Wie gestaltet sich Familie heute?
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Wie gestaltet sich Familie heute?
4 dossier dossier Wie gestaltet sich Familie heute? Jutta Ecarius Dr. phil., Professorin für Erziehungswissenschaft an der Universität zu Köln, Schwerpunkte u.a. Familienforschung sowie Kindheits-, Jugend- und Generationenforschung Kontakt: [email protected] Wie schon im Editorial festgestellt, können wir in einem Dossier zur Familienbildung nicht umhin, uns zunächst mit der Frage auseinanderzusetzen, wie Familie und ihre Lebensrealität heute aussehen. Die Kölner Erziehungswissenschaftlerin Prof. Jutta Ecarius nähert sich dieser Fragestellung vom Standpunkt der Familienforschung aus. Unter dem Einfluss demografischer und sozialer Entwicklungen, des Wandels von Berufsleben und Geschlechterverhältnisen sowie des teilweisen Wegfalls überkommener Normen zugunsten individueller Gestaltbarkeit ist eine Pluralität von familialen Lebensformen entstanden, mit veränderten Familienbiografien und internen Beziehungen. Trotz höherer Beanspruchungen der Lebensform Familie scheint diese jedoch meist positive Funktionen zu erfüllen. Familie lässt sich aus vielen Perspektiven beschreiben: aus der Sicht der Eltern, der Grosseltern und der Kinder, aber auch aus der der Verwandtschaft. Gegenwärtig sieht man ab von der familialen Wohnform, denn in einem Haus können in getrennten Wohnungen drei Generationen leben, und dabei hat die Grossmutter eine eigene Wohnung wie auch der Enkel. Daher analysiert die Familienforschung gegenwärtig die Verwandtschaftsbeziehungen und nicht die privaten Haushalte. dem Moment, in dem die quantitative oder qualitative Beforschung abgeschlossen ist, können sich familiale Lebensformen ändern: ein weiteres Kind wird geboren, eine Scheidung eingereicht, ein Todesfall kommt hinzu oder ein Paar entschliesst sich zur Adoption eines Kindes. Der Faktor Zeit verändert ständig die Perspektiven, daher sind Feststellungen über Familie stets Repräsentationen des Vergangenen. Was aber lässt sich als kennzeichnend festhalten? Familie als Lebensform Gestaltungsraum für familiäre Lebensformen Trotz pluraler Familienformen befinden sich Menschen jeden Alters in der Regel aufgrund der enorm gestiegenen Lebenserwartung in familialen Interaktionen mit drei oder sogar vier Generationen. Gegenwärtig ist die Drei-Generationen-Familie der übliche Familienverbund, wobei die Gestaltung dieser Beziehungen relativ offen ist. Familie ist sicher die Lebensform, die am meisten mit normativen Vorstellungen, Hoffnungen und auch Abwehr überschüttet wird. Je nach Diskursen, Debatten oder Forderungen aus Politik, Wissenschaft, Medien, Ökonomie und Religion erhält die Lebensform Familie jeweils andere Bewertungen oder Konnotationen. Forschung als Momentaufnahme von Familie Aber auch für die Forschung ist es schwierig, die Familie in ihrer Gesamtheit zu erfassen. Denn in Die demokratisch-ökonomisierte Moderne, der Wandel von altersnormierten Hierarchien zwischen Jüngeren und Älteren, veränderte Normvorstellungen von der Fremdbestimmung hin zur Selbstbestimmung von Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und alten Menschen, die Intimisierung von Interaktionsmustern, aber auch Migration und Gleichberechtigung haben unter den Zeichen von Aufklärung und Anerkennung des Anderen zu vielfältigen privaten Lebensformen geführt. Deren Gestaltungsraum untersteht weitgehend der individuellen Selbstbestimmung und wird weniger stark von traditionellen Geschlechternormen oder sozialen und kulturellen Zuordnungen determiniert. Spätere Entscheidung zum Kind Betrachten wir nun die ehemals so bezeichnete Education Permanente 2015-1 Familienbildung Famille et formation dossier dossier «Insgesamt hat somit der soziale Wandel von einer industriekapitalistischen Gesellschaft hin zu einer medialen Kommunikationsgesellschaft zu einer Pluralisierung der Institution Familie geführt.» Kernfamilie, dann zeigt sich in Europa seit den 1970er Jahren eine eindeutige zeitliche Verschiebung des Alters der Frau bei der Erstgeburt von ehemals ca. 21/22 Jahren hin zu 26 bis 28 Jahren (Bertram, Deuflhard 2015). In der Schweiz beträgt das Durchschnittsalter der Mutter bei der Geburt 31.6 Jahre. Auch hat sich die Reihenfolge von Heirat und dann Geburt des ersten Kindes in fast allen europäischen Ländern umgekehrt (Hill, Kopp 2012): Nach der Geburt des ersten Kindes folgt die Heirat. Die niedrigen Reproduktionsraten von Gesellschaften entstammen der Entscheidung erwachsener Männer und Frauen, keine Kinder zu bekommen – oder nicht zeugungsfähig zu sein. Zudem kam es u.a. durch die Bildungsreform zu einer Zunahme der Berufstätigkeit von Frauen, zwei Entwicklungen, die stark zu einem Wandel der privaten Lebensform beigetragen haben: International betrachtet arbeiten in Schweden 83 % der Frauen, in der Schweiz sind es 81 %, in Frankreich 79 %, in Portugal 72 %, in Japan 71 % und in den USA 69 % (Bertram, Deuflhard 2015). Anzeige Neu – zwei verschiedene SVEBZertifikatskurse in Zürich + Bern Zusatzmodule - einzeln buchbar SVEB-Zertifikat mit Fremdsprachenfachdidaktik 18 Kurstage, 113 Lektionen à 60 Min. – Didaktik für den Fremdsprachenunterricht – EUROLTA-Zertifikat Während des SVEB-Kurses CHF 400.– Separater EUROLTA-Kurs CHF 690.– 21. August bis 12. 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Gleichberechtigung zwischen den Partnern (in welcher Paarkonstellation auch immer), Akzeptanz verschiedener kultureller Angehörigkeiten, Berufstätigkeit, eine Ökonomisierung des Subjekts als unternehmerisches Selbst (Bröckling 2007) und ein Erziehungsstil, der durch Verhandeln und Respektierung der Wünsche und Bedürfnisse des Kindes geprägt ist, machen Familie zu einem spannungsreichen Projekt. Von ihrer Familie allgemein zeichnen die Jugendlichen ein relativ positives Bild: 76 % geben an, dass sie sich in der Familie wohlfühlen, 71 %, dass es in der Familie eher nicht oder überhaupt nicht zu Streitigkeiten kommt. Andererseits berichten auch 10 % der befragten Jugendlichen von häufigen Streitigkeiten. Auch körperliche Auseinandersetzungen finden statt, laut der Studie in 15 % der Familien. Dem wiederum steht entgegen, dass 92.2 % der Jugendlichen «genau» oder «eher» befinden, dass sie sich in der Familie sehr wohl fühlen und Vater und Mutter Ratgeber für sie sind. «Betrachtet man nun die Kinder und fragt danach, wie zufrieden sie mit der Unterstützung von Vater und Mutter sind und wie wichtig Familie für sie ist, dann sind die Ergebnisse eindeutig positiv.» Verlust eines Elternteils Die Scheidungsraten können als Ausdruck davon gesehen werden. Der Anteil an «Ein-ElternFamilien» an allen Familien in der Schweiz hat sich seit 1970 von unter 5 % auf über 12 % erhöht. Hernandez (1993) formulierte schon im letzten Jahrhundert für Amerika, dass fast ein Drittel aller Jugendlichen mit 18 Jahren den Verlust eines Elternteiles im Haushalt erleben. Allerdings ist historisch zu bedenken, dass noch vor 100 Jahren aufgrund der hohen Müttersterblichkeitsrate und den väterlichen Kriegstoten Kinder mit ähnlich hohen elterlichen Verlustraten konfrontiert waren. Familie aus Sicht von Jugendlichen Betrachtet man nun die Kinder und fragt danach, wie zufrieden sie mit der Unterstützung von Vater und Mutter sind und wie wichtig Familie für sie ist, dann sind die Ergebnisse eindeutig positiv. Zugleich bestätigen sich die oben genannten familialen Strukturveränderungen im zeitlich andauernden Projekt Familie. Die Studie «Jugend.Leben» (Maschke, Stecher, Coelen, Ecarius, Gusinde 2013) hat 5'520 Jugendliche zwischen 10 und 18 Jahren zur Familie befragt. Von den befragten Heranwachsenden leben 96.9 % bei der leiblichen Mutter, der leibliche Vater wohnt (nur) in 75.4 % der Fälle ebenfalls im selben Haushalt. Hinsichtlich der Grosseltern ergibt die Studie, dass 49 % der Omas und 47 % der Opas entweder in derselben Wohnung, im selben Haus, direkt nebenan oder im selben Ort wohnen. Die Kommunikation zwischen Grosseltern und ihren EnkelInnen ist eng: Die befragten Jugendlichen sagen von 73 % der Omas und von 55 % der Opas, dass diese «immer für sie da» seien. Familie heute Insgesamt hat somit der soziale Wandel von einer industriekapitalistischen Gesellschaft hin zu einer medialen Kommunikationsgesellschaft zu einer Pluralisierung der Institution Familie geführt: traditionelle Familienform, Ein-Eltern-Familien (mit alleinerziehenden Müttern oder Vätern), Stief- und Adoptiv-Familien, Fortsetzungsfamilien, binukleare Familien, homosexuelle Paare mit Kindern, Mehrgenerationen-Familien und Patchwork-Familien. Diese Vielfalt verdeutlicht, dass es heute keine verbindliche Orientierung für Familien gibt und dass Paarbeziehungen und Familienleben selbst geplant werden müssen. Fazit Anzumerken ist jedoch, dass sich die Wahl der Familienform und die Ausgestaltung des Familienlebens oft aufgrund von biographischen Möglichkeiten und alltagspraktischen Notwendigkeiten, gerade im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit, ergeben. Dabei ist die Tendenz zu verzeichnen, dass sich die Familiengründung im Lebenslauf biographisch nach hinten verlagert, was besonders Frauen mit einem hohen sozialen Status betrifft. Die gemeinsame Familienzeit von Vater, Mutter und Kindern, bei gleichzeitigem Anspruch auf Beruf und Freizeit, ist zu einem Projekt mit geringerem Zeitbudget geworden, und die Ausgestaltung dieser Zeit wird sich sicher weiter verändern. Wie die nächsten Generationen Familie gestalten werden, lässt sich jedoch jetzt noch nicht sagen. n Literatur: Bertram, Hans; Deuflhard, Carolin (2015): Die überforderte Generation. Arbeit und Familie in der Wissensgesellschaft. Barbara Budrich: Leverkusen. Bröckling, Ulrich (2007): Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform. Suhrkamp: Frankfurt a. M. Hernandez, Donald J. (1993): America´s Children. Resources from Family, Government, and the Economy. Russell Sage Foundation: New York. Hill, Paul B.; Kopp, Johannes (2012): Familiensoziologie. Grundlagen und theoretische Perspektiven. VS-Springer: Wiesbaden. Maschke, Sabine; Stecher, Ludwig; Coelen, Thomas; Ecarius, Jutta; Gusinde, Frank (2013): Appsolutely smart! Ergebnisse der Jugendstudie Jugend.Leben. Bertelsmann Verlag: Bielefeld. Education Permanente 2015-1 Familienbildung Famille et formation dossier dossier Résumé de l'article de Jutta Ecarius (p. 4-6) Famille, qu’est-ce que c’est aujourd’hui ? Dans un dossier « Famille et formation », il faut aussi poser la question de savoir ce qui caractérise actuellement la famille et les réalités qu’elle vit. Dans son article d’introduction, Jutta Ecarius, professeure en sciences de l’éducation à l’université de Cologne, apporte quelques éléments de réponse du point de vue de la recherche sur les familles, sa spécialisation. Ce domaine de recherche se concentre aujourd’hui sur l’analyse des relations familiales, du point de vue des différents membres de la famille : parents, enfants, grands-parents, etc. S’agissant d’un système en changement perpétuel (naissances, agrandissement, séparations, vieillissement, décès etc.), la recherche sur les familles ne saurait épuiser son sujet d’étude de manière absolue, mais seulement en représenter des états passagers, autant d’instantanés de la famille. L’auteure tâche néanmoins d’en identifier quelques caractéristiques. Suite à l’augmentation de l’espérance de vie, les interactions familiales englobent en général trois, voire quatre générations. Si la société, la religion, la politique, l’économie, les médias etc. projettent de nombreuses attentes, espoirs, exigences, normes et jugements sur la famille, celle-ci a pu s’en affranchir en partie, suite à plusieurs évolutions constitutives du monde moderne : démocratisation, économisation, renversement des hiérarchies entre générations, changement de paradigme de l’hétéronomie vers l’autonomie de l’individu, renforcement de la sphère privée, égalité des sexes ou encore migration ont conduit au développement d’une pluralité de formes de vie familiale dont les modalités et relations sont organisées majoritairement de manière autonome et individuelle, et moins déterminées par des codes traditionnels ou des attributions sociales ou culturelles : famille traditionnelle, monoparentale, recomposée, binucléaire, homoparentale, pluri-générationnelle, belle-famille ou famille d’adoption. Cette libéralisation est doublée d’une absence de repères demandant aux familles une planification volontariste. Le moment où l’on fonde une famille est repoussé dans la biographie : depuis les années 70, on constate une élévation de l'âge moyen des femmes primipares de 21,5 à 27 ans en Europe, et à 31,6 ans en Suisse. L’ordre entre mariage d’abord et premier enfant après s’est inversé. La réforme de l’éducation et dans son sillage, l’accroissement de l’activité professionnelle des femmes ont également contribué à l’évolution des modes de vie, notamment familiaux ; en Suisse, 81% des femmes travaillent, juste derrière la Suède (83%) et juste devant la France (79%), contre 69% aux Etats-Unis. La baisse du taux de natalité dans les sociétés occidentales est le fruit d’une décision explicite d’hommes et de femmes adultes de renoncer à des enfants (ou d’être infertiles). A l’inverse, la décision de fonder une famille est aussi prise consciemment. Mais c’est devenu un projet exigeant, soumis à des contraintes et tensions, pour les mêmes raisons qui avaient permis son émancipation. Doublée d’un style éducatif basé sur le respect et la négociation, l’ambition d’être bons parents augmente le risque d’échec. Les séparations, en hausse, reflètent ces difficultés : la proportion de familles monoparentales en Suisse a augmenté d’à peine 5% à plus de 12% depuis 1970. L’enquête « Jugend.Leben » de 2013 (dont J. Ecarius est co-auteure) menée auprès de 5520 adolescents de 10 à 18 ans en Allemagne, corrobore ces conclusions et fait état d’un regard plutôt positif des jeunes sur leurs familles. 96,9% des ados interrogés vivent chez leur mère, le père biologique vit dans le même ménage dans 75,4% des cas. Ils ont des liens étroits avec leurs grands-parents dont près de la moitié habitent à proximité. Plus de trois-quarts se sentent bien dans leur famille, plus de 90% proches de leurs parents, plus de deux tiers parlent de peu de disputes familiales. En revanche, 10% font état de disputes fréquentes et 15% de violences physiques dans leur famille. Parmi les conditions qui influencent le mode de vie familial, il faut retenir l’activité professionnelle accrue qui entre en concurrence avec les loisirs et le temps passé en famille, pour un budget-temps serré. Situation qui évoluera certainement, mais impossible d’extrapoler. n (résumé par Alexander Wenzel) Education Permanente 2015-1 Familienbildung Famille et formation 7