Die Raucher/Nichtraucher-Segmentierung in der Lebensversicherung

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Die Raucher/Nichtraucher-Segmentierung in der Lebensversicherung
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Die Raucher/Nichtraucher-Segmentierung
in der Lebensversicherung
Karl Groner
Zurich Schweiz
Pour la santé, la fumée est le plus grand
risque évitable au monde. Selon l'OMS,
4,9 millions de personnes sont mortes
dans le monde entier en 2000 par suite
des conséquences de la fumée. Si la tendance se maintient, ce chiffre passera à
9 millions en 20201. Les assureurs vie
tiennent compte des effets nocifs de la
consommation de nicotine en appliquant
des taux de prime différents pour les fumeurs et les non-fumeurs. L'article décrit l'evolution de la différentiation des
prix dans l'assurance vie. En particulier,
il décrit les effets statistiques du comportement en matière de fumée sur la
mortalité.
Rauchen ist das grösste vermeidbare
Gesundheitsrisiko weltweit. Gemäss
WHO starben im Jahr 2000 weltweit 4,9
Millionen Menschen an den Folgen des
Rauchens. Wenn der Trend anhält, wird
die Zahl 2020 auf 9 Millionen ansteigen1. Die Lebensversicherer berücksichtigen die schädlichen Auswirkungen
des Nikotinkonsums, indem für Raucher
und Nichtraucher unterschiedliche Prämiensätze zur Anwendung kommen.
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Im Artikel wird die Entwicklung der
Preisdifferenzierung in der Lebensversicherung aufgezeigt. Im Besonderen
werden die statistischen Auswirkungen
des Rauchverhaltens auf die Sterblichkeit beschrieben.
Entwicklung der Preisdifferenzierung
Die Versicherung funktioniert nach dem
Solidaritätsprinzip. Die versicherten
Personen schliessen sich in einer Gefahrengemeinschaft zusammen, welche Einzelnen, die von einem Schicksalsschlag getroffen werden, finanzielle
Hilfe bietet. Damit dieses Prinzip funktioniert und grosse Schwankungen
möglichst ausbleiben, muss die Zahl
der Mitglieder gross genug sein. Ausserdem muss die Gruppe ein einigermassen einheitliches Risikoprofil aufweisen. Bei freiwilligen Versicherungen
besteht die Gefahr, dass sich vor allem
schlechte Risiken versichern lassen,
also Personen, die bei sich selbst die
Wahrscheinlichkeit einer vorzeitigen
Invalidität oder eines frühen Todes als
erhöht einstufen (Antiselektion). Keine
Antiselektion muss bei obligatorischen
Versicherungen befürchtet werden. Da
keine Wahlmöglichkeit besteht, sind
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gute und schlechte Risiken in einem
natürlichen Verhältnis Bestandteil der
Gemeinschaft.
Bei freiwilligen Versicherungen entscheidet der Versicherer im Rahmen
der Risikoprüfung, ob aufgrund des
aktuellen Gesundheitszustandes des
Antragstellers, seiner Anamnese und
möglicher Risikofaktoren eine Normalannahme möglich ist, oder ob das erhöhte Risiko durch eine Zuschlagsprämie ausgeglichen oder gar von
der Deckung ausgeschlossen werden
muss. In der Schweiz werden rund 90%
aller Lebensversicherungsanträge normal angenommen. Etwa 8% werden mit
Zuschlagsprämien oder Deckungseinschränkungen versichert und ca. 1-2%
abgelehnt oder zurückgestellt.
Neben der individuellen Risikoprüfung
besteht die Möglichkeit, die Prämie
aufgrund eindeutiger Differenzierungskriterien in unterschiedlicher Höhe festzulegen. Dies bedeutet, dass die Gefahrengemeinschaft in Untergruppen mit
jeweils definierten Risikoeigenschaften aufgeteilt wird. Als naheliegendstes Kriterium für eine Preisdifferenzierung drängte sich das Rauchverhalten
auf. Rauchen ist bekanntermassen das
grösste vermeidbare Gesundheitsrisiko
weltweit. Es erhöht dosisabhängig sowohl das Mortalitäts- als auch das Morbititätsrisiko markant. In Nordamerika
boten bereits in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts die ersten Versicherer
unterschiedliche Tarife für Raucher und
Nichtraucher an. In Europa waren noch
während Jahrzenten Einheitstarife die
Regel. Lediglich bei starken Rauchern
(Zigarettenkonsum von über 30 Stück)
wurden im Rahmen der individuellen
Risikoprüfung Zuschläge erhoben. In
der Schweiz wurde die erste Lebensver­
sicherung mit differenzierter Raucher-/
Nichtraucher-Prämie ab ca. 1990 von einer kleineren Gesellschaft angeboten.
Eher zögerlich folgten weitere Versicherungsgesellschaften, und auch heute
bieten noch nicht alle Lebensversicherer differenzierte Tarife an.
Die Prämiendifferenzierung wurde gegen Ende der 80er Jahre auch von anderen Kriterien abhängig gemacht und
führte vor allem in den USA fast zu Exzessen. Dabei wurde die Kundschaft
z.B. nach Body Mass Index, Laborwerten, Blutdruck, Heredität, Beruf, Freizeitverhalten und natürlich Nikotinkon-
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sum in bis zu 6 verschiedene Klassen
eingeteilt (z.B. standard, standard plus,
preferred, super-preferred, tobacco
standard, tobacco preferred). Inzwischen wurde der Trend nach immer
mehr Klassen eher gebremst. Ausserhalb der USA ist die Preisdifferenzierung weniger ausgeprägt und weniger
verbreitet. In der Schweiz werden seit 3
Jahren von wenigen Versicherern Todesfalltarife angeboten, deren Preis nicht
nur vom Rauchverhalten, sondern auch
vom BMI abhängig ist.
Sterblichkeit von Rauchern und
Nichtrauchern
Die signifikanten Sterblichkeitsunterschiede zwischen Rauchern und Nichtrauchern wurden weltweit in einer Viel-
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zahl von Studien nachgewiesen. Die
Schweizer Versicherer verwenden für
Ihre Tarifberechnungen statistische
Grundlagen aus ihrem eigenen Versichertenbestand oder aus Gemeinschaftstatistiken des Schweizerischen
Versicherungsverbandes.
Als Beispiel sind in Abbildung 1 die
Sterblichkeitskurven für Raucher und
Nichtraucher in den für Versicherungsabschlüsse relevanten Altersgruppen
einer grossen Schweizer Versicherungsgesellschaft abgebildet. Auch bei
oberflächlicher Betrachtung lässt sich
unschwer feststellen, dass die Sterblichkeit der Raucher in fast allen Altersgruppen mindestens 50% höher ist. Die
resultierenden Prämienunterschiede
sind somit substanziell.
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Abbildung 1 ( die vertikale Achse zeigt die Sterblichkeit, wobei z.B. 0.010 zehn Todesfällen pro
1000 Personen entspricht)
Sterblichkeiten Männer
0.018
0.016
0.014
0.012
0.010
Raucher
Nichtraucher
0.008
0.006
0.004
0.002
Alter
0.000
20
25
30
35
40
45
50
55
60
65
Sterblichkeiten Frauen
0.010
0.008
0.006
Raucher
Nichtraucher
0.004
0.002
Alter
0.000
20
25
30
35
40
45
50
55
60
65
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Ursachen der Sterblichkeits­
unterschiede
Rauchen ist für die Entstehung einer
Vielzahl von Krankheiten mitverantwortlich. Hervorzuheben sind die koronare
Herzkrankheit, Krankheiten der Atemwege und diverse Krebserkrankungen.
Aber nicht nur das medizinische Risiko
ist bei Rauchern erhöht: Immer wieder
werden Statistiken zitiert, die für Raucher ein erhöhtes Suizid-, Mord- und
Unfallrisiko belegen. Da Personen aus
unteren sozialen Schichten häufiger
rauchen drängt sich die Frage auf, welcher Anteil der erhöhten Sterblichkeit
dem Rauchen direkt und welcher dem
Sozialstatus zuzuschreiben ist.
Aus diversen Studien lassen sich u.a. die
folgenden ursachenabhängigen relativen Sterblichkeiten von aktiven Rauchern
gegenüber Nichtrauchern ablesen:
Nichtraucher Raucher Raucher
Männer Frauen
Lungen-Ca. 1.0
KHK
1.0
22.4
2.0
11.9
2.0
Schlaganfall 1.0
COPD
1.0
1.4
9.7
1.7
10.5
Das Erkrankungsrisiko ist bekanntlich
stark von der Anzahl gerauchter Einheiten, der Expositionsdauer (pack-years) und von der Art des Nikotinkonsums abhängig. Diese Abhängigkeiten
können bei der Definition des Nichtrauchers nur teilweise berücksichtigt
werden. Aus Praktikabilitätsgründen
ist eine feine Abstufung nach Anzahl
Einheiten und Expositionsdauer nicht
möglich. In der Regel gilt als Nichtrau-
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American Cancer Society 1998
Manson et al. 1992, Burns 2003,
Conroy et al. 2003, Keil et al. 2005
Shinton & Beevers 1989
Wald & Hackshaw 1996
cher, wer in einem definierten Zeitraum
keine Zigaretten geraucht hat. Andere
Tabakprodukte (Zigarre, Pfeife) werden
von einzelnen Gesellschaften in kleinen
Mengen zugelassen. Als Beispiel sei die
nachfolgende Definition des Nichtrauchers der Zürich LebensversicherungsGesellschaft zitiert:
«Als Nichtraucher gilt eine Person dann,
wenn sie in den jeweils vergangenen 12
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Monaten keine Zigaretten geraucht hat
und wenn sie höchstens zwei Zigarren,
Pfeifen oder sonstige Raucherwaren
(ausgenommen Zigaretten) pro Woche
konsumiert.»
Diese Definition berücksichtigt die geringere Gesundheitsschädlichkeit von
Zigarren und Pfeifen, trägt aber der Tatsache nicht Rechnung, dass ein tiefer Zigarettenkonsum weniger schädlich ist
als ein hoher. Die Begründung der Versicherer liegt darin, dass ein nur gelegentlicher Konsum bei Zigarren- und Pfeifenrauchern üblich und damit glaubhaft ist
(Genussraucher), bei Zigarettenrauchern
aber eher die Ausnahme ist und mit Untertreibungen gerechnet werden müsste.
Der folgende Auszug aus dem Monograph no. 9 Cigars, Health Effects and
Trends des National Cancer Institute2
zeigt deutlich die unterschiedlichen relativen Sterblichkeiten von Rauchern gegenüber Nichtrauchern in Abhängigkeit
von Art und Menge des Nikotinkonsums,
insbesondere bei Lungenkrebs und den
obstruktiven Lungenkrankheiten.
Unbestritten ist auch Passivrauchen gesundheitsschädigend. Dies wird versicherungstechnisch nicht berücksichtigt
Relative Sterblichkeit von Männern gegenüber Nichtrauchern für ausgewählte Todesursachen,
abhängig von Art und Menge des Nikotinkonsums (Cancer prevention study I, 12 year follow up)
Alle Ursachen
Ca Mundhöhle & Pharynx
Ca Larynx
Ca Oesophagus
Ca Lunge
Ca Pankreas
COPD
KHK
Anzahl gerauchter Einheiten
Zigarren pro Tag
Zigaretten pro Tag
Nichtraucher
1–2 3–4
>5
<20
20
>20
1.0
1.02 1.08 1.17 1.46 1.69 1.88
1.0
2.12 8.51 15.94 5.93 6.85 12.04
1.0
6.46
– 26.03 8.70 25.69 23.59
1.0
2.28 3.93 5.19 2.41 4.30 5.60
1.0
0.99 2.36 2.40 6.75 12.86 20.23
1.0
1.18 1.51 2.21 1.69 2.17 2.41
1.0
1.39 1.78 1.03 8.86 12.51 15.04
1.0
0.98 1.06 1.14 1.40 1.58 1.65
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und ist glücklicherweise durch die fortschreitende Verbannung des Rauchens
aus öffentlichen Räumen von abnehmender Bedeutung.
Die Aussagen zum Sterblichkeitsrisiko
gelten sinngemäss auch für das Invaliditäts- und Morbiditätsrisiko. Diverse
Versicherer berücksichtigen dies auch
in den entsprechenden Produkten.
Risikoprüfung
Die Einteilung des Antragstellers in die
Gruppe der Raucher oder Nichtraucher
erfolgt aufgrund der Deklaration des
Antragstellers. Eine Kontrolle mittels
Cotinintest (Abbauprodukt von Nikotin im Urin, Blut oder Speichel) findet
nur bei höheren Versicherungssummen statt. Im Normalfall muss sich der
Versicherer auf die wahrheitsgetreue
Auskunft des Antragstellers verlassen.
Das Risiko von Falschdeklarationen ist
allerdings beschränkt: Einerseits erlaubt Artikel 6 des Versicherungsvertragsgesetzes die Vertragskündigung
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im Falle einer Falschdeklaration. Anderseits sehen die Vertragsbedingungen der Versicherer eine Meldepflicht
vor, wenn ein Nichtraucher zu rauchen
beginnt. Im Unterlassungsfall drohen
Leistungskürzungen.
Exraucher werden aus Praktikabilitätsgründen wie Nichtraucher beurteilt, sobald sie die entsprechenden Bedingungen erfüllen, also seit mindestens 12
Monaten nicht mehr geraucht haben.
Selbstverständlich weisen langjährige
Raucher nach 1 Jahr Rauchstopp noch
immer ein deutlich höheres Sterblichkeitsrisiko auf als Nichtraucher. Dies
würde dafür sprechen, z.B. erst nach
3 Jahren Abstinenz Nichtraucherbedingungen zu offerieren. Gemäss einer britischen Studie 3 kann selbst bei Aufgabe des Rauchens im mittleren Alter der
grösste Teil des Risikos für Lungen-Ca
vermieden werden. Der Stopp in jüngeren Jahren kann sogar zu einer Risikoreduktion von bis zu 90% führen. Ähnliche
Effekte sind auch für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bekannt.
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Auswirkungen des Rauchstopps in verschiedenen Altern auf das kumulative Risiko (%) von Lungen-Ca bis Alter 75.
Cumulative risk (%)
16
Continuing cigarette smokers
Stopped age 60
Stopped age 50
stopped age 40
stopped age 30
Lifelong non-smokers
14
12
10
8
6
4
2
Age
0
45
50
55
60
65
70
75
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Schadenregulierung
Im Leistungsfall bestehen verschiedene Möglichkeiten, einen vorhergehenden Nikotinkonsum nachzuweisen,
beispielsweise im Todesfall durch eine
Haaranalyse oder im Falle der Erwerbsunfähigkeit durch den Nachweis von
Cotinin im Urin, Blut oder Speichel. Im
Normalfall wird der Versicherer nicht
von einer Falschdeklaration ausgehen.
Die erwähnten Untersuchungen werden in der Regel nur veranlasst, wenn
ein begründeter Verdacht besteht. Allerdings kann der Versicherer auch auf
andere Weise vom Rauchverhalten des
Versicherten Kenntnis erhalten, z.B. aus
einem Spitalbericht oder dem Zeugnis
des behandelnden Arztes.
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Literatur
1Tobacco control country profiles, WHO,
2003
2NIH Publication No. 98-4302 February 1998
3R. Peto, S. Darby, H. Deo, P. Silcocks,
E. Whitley and R. Doll: Smoking,
smoking cessation and lung cancer in the
UK since 1950: combination of national
statistics with two case-control studies,
BMJ 2000;321;323 – 329

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