Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte

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Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte
Oliver Sacks:
Der Mann, der seine Frau mit
einem Hut verwechselte
Rowohlt, Sonderausgabe1990
Die Rezension bezieht sich nur auf den ersten
Teil des Buches
Oliver Sacks ist ein US-amerikanischer Neurologe und Schriftsteller. In diesem Buch
beschreibt er komplexe Krankheitsbilder anhand von Fallbeispielen in zwanglosanekdotischem Stil. Obwohl der Titel bereits 1985 erstmals erschienen ist, kann man
ihn immer noch als aktuell betrachten, denn das Ziel von Oliver Sacks ist, neben der
modernen Wissenschaft die betreffenden Menschen nicht aus dem Blick zu verlieren.
Hinter jeder Erkrankung versucht er das individuelle Schicksal zu erkennen und die
eigene Normalität in Frage zu stellen. Er schreibt von Menschen, die durch
neurologische Störungen in einer vollkommen anderen Welt leben. Aber ist diese Welt
weniger wirklich als die der so genannten Normalen? Oliver Sacks versucht das so
schwer zu Greifende zu beschreiben, er versucht offen zu legen was die eigene
Persönlichkeit ausmacht. Die Titel gebende Geschichte erzählt von einem Mann, der
zwar Gegenstände und Geräusche erkennen und zuordnen, aber keine Menschen
mehr erkennen kann - so verwechselt er seine Frau mit einem Hut.
Auch durch die anderen Geschichten in diesem Buch wird jedem klar, wie viele
Schaltstellen im Gehirn einwandfrei zusammenspielen müssen, damit unsere
Wahrnehmung überhaupt funktioniert.
Das beeindruckendste Kapitel hebt sich Sacks bis zum Schluss auf. Dort spricht er
von den „Einfältigen", diese Bezeichnung trifft uns, denn sie soll heute so nicht mehr
verwendet werden. Er erzählt vom jüdischen Mädchen Rebecca, das zwar nicht
zählen, aber begnadet Theater spielen kann, von Zwillingen, die nicht addieren oder
subtrahieren können, aber mit 20stelligen Primzahlen jonglieren als wären es
Bauklötzchen. Es wird uns klar: „Normal" ist eine sehr fragwürdige Schublade, und wir
können sie vermeiden, indem wir nicht fragen, was diesen Menschen fehlt, sondern
was sie uns voraus haben.
Judith Marte