio zunehmend an Bedeutung gewinnt. Das Wort »Podcast« ist eine
Neuschöpfung, die sich aus »iPod« und »broadcast« zusammensetzt. Der iPod ist ein mobiler
Audio-Player und Bildbetrachter von Apple,
kleiner als eine Zigarettenschachtel, und »to
broadcast« ist das englische Wort für senden.
Das Prinzip dahinter ist eigentlich recht simpel:
Ein Podcast-Anbieter stellt Radio-Sendungen
als Audio-Dateien ins Netz und bindet sie in
eine Internet-Seite ein. Spezielle Programme –
so genannte Podcatcher – suchen diese Dateien
und laden sie, wenn Sie sie abonniert haben,
Kultur als Podcast
Der Hörer ist der Gewinner
Kulturangebote per Podcast
Von Detlef Clas
automatisch auf Ihren Rechner. Von dort aus
können Sie den Podcast entweder manuell oder
automatisch auf Ihren Audio-Player übertragen,
ja sogar auf Ihr Handy.
»Radio von jedermann«
Podcasts eröffneten anfangs vor allem dem
selbstgestrickten »Radio von jedermann« neue
Möglichkeiten. Wer meinte, etwas zu sagen
zu haben, produzierte mit Hausmitteln eine
kleine Sendung und stellte sie ins Netz. Das
Themenspektrum war und ist riesig und reicht
vom privaten akustischen Tagebuch bis zum
Wortschatz-Trainer für Fremdsprachen. Für
jede Interessenlage ist etwas dabei. Manches ist
hausbacken – vom Inhalt wie von der Form her.
Mittels des Podcasting sind aber auch schon
Talente entdeckt worden, die ihre Beiträge jetzt
in den Programmen professioneller Radiostationen präsentieren.
SWR2-Hörtipps von Annik Rubens
Zum Beispiel Annik Rubens, die bekannte Podcasterin, die für das Kulturprogramm SWR2
ihre persönlichen Hör-Highlights im Radio und
als Podcast vorstellt. Zum Beispiel die Sendung
über die Rapperin Bahar in SWR2-»Dschungel«.
Annik Rubens ist Podcasterin der ersten Stunde.
Die Sendung, durch die die 30-Jährige bekannt
wurde, heißt »Schlaflos in München«. Durchschnittlich 8 000 Menschen hören sich jeden
Tag im Internet an, was Annik, die eigentlich
Larissa Vassilian heißt, zu erzählen hat.
Wissen für Kopfhörer und »Wurfsendung«
frei Haus
Mittlerweile produzieren alle ARD-Sender auch
selbst Podcasts. Kein Sender, der nicht Teile seines Programms als Podcast anbietet. Wer Neues
aus Biologie, Raumfahrt oder Medizin sucht,
wird bei »Forschung Aktuell« vom Deutsch-
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landfunk fündig. Minihörspiele für zwischendurch liefert als »Wurfsendung« (Screenshot)
Deutschlandradio Kultur. Und das als Podcast.
Die DW bringt Literatur auf Ihren MP3-Player
– mit dem Magazin »Bücherwelt«. Ebenfalls im
Abo angeboten wird das »Kalenderblatt«, das
unterhaltsam über geschichtliche Ereignisse und
berühmte Personen informiert.
»Zeitzeichen« oder »Themen des Tages« –
Podcast-Fans haben bei der Kulturwelle WDR 3
die Qual der Wahl. Was gibt’s Neues aus Forschung und Wissenschaft bei SWR2-»Campus«?
Neugierige und Wissensdurstige werden fündig
bei »SWR2 Wissen«. Das, was Menschen und
Ereignisse berühmt gemacht hat, sendet Bremen Eins täglich »As time goes By«. Die MDRRadiowellen bieten ausgesuchte Highlights als
Podcast an: Hörspiele, Dokus, Urteile der Woche und die Presseschau. Auch »hr2 – Der Tag«
können Sie sich regelmäßig schicken lassen.
Bayern2Radio hat im Angebot die politische
Glosse »Ende der Welt«.
Podcasts. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein
bestimmter Podcast abgerufen wird, ist umso
höher, je profilierter das Angebot in dem Radio­
programm ist.
Radiokunst im Griff der Rechte
Noch sucht man allerdings die großen Stundenfeatures oder Hörspiele als Downloads
meist vergeblich. Mit Georg Büchners »Woyzeck« ist dem SWR2-Hörspiel eine Ausnahme
gelungen, die als Appetizer zum »Klassik:
Jetzt!«-Schwerpunkt und der CD-Edition des
Argon-Verlags gedacht war. Ein Versuch, der
sich gelohnt hat: Laut Auswertung der SWRMedienforschung wurde die MP3-Datei in den
zehn Tagen, die sie online war, 8 350 Mal heruntergeladen. Damit steht sie in den Top 50 aller
SWR-Downloads (MP3) vom März 2007 auf
dem dritten Platz. Radiokunst, wie auch zahlreiche E-Mails bezeugen, ist also stark gefragt.
Aber viele dieser Stücke sind Bearbeitungen
literarischer Vorlagen oder die Autoren haben selbst Verlagsverträge. Für Podcastzwecke
müssten deshalb in jedem Einzelfall die Rechte
neu geklärt und gegebenenfalls nachhonoriert
werden. Das gilt in der Regel auch für Musik.
»Für die Nutzung von Musik in einem Podcast benötigen Sie die Musikurheberrechte der
Komponisten, Textdichter und deren Verleger.
Diese Rechte erhalten Sie von der GEMA.« Die
GEMA ist die deutsche »Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte«. Zwar lizenziert die GEMA
die von ihr vertretenen Urheberrechte jetzt
auch für On-Demand-Anwendungen.
ARD-Studie: Podcasting keine Gefahr für Radio
Podcasts sind eine sinnvolle Ergänzung der
traditionellen Radioprogramme. Das ist das
Ergebnis der ersten ARD-Podcast-Studie. Im
Zeitraum Juli bis September 2006 wurden insgesamt 10 156 Nutzer von Podcast-Angeboten
auf den Internetseiten der einzelnen ARDLandesrundfunkanstalten und von ARD.de
befragt. Die Antworten belegen, dass es keine
konkurrierende Beziehung zwischen Podcasts
und Radioprogrammen gibt. Im Gegenteil: Die
Hörfunkprogramme, und hier vor allem die
Informations- und Kulturangebote der ARD,
bieten Orientierung bei der Auswahl eines
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Artikel
ARD-JAHRBUCH 07
Aber diese Lizenz reicht nicht aus, darauf weist
auch die GEMA hin: »Sie benötigen überdies
die Leistungsschutzrechte der ausübenden
Künstler und Tonträgerhersteller. Diese Leistungsschutzrechte liegen in der Regel bei den
unterschiedlichen Plattenlabels.« Im Klartext
bedeutet dieser Hinweis, dass man die Rechte
der ausübenden Künstler und der Plattenlabels
an der Aufführung bzw. der Aufnahme bei der
GEMA nicht erhält. Man bekommt sie auch
nicht bei der GVL – der »Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten«, da Autoren ihr nicht das On-Demand-Recht übertragen
haben.
Wege aus der Sackgasse
Welchen Ausweg gibt es aus der komplizierten
Rechtslage, wenn man in Hörfunksendungen,
die als Podcast angeboten werden sollen, nicht
ganz auf Musik verzichten will? Die Redaktion
SWR2 Wissen realisiert bei mehrteiligen Reihen
ein eigenes Sounddesign, vergibt Kompositions­
aufträge oder erhält von den Autoren Musik
als rechtefreie Eigenaufnahme. Bei Sendungen,
die GEMA-pflichtige Musik erfordern, gestaltet
SWR2 Wissen derzeit (2007) musikfreie Podcast-Versionen, was allerdings bei den oft knappen Produktionszeiten nur ein Notbehelf sein
kann. Doch weil sich Sendungen mittels Podcasting deutlich weiter verbreiten lassen – vor
allem auch unter jüngeren Hörern –, scheint
dieser Aufwand gerechtfertigt.
»Radio hören« – wann immer man Lust hat
Die Unabhängigkeit von Sendezeiten – das
scheint der Dreh- und Angelpunkt für die Beliebtheit von Podcasts zu sein. Wann immer der
Nutzer Zeit und Lust hat, schaut er sich Podcast-Angebote im Internet an und abonniert,
was ihn interessiert. Und irgendwann – nach
seinem ganz persönlichen Zeitplan – hört er
sich die Sendungen an. Das kann auf dem Weg
zur Arbeit, beim Joggen oder im Liegestuhl sein
oder zu Hause am Computer. Dass die Relativitätstheorie als Podcast auch im Fitnessstudio die
Zeit verkürzen kann, belegt das nebenstehende
Zitat aus einem Weblog.
Der Podcast-Nutzer
Der befragte Podcast-Nutzer ist allerdings
(noch) nicht weiblich, sondern nach der ARDPodcast-Studie männlich (63 Prozent), unter 40
Jahre alt (80 Prozent) und formal höher gebildet
Kultur als Podcast
Relativitätstheorie im
Fitness-Studio
»Seit gut zwei Monaten bin ich, vom Arbeitgeber subventioniert, Mitglied im ört­lichen Körperertüchtigungsverein. Schließlich rückt die 30 näher und ich habe ja
auch zwei Schwangerschaften hinter mir.
Seitdem verbringe ich also einige Mittagspausen mit Sport. Im Vereinsheim läuft
dazu auf den Fernsehgeräten – ohne Ton
– VIVA. Das kann man noch ignorieren,
solange man sich an den Gerätschaften
quält. Nicht aber auf dem Laufband. Da ist
Flucht unmöglich. Ich fange also an zu laufen und sehe fern. VIVA zeigt klein Videos
und groß Kurznachrichten. Zum stummgeschalteten Fernseher läuft übrigens
übelste Bumbummukke (». . . There’s no
Limit . . .«) aus der Konserve. Ich versuche
den Tonmüll mit meinem iPod zu übertönen. Es läuft eine Folge des SWR2-WissenPodcasts über die Relativitätstheorie. Geil.
Tokio Hotel in den Augen, Einstein im Ohr
und Bumbum im Bauch. Der Podcast ist
mittlerweile beendet und ich laufe stur zu
Franz Ferdinand auf meinem Band. Und
in meinem Kopf machen sich Bruchstücke
der Relativitätstheorie selbständig. Die
Zahlen auf dem Display fangen an zu ver­schwimmen. Habe ich jetzt Lichtgeschwindigkeit erreicht? Oder verwandelt sich
gerade meine Masse in Licht? Wenn ich
noch schneller laufe, komme ich dann vor
der Mittagspause wieder in die Firma?
Das muss dieses Läufer-High sein. Ich
steige vom Band, aber der Boden unter
mir scheint sich weiter zu bewegen. Jetzt
bekomme ich Angst. Ich wische mir den
Schweiß aus den Augen, kann wieder
sehen und beschließe das nächste Mal
wieder auf die Treppensteigmaschine zu
gehen.«
(75 Prozent). Die neue Podcast-Studie zeigt außerdem, dass die Podcast-Nutzer meist auch Intensiv-Nutzer sind. Rund 80 Prozent rufen und
hören das Angebot regelmäßig ab, ein Viertel
sogar täglich. Im Schnitt nutzt jeder »Podcaster«
acht verschiedene Angebote, die zum überwiegenden Teil nicht nur gesammelt, sondern auch
gehört werden. Eine Untersuchung aus den
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USA konnte gar nachweisen, dass Podcaster, die
solche Angebote von Rundfunksendern zum
zeitversetzten Hören nutzen, auch verstärkt
dort Radio hören.
Podcasting ist also eine Chance, mit den
ARD-Radioangeboten noch mehr Hörer zu
erreichen. Gleichzeitig sind Podcasts die beste
Werbung für die klassischen linear verbreiteten
Radioprogramme. Besonders stark profitieren
die Informations- und Kulturprogramme der
ARD von der Möglichkeit, Sendungen oder
Einzelbeiträge im Podcast zum Abruf bereitzustellen. Die Abrufer dieser Podcasts sind im
Allgemeinen jünger als das entsprechende Radiopublikum. Gerade jüngere Podcast-Nutzer
kommen auf diesem Wege erstmals mit einem
Informations- oder Kulturprogramm in Berührung.
Information ist gefragt
Beim SWR wurde Podcasting im März 2005
eingeführt. Renommierte Sendungen der Kulturwelle SWR2 wie »Forum«, »Leben« und
»Campus« sind seitdem via Internet nutzbar.
Wortsendungen wie »SWR2 Wissen« oder
»SWR2 Aula« werden bis zu 10 000 Mal pro
Monat heruntergeladen. Bereits kurz nach ihrer
Ausstrahlung im Radio sind so Sendungen wie
»Der Kult der grünen Fee«, ein Feature über
die schillernde Welt des Absinth, der »Traum
der Menschheit – Zeitreisen« oder »Wissen ist
Macht« im Internet abrufbar. Mit über 400 000
Abrufen pro Monat ist »Wissen« eines der
meistgehörten Podcast-Angebote im SWR und
für viele auch eine Anlaufstelle in externen Podcastportalen: »Ich höre diese Reihe fast täglich
auf dem Weg zur Arbeit und habe das Gefühl,
jeden Morgen etwas intelligenter am Arbeitsplatz anzukommen, als ich von zu Hause weggefahren bin.«
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Podcasts im Mixer
Wer eine größere MP3-Musik-Sammlung hat
und dazu diverse Podcasts abonniert, der steht
möglicherweise vor der Frage, wie und in welcher Reihenfolge sich das alles anhören lässt.
Dabei kann der ARD-Podcast-Mixer (Screenshot
links) helfen: Mit ihm können Musik und Wort
individuell kombiniert werden: Nach dem
Start, etwa mit einem Song der Lieblingsband,
ein ARD-Podcast mit umfassenden Informationen aus Politik und Wissenschaft, danach ein
weiterer Song seiner Wahl, anschließend eine
witzige Satire eines anderen Podcasts und so
weiter. So stellt sich jeder schnell und bequem
sein eigenes, lebendiges Programm für den iPod
oder den MP3-Player zusammen – ganz nach
Lust und Laune. Der Podcast-Mixer ist freie
Software und kann kostenlos auf den Seiten der
ARD heruntergeladen werden.
Die neue »ARD Mediathek«, die im Herbst
2007 startet, ermöglicht einen einfachen und
übersichtlichen Zugriff auf alle online verfügbaren TV- und Radioinhalte: Audios und Videos, Pod- und Vodcasts, Downloads sowie OnDemand- und Livestreams. Bereits jetzt liegen
mehr als 500 Hörfunk- und viele TV-Angebote
vor und können als Podcasts auf dem PC oder
mobilen Player zeitversetzt genutzt werden.
Der Hörer ist der Gewinner
Noch ist Podcasting in Deutschland ein zartes
Pflänzchen. Die ARD-/ZDF-Online-Studie
2007 hat beispielsweise ergeben, dass erst 4
Prozent der befragten Onliner über 14 Jahre
Podcasts abrufen. In den USA haben einzelne
Podcasts bereits ein Publikum von schätzungsweise 50 000 bis 100 000 Hörern täglich (in
Deutschland sind das gute Monatszahlen).
Das entspricht der Hörerschaft eines kleineren
Lokalradios. Im Gegensatz zum klassischen
Radio sind Podcasting-Beiträge dauerhaft über
das Netz verfügbar. Podcasting ist Audio on
Demand. Aufwändige, mit Gebührengeldern
finanzierte Beiträge bleiben so der Gemeinschaft erhalten. Podcasting ist damit also auch
eine neue Vertriebsform für ohnehin erstellte
Inhalte. Für Radiosender, insbesondere die anspruchsvollen Wortsendungen, eine einmalige
Chance. Und der Hörer wird auf jeden Fall der
Gewinner sein.
Detlef Clas SWR, Bildung und Wissenschaft
ARD-JAHRBUCH 07