Fritz Pleitgen Herrn Andreas Fischer Direktor der
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Fritz Pleitgen Herrn Andreas Fischer Direktor der
Fritz Pleitgen Herrn Andreas Fischer Direktor der Kommission für Jugendmedienschutz c/o Niedersächsische Landesmedienanstalt Seelhorststraße 18 30175 Hannover KJM/ BILD: Artikel „Habt Ihr diese Bilder schon vergessen?“ Köln, 17. März 2016 Sehr geehrter Herr Fischer, die Kommission für Jugendmedienschutz wirft BILD Verletzung der Menschenwürde vor. Es geht um den Artikel „Habt ihr diese Bilder schon vergessen?“ BILD hat mich um meine Meinung gebeten. Dem Wunsch komme ich gerne nach, weil es um eine journalistisch wichtige Frage geht und mich der Krieg in Syrien sehr beschäftigt. Im Dezember 2014 habe ich die Außenminister der USA und Russlands aufgefordert, mit dem Einfluss ihrer Großmächte alles zu unternehmen, den Krieg in Syrien so schnell wie möglich zu beenden. BILD hat seinerzeit den offenen Brief voll abgedruckt, trotz sperriger Länge! Der Redaktion ging es, wie ich es wahrnahm, nicht um Sensation, sondern journalistisch um einen Beitrag, wie der mörderische Konflikt zu lösen ist. So sehe ich auch den Artikel „Habt ihr diese Bilder schon vergessen?“ Mit oder ohne Assad? Das ist die entscheidende Frage bei der Lösung des Syrienkonflikts. Ich selbst vertrete die Meinung, dass Assad nicht von vornherein auszuschließen ist, sonst dauert der Krieg noch länger. Meine syrischen Freunde, zumeist Ärzte, die unter ständiger Lebensgefahr und primitivsten Umständen Kriegsopfer versorgt haben, sind ganz anderer Meinung. Sie können sich einen Frieden mit Assad nicht vorstellen. Ähnlich sehen das von mir geschätzte Kolleginnen und Kollegen, die in der Kriegsregion tätig sind und sich dort gut auskennen. Autor und Redaktion von BILD stehen also mit ihrer Meinung nicht allein, Assad für die Grauen des Kriegs haupt-verantwortlich zu machen. Kriege produzieren unvorstellbares Leid. Wie stellt man es angemessen dar? Authentische Fotos sind die stärkste und überzeugendste Ausdrucksform. Redaktionen bewegen sich bei ihrer Veröffentlichung oft auf einem schmalen Grat. Die Würde des Menschen ist dabei zu achten. Es ist ein hohes Gut, das entschlossen verteidigt werden muss. Die Würde des Menschen erlischt nicht mit dem Tod. Aber wird sie nicht auch (über den Tod hinaus) verteidigt, wenn das Leiden des einzelnen Menschen persönlich erkennbar vor dem Vergessen gerettet wird? Ich meine ja. Und zwar durch unverfälschte Veröffentlichung! Darin erkenne ich den Wert des Artikels „Habt ihr diese Bilder vergessen?“ Dem Urteil der KJM , der Autor betriebe spekulative Meinungsmache, kann ich mich deshalb nicht anschließen. Dementsprechend sehe ich in der Feststellung „der Autor instrumentalisiert mit der Veröffentlichung der Fotos das Leiden der Menschen für seine Zwecke“ eine ziemlich böse Unterstellung. Wie die Kommission kann ich mir hingegen vorstellen, dass es dem Autor auch um Schockwirkung gegangen ist. Doch das ist journalistisch legitim, wenn man Augen öffnen will, um Unerträgliches erkennen zu lassen. Es gibt Veröffentlichungen von Bildern, die nach dem ersten Erschrecken weitreichende politische Folgen hatten. Dazu gehören die Fotos von dem durch Brandbomben schwer verletzte Mädchen im Vietnam-Krieg oder im selben Krieg von der Exekution eines Vietcongs durch einen südvietnamesischen Polizei-Offizier. Die Veröffentlichungen haben mit zum Ende des Vietnam-Krieges beigetragen Ich selbst musste als Intendant für eine zunächst heftig umstrittene Veröffentlichung geradestehen. Es ging um Bilder von einem toten amerikanischen Soldaten, der an den Füßen gefesselt hinter einem Auto durch die Straßen von Mogadischu geschleift wurde. Ich fragte mich: ist die Veröffentlichung dieser Bilder mit der Würde des Menschen vereinbar? Die amerikanischen Sender stellten mir die Frage nicht. Sie wollten die Bilder haben und sie der Bevölkerung zeigen. Nicht ohne Folgen. Die USA beendeten sofort ihr militärisches Engagement in Somalia. Ich hoffe, dass ich mit meiner Stellungnahme nicht die Würde der Kommission für Jugendmedienschutz verletzt, sondern zusätzliche Erkenntnisse geliefert habe. Mit freundlichen Grüßen Fritz Pleitgen