Abendzeitung München 08.04.14 „Die Frau vom Bau“
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Abendzeitung München 08.04.14 „Die Frau vom Bau“
THEMA DES TAGES W W W . A Z - M U E N C H E N . D E D I E N S TA G , 8 . 4 . 2 0 1 4 A B E N D Z E I T U N G Die Welt des Handwerks Neue Serie in der AZ: Ab heute stellen wir Menschen vor, die mit ihren Händen etwas leisten und schaffen – und ohne die wir ganz oft ziemlich aufgeschmissen wären S ie sind keine Riesen, aber sie sind mächtig und sie sind selbstbe- nen. Bäcker Metzger, Schreiner, klar – aber es gibt noch viel mehr Handwerksberufe, insgesamt 122. Knapp 40 000 Betriebe gibt es im Bereich der Handwerkskammer München und Oberbayern, den allermeisten geht es gut. „Die Konjunktur läuft“, wusst. Deutschlands Handwerker können etwas, was andere nicht kön- sagt Heinrich Traublinger, Präsident der Handwerkskammer. Trotzdem gibt es Sorgen. Vor allem der Nachwuchsmangel macht Kummer, aber auch die Politik. Die hinterfragt die Meisterpflicht und verärgert so nicht nur die Funktionäre. In einer Serie 3 Handwerk in München stellt die AZ die Welt des Handwerks vor – ihre Faszination, aber auch ihre Schattenseiten. mm Morgen lesen Sie: Münchens letzte Lederschneiderin – ein Porträt AZ-SERIE Die Orgeln sind seine Kinder Der Seiler: Er hängt an seinem Job „Da hängen Menschenleben dran“ sagt Josef Hutterer und meint es wörtlich: „Ohne Seiltechnik ist menschliches Leben nicht vorstellbar.“ Ob sie einen Kran bedienen, ein Schiff festmachen, oder Ihnen ein Herzkatheter eingesetzt wird: „Das ist Seiltechnik und das ist unser Job.“ Auf das Jahr 1629 geht der Betrieb zurück, der mal „Josef Schwaigers Witwe“ hieß und heute zur Carl Stahl-Gruppe gehört. „Die Seilerei ist das zweitälteste Gewerbe in München nach den Brauereien, sagt Seilermeister Hutterer. 90 Menschen arbeiten hier in Daglfing, wo noch eine alte Reeperbahn steht, in der einst 220 Meter lange Seile aus Seiler Josef Hutterer bei der Arbeit – die Seilerei ist das zweitälteste Münchner Gewerbe nach den Brauereien. Alle Fotos: Sigi Müller Hanf oder Flachs gedreht wurden. „Ketten, Drahtseile und jede Form von Lastenbewegung“ ist das Geschäft, mit dem Hutterers Betrieb knapp 12 Millionen Euro Umsatz macht. „Wir wachsen weiter.“ Nur der Nachwuchs, der macht Sorgen. „Wir hatten 54 Bewerber für sechs Lehrstellen. Nur fünf konnten wir nehmen.“ Die anderen fielen durch den Mathe- und Deutschtest. „Wir müssen hier rechnen können“ sagt Hutterer: „Daran, was wir konstruieren, hängen Leben.“ Der SaxophonVirtuose Maximilian Frei spielt Solo. Klappen, Winkel und Stängchen liegen vor ihm auf der hölzernen Werkbank, Teile eines Saxophons. „Eigentlich habe ich gar keine Zeit, ich kann meine Kundschaft nicht warten lassen.“ Der 49-Jährige ist gelernter Metallinstrumentenbauer, Bester seines Jahrgangs bei einem Leistungswettbewerb – und Einzelkämpfer. Er ist eine Institution im Westend und in der ganzen Welt. „Sonny Rollins kommt auch“, sagt er über einen der größten Jazz-Saxofonisten der Welt: „Oder ich komm zu ihm.“ 20 Prozent seiner Kundschaft kommt aus München. „Das sind Profi-Musiker, und Maximilian Frei baut die Instrumente, auf denen Beder Rest kommt aus rühmtheiten später betörende Melodien spielen. Deutschland und der ganzen Welt.“ Der Beruf macht dem gebürtigen Allgäuer Spaß, man sieht es ihm an und seiner Werkstatt mit den alten Werkbänken, der Drehbank und der liebevoll freigelegten Wandmalerei. Wieviele Teile hat so ein Saxofon? „Ich habe sie nie gezählt“. Für so was hat er keine Zeit. „Man muss langen Atem haben“, sagt Johannes Führer. Das gilt für seinen Beruf und für die Gewerke, die er Für ihn dreht sich alles um Harmonie: herstellt. Der Orgelbauer Johannes Führer. 55-Jährige ist Orgel- und Harmoniumbaumeister: „Bis nach Moskau haben wir geliefert“, sagt er, und man hört, dass er nicht gerne weit weg ist von seinen „Kindern“. 45 Orgeln hat er gebaut in den 20 Jahren, seit es seinen Familienbetrieb gibt. Gibt es ein Auf und Ab mit der Konjunktur? „Nein, für uns nicht“. Die beiden Kirchen sind der Auftraggeber, sie zahlen 250 000 Euro für eine durchschnittliche Orgel. Ein Jahr sind Führer und seine acht Mitarbeiter mit einem Neubau beschäftigt, dazu kommen Wartung und Reparaturen: „Zwar weiß man nicht, wie sich das mit der Kirche weiterentwickelt, aber ich bin zuversichtlich“. Vier Jahre muss ein Auftraggeber warten, wenn er heute bei Führers in Sendling bestellt. Auch die Kunden brauchen langen Atem. Hut auf! Es schwingt im Laden von Christina Halbig: weiche Formen, Frühlingsfarben auf luftigen Stoffen. „Es gibt für jeden Anlass einen Hut.“ Und die 46-jährige Modistin stellt sie her in ihrer Werkstatt über der Theatiner-Passage. Kunden aus der ganChristina Halbig plant jetzt auch zen Welt kommen in ihr eine Herren-Abteilung. Atelier, für Hochzeiten, Sommerurlaube und „Anlässe“ eben. Muss ja nicht immer Ascot sein. „Die Vorurteile stimmen nicht, dass man spießig aussieht oder unterjocht wird von einem Hut“, sagt Halbig. Und so stickt sie mit ihrer Mitarbeiterin „Fascinators“ (die Dinger von der Kate-William-Hochzeit) oder Sonnenhüte: „Der Klimawandel hilft uns, sagt die Modistin. „Wenn die Sonne scheint und das Haar lichter wird, dann wird’s Zeit für den Hut.“ Weil das mit dem lichteren Haar hauptsächlich Männer trifft, geht die Meisterin den nächsten Schritt. Ab diesem Frühahr gibt’s eine Herren-Abteilung. Für ihn geht’s um die Wurscht Friseurin Sahin Dilek nimmt sich für ihre Kunden viel Zeit. Frisuren, die auch morgen noch sitzen „Ich muss Klatschzeitschriften lesen“, sagt Sahin Dilek und lächelt kein bisschen. Dazu ist die Friseurmeisterin zu sehr Profi: „Da stecken Trends und Ideen drin.“ Doch mit der neuen Welle eines Promis allein besteht man nicht gegen die Konkurrenz der Billig-Friseure von nebenan. „Die machen uns keine Sorgen,“ behauptet die 53-Jährige in ihrem Schwabinger Salon, den sie mit ihren beiden Kindern führt. „Das mit den Dumpingpreisen funktioniert nur, wenn Sie sich keine Zeit nehmen“, sagt Frau Dilek, die seit 1993 selbständig ist. „Und nach unserer Beratung kommen die Kunden selbst zurecht mit ihrer neuen Frisur – auch nach dem Waschen.“ Doch, „ein wunderbarer Beruf“ sei das, „es muss nicht auf der Billigschiene enden“. Dann macht man es wie Frau Dilek – und wäscht den Promis aus den Klatschzeitschriften den Kopf. „Es ist halt immer wieder die Weißwurscht und der Leberkäs“, sagt Georg Schlagbauer. „Daran werden wir gemessen in München.“ Aber es geht um mehr als um die Wurscht für Münchner Metzger: „Wie unterscheiden wir uns vom Lebensmitteleinzelhandel, der uns alles nachmacht?“ Schlagbauers Metzgern Metzger Georg Schlagbauer setzt auf in der dritten GeneraProdukte von glücklichen Tieren. tion in drei Filialen in der Stadt: „Wir arbeiten seit Jahren mit Neuland zusammen“, sagt der 41-Jährige, „da geht’s um artgerechte Haltung und da zahlen die Kunden gerne ein bisserl mehr.“ Zwei Sachen passen nicht zusammen: „Einerseits das Tierwohl wollen und dann den Preis zu drücken, das haut nicht hin“, sagt Schlagbauer. 13 Arbeitsplätze bieten sie, „und wir kämpfen immer wieder mit dem Vorurteil von Blut und Schweiß und Tränen“. Sehr gute Aufstiegschancen gebe es als Metzger und „Was gibt es schöneres, als ein Lebensmittel herzustellen?“ Die Frau vom Bau Er backt nach Opas Rezept Luxus-Sättel für Russen „Es hilft mir, unser Gewerbe positiv zu vermarkten, sagt Laura Lammel. In der Baubranche, wo sonst bärbeißige Typen die öffentliche Wahrnehmung prägen, ist die Bauunternehmerin Laura Lammel setzt sich zierliche 40-Jährige die gegen Schwarzarbeit ein. Ausnahme: „In den Krimis sind die Bauunternehmer immer die Halbkriminellen“, sagt die zweifache Mutter, „dagegen muss man was machen.“ In der dritten Generation hat ihre Familie das Baugeschäft Lammel. „Früher hatten wir mal 160 Mitarbeiter, heute sind es noch 16.“ Nicht dass sie unzufrieden wären: „Es gibt immer Auf und Abs, aber ohne die Subunternehmer könnten wir gar nicht überleben.“ Und: „Wir kommen ohne die Bulgaren und Rumänen gar nicht mehr aus. Die Bauingenieurin mit einem Abschluss in Stanford kennt die Vorurteile und sagt: „Wir engagieren uns für einen europaweit gültigen Pass gegen die Schwarzarbeit“. Nein, sagt Karl-Heinz Hoffmann, „einen Erdbeerkuchen finden Sie bei mir jetzt nicht“. Das ist ungewöhnlich bei 200 verschiedenen Produkten in seiner Laimer Bäckerei: „Aber jetzt ist nicht die Zeit“, sagt der Karl-Heinz Hoffmann behauptet sich in Laim 54-Jährige. „Jahreszeiten-Bä- gegen die Billig-Backshops. ckerei“ mag eine Marketing-Idee sein, aber Hoffmanns Geschäft mit 50 Angestellten übersteht die Konkurrenz von einem Ketten-Bäcker und einem Supermarkt gleich ums Eck – von den Billig-Backshops ganz zu schweigen. „Bäckerei ist ein geschützter Begriff, bei mir arbeiten nur Fachkräfte, ich hab zwölf Lehrlinge. Deshalb hab ich höhere Lohnkosten, und ich bin eh schon im oberen Preissegment.“ Aber: „Wenn Sie die richtigen Leute haben, dann brauchen Sie keine Chemie“, sagt der Meister, der auch noch nach Opas Rezepten von 1901 backt. „Wir wachsen, und die Umsätze stimmen.“ Und Erdbeerkuchen gibt’s auch wieder – im Juni. „Ja, manchmal müssen wir mit dem Juwelier zusammenarbeiten“, sagt Arnaud Petit eher beiläufig. Gelegentlich will die Kundschaft in der Sattlerei Max Benz eben ein paar Brillis am Leder. Sattler Arnaud Petit verarbeitet auf Wunsch „Es gibt Fertig-Sättel für auch Edelsteine in seinen Sätteln. 500 Euro“, sagt der gebürtige Luxemburger, aber nicht unbedingt in seinem Laden in der Fürstenstraße. Seit 1884 gibt es das Geschäft, das Petit mit seiner Frau seit 2000 führt. „Wir verarbeiten nur deutsches Leder, nur beste Qualität“, und da geht der Sattel bei 3000 Euro los. Und eine Obergrenze? „Wir versuchen es vierstellig zu halten“, sagt der 32-Jährige. Aber die Kunden aus Russland und vom Golf sind anspruchsvoll. „Krokoleder, Echse, haben wir alles schon verarbeitet“, sagt er. Sieben Mitarbeiter arbeiten in der Werkstatt im Lederduft. Aber alles können sie auch nicht: „Wenn das Pferd nicht so läuft wie man will, dann ist der Sattler meistens nicht schuld.“