Der goldene Wurf der Steffi Nerius - Stefanie Marsch
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Der goldene Wurf der Steffi Nerius - Stefanie Marsch
Sport MITTWOCH, 19. AUGUST 2009 NR. 191 Stadionrunde Der goldene Wurf der Steffi Nerius Michael Kipp Fünf Gesichter einer Leichtathletik-WM B ernd ist aus Osnabrück und sieht aus wie ein Saarbahnfahrer. Blaues Hemd, blaue Stoffhose, Fliegersonnenbrille. Die hat er auch noch um 23.15 Uhr in der SBahn in Berlin auf, als er sich seine Eintrittskarte für die Leichtathletik-WM anschaut. Er hält sie in der Hand wie die Heilige Schrift. Sie ist etwas Besonderes für ihn. „Ein Jahr habe ich gespart, um hier dabei zu sein“, sagt er. 1500 Euro kostet ihn die Woche, „inklusive Eintritt und Vier-Sterne-Hotel“, sagt er und schiebt die Brille etwas nach unten. „Hast du Bolt gesehen?“ Er weint fast vor Glück. „Ein Traum, die WM. Nicht wahr?“, fragt er, und ich sage nicht, dass ich mit dem Besuch hier in Berlin mein Geld verdiene. Bernd ist nun wirklich nicht das typische WM-Gesicht im weiten Rund. Da wäre zum Beispiel Ole aus Kiel ein besseres Beispiel. Er sieht aus wie die deutsche Hochsprunglegende Carlo Thränhardt. Etwas längeres blondes Haar, etwa 1,90 Meter groß, eine Tennishose hat er an, seine Sportsocken hat er bis in die Kniekehlen gezogen. Er sagt zur WM, dass vor allem „das Publikum sachkundig ist. Ich bin sehr angetan.“ Seine Frau, die Siebenkampflegende Sabine Braun ähnelt und Uli heißt, nickt zustimmend – und wirkt dabei intellektuell. Angetan ist auch Ronny aus Berlin-Neukölln. Aber nicht vom sachkundigen Publikum. Er bekommt Geld fürs Dabeisein. Er ist „Security“, hat wie Bernd ein Fliegersonnenbrille auf und sagt zu mir: „Ey Alter, hier ist gar nix los, außer die Mädels. Die sind heiß. Alter, geht das hier ne komplette Woche? Krass.“ Das hat sich wohl auch Tyson Gay gedacht. Der hat sich nach der Niederlage gegen Usain Bolt wohl gefragt: „Gayt da noch was auf den 200 Metern?“ Ne, da geht nix mehr. Deshalb läuft er nur noch die Staffel. Bernd, Ole, und Uli finden das übrigens schade. Ronny ist das egal. Speerwerferin holt bei der Leichtathletik-WM das erste Gold für Deutschland Von SZ-Mitarbeiterin Stefanie Marsch Berlin. Überraschung bei der Steffi Nerius feiert ihre Goldmedaille. Es ist der erste WM-Titel für eine deutsche Speerwerferin Foto: dpa überhaupt. Die 37-jährige Leverkusenerin krönte damit ihre Karriere. lesen sind. „Berlin macht Rabatz“, stand da diesmal. Um 20.55 Uhr legte sie es vor 35 000 Zuschauern zum letzten Mal an. Kurz darauf war sie Weltmeisterin, riss die Arme in die Höhe und WM-Maskottchen Berlino zu Boden. Da war richtig Rabatz. Unter ohrenbetäubendem Jubel machte sich Nerius auf die Ehrenrunde. Aber die Stimmung hatte be- reits nach wenigen Minuten im Wettkampf gekocht, als Nerius im ersten Versuch den Maßstab des Abends setzte, die gesamte Konkurrenz schockte. „Der hat sich super angefühlt“, sagte sie. Keine andere Finalistin warf über die 67 Meter. Auch nicht die Titelverteidigerin und Weltrekordlerin Spotakova. Sie warf 66,42 Meter. Und auch nicht die Weltjahresbeste Aba- 3000 Meter: Franzose Tahri Dritter mit Europarekord – Marokkaner Chatbi gedopt Ezekiel Kemboi hat bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Berlin den lange ersehnten Titel-Triumph gefeiert. In 8:00,43 Minuten enteilte der 27-jährige Kenianer gestern Abend seinem Landsmann Richard Mateelong (8:00,29) und dem Franzosen Bouabdellah Tahri, der mit 8:01,18 Minuten seinen Europarekord um gut eine Sekunde verbesserte. Der deutsche Vizemeister Steffen Uliczka (Preetz) war im Vorlauf ausge- Clement bleibt Champion über 400 Meter Hürden Brite Idowu gewinnt Dreisprung-Titel Kenianer Kemboi holt Hindernis-Titel Berlin. Der ewige WM-Zweite SCHNELLE SZ Berlin. Kerron Clement ist alter und neuer Weltmeister über 400 Meter Hürden. Der US-Amerikaner verteidigte gestern Abend seinen Titel von 2007 in der Weltjahresbestzeit von 47,91 Sekunden. Zweiter wurde Javier Culson aus Puerto Rico (48,09) vor Bershawn Jackson aus den USA (48,23). Der zweifache Weltmeister und ehemalige Olympiasieger Felix Sanchez aus der Dominikanischen Republik strauchelte an der zweiten Hürde und belegte in 50,11 Sekunden nur Platz acht. Olympiasieger Angelo Taylor (USA) war im Vorlauf ausgeschieden, der Weltjahresbeste L. J. van Zyl aus Südafrika im Halbfinale. dpa Wahnsinn: Steffi Nerius hat die Sensation geschafft. Die 37jährige Speerwerferin aus Leverkusen holte gestern Abend Gold für Deutschland. Ihr erster Versuch über 67,30 Meter war der goldene Wurf. Berlin. Noch nie hatte eine deutsche Speerwerferin Gold bei Weltmeisterschaften gewonnen. Noch nie – bis gestern. Da kam Steffi Nerius, mit 37 Jahren, und schrieb in ihrem letzten internationalen Wettkampf Geschichte. „Das ist einfach gigantisch. Einfach nur geil. Wahnsinn. Ich weiß noch gar nicht, was ich sagen soll“, stotterte die Weltmeisterin im ersten Siegestaumel und wischte sich Freudentränen aus den Augen. Die Leverkusenerin siegte souverän vor der Tschechin Barbora Spotakova und der Russin Maria Abakumowa. Es war der krönende Abschluss ihrer fast 20-jährigen Karriere. Die als Medaillenkandidatin gehandelte Christina Obergföll belegte den fünften Platz, Linda Stahl wurde Sechste. 67,30 Meter waren gestern Abend im Berliner Olympiastadion für Nerius der Schlüssel zum Glück. Für die Sportlerin mit dem Stirnband, auf dem immer wieder neue Sprüche zu SEITE D1 schieden. Vor dem Finale hatte der marokkanische Hindernisläufer Jamal Chatbi für den ersten Doping-Fall der Weltmeisterschaft gesorgt. „Ich bin ganz ruhig gewesen und habe mein Ziel nicht aus den Augen verloren“, sagte Kemboi, der die schnellste je bei einer WM gelaufene Zeit bei seinem Sieg erreichte. „Nach dreimal Silber habe ich endlich Gold.“ Bei den Welttitelkämpfen 2003 in Paris und 2005 in Helsinki lieferte sich Kemboi spannende Duelle mit Diskussion um lahme Ticketnachfrage seinem ehemaligen Landsmann Saif Saaeed Shaheen, der nach Katar gewechselt war. Unmittelbar vor dem Hindernislauf-Medaillenkampf war bekanntgeworden, dass der Marokkaner Jamal Chatbi bei einer Trainingskontrolle am WM-Eröffnungstag positiv auf das anabole Mittel Clenbuterol getestet worden ist. Der nationale Verband von Marokko bestätigte dies gestern Abend. Der 25-Jährige war am Sonntag im Vorlauf Elfter geworden. dpa kumowa. Ihr weitester Versuch landete bei 66,06 Metern. Obergföll dagegen vergoss bereits nach einem Wurf die ersten Tränen. Als wüsste sie bereits, dass der Körper nicht umsetzen würde, was der Kopf so sehr wollte. Sie kämpfte wie eine Löwin, versuchte es mit Gewalt, aber ohne Erfolg. 64,34 standen am Ende als beste Weite. Zu wenig, um zu jubeln. 49 Sekunden – Gold für Amerikanerin Richards über 400 Meter Berlin. Sanya Richards hat nach vielen Jahren der Dominanz auf der 400-Meter-Distanz endlich auch ihren ersten Einzel-Titel gewonnen. In Berlin setzte sich die 24-jährige Amerikanerin in Weltjahresbestzeit von exakt 49 Sekunden klar vor der Jamaikanerin Shericka Williams (49,32) und Antonina Kriwoschapka aus Russland (49,71) durch. Die einzige deutsche Läuferin Sorina Nwachukwu aus Leverkusen war am Sonntag in 51,98 Sekunden im Halbfinale ausgeschieden. dpa Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Berlin: Der Brite Phillips Idowu ist neuer Weltmeister im Dreisprung und hat damit den hohen Favoriten und Titelverteidiger Nelson Evora aus Portugal entthront. Der 30 Jahre alte Idowu siegte gestern Abend mit der Weltjahresbestleistung von 17,73 Metern vor Evora (17,55) und dem Kubaner Alexis Copello (17,36). Evora hatte zuletzt den Dreisprung dominiert und unter anderem den Weltmeister-Titel 2007 und die olympische Goldmedaille 2008 gewonnen. Vierter wurde Leevan Sands (Bahamas/17,32) vor Arnie David Girat (Kuba/17,26). Der Leverkusener Charles Friedek blieb ohne gültigen Versuch in der Qualifikation. dpa Produktion dieser Seite: Mark Weishaupt Walter Koster Sport Telefon: Fax: E-Mail: (06 81) 5 02 22 63 (06 81) 5 02 22 59 [email protected] Team Sport: Mark Weishaupt (mwe, Leiter), Klaus Kalsch (kk, stellv. Leiter), Marcus Kalmes (mak), Kai Klankert (kai), Michael Kipp (kip), Walter Koster (kos), Peter Wilhelm (wip) Anzeige Politiker fordern günstigere Preise an der Abendkasse – WM-Vermarkter kontern Berlin. Leere Tribünen, lahmer Ticketverkauf – trotzdem gibt es zur Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Berlin keine Chance für einen „Sommerschlussverkauf“. Die Forderung von Politikern, für die Rest-WM die Karten im Olympiastadion mit Rabatt anzubieten, stößt bei den Organisatoren auf erbitterten Widerstand. Weder der oberste WM-Vermarkter Michael Mronz noch Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) als Präsident des Organisationskomitees wollen eine SchnäppchenMeisterschaft. Auch Helmut Digel, Council-Mitglied des Weltverbandes IAAF und für Marketing zuständig, lehnt Schleuderpreise ab: „Das wäre ungerecht gegenüber den Menschen, die den vollen Preis bezahlt haben.“ Die Preise sollen runter, fordern Politiker. Der Präsident des Berliner Landessportbundes, Klaus Böger, schlägt vor, Resttickets an den Abendkassen zum Allein im weiten Runde des Olympiastadions sitzen diese beiden ZuFoto: dpa schauer bei der WM in Berlin. halben Preis anzubieten. Bei Tageskartenpreisen von bis zu 153 Euro sei die WM vor allem für Familien eindeutig zu hoch, kritisiert der Vorsitzende des Bundestags-Sportausschusses, Peter Danckert. Der SPD-Politiker vermisst eine flexible Preisgestaltung für Familien oder Senioren. Gerade einmal 45 Prozent der Karten wurden bisher durchschnittlich für die WM verkauft – Tendenz steigend, wie Mronz gestern erklärte. Doch die WMPreise sind zum Teil gepfeffert. Zwar kostete am Dienstag eine Karte relativ weit weg vom Geschehen und hoch oben neben dem Marathontor 13 Euro. Doch bereits für den Mittwoch lag der Preis hier mit 30 Euro doppelt so hoch. Wer die Wettbewerbe von den Mitteltribünen aus sehen will, muss bis zu 75 Euro hinblättern. Die attraktiven Plätze liegen bei bis zu 153 Euro. Für das Fernsehen sind die leeren Ränge kein größeres Problem. „Die Zuschauerzahlen sind in Ordnung“, sagte ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz. Für die Kameraleute gebe es keinerlei Anweisungen, die leeren Ränge gezielt auszublenden. dpa Keine Stimme für Rot-Rot! www.ich-lasse-mich-nicht-linken.de