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Nachrichtenbl. Deut. Pflanzenschutzd., 58 (11), S. 294–298, 2006, ISSN 0027-7479.
© Eugen Ulmer KG, Stuttgart
Regierungspräsidium Stuttgart, Landesgesundheitsamt1; Klinische Kooperationsgruppe Umweltdermatologie & Allergologie
GSF/TUM, ZAUM-Zentrum Allergie und Umwelt, Technische Universität München2; Gesundheitsamt Mannheim3;
Landratsamt Hohenlohekreis – Gesundheitsamt4; Gesundheitsamt der Stadt Stuttgart5; Gesundheitsamt Ludwigsburg6;
Gesundheitsamt Ravensburg7; Gesundheitsamt Calw8
Sensibilisierung von Kindern der 4. Klasse in sechs Regionen
Baden-Württembergs gegen Ambrosia-Pollen
Sensitization to ambrosia (ragweed) pollen of 4th graders in six regions of Baden-Württemberg
Thomas Gabrio1, H. Behrendt2, A. Felder-Kennel3, A. Flicker-Klein4, M. Gickeleiter5, G. Kersting6, B. Link1, V. Maisner7,
U. Weidner1, J. Wetzig8, I. Zöllner1
Zusammenfassung
In den hoch entwickelten Industriestaaten gehören Allergien und
Atemwegserkrankungen zu den häufigsten Erkrankungen. Sehr
häufig werden diese Allergien durch Pollen von Gräsern, Kräutern, Bäumen und anderen Pflanzen ausgelöst. Aufgrund der
Globalisierung und des Klimawandels ist davon auszugehen,
dass es in Europa unter anderem zu einer verstärkten Ausbreitung
von Pflanzen kommt, die bisher hier nicht heimisch waren. Zu
diesen Pflanzen gehören Ambrosia-Arten, deren Pollen ein hohes
allergenes Potenzial besitzen. Es werden die Ergebnisse eines Allergiescreenings vorgestellt, das bei 465 Kindern aus der 4.
Klasse in sechs Regionen Baden-Württembergs durchgeführt
wurde. Die durchschnittliche Sensibilisierung gegen AmbrosiaPollen lag bei ca. 13 %. Die Sensibilisierungsrate unterschied
sich in den einzelnen Regionen; ein signifikanter Unterschied
war anhand der geringen Anzahl von Untersuchungen nicht zu
sichern. Die Sensibilisierung gegenüber der falschen Ambrosia
(Franseria acanthicarpa), Beifuß (Artemisia vulgaris) und Wermut (Artemisia absinthium), von deren Pollen Kreuzreaktionen
zu Ambrosia beschrieben sind, lag zwischen 8 bis 10 %. In den
Fällen, wo eine Sensibilisierung gegenüber Ambrosia vorlag,
war diese häufig gegenüber den drei geprüften Ambrosia-Arten
(A. artemisiifolia, A. trifida, A. psilostachya), der falschen Ambrosia, Wermut und Beifuß vorhanden.
Stichwörter: Allergieprävalenz,
Kreuzreaktionen
Schulkinder,
Ambrosia,
Abstract
Allergies and respiratory diseases range among the most frequent
afflictions in industrialized countries. Globalization and climate
changes suggest inter alia an increased spread of imported plant
species with a relevant allergogenic potential. Ambrosia (ragweed) species fit among the species which seem to spread in
some regions of Europe. We report the results of an allergy
screening on 465 4th grade children in six regions of the state of
Baden-Württemberg in Germany. Average sensitization to ragweed was determined as 13 %. Regional differences were found,
but were not statistically significant in the small sample. Sensitization to the false ragweed, Franseria acanthicarpa, to
Artemisia absinthium and Artemisia vulgaris, who are known
cross reactive allergens, was found to be 8–10 %. In cases of sen-
sitization to Ambrosia, frequently a sensitization to the three Ambrosia types (Franseria acanthicarpa, Artemisia absinthium and
Artemisia vulgaris) was diagnosed, too.
Key words: Allergy prevalence, school children, Ambrosia,
cross reactions
Problemstellung und Lösungsansätze
1992 wurde in Baden-Württemberg am Landesgesundheitsamt
(jetzt Regierungspräsidium Stuttgart, Landesgesundheitsamt)
das Projekt Beobachtungsgesundheitsämter etabliert. In dem
Projekt wurde regelmäßig bei Kindern der 4. Klasse in vier Untersuchungsarealen [Ravensburg (Aulendorf/Bad Waldsee), Offenburg (Kehl), Mannheim (Neckar-Weststadt), Stuttgart (seit
1995)] ein Belastungs- und Wirkungsmonitoring durchgeführt
(GABRIO et al., 2003 und 2005; LINK et al., 2005; PIECHOTOWSKI
et al., 1995 und 2002; ZÖLLNER et al., 2005). Neben der Untersuchung auf einige Schwermetalle, Halbmetalle und Organohalogenverbindungen wurden die Lungenfunktion gemessen und
Angaben zur Häufigkeit von Allergien und Atemwegserkrankungen erhoben. Zusätzlich wurde ein Allergiescreening schwerpunktmäßig auf Atemwegsallergene, aber auch auf Lebensmittelallergene, sowie z. T. auch auf Einzelallergene durchgeführt.
Im Winterhalbjahr 2004/05 beteiligten sich zusätzlich drei weitere Gesundheitsämter an der Untersuchung, so dass sowohl
stark besiedelte Gebiete (Mannheim, Stuttgart, Ludwigsburg),
Gebiete mit mittlerer industrieller Belastung (Hohenlohekreis)
und eher ländliche Gebiete (Aulendorf/Bad Waldsee, Calw) vertreten sind (s. Abb. 1.).
Allergische Haut- und Atemwegserkrankungen gehören in den
hoch entwickelten Industrienationen zu den häufigen Erkrankungen, wobei der durch Pollen bedingte Anteil der Typ-1-Allergien schon immer hoch war. Bei einer Typ-1-Allergie können geringe Konzentrationen, die um Größenordnungen unter der toxischen Dosis liegen, bei entsprechend Disponierten (Sensibilisierten) eine sofortige klinisch relevante Reaktion (Asthma bronchiale, Heuschnupfen) hervorrufen. Der gegenwärtige Klimawandel und die fortschreitende Globalisierung, die sowohl mit
einer rasanten Zunahme des weiträumigen Warenaustausches als
auch mit einer beruflichen und touristischen Reisetätigkeit verbunden ist, führen dazu, dass sich Pflanzenarten aus anderen Regionen der Welt auch in Deutschland ausbreiten. Aus gesundNachrichtenbl. Deut. Pflanzenschutzd. 58. 2006
THOMAS GABRIO u. a., Sensibilisierung von Kindern der 4. Klasse in sechs Regionen Baden-Württembergs gegen Ambrosia-Pollen
Mannheim
Hohenlohe
Ludwigsburg
Stuttgart
Calw
Kehl
Aulendorf / Bad Waldsee
alte Ämter
neue Ämter
Abb. 1. Gesundheitsämter, die sich an den Untersuchungen
beteiligten.
heitlicher Sicht kommt Pflanzen, die ein erhöhtes allergenes Potenzial besitzen, eine besondere Bedeutung zu. Von einem solchen Eindringen fremder Pflanzenarten könnten städtische Ballungsräume stärker betroffen sein, da dort der Anteil an Brachflächen besonders hoch ist und die Temperatur um 1 bis 2 °C
höher liegt als in ländlichen Räumen.
Ein weiteres Problem der Globalisierung besteht darin, dass es
bei Reisen in die unterschiedlichsten Länder zu einer Erstsensibilisierung gegenüber Pollen von in Deutschland kaum verbreiteten Pflanzen kommen kann. Nach Deutschland zurückgekehrt,
sind dann eventuell nur noch geringe Pollenkonzentrationen notwendig, um eine allergische Reaktion hervorzurufen. In einigen
Fällen könnten eventuell auch Pollen von Pflanzen, bei denen
Kreuzaktivitäten zu Ambrosia-Allergenen vorliegen, solche Reaktionen hervorrufen.
Eine Pflanzenart, die sich in den letzten Jahren in Europa rasant zu verbreiten scheint, ist Ambrosia artemisiifolia (Ragweed
oder Traubenkraut). Aus einer Karte des Bundesamtes für Naturschutz von 1999 ist zu entnehmen, dass die Verbreitung von Ambrosia bis zum damaligen Zeitpunkt in Deutschland sehr unterschiedlich war. Besonders häufig wurde Ambrosia in den städtischen Ballungsgebieten (Rhein-Ruhr-Gebiet, Hamburg, RheinNeckar-Gebiet, Berlin) gefunden. Ambrosia gehört zur Familie
der Asteraceae, insgesamt gibt es hiervon ca. 40 Arten. Ambrosia artemisiifolia (synonym Ambrosia elatior) ist am häufigsten
verbreitet. Ambrosia trifida ist etwas seltener.Aufgrund ihrer Verbreitung geht man davon aus, dass diesen beiden Ambrosia-Arten bezüglich einer Sensibilisierung und der Auslösung einer klinisch relevanten allergischen Reaktion eine besondere Bedeutung
zukommt. Die einzige aus Europa stammende Ambrosia-Art ist
Ambrosia maritima (Searagweed), alle anderen kommen aus
USA. Ambrosia bevorzugt warme, trockene Erde und genügend
Feuchtigkeit im Sommer. Im Spätsommer produziert die Pflanze
jährlich über 60 000 Samen, die in der Erde bis zu 30 Jahre keimfähig bleiben können. Ambrosia wächst häufig an Hauptverkehrsstraßen sowie in der Umgebung von Gleiskörpern und Bahndämmen, wodurch ihre Verbreitung wahrscheinlich noch beNachrichtenbl. Deut. Pflanzenschutzd. 58. 2006
295
schleunigt wird (JÄGER, 1998). In das deutsche Pollenmesswarnsystem ist Ambrosia erst seit 2006 routinemäßig aufgenommen.
Ambrosia-Pollen gehören in den USA zu den häufigsten Auslösern von Allergien (Atemswegserkrankungen und Hautallergien) (MOLE et al., 1975; GHOSH et al., 1993). In den südlicheren
europäischen Ländern, Italien, Frankreich, in Ungarn und auf
dem Balkan, aber auch in Österreich und der Schweiz ist Ambrosia artemisiifolia offensichtlich schon weit verbreitet. In Italien wurde z. B. eine Zunahme einer Allergiesensibilisierung von
20 % bis zu über 60 % gegenüber Ambrosia-Pollen festgestellt
(RYBNICEK und JÄGER, 2001). In Frankreich sind nach Angaben
von DÉCHAMP und DÉCHAMP (1992) 25 % aller Pollenallergien
auf Ambrosia zurückzuführen.
Aufgrund der Zunahme von Ambrosia-Pollen-Allergien in den
südlichen Nachbarländern Deutschlands und der Tatsache, dass
die Ursachen für den allgemein hohen Stand von Allergien und
Atemwegserkrankungen nicht nur in Deutschland weiterhin
nicht ausreichend geklärt sind, erschien es angeraten, mit dem
Instrument der Beobachtungsgesundheitsämter zu überprüfen, in
welchem Maße bei Schulkindern der 4. Klasse in Südwestdeutschland eine Sensibilisierung gegenüber diesen Pollen vorliegt. Auf der Basis der seit 1992 vorliegenden Daten zur Sensibilisierung von Kindern der 4. Klasse und der dazugehörigen
Fragebogenangaben zu Allergien und Atemwegserkrankungen
sollten erste orientierende Betrachtungen dazu angestellt werden, ob der „Belastung mit Ambrosia-Pollen“ gegenwärtig in Baden-Württemberg schon eine klinische Relevanz zukommt.
Material und Methode
Für die Untersuchung im Winterhalbjahr 2004/05 wurden in ausgewählten Schulen in den Bezirken der Gesundheitsämter Ravensburg, Calw, Hohenlohekreis, Ludwigsburg, Mannheim und
Stuttgart alle Kinder des 4. Schuljahrgangs angesprochen. Die
Eltern der Kinder wurden über ein Informationsschreiben um
Zustimmung zur Teilnahme ihrer Kinder an dem Projekt gebeten. Voraussetzung für die Teilnahme des Kindes an der freiwilligen Untersuchung war die Beantwortung eines Fragebogens
durch die Eltern und das Vorliegen der Einverständniserklärung
von Eltern und Kind. Neben den oben genannten traditionellen
Untersuchungsparametern des Projekts wurde im Serum der teilnehmenden Kinder mittels des In-vitro-Allergiescreenings (UniCap 100 der Firma Pharmacia) die Sensibilisierung gegenüber
den Inhalationsallergenen des sx1-Testes (Atopie-Screening, das
spezifische IgE gegen d 1 Dermatophagoides pteronyssinus, e 1
Katzenschuppen, e 5 Hundeschuppen, g 6 Lieschgras, g 12 Roggen, t 3 Birke, w 6 Beifuß, m 2 Cladosporium herbarum) getestet und über Kreuzaktivitäten fast alle Gras- und die häufigsten
Baum- und Kräuterpollen erfasst. Außerdem wurden Pollen der
drei Ambrosia-Arten
● Ambrosia artemisiifolia w1
● Ambrosia psilostachya w2
● Ambrosia trifida w3
untersucht.
Darüber hinaus wurde geprüft, ob eine Sensibilisierung gegenüber Franseria acanthicarpa (falsche Ambrosia) w4, Artemisia absinthium (Wermut) w5 und/oder Artemisia vulgaris (gewöhnlicher Beifuß) w6 vorlag. In der Regel wurde das Allergiescreening gegen die oben genannten spezifischen Allergene
bei allen Kindern durchgeführt. Da nicht in jedem Falle ausreichend viel Probenmaterial vorlag, konnte das Allergiescreening
gegenüber Franseria acanthicarpa (falsche Ambrosia) w4 bei
3 Kindern, Artemisia absinthium (Wermut) w5 bei 7 Kindern
und/oder Artemisia vulgaris (gewöhnlicher Beifuß) w6 bei
7 Kindern nicht durchgeführt werden.
296
THOMAS GABRIO u. a., Sensibilisierung von Kindern der 4. Klasse in sechs Regionen Baden-Württembergs gegen Ambrosia-Pollen
45%
sx1
w1
w2
w3
w4
w5
w6
40%
35%
30%
Abb.2.Prozentualer Anteil der
gegenüber den Atemwegsallergenen sx1 und den
Ambrosia-Pollen-Allergenen
sensibilisierten Kindern von
4. Klassen Baden-Württembergs.
25%
20%
15%
10%
5%
0%
Calw
Hohenlohe
Ludwigsburg
Mannheim
Ravensburg
Die Konzentration der spezifischen IgE-Antikörper im Serum
der Kinder wurde mittels Cap-Klassen-Einteilung 1 bis 6 des
UniCap-Systems und des Quotienten beschrieben. Der Quotient
entspricht dem Verhältnis des ermittelten Signals zum Signal des
Cut-off-Wertes.
Der Cut-off-Wert ist die niedrigste messbare Konzentration
(Bestimmungsgrenze) und entspricht bei dem angewandten Verfahren der Konzentration des niedrigsten Standards. Bei dieser
Konzentration wird davon ausgegangen, dass es noch zu keiner
Sensibilisierung kommt.
Die Einteilung in Cap-Klassen und die Berechnung des Quotienten beruhen auf einer Konvention und stellen den Versuch
dar, das Ausmaß einer Sensibilisierung gegenüber spezifischen
IgE-Antikörpern zu quantifizieren.
Ergebnisse
Bei der Untersuchung konnten von 465 Kindern (Ravensburg
146, Calw 33, Hohenlohekreis 91, Ludwigsburg 43, Mannheim
97 und Stuttgart 55) mit einem Altersdurchschnitt von 10 Jahren
Serumproben gewonnen werden. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen (Abb. 2) zeigen deutlich, dass die Sensibilisierung ge-
Stuttgart
alle
genüber den verschiedenen Ambrosia-Pollen-Arten (w1, w2 und
w3) in fast derselben Höhe lagen. Am häufigsten wurde eine
Sensibilisierung gegenüber w2, gefolgt von w1, nachgewiesen.
In der Regel (78 %) lag bei den untersuchten Kindern eine Sensibilisierung gegenüber allen drei Ambrosia-Arten vor. Bei Pollen, von denen eine Kreuzreaktion gegenüber Ambrosia-Pollen
bekannt ist, wurde eine etwas niedrigere Sensibilisierungsrate ermittelt (am höchsten bei der falschen Ambrosia, gefolgt von Wermut und Beifuß).
Die Sensibilisierungrate gegenüber Ambrosia-Pollen (w1, w2
und w3) lag in Ravensburg bei fast 18 % und in Mannheim nur
etwas über 5 %. Betrachtet man nur die Kinder, die im sx1-Test
positiv reagierten (Abb. 3), so fällt auf, dass der Trend hier ähnlich ist. In Ravensburg lag der Anteil der w1-, w2- und w3-sensibilisierten Kinder bei 50 % und darüber, in Mannheim und
Stuttgart bei 30 % und darunter. Die durchschnittliche Sensibilisierung gegenüber Pollen der falschen Ambrosia, des Wermuts
und/oder des Beifußes lag mit ca. 10 %, 8,7 % bzw. 8,3 % etwas
niedriger als gegenüber Ambrosia mit ca. 13 %. Bei 78 % aller
gegenüber Ambrosia sensibilisierten Kinder lag eine Sensibilisierung gegenüber allen drei Ambrosia-Arten, bei 67 % eine
Kreuzreaktion gegenüber der falschen Ambrosia, bei 60 % geAbb. 3. Anteil der AmbrosiaPollen-positiven (w1, w2 bzw.
w3) Allergieteste der Kinder,
bei denen eine sx1-Sensibilisierung
nachgewiesen
wurde.
70%
60%
50%
40%
30%
20%
10%
0%
Calw
Hohenlohe
Ludwigsburg
Mannheim
Ravensburg
Stuttgart
alle
Nachrichtenbl. Deut. Pflanzenschutzd. 58. 2006
THOMAS GABRIO u. a., Sensibilisierung von Kindern der 4. Klasse in sechs Regionen Baden-Württembergs gegen Ambrosia-Pollen
Abb. 4. Muster der Sensibilisierung gegenüber Ambrosia-, falsche Ambrosia-, Wermut- und Beifuß-Pollen sowie
dem sx1-Test (geordnet nach
steigenden positiven Werten
von sx1), Quotient = ermitteltes Signal durch Signal des
Cut-off-Werts.
297
w1
w2
w3
160
w4
w5
140
w6
Quotient
120
sx1
100
80
60
40
sx1
w6
w5
w4
w3
w2
20
0
1
51
w1
101
151
genüber Wermut und bei 57 % gegenüber Beifuß vor. In fünf Fällen lag eine Sensibilisierung gegenüber Ambrosia-Pollen vor,
aber keine gegenüber den allgemeinen Inhalationsallergenen des
sx1-Testes. Nur in einem Fall lag eine Sensibilisierung gegenüber Wermut- und Beifuß-Pollen vor, aber keine gegenüber Ambrosia-Pollen.
Auf individueller Ebene lag das Ausmaß der Sensibilisierung
gegenüber den sechs geprüften Allergenen (w1 bis w6) anhand
der „Quotienten“ meist in einer ähnlichen Größenordnung (Abb.
4). Bei der Sensibilisierung gegenüber Ambrosia-Pollen waren
alle Cap-Klassen vertreten (Tab. 1), wobei die Cap-Klasse 2 am
häufigsten vorkam.
Diskussion
Die vorliegenden Ergebnisse zeigen, dass in Baden-Württemberg ca. 40 % der Kinder, die gegenüber Inhalationsallergenen
eine Sensibilisierung aufweisen, gegenüber Ambrosia-Pollen
sensibilisiert sind. Aus den Daten darf allerdings nicht abgeleitet
werden, dass diesen Werten in jedem Fall eine klinische Relevanz zukommt. Zu bedenken ist, dass von einer Reihe von Allergenen (u. a. Wermut, Beifuß, Kamille, Melone sowie der verschiedenen Ambrosia-Arten untereinander) Kreuzreaktionen gegenüber Ambrosia-Pollen bekannt sind (STEINMAN und RUDEN,
2005; WOPFER et al., 2005). Für eine hohe Rate an Kreuzreaktivität bzw. für eine geringe Spezifität des Allergietests spricht
auch die Tatsache, dass bei unseren Untersuchungen im Allergiescreening auf individueller Ebene (d. h. in einer Probe) meist
eine quantitativ ähnliche Reaktion („Quotienten“ bzw. gleiche
CAP-Klasse) mit allen 6 getesteten Antigenen auftrat. Zu bedenken ist auch, dass in Deutschland nachgewiesene SensibilisieTab. 1. Sensibilisierung gegenüber Ambrosia-, falsche Ambrosia-,
Wermut und Beifuß-Pollen (Cap-Klassen)
w1
w2
w3
w4
w5
w6
Cap0
405
403
409
418
422
423
Cap1
18
20
19
14
5
4
Cap2
28
30
27
25
27
26
Cap3
11
8
5
3
5
5
Nachrichtenbl. Deut. Pflanzenschutzd. 58. 2006
Cap4
2
3
2
3
2
2
Cap5
0
0
1
0
1
1
Cap6
1
0
0
0
0
0
rungen z. T. auch auf Erstsensibilisierungen zurückzuführen sein
können, die in Regionen außerhalb Deutschlands erworben wurden.
Weiter muss geprüft werden, ob sich die festgestellten regionalen Unterschiede bei Wiederholungsmessungen bestätigen lassen. Falls sich diese regionalen Unterschiede reproduzieren lassen, ist zu klären, ob dies auf die unterschiedliche Verbreitung
der Ambrosia oder von Pflanzen mit Kreuzreaktionen zurückzuführen ist oder mit einer unterschiedlichen Disposition der Betroffenen in den verschiedenen Regionen erklärt werden kann.
Nach bisherigen Vorstellungen sollten sich Ambrosia-Pflanzen in
Deutschland in den städtischen Ballungsgebieten aufgrund der
dort vorhandenen größeren Brachflächen, der allgemeinen Erhöhung der Umgebungstemperatur um 1 bis 2 °C im Verhältnis
zum Umland sowie der erhöhten Wahrscheinlichkeit einer reisebzw. transportbedingten Einschleppung aus dem Ausland stärker
verbreitet haben. Der transportbedingte Eintrag soll besonders in
Hafenstädten und Flughäfen eine große Rolle spielen. Dies
scheint jedoch im Widerspruch zu unseren Untersuchungsergebnissen zu stehen, nach denen der Sensibilisierungsgrad gegenüber Ambrosia-Pollen in Mannheim und Stuttgart deutlich niedriger lag als in den eher ländlichen Regionen Ravensburg und
Calw. Da das bisher auf eine Ambrosia-Sensibilisierung hin untersuchte Kollektiv mit 465 Kindern relativ klein ist, haben diese
Ergebnisse nur orientierenden Charakter. Dies trifft vor allem auf
die möglicherweise vorhandene regionale Abhängigkeit zu.
Wichtig sind daher zukünftig genauere Daten zur Verbreitung
von Ambrosia-Pollen in Deutschland. Die Untersuchungen an
den Beobachtungsgesundheitsämtern, die seit 1992/93 durchgeführt werden, konnten in den vergangenen zehn Jahren keine Zunahme der Allergierate bzw. der Sensibilisierung gegen Inhalationsallergene im sx1-Test nachweisen (ZÖLLNER et al., 2005).
Dies spricht eher dagegen, dass es innerhalb der letzten Jahre zu
einem deutlichen Anstieg Ambrosia-bedingter Allergien gekommen ist. Wie diese Untersuchungen gezeigt haben, sind die Beobachtungsgesundheitsämter ein wertvolles Instrument, um die
Frage der weiteren Entwicklung Ambrosia-assoziierter Allergien
bzw. Sensibilisierungen zu untersuchen.
In diesem Zusammenhang ist auch auf die Diskussion hinzuweisen, dass das Immunsystem von Kindern in ländlichen Regionen anders trainiert wird als in städtischen Gebieten (GASS-
298
THOMAS GABRIO u. a., Sensibilisierung von Kindern der 4. Klasse in sechs Regionen Baden-Württembergs gegen Ambrosia-Pollen
NER-BACHMANN, 1989) und in städtischen Gebieten eine Reihe
weiterer Allergene aus anthropogenen Quellen Anlass für allergische Reaktionen sein können (KRÄMER, 1994; WÜTHRICH,
1991; BELLACH et al., 1995). Die Sensibilisierung gegenüber einem spezifischen Allergen darf also nicht, wie es oft fälschlicherweise gemacht wird, einer klinisch relevanten Reaktion gleichgesetzt werden. Das Vorliegen einer Sensibilisierung lässt nur
darauf schließen, dass eine Disposition für eine allergische Reaktion vorliegt. Eine Sensibilisierung steht oft in keinem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einer sich manifestierenden klinischen Reaktion. Durch Kreuzreaktionen, das heißt
durch unterschiedliche Auslöser wie z. B. Ambrosia-Pollen und
Melonen, die z. T. ähnlich oder gleich aufgebaute Allergene enthalten, kann sich eine Sensibilisierung manifestieren bzw. kann
es zu einer klinischen Reaktion kommen. Der Zusammenhang
zwischen dem Vorhandensein und der Höhe bzw. der Ausprägung einer Sensibilisierung und einer allergischen Reaktion ist
also sehr komplex. Beide Zustände dürfen auf keinen Fall gleichgesetzt werden. So zeigten sich innerhalb des Projektes Beobachtungsgesundheitsämter bezüglich der Sensibilisierung gegenüber dem Inhalationsallergen sx-1 zwischen der ländlichen
Region Ravensburg und der großstädtischen Region Mannheim
signifikante Unterschiede. Betrachtet man hingegen die Fragebogenangaben zu Allergien und Atemwegserkrankungen, die die
klinische Relevanz widerspiegeln, so sind diese Unterschiede
nicht vorhanden.
Die vorgestellten Daten haben aufgrund der geringen Stichprobenanzahl zwar nur orientierenden Charakter, aber aus ihnen
ist unseres Erachtens doch abzuleiten, dass das ermittelte, relativ
hohe Niveau der Ambrosia-Pollen-Sensibilisierung in Deutschland Anlass für eine intensive interdisziplinäre wissenschaftliche
Bearbeitung folgender Fragen durch Allergologen, Botaniker,
Epidemiologen, Umwelthygieniker, Klimatologen, Meteorologen usw. sein sollte:
● in welchen geographischen Regionen und in welchem Umfeld
ist gegenwärtig Ambrosia in Deutschland vor allem anzutreffen,
● welche Ambrosia-Art breitet sich in Deutschland besonders
rasch aus,
● wie hoch ist die gegenwärtige Sensibilisierungrate der Allgemeinbevölkerung in Deutschland gegenüber Ambrosia-Pollen,
● gibt es regionale, altersabhängige, berufsbezogene bzw. anderweitige Unterschiede bezüglich der Sensibilisierung,
● gibt es einen Zusammenhang zwischen der Verbreitung der
Ambrosia-Arten und der Sensibilisierungrate gegenüber den
Allergenen w1 bis w6,
● welche klinische Relevanz kommt einer Sensibilisierung gegenüber Ambrosia-Pollen zu,
● welche Bedeutung kommt einer möglichen Erstsensibilisierung in Regionen außerhalb Deutschlands zu, in denen von einer deutlich höheren Ambrosia-Pollen-Konzentration auszugehen ist,
● kommt den verschiedenen Ambrosia-Arten eine unterschiedliche Relevanz bezüglich der Sensibilisierungsrate und der
klinischen Bedeutung zu,
● gegenüber welchen anderen Allergenen liegt eine Kreuzreaktion vor,
● welche Möglichkeiten der Prävention gibt es, falls es sich bestätigt, dass von Ambrosia-Pollen eine allgemeine relevante
allergene Gefährdung ausgeht.
Danksagung
Unser Dank gilt allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die bei
der Durchführung der Studie mitgearbeitet haben: I. Armbster, S.
Broser, A. Bühler, G. Fichtner, U. Görlich, J. Grosch, C. Eitle, I.
Hinderer, M. Schrimpf, S. Schröder, J. Schuch, K. Spöker-Maas.
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Kontaktanschrift: Dr. Thomas Gabrio, Regierungspräsidium Stuttgart,
Landesgesundheitsamt, Wiederholdstraße 15, 70174 Stuttgart, Germany, E-Mail: [email protected]
Nachrichtenbl. Deut. Pflanzenschutzd. 58. 2006