Gemüse vom Fließband
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Gemüse vom Fließband
PL ANET ERDE MINI-KRÄUTERGARTEN Das Gewächshaus aus Stahl, Plexiglas und Terrakotta macht eine gute Figur auf dem Fensterbrett und bietet Kresse, Schnittlauch, Dill und Co. optimale Bedingungen. Der Preis ist stolz, das Design aber schick (ab ca. 219 €, über usuals.nl). SCHATTENGEWÄCHSE In einem alten Frachttunnel unter dem „Palmer House Hilton Hotel“ in Chicago wachsen jetzt Austernpilze. Chefkoch Stephen Henry hat mit dem Urban-FarmingExperiment Großes vor: Er plant ein Pilzmenü inklusive Dessert (palmerhousehiltonhotel.com). B A L D AUC H BE I U N S? Wissenschaftler rund um den Globus forschen derzeit an Modellen für die Landwirtschaft der Zukunft. Deutschland hinkt damit hinterher, während in den USA das „neue Grün“ längst in den Supermärkten liegt TEXT ALINA HALBE Kein einziger Sonnenstrahl dringt in die meterhohe Fabrikhalle von „FarmedHere“ im Südwesten Chicagos. Nur die mehrstöckige Pflanzanlage, die aussieht wie übereinandergestapelte Fließbänder, ist hell erleuchtet. Zig LED-Lampen bestrahlen hier Basilikum, Rucola und Microgreens, also Salate und Kräuter im Miniformat. Vertical Farming nennt sich die Technologie, bei der in städtischen Gebäuden auf mehreren Ebenen Lebensmittel angebaut werden. Ziel dieses innovativen Landwirtschaftskonzeptes ist es, die Nahrung näher an die Stadt zu bringen und mehr Masse auf weniger Raum zu produzieren. Es ist eine Reaktion auf die zunehmende Verstädterung, die rasant wachsende Bevölkerung und die daraus resultierende Nahrungsmittelknappheit. Laut der Bundeszentrale für politische Bildung werden schon 2050 etwa neun Milliarden Menschen auf der Erde leben. Die meisten davon in Städten und Ballungszentren fernab von landwirtschaftlichen Nutzflächen. Forscher und Architekten tüfteln deshalb an Turmgewächshäusern, die sich der Stadtstruktur anpassen und die Menschen ohne lange Transportwege mit frischer Nahrung versorgen. In sogenannten Farmscrapern sollen dann über mehrere Stockwerke Gemüse und Reis wachsen. Das Vertical Farming unterscheidet sich grundlegend vom konventionellen Ackerbau. In der etwa 8300 Quadratmeter großen Halle von „FarmedHere“ findet man weder Gießkannen noch einen Krümel Erde. Die Anlage wird nach dem Aquaponik-Verfahren betrieben, bei dem Fische und Pflanzen in einem gemeinsamen Kreislauf leben und voneinander profitieren (s. Abbildung). Das CO2, das die Fische ausatmen, nutzen die Pflanzen zum Wachsen. Und auch ihr Kot wird in Nährstoffe umgewandelt. Die 1 Beim Aquaponik-Verfahren existieren Fische und Pflanzen in einem gemeinsamen, geschlossenen Wasser- und Nährstoffkreislauf. Pflanzen wachsen dabei auf Kokosfasern unter künstlichem Licht und werden mit mineralstoffreichem Wasser aus dem Fischtank gewässert. „Diese Methode verbraucht bis zu 90 % weniger Wasser als die traditionelle Landwirtschaft“, sagt Mark Thomann. Er arbeitet als Entwickler bei „FarmedHere“ und kennt die Vorteile: „Man kann das Wachstum optimal steuern. Unser Salat ist nicht in drei Monaten fertig, sondern in 28 Tagen.“ Außerdem ist der Anbau im Gebäude unabhängig vom Wetter und der Jahreszeit und geschützt vor Parasiten. Umweltschädliche Transportwege entfallen. Einen Nachteil sehen Kritiker allerdings im enormen Energieverbrauch, der durch die künstlichen Lichtanlagen entsteht. Thomann 2 FOTOS: ALINA HALBE )2), UNIVERSITÄT STUTTGART,/ITKE,/GUNDULA SCHIEBER, IGB/D.AUSSERHOFFER )2); INFOGRAFIK: IGB Gemüse vom Fließband hält dagegen: „Durch den geschlossenen Kreislauf verbrauchen wir so wenig Ressour cen wie möglich.“ Wie die Klimabilanz des Vertical Farmings tatsächlich aussieht, kann bislang niemand sagen. Die Idee dieses IndoorAnbaus ist übrigens nicht neu. 1965 entwickelte der Wiener Ingenieur Othmar Ruthner ein revolutionäres Turmgewächs haus mit künstlichem Klima, bei dem Gemüse und Blumenbeete in einer Art Paternoster rauf und runterfahren. Ab den 1990erJahren beschäftigte sich dann der Mikrobiologe Dickson Despommier mit dem vertikalen Pflanzenanbau und betonte, dass selbst Länder mit wenig Agrarfläche zu TopLebensmittelproduzen ten werden könnten. Hobbygärtner und Akti visten rund um den Globus bringen schon seit einigen Jahren Gemüse, Obst und Pflanzen mitten in die Stadt. Urbane Landwirtschaft liegt nach wie vor im Trend. Weltweit trifft man sich an Gemeinschafts gärten und auf Dachterrassen zum Säen, Ernten und Unkrautjäten. Ein Beispiel ist der Berliner „Prinzessinnengarten“, in dem seit 2009 auf einer Brachfläche etwa 500 verschiedene Gemüse und Kräutersorten angebaut werden (prinzessinnengarten.net). Professionelle Großprojekte wie das Vertical Farming haben es dagegen in Deutschland schwer. Zwar wird an mehreren Universitäten zum Thema geforscht, etwa an der RWTH Aachen, der Universität Hohen heim in Stuttgart und am FraunhoferInstitut für Umwelt, Sicherheits und Energietechnik UMSICHT. Doch kommerziell vertreibt das IndoorGemüse hierzulande noch niemand. Anders in den USA, Singapur und Japan: Dort beliefern VerticalFarmingUnternehmen schon jetzt BioSupermärkte sowie Restau rants mit Salat und Kräutern. „Wir sind in Deutschland zu konservativ. Die USA etwa stehen neuen Technologien offener gegen über“, sagt Prof. Dr. FritzGerald Schröder von der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Dresden. „Das Vertical Farming soll die traditionelle Landwirt schaft nicht komplett ablösen, sondern nur einen möglichen Weg für die Produktion der Zukunft aufzeigen.“ Deutsch land hält sich aber zurück. Die Argumente leuchten ein: Hierzulande werden ausrei chend Nahrungsmittel produziert, viele wandern sogar als Überschuss in den Müll. „Nirgendwo sind die Lebensmittel so billig wie hier. Dabei wollen alle, dass so produziert wird wie vor 100 Jahren, aber keiner ist bereit, höhere Preise zu zahlen. Das ist paradox“, sagt Schröder. Folge: Die For schung in Deutschland wurde in den letzten Jahren zurückgefahren, während etwa Länder wie Indien, Korea und die Arabischen Emirate kräftig in die neue Technologie investieren. Aber wie genau wird sie denn jetzt aussehen, Die Zukunft ist HightechLandwirtschaft 3 Lonely Planet Traveller Oktober 2014 Prof. Dr. Fritz-Gerald Schröder (53) forscht an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Dresden zu Gemüsebau und Gewächshausmanagement. Für die Deutsche Luft- und Raumfahrt arbeitet er gerade an einem Projekt zur bodenlosen, ökologischen Gemüseproduktion auf dem Mars. WEITERE INFOS ECF Farmsystems in Berlin bietet Füh rungen durch eine AquaponikFarm an (ecffarmsystems.com). Die Website zum Projekt Tomatenfisch des LeibnizInstituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) liefert Infos rund um das Thema (tomatenfisch.igbberlin.de). The Vertical Farm ist eine Website mit Videos und Links zu Despommiers gleichnamigem Buch (verticalfarm.com). Die Berliner Firma INFARM legt Mikrogärten in Häusern an, etwa im neuen „Hotel Bikini“ (infarm.de). 1 | Über mehrere Etagen wachsen bei „FarmedHere“ in Chicago Basilikum und Salat auf einer Art Transportband. 2 | Das Turmgewächshaus der Zukunft? Im Modell der Universität Hohenheim wird Reis über zig Stockwerke angebaut. 3 | Fisch und Tomaten gedeihen in einem geschlossenen Gewächshaus. 4 | Für das Aquaponik-Verfahren werden häufig Buntbarsche der Gattung Tilapia eingesetzt 4 30 die Landwirtschaft der Zukunft? „Es wird eine Form von Smart oder High techFarming geben, bei dem man GPS nutzt und bessere Wettervorhersagen hat. Man wird Krankheiten und Schädlinge über Mini satelliten überwachen. Und ein großer Teil der Landwirtschaft wird sich dabei sicherlich in Gebäuden abspielen“, sagt Schröder.