Die Töchter der Olympe de Gouges

Transcription

Die Töchter der Olympe de Gouges
Datum: 25.09.2013
Neue Zürcher Zeitung
8021 Zürich
044/ 258 11 11
www.nzz.ch
Medienart: Print
Medientyp: Tages- und Wochenpresse
Auflage: 119'537
Erscheinungsweise: 6x wöchentlich
Themen-Nr.: 377.21
Abo-Nr.: 1086479
Seite: 9
Fläche: 92'916 mm²
Die Töchter der Olympe de Gouges
Europas Frauen kämpfen bis heute um Gleichberechtigung
mit Unterstützung supranationaler Organisationen
Die Französin Olympe de Gouges (17484793) gilt als die erste moderne Frauenrechtlerin Europas. Ihr Porträt hängt im Muse
Camavalet in Paris, der Maler ist anonym.
,:ossmmo.
Medienbeobachtung
Medienanalyse
Informationsmanagement
Sprachdienstleistungen
ARGUS der Presse AG
Rüdigerstrasse 15, Postfach, 8027 Zürich
Tel. 044 388 82 00, Fax 044 388 82 01
www.argus.ch
Argus Ref.: 51288200
Ausschnitt Seite: 1/3
Datum: 25.09.2013
Neue Zürcher Zeitung
8021 Zürich
044/ 258 11 11
www.nzz.ch
Medienart: Print
Medientyp: Tages- und Wochenpresse
Auflage: 119'537
Erscheinungsweise: 6x wöchentlich
Themen-Nr.: 377.21
Abo-Nr.: 1086479
Seite: 9
Fläche: 92'916 mm²
trügt. Manche für junge Europäerinnen
bereits alltäglich gewordene Errungenschaften der Geschlechtergleichstellung, allen voran das Stimm- und Wahlrecht, sind in einigen Ländern des alten
Kontinents erst wenige Jahrzehnte alt.
Defrenne oder die deutsche Elektronikerin Tanja Kreil sind zwei von vielen
Die europäische Frau ist dem Manne
rechtlich zwar gleichgestellt, faktisch
aber liegt die Gleichstellung noch in
manchen Bereichen im Argen: etwa in
Bezug auf die Lohngleichheit, auf die
Brigitte Hürlimann
Vereinbarung von Familie und Beruf
oder aber besonders markant was
«Die Frau hat das Recht, das Schafott zu die Vertretung der Frauen in Spitzenbesteigen. Gleichermassen muss ihr das positionen betrifft, sei es nun in der
Recht zugestanden werden, eine Red- Politik oder in der Privatwirtschaft.
nertribüne zu besteigen.» Olympe de
Auf was die europäische Frau hinGouges, Verfasserin dieser Zeilen, soll- gegen heute zählen kann, das ist die
te es nicht mehr erleben, am Rednerpult wortreiche Unterstützung supranatiostehen zu dürfen. Sie, die als erste naler Organisationen: der Europäischen
moderne Frauenrechtlerin Europas gilt Union (EU), des Europarats oder der
und 1791, im Laufe der Französischen Organisation für wirtschaftliche ZusamRevolution, die «Erklärung der Rechte menarbeit und Entwicklung (OECD),
der Frau und Bürgerin» verfasst hatte, um nur drei zu nennen, die den Gleich-
einen tieferen Lohn erhielt als ihre
Sie heissen Gabrielle, Tanja
oder Nahide und sie folgen
dem Weg der Olympe de Gouges,
dieser Urmutter der europäischen Frauenbewegung. Musste
Olympe noch ihr Leben lassen,
brauchen ihre Töchter heute
vor allem einen langen Schnauf.
FRAUENWELTEN
Rechtslage in Europa
stellungsfragen viel Aufmerksamkeit
und viele Studien widmen.
Indirekte Diskriminierung
Die EU hat schon in ihren ersten VerMit der Serie «Frauenwelten» richtet die
NZZ den Blick auf das Leben von Frauen. tragswerken die Lohngleichheit von
Alle Beiträge im Online-Dossier auf NZZ.ch. Frau und Mann festgehalten. Dieser
wurde nur zwei Jahre später von Robespierres Schergen eingekerkert und
hingerichtet; als angebliche Royalistin
wie so viele tausend andere. Die Urmut-
ter der europäischen Frauenbewegung
starb unter der Guillotine, doch ihr Vermächtnis wirkt bis heute. Ihre Töchter
heissen Nahide, Tanja oder Gabrielle,
sie müssen beim Kampf um Gleichberechtigung in aller Regel nicht mehr
um ihr Leben bangen, brauchen aber
viel Ausdauer und Hartnäckigkeit.
Noch vieles im Argen
Ist von Frauenrechten die Rede, richtet
sich der Fokus rasch und gerne auf
andere Kontinente, auf unterentwickelte Länder oder auf Staaten unter islamischem Regime. Dieser enge Blickwinkel
Frauen, die mit ihren Klagen Gleichstel-
lungs-Geschichte geschrieben haben.
Defrenne wehrte sich in den siebziger
Jahren dagegen, dass sie bei Sabena
männlichen Kollegen und als Frau früher in Rente geschickt wurde, was eine
Verschlechterung der Altersvorsorge
zur Folge hatte.
Anhand der Causa Defrenne, die
insgesamt drei Klagen umfasst, stellte
der EuGH erstens klar, dass die Lohngleichheit eine Horizontalwirkung ent-
faltet, also auch gegenüber dem Ar-
beitgeber (und nicht nur gegenüber
dem Mitgliedstaat) eingefordert werden kann. Zweitens entwickelte der Ge-
richtshof im Anschluss an die Defrenne-Fälle das Konzept der indirekten Diskriminierung: Eine Benachteiligung, die zwar nicht direkt auf das
Geschlecht abstellt, aber die Gefahr
birgt, dass hauptsächlich Angehörige
eines Geschlechts benachteiligt werden, ist ebenfalls diskriminierend
ausser, es gibt einen sachlichen Rechtfertigungsgrund, wobei der Grundsatz
der Verhältnismässigkeit zu wahren ist.
Der EuGH legt hier eher einen strengen Massstab an, so dass indirekte Diskriminierungen lediglich unter engen
Voraussetzungen gerechtfertigt werden
können.
wichtige, bis heute allerdings nicht tatsächlich erfüllte Grundsatz war bereits
1957 immerhin Bestandteil der Römer
Verträge. «Frankreich hatte darauf bestanden, die Lohngleichheit in die
Tanja Kreil ihrerseits erreichte in den
Gründungsverträge aufzunehmen», sagt
Astrid Epiney, geschäftsführende Di- späten neunziger Jahren, dass Frauen
rektorin des Instituts für Europarecht beim deutschen Militär Dienst an der
an der Universität Freiburg im Ücht- Waffe leisten dürfen was ihnen vorher
land. Weil in den späten fünfziger Jah- versagt worden war. Nur kurze Zeit spären längst nicht jeder EU-Gründungs- ter relativierte der Europäische Gestaat die Lohngleichheit zwischen Mann richtshof diesen Meilenstein in Sachen
und Frau kannte, befürchtete Frank- Gleichberechtigung jedoch wieder, inreich Wettbewerbsnachteile. Im heuti- dem er der englischen Köchin Angela
gen EU-Primärrecht ist die Geschlech- Maria Sirdar nicht zubilligte, Mitglied
tergleichheit mehrfach und umfassen- der Eliteeinheit Royal Marines zu werder geregelt, flankiert von einer ganzen den. Bei dieser Truppe, so die europäiReihe von Richtlinien und präzisiert schen Richter, handle es sich um eine
von einer umfangreichen Rechtspre- Spezialeinheit, die stets in Kampfbereitschaft stehe und deren Angehöchung des Europäischen Gerichtshofs rige besonderen, unter anderem physi(EuGH) in Luxemburg.
schen Belastungen ausgesetzt seien,
Die belgische Stewardess Gabrielle weshalb es zulässig sei, die Frauen aus-
Medienbeobachtung
Medienanalyse
Informationsmanagement
Sprachdienstleistungen
ARGUS der Presse AG
Rüdigerstrasse 15, Postfach, 8027 Zürich
Tel. 044 388 82 00, Fax 044 388 82 01
www.argus.ch
Argus Ref.: 51288200
Ausschnitt Seite: 2/3
Datum: 25.09.2013
Neue Zürcher Zeitung
8021 Zürich
044/ 258 11 11
www.nzz.ch
Medienart: Print
Medientyp: Tages- und Wochenpresse
Auflage: 119'537
Erscheinungsweise: 6x wöchentlich
zuschliessen. «Ein Fehlurteil», sagt die sehr eng definierten Bedingungen erEuroparechtlerin Astrid Epiney: «Es laubt und den Abtreibungstourismus
gäbe bestimmt auch bei den Royal nach England und Wales beenden soll.
Marines Einsatzmöglichkeiten für Frau- Österreich kennt zwar seit knapp vieren, ein totaler Ausschluss widerspricht zig Jahren eine liberale Fristenregedem Gleichheitsgedanken. Zudem hät- lung, die Frauen finden aber bis heute
ten die spezifischen Anforderungen als nur mit grösster Mühe eine Klinik oder
solche benannt werden müssen, anstatt seriöse Ärzte, die bereit sind, Abtreipauschal zu behaupten, Frauen könnten bungen durchzuführen.
Die Türkin Nahide Opuz schliesslich
diese von vornherein nicht erfüllen.»
musste
sich an den Europäischen GeUmfangreich und eindeutig ist die
EuGH-Rechtsprechung in Sachen Kün- richtshof für Menschenrechte in Strassdigungsschutz für Schwangere und Müt- burg wenden, um Schutz vor ihrem seit
ter. Der Gerichtshof toleriert kaum Aus- Jahren gewalttätigen Ehemann zu finnahmen, was die Stellung der europäi- den. Die türkischen Strafverfolgungsbehörden waren trotz diversen Anzeischen Arbeitnehmerin verbessert hat.
Themen-Nr.: 377.21
Abo-Nr.: 1086479
Seite: 9
Fläche: 92'916 mm²
beitsgruppen aller supranationalen Or-
ganisationen, die sich mit der Geschlechtergleichheit befassen, wird anerkannt, dass die Frauen nur dann eine
reelle Chance auf Gleichstellung haben,
wenn sie vor Übergriffen geschützt werden. Gerade im Bereich der häuslichen
Gewalt oder des sexuellen Missbrauchs
sind die Opfer vor allem weiblich. Eine
gedemütigte und geschlagene Frau aber
hat kaum die Kraft, sich in Gesellschaft,
Politik oder im Wirtschaftsleben zu behaupten. In Italien, um nur ein Beispiel
zu nennen, galten bis 1981 für sogenannte «Ehrenmorde» noch mildernde
Umstände; und die Zahl der Frauen, die
gen und Vorfällen nicht gegen den im «Belpaese» von ihren Ehemännern,
Kein Schutz vor Gewalt
Mann vorgegangen. Als dieser 2002 Partnern oder Ex-Freunden geschlagen
Was nun aber die Gleichstellung ausser- die Mutter seiner Ehefrau erschoss oder umgebracht werden, ist in den
halb vom Berufs- und Wirtschaftsleben (weil sie mit der bedrohten Tochter flie- vergangenen Jahren gar angestiegen.
betrifft, hält sich die EU ganz im Sinne hen wollte), zog Opuz den Fall vor die
Und was von jungen Europäerinihrer beschränkten Kompetenzen und Strassburger Instanz. Sie klagte wegen nen oft vergessen geht: In der Schweiz,
des Grundsatzes der Subsidiarität zu- der Verletzung diverser Artikel der diesem trutzigen Alpenstaat im Herzen
rück. Zwar hat sich der Gerichtshof Europäischen Menschenrechtskonven- Europas, der erst 1990 (als weltweit
schon am Rande mit dem Abtreibungs- tion, unter anderem des Diskriminie- eines der letzten Länder) das Frauenthema befasst, dies jedoch nur unter rungsverbots und bekam recht. Der stimm- und -wahlrecht vollumfänglich
dem engen Blickwinkel der Dienstleis- Gerichtshof sprach von einer geschlech- eingeführt hat, war die Ehefrau bis 1984
tungsfreiheit. Gerade beim Recht auf terbasierten Diskriminierung von Frau- ihrem Manne untertan. Kraft Gesetz
Abtreibung sind die rechtlichen und tat- en, die Opfer häuslicher Gewalt wer- herrschte er als Haupt der Ehegemeinsächlichen Möglichkeiten in Europa den, und prangerte die allgemeine Pas- schaft. Wollte die Schweizer Ehefrau
höchst unterschiedlich. Das irische Par- sivität des Justizsystems sowie die Straf- einen Kühlschrank kaufen, so benötigte
lament hat erstmals diesen Sommer losigkeit der Aggressoren an.
sie dafür die Einwilligung ihres Mannes.
einem Gesetzesentwurf der Regierung
Sie hatte mit der Ehe ihre HandlungsAntiquiertes Eherecht
zugestimmt, der Abtreibungen unter
fähigkeit weitgehend aufgegeben.
Von sämtlichen Kommissionen und Ar-
Medienbeobachtung
Medienanalyse
Informationsmanagement
Sprachdienstleistungen
ARGUS der Presse AG
Rüdigerstrasse 15, Postfach, 8027 Zürich
Tel. 044 388 82 00, Fax 044 388 82 01
www.argus.ch
Argus Ref.: 51288200
Ausschnitt Seite: 3/3