DAAD Fachlektorat EHESS/CIERA Jahresbericht Dr. Elissa

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DAAD Fachlektorat EHESS/CIERA Jahresbericht Dr. Elissa
DAAD Fachlektorat EHESS/CIERA
Jahresbericht
Dr. Elissa Mailänder
(September 2011 – März 2012)
Paris, den 31.3.2012
Samstag Nachmittag 31. März 2012. Gerade geht das dreitägige Seminar für DoktorandInnen zu Ende, das ich als Fachlektorin am CIERA nun zum dritten und allerletzten Mal konzipierte und leitete. Mit etwas Wehmut sitze ich im Büro unter der Kuppel der Maison de la recherche in der rue Serpente und schreibe an meinem dritten und letzten Tätigkeitsbericht für den DAAD. Da sich meine Aufgabenbereiche am CIERA und an der EHESS nicht wesentlich verändert haben, möchte ich die Gelegenheit nutzen und in einem ersten Teil mit einigen generellen Beobachtungen zur Koordinationsarbeit am CIERA und zur Lehre an der EHESS beginnen, um anschließend meine Aktivitäten und Tätigkeitsfelder von September 2011 bis März 2012 aufzulisten. Schließen möchte ich diesen Bericht mit einer Art Bilanz bzw. Ausblick auf sich abzeichnende Anforderungen und Veränderungen in der deutsch‐
französischen DoktorandInnenausbildung. I. Der akademische Betrieb, ein Theater?
Jedes Jahr eröffnet der Direktor des CIERA, Michael Werner, das wissenschaftspraktische Seminar „Préparation à la soutenance de thèse, orientation et insertion sur le marché du travail“ – ein dreitägiges Seminar das angehende DoktorandInnen auf ihre Disputation bzw. Soutenance vorbereitet, sowie die jungen Geistes‐ und SozialwissenschaftlerInnen über ihre Chancen auf dem deutsch‐französischen Arbeitsmarkt unterrichtet – mit einer Geschichte, die so passend den akademischen Betrieb einfängt. Wir befinden uns im Jahre 1971 bei einer Soutenance einer so genanten Thèse d’Etat an der Sorbonne. Der Kandidat, ein Germanist, sitzt vor einer sechsköpfigen Jury wie vor dem Letzten Gericht. Der Mann ist bereits in einem fortgeschritteneren Alter, die Zuschauer können ihn nur von hinten sehen, sein ergrautes Haar und seinen Rücken, der sich Stunde um Stunde immer mehr krümmt. Insgesamt acht Stunden wütet das hohe Gericht über ihn und lässt kein grünes Blatt an seiner fünfzehnjährigen Arbeit und den tausenden von Seiten an Wissen, das der Kandidat produziert hat. Man wirft ihm von Rechtschreibfehlern bis Unkenntnis alles vor, was man sich nur denken kann, und am Ende meint der Betreuer dieser Doktorarbeit und Habilitation, welche die Thèse d’Etat noch vereinte, kopfschüttelnd, er habe sich schon zu Beginn gefragt, ob er dieses Thema vergeben soll und ob es überhaupt möglich sei, so etwas zu bearbeiten. Jetzt sei er zu der Überzeugung gelangt, dass es eben nicht machbar gewesen sei. sei. Nachdem sich die Jury zurückgezogen und beraten hatte, verkündete der Präsident stolz das Ergebnis dieser Tortur: Très honorable avec les félicitations unanimes (entspricht Summa cum laude). Der junge Michael Werner, der dieses Szenario beobachtete, war so verdutzt, dass er einen Kollegen im Saal fragte, wie denn das möglich sei, die Bestnote nach all der niederschmetternden Kritik! Dieser antwortete gelassen: „Wissen Sie, das ist wie bei den Affen. Bevor man in die Horde aufgenommen wird, muss einem gezeigt werden, dass man selbst nur ein Affe ist.“ Ich liebe diese aussagekräftige Anekdote über das alte französische akademische System, in dem man lange Zeit jungen WissenschaftlerInnen dringlich davon abriet, ins Ausland zu gehen und es darum ging, sich an einer Universität zu bewähren bzw. sich „hochzudienen“. Dieses Phänomen zeichnete natürlich nicht allein das französische, sondern auch das deutsche System aus, das jedoch mit der Befristung von Lehrstellen auch mobiler wurde. Vieles hat sich vierzig Jahre nach dieser Begegnung verändert.
Heute im Jahre 2012 wird Mobilität, Interdisziplinarität sowie ein wissenschaftlicher Austausch unter den NachwuchsforscherInnen von den Universitäten und Institutionen wie dem DAAD unterstützt. Mittlerweile sind Auslandserfahrungen, Fremdsprachenkenntnisse und ein solides Netzwerk auf dem Arbeitsmarkt sogar gefordert. Obwohl es natürlich immer noch Initiationsrituale und Zwänge gibt, sind die DoktorandInnen in den letzten 10 Jahren mobiler und freier geworden. Die so genannte Co‐tutelle erlaubt es ihnen, sich zwei BetreuerInnen für Ihre Qualifikationsarbeit in unterschiedlichen nationalen Kontexten zu suchen und damit auch sich in zwei unterschiedlichen intellektuellen wie institutionellen Kontexten zu bewegen. Dies macht die jungen ForscherInnen offener und aktiver, im Idealfall können sie von beiden Wissenschaftskulturen profitieren und später helfen, neue Brücken zu schlagen. Dies sind zumindest die Eindrücke, die ich nach meiner dreijährigen Tätigkeit als Koordinatorin des DoktorandInnenprogramms am Ciera gewonnen habe. Wie auch eine Cieraumfrage (anlässlich des 10jährigen Jubiläums im November 2011) nach den Werdegängen der ehemaligen DoktorandInnen gezeigt hat, schaffen es die meisten gerade durch diese Qualifikationen, eine Arbeit – zum überwiegenden Teil im deutsch‐ bzw. französischsprachigen akademischen Betrieb – zu finden. Was meiner Meinung nach das Ciera außerdem auszeichnet ist, dass diese Institution die DoktorandInnen als vollwertige Mitglieder behandelt, ihre Anliegen und Anregungen ernst nimmt und damit dem DoktorandInnendasein anno 2012 gerecht wird. Wie sehr die aktuellen und ehemaligen DoktorandInnen diesen Raum des Austausches, der Weiterbildung und Vernetzung schätzen, haben nicht zuletzt die Festlichkeiten am 4. November 2011 in der deutschen Botschaft sowie abends im Tanzclub Java gezeigt, zu denen die NachwuchswissenschaftlerInnen und ProfessorInnen zahlreich erschienen sind.
jungen Die Profile der Studierenden und Promovierenden an der EHESS sind ähnlich vielseitig. Die große Herausforderung meines Unterrichts an dieser Institution ist es nach wie vor, jungen NachwuchswissenschaftlerInnen mit dem unterschiedlichsten disziplinären und kulturellen Hintergrund Deutsch als Wissenschaftssprache zu vermitteln. Besonders gewinnbringend hat sich auch mein Forschungsseminar (das eher einer Vorlesung entspricht) zu deutscher Geschichte und Geschichtsschreibung erwiesen. Im ersten Jahr (2009/2010) lehrte ich einen Kurs über die Alltagsgeschichte des Dritten Reichs, im zweiten (2010/2011) war es eine Sexualitätsgeschichte des Dritten Reichs, die auf so viel Interesse stieß, dass ich diese Vorlesung im dritten Jahr (2011/2012) als Sexualitätsgeschichte Nachkriegsdeutschlands weiterführte. Ich habe diesen Kurs (24 Einheiten à 2 Stunden) bewusst auf Französisch gehalten, um nichtgermanophonen Studierenden die Möglichkeit zu geben, sich mit Problemen der deutschen Geschichte und methodologischen Impulsen aus dem deutschsprachigen und englischsprachigen Raum auseinanderzusetzen. Mein Forschungsgebiet, der Nationalsozialismus und der Holocaust, bieten hierfür großartige Möglichkeiten, und ich stehe den KursteilnehmerInnen heute noch nahe und berate sie in wissenschaftlichen und wissenschaftspraktischen Fragen (Archive, Forschungsaufenthalte, Austauschprogramme etc.). Die interdisziplinäre und internationale Zusammensetzung der Studierenden und Promovierenden an der EHESS empfand ich persönlich immer als große Bereicherung und Inspiration. Es galt, jungen Geistes‐ und SoziawissenschaftlerInnen aus Argentinien, Belgien, Brasilien, Kolumbien, Mexiko, Frankreich, Schweiz, Russland und Rumänien die deutsche Sprache bzw. die deutsche Geschichtsschreibung des Nationalsozialismus jenseits des erwarteten deutsch‐französischen Modells zu vermitteln. Sowohl in den Sprachkursen als auch im Forschungsseminar zur Geschichte des Nationalsozialismus galt es häufig den etablierten Eurozentrismus zu überwinden und vermeintlich selbstverständliche bzw. selbsterklärende Konzepte, Methoden, Ansätze und Fragestellungen kritisch zu hinterfragen. Ich nehme aus diesen drei Unterrichtsjahren sehr viel Inspiration, Anregungen und positives wie auch kritisches Feedback mit. Was hat sich nun in den drei Jahren augenscheinlich verändert? Inwiefern haben sich die Profile der inskribierten DoktorandInnen am CIERA und der Studierenden an der EHESS verändert? An der EHESS zeigt sich zunehmend, dass die DaF‐Lehre oder besser die Fachsprachenlehre in Geistes‐ und Sozialwissenschaften nicht mehr exklusiv im deutsch‐französischen Kontext verankert werden kann. Die Landes‐ und Kulturkunde, aber auch der Fachsprachenunterricht können nicht mehr allein für frankophone, europäische Studierende bzw. Promovierende konzipiert werden, sondern müssen immer mehr eine globale Community ansprechen, fernab von dem spezifisch französischen Wissenschaftsystem mit seinen Concours etc. Diese nichteuropäischen Studierenden (insbesondere aus Südamerika und Asien) müssen ernst genommen werden, denn die internationale Anerkennung der Hochschulen wie der EHESS (oder auch Sciences Po) machen ein Studium für solche Studierende attraktiv, und sie stellen mittlerweile auch einen beträchtlichen Teil der Inskribierten. Mit der zunehmenden europäischen, aber auch globalen Mobilität der Studierenden öffnet sich somit für die DaF‐
Lehre ein ganz neuer Markt, aber auch neue Herausforderungen, die man mit einem spezifisch deutsch‐französischen Lehrmodell nicht bewältigen kann. Sicherlich ist die EHESS nicht repräsentativ für das französische Universitätssystem, aber gerade die auf Interdisziplinarität und Internationalität ausgerichtete Lehre und Forschung dieser Institution erscheint mir auch für den deutsch‐französischen Kontext wichtig und zukunftsweisend. Die angehenden DoktorInnen der Geistes‐ und Sozialwissenschaften sind sehr wohl weiterhin im deutsch‐französischen Kontext verankert, sie sind mittlerweile jedoch weniger eurozentrisch in ihren Forschungsinteressen und Forschungspraktiken und orientieren sich mehr und mehr auch auf andere Kontinente. Erstmals, so scheint es, nehmen sie das Cieraangebot mit seinem eher unkonventionelleren, interaktiven Lehrmodell nicht nur ernst, sondern verstehen auch dieses Angebot voll auszuschöpfen. Das bedeutet wiederum, dass es nun an der Zeit ist, das DoktorandInnenbetreuungsprogramm umzugestalten, ja neu auszurichten, doch dazu im letzten Teil. Im Folgenden möchte ich kurz einen tabellarischen Überblick über meine Tätigkeitsbereiche und Aktivitäten geben.
II. Tätigkeitsbereiche des Fachlektorats (September 2011‐März 2012)
Koordination des programme d’encadrement doctoral (PED)
Atelier thématique (Workshop) « Vers une re‐nationalisation 3.11.2011 de l’Europa » Maison de la recherche, 28, rue de Serpente, Paris
1er séminaire des doctorants 10.12.2011 Maison de la recherche,
28, rue de Serpente, Paris
Séminaire résidentiel « Initiation au travail de thèse » 26.‐28.1.2012 Maison de la recherche,
28, rue de Serpente, Paris
Séminaire résidentiel « Préparation à la soutenance, 29.‐31.3.2012 Orientation et insertion sur le marché de travail » Foyer le Pont,
86, rue Gergovie, Paris
Deutsch‐französischer Workshop in Museumskunde, 27.‐30.6.2012 Mit Dr. Leonard Schmieding, eine Zusammenarbeit mit dem CMB Berlin
Centre Marc Bloch, Berlin
Lehre an der EHESS
Sexualité après le nazisme : l’histoire de la sexualité dans l’Allemagne de l’après‐guerre (1945‐1989)
Mercredi de 15 h à 17 h (salle 11, 105 bd Raspail 75006 Paris), du 16 novembre 2011 au 7 mars 2012
L’année dernière, nous avons étudié l’histoire de la sexualité de l’Allemagne nazie avec l’implantation et le développement d’une politique sexuelle hétéronormative, homophobe, eugénique et raciste, ainsi que ses transgressions qui se manifestent entre autre dans les violences sexuelles commises sur le front de l’est. Alors que pendant des décennies, la recherche s’est attardée à qualifier le régime nazi de répressif envers les femmes et hostile à la sexualité, nous avons vu que le nazisme a également utilisé la sexualité pour consolider sa politique auprès des Allemands ordinaires. Notamment il a offert à tous ceux et toutes celles, qui n’étaient pas touchés par la persécution, la possibilité de vivre leur hétérosexualité en toute liberté voire dans le contexte de la guerre presque sans limite. Le but ne fut donc pas uniquement de réprimer la sexualité jugée déviante et « impure » mais aussi de la réinventer comme un privilège pour les membres de la « communauté du peuple » (Volksgemeinschaft) nazie. Nous avons poursuivi cette histoire de la sexualité en étudiant les répercussions du nazisme sur l’invention d’une sexualité post‐fasciste : Que devient donc cette « communauté du peuple » une fois que la guerre est terminée ? Quelles répercussions a eu l’expérience de la guerre, de la défaite et de la captivité sur les relations de genre ? Comment se forgent et se redéfinissent les masculinités et féminités dans l’immédiat après‐guerre ? Quelles sont les différentes politiques de santé et les politiques familiales mises en place par la RFA et la RDA ? Comment à partir des années 1960 se définissent les nouveaux codes sexuels et comment s’expriment les fantasmes ? Si la guerre totale a profondément bouleversé la société allemande ainsi que les pratiques sexuelles des Allemands ordinaires, hommes et femmes, la défaite et la sortie de guerre en font autant.
Expression écrite et orale en allemand des sciences sociales : cours de langue appliquée aux SHS
Mercredi de 17 h à 19 h (salle 2, 105 bd Raspail 75006 Paris), du 16 novembre 2011 au 7 mars 2012
Cet enseignement a pour but de réviser et de parfaire les connaissances linguistiques nécessaires à la recherche en sciences humaines et sociales.
À partir d’extraits des textes anthropologiques, historiques, sociologiques, philosophiques etc. des grands auteurs, le cours vise à offrir une amélioration de la compréhension écrite pour faciliter l’accès à la littérature scientifique de langue allemande. En travaillant sur la rédaction et la présentation d’un CV, d’une lettre de motivation et d’un projet de recherche, il propose également d’améliorer l’expression orale.
III. Ausblick
Schließen möchte ich diesen Bericht mit einem kurzen Blick in die Zukunft. Welche Konsequenzen, Ansprüche und Herausforderungen stellen die konstatierten Veränderungen der DoktorandInnenprofile an das Fachlektorat, die Fachsprachenlehre und die DoktorandInnenausbildung im deutsch‐französischen Raum?
Der Wissenschaftsbetrieb ändert sich erfahrungsgemäß fortwährend und schnell, und es macht Sinn und erweist sich als produktiv, den Fachlektor/die Facklektorin alle 3 bis 5 Jahre aus den frisch Promovierten zu rekrutieren. Denn nur jemand, der aus dem Feld kommt, weiß über die aktuellen Beschaffenheiten des akademischen Betriebs und die konkreten Anforderungen an die Studierenden und Promovierenden Bescheid.
Die von mir beschriebenen neuen DoktorandInnenprofile machen es auch notwendig, das DoktorandInnenprogramm des PED grundlegend zu überarbeiten und auf die Situation der aktuellen bzw. zukünftigen DoktorandInnen auszurichten. Dies bedeutet einerseits eine Öffnung zum anglophonen Raum. Denn wenn wir wollen, dass die Promovierenden auf einem globalen Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig bleiben, kann sich eine DoktorandInnenausbildung nicht ausschließlich auf eine binationale, deutsch‐französische Community beschränken. Gleichzeitig sollen sich GeisteswissenschaftlerInnen (GermanistInnen, PhilosophInnen oder HistorikerInnen), die sich mit klassischen deutsch‐
französischen Forschungsthemen beschäftigen, nicht ausgeschlossen oder vor den Kopf gestoßen fühlen. Der/die FachlektorIn muss die Befindlichkeiten dieser Promovierenden, die rund ein Drittel der Cieramitglieder ausmachen, sehr gut kennen und ernst nehmen.
Ich verlasse diese Stelle mit einem lachenden (weil ich mich in Zukunft wieder mehr der Forschung zuwenden kann und mich auf meine zukünftigen Aufgaben als Associate Professorin bei Sciences Po sehr freue), aber auch mit einem weinenden Auge. Insbesondere das interdisziplinäre und internationale Klima an der EHESS und am Ciera war äußerst stimulierend, die aufgeschlossenen, motivierten und engagierten Studierenden werde ich vermissen. Fehlen werden mir auch meine MitstreiterInnen, insbesondere das CIERA‐Team, mit dem ich in den letzten drei Jahren eng zusammengearbeitet habe. Deshalb sei zum Schluss ein inniger Dank an Nathalie Faure, Ruth Lambertz, Annette Schläfer, Franklin Onyeagba, Virginie Ransinan, Michael Werner, Hervé Joly und Jay Rowell ausgesprochen. Die Arbeit mit ihnen allen hat sehr viel Spaß gemacht und ich habe von ihnen allen ungemeint viel gelernt. Last but not least danke ich dem DAAD, der mir sein Vertrauen geschenkt und diese einzigartige und wertvolle Arbeitserfahrung ermöglicht hat. Merci!