chinin (limptar n): lebensbedrohliche - Arznei

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chinin (limptar n): lebensbedrohliche - Arznei
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arznei-telegramm® 2010; Jg. 41, Nr. 9
Warenzeichen in
Österreich
und Schweiz
(Beispiele)
Chinin:
CHININSULFAT
HÄNSELER
(CH)
Ethinylestradiol +
Desogestrel:
MARVELON
(A, CH)
Ibuprofen:
BRUFEN
(A, CH)
Lamotrigin:
LAMICTAL
(A, CH)
werden (a-t 2010; 41: 53-4). Von vier in einem systematischen Review4 identifizierten Fallkontrollstudien zum
Thromboembolierisiko von Gestagen-Monopräparaten errechnen drei ein numerisch erhöhtes Risiko, während die
vierte – durchgeführt vom ZEG – zu einer gegenüber Nichtanwendung verringerten Gefährdung kommt.5
Industrieunabhängige Daten zum Thromboembolierisiko
hormonaler Kontrazeptiva mit neueren Gestagenen wie Dienogest sind dringend erforderlich. Das Problem ist nicht neu:
Schon 2001 hatte eine Metaanalyse epidemiologischer Studien zum Thromboserisiko kombinierter oraler Kontrazeptiva festgestellt, dass die Zunahme der Gefährdung durch Präparate der dritten Generation beispielsweise mit Desogestrel
(in MARVELON, Generika) gegenüber denen der zweiten
Generation (z.B. mit Levonorgestrel) in Studien, die von
Pharmaherstellern (mit) finanziert sind, deutlich geringer
ausfällt als in unabhängigen Studien (a-t 2001; 32: 84).
 Das Dienogest-haltige orale Kontrazeptivum VALETTE
ist in einer firmengesponserten und von einem industrienahen Institut durchgeführten Fallkontrollstudie Levonorgestrel-haltigen Pillen (FEMIGOA u.a.) hinsichtlich des Risikos
venöser Thromboembolien nicht unterlegen. Das errechnete Ergebnis schließt jedoch eine bis zu 80% höhere Gefährdung unter Dienogest nicht aus.
 Solange unabhängige Studien fehlen, raten wir von Dienogest-haltigen Kontrazeptiva ab.
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HEINEMANN, L.A. et al.: LAMSO 2001; 2: 6 Seiten (Zeitschrift ist nicht mehr
im Internet auffindbar, –Red.)
DINGER, J. et al.: J. Fam. Plann. Reprod. Health Care 2010; 36: 123-9
DINGER, J. et al.: Contraception 2007; 75: 344-54
BERGENDAL, A. et al.: Acta Obstet. Gynecol. Scand. 2009; 88: 261-6
HEINEMANN, L.A. et al.: Eur. J. Contracept. Reprod. Health Care 1999; 4: 6773
CHININ (LIMPTAR N):
LEBENSBEDROHLICHE SCHADWIRKUNGEN
Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA warnt
zum wiederholten Mal vor der Einnahme von Chinin (LIMPTAR N) bei Wadenkrämpfen. Das Hauptalkaloid der Chinarinde ist in den USA zwar ausschließlich zur Behandlung
der unkomplizierten Malaria zugelassen, wird dort aber überwiegend off label zur Vorbeugung oder Behandlung nächtlicher Muskelkrämpfe eingenommen.1 Die FDA dokumentiert zwischen April 2005 und Oktober 2008 38 Berichte über
schwere Störwirkungen in Verbindung mit Chinin, darunter
24 hämatologische und 4 kardiovaskuläre Ereignisse. 5 Patienten versterben.1,2 Bedrohliche Störwirkungen des Alkaloids sind seit Langem bekannt. Neben Herzrhythmusstörungen, Tinnitus, Hör- und Sehstörungen sind vor allem potenziell tödliche immunallergische Thrombozytopenien sowie hämolytisch-urämisches Syndrom bzw. thrombotischthrombozytopenische Purpura gefürchtet. In Australien und
Neuseeland ist Chinin deshalb seit einigen Jahren nicht mehr
gegen Wadenkrämpfe zugelassen.3 Die bedrohlichen Effekte
kommen auch nach Genuss chininhaltiger „Bitter”-Getränke
vor (a-t 1996; Nr. 4: 40, blitz-a-t vom 11. Juli 2005).
Den schweren Störwirkungen steht ein allenfalls bescheidener Nutzen gegenüber: Nach einer Metaanalyse von sieben
Cross-over-Studien verringert Chinin gegenüber Plazebo die
Zahl nächtlicher Wadenkrämpfe um weniger als einen pro
Woche, wobei ein deutlicher Publikationsbias auffällt – in
vier kleinen publizierten Untersuchungen mit maximal 27
Teilnehmern ist der Effekt deutlich größer als in drei größeren unveröffentlichten Studien mit 62 bis 205 Teilnehmern.4
Die FDA stuft den Nutzen als gar nicht belegt ein.1,2 In der
US-amerikanischen Produktinformation des gegen Malaria
angebotenen chininhaltigen Präparates QUALAQUIN wird
inzwischen in Form einer Boxed Warning, der schärfsten
Form eines Warnhinweises, auf die fehlenden Nutzenbelege
bei Wadenkrämpfen und die bedrohlichen Risiken hingewiesen.5
Die britische Arzneimittelbehörde hat im Juni die Indikation von Chinin eingeschränkt.6 Das dort – im Gegensatz zu
Deutschland – bei Wadenkrämpfen verschreibungspflichtige
Mittel darf künftig nur noch angewendet werden, wenn diese
sehr häufig oder besonders schmerzhaft sind, regelmäßig den
Schlaf stören, kausal behandelbare Ursachen ausgeschlossen
wurden und nicht medikamentöse Maßnahmen wie passive
Dehnungsübungen die Beschwerden nicht hinreichend lindern. Tritt nach vier Wochen keine Besserung ein, ist das Alkaloid abzusetzen, ansonsten soll alle drei Monate geprüft
werden, ob die Einnahme weiter erforderlich ist. Bei Zeichen,
die auf eine Thrombozytopenie hinweisen wie spontane
Haut- oder Schleimhauteinblutungen, ist die Anwendung
umgehend zu beenden. Die Patienten sind zudem darauf hinzuweisen, dass bei Überschreiten der empfohlenen Dosis
schwere Störwirkungen drohen einschließlich irreversibler
Erblindung oder Tod.6
Auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sieht nun offenbar Handlungsbedarf und
hat ein Stufenplanverfahren gegen LIMPTAR N eingeleitet.3
Zeitgleich platziert Anbieter Casella Med ganzseitige Anzeigen, nach denen der „Naturstoff”7 „direkt, schnell und zuverlässig”8 wirkt und „sehr gut verträglich”8 ist.
Wegen der spärlichen Nutzenbelege und lebensbedrohlichen Störwirkungen raten wir von der Anwendung von
Chinin (LIMPTAR N) bei Muskelkrämpfen ab.
(M = Metaanalyse)
1 FDA: Sicherheitsinformation vom 8. Juli 2010; http://www.fda.gov/Drugs/
DrugSafety/PostmarketDrugSafetyInformationforPatientsandProviders/uc
m218202.htm
2 FDA Drug Safety Newsletter 2009; 2: 11-3
3 BfArM: Schreiben vom 30. Juni 2010; http://www.bfarm.de/cae/servlet/
contentblob/1125018/publicationFile/90348/limptar.pdf
M 4 MAN-SON-HING, M. et al.: J. Gen. Intern. Med. 1998; 13: 600-6
5 AR Holding Company Inc.: US-Produktinformation QUALAQUIN, Stand
Dez. 2009
6 MHRA: Drug Safety Update 2010; 3 (Nr. 11): 3-4
7 Cassella Med: Werbung für LIMPTAR N, Apothekenumschau vom 1. Juli
2010, S. 52
8 Cassella Med: Werbung für LIMPTAR N, Ärzte Ztg. vom 29. Juni 2010
ASEPTISCHE MENINGITIS UNTER
LAMOTRIGIN (LAMICTAL, GENERIKA)
Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA warnt
vor aseptischer Meningitis unter Einnahme des Antiepileptikums Lamotrigin (LAMICTAL, Generika). Für einen Zeitraum von 15 Jahren liegen ihr 40 Berichte vor, davon 15 mit
positiver Reexposition.1 Die Symptomatik mit Kopfschmerzen, Fieber, Nackensteife, Erbrechen, Lichtscheu, eventuell
auch Schläfrigkeit, Verwirrtheit und Hautausschlag, ist klinisch nicht von einer infektiösen Meningitis zu unterscheiden.2 Sie tritt meist innerhalb der ersten sechs Behandlungswochen auf, nach Reexposition jedoch im Mittel bereits nach
fünf Stunden und ist dann häufig schwerer ausgeprägt.1
Die aseptische Meningitis ist eine Ausschlussdiagnose, die
erst nach Vorliegen einer negativen Liquorkultur gestellt werden kann. Die rasch verfügbare Basisdiagnostik des Liquors
ergibt typischerweise eine leichte bis mittelgradige Pleozytose, überwiegend mit Neutrophilen, teilweise mit Lymphozyten, normale Glukosewerte und einen leichten bis moderaten
Proteinanstieg. Bei einigen Patienten scheint die Hirnhautentzündung Teil einer Hypersensitivitätsreaktion zu sein, bei
anderen durch Autoimmunerkrankungen begünstigt zu werden, insbesondere durch systemischen Lupus erythematodes.1
Aseptische Meningitis wird unter anderem durch Arzneimittel hervorgerufen. Als Auslöser fallen bei der Auswertung
von Einzelberichten nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR)
wie Ibuprofen (DOLORMIN, Generika; a-t 1990; Nr. 8: 75)
vor