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Es gibt Menschen, die glauben, Uwe Boll würde die schlechtesten Filme der Welt machen. Inzwischen geht der Regisseur die Dreharbeiten anders an. BLOODRAYNE kommt 2006 ins Kino.
möglich, weil sie dann günstiger gebucht
werden können. Vor allem: Er verfilmt nur
noch Computerspiele. Eher ein Zufall, denn
am Anfang konnte Boll mit dem Drehbuch
zu H OUSE OF THE DEAD , seiner ersten
Spieleverfilmung, gar nichts anfangen:
„Furchtbare Dialoge waren das, die konnte
ich kaum ertragen.“ Als er aber auf der Straße
Jugendliche ansprach, kannten sieben von
zehn den Zombie-Spielautomaten von Sega.
„Mir wurde klar, wie groß und vernetzt die
Spielegemeinde ist.“
Boll begann sofort mit der Produktion:
7,5 Millionen Dollar kostete der Film mit
Jürgen Prochnow, weitere 12 Millionen das
Marketing. Der Film machte allein in den USA
über 50 Millionen Umsatz an der Kinokasse
und im DVD-Verleih. Gleichwohl machten
Zuschauer ihrem Ärger im Internet Luft: Boll
solle den Streifen NIGHT OF THE LIVING CRAP
nennen, die Nacht des lebenden
Schwachsinns. Der Regisseur weiß es selbst:
„HOUSE OF THE DEAD ist kein wirklich guter
Fun-Film, aber mit viel Dialog wäre er auch
noch ein langweiliger Fun-Film geworden.“
Ballerei auf Ballerei
Boll produziert marktgerecht, seine
Zielgruppe in den USA kennt er genau: 18bis 26-Jährige seien das, die in Vororten leben.
Bolls Beziehung zu seinen Filmen ist deshalb
unbändig pragmatisch. Dass er bei HOUSE OF
THE DEAD Computeranimation in seinen Film
geschnitten habe, sei im Nachhinein „eher
eine schlechte Idee“. Immerhin: Sie habe
manchen Handlungssprung zwischen den
Schießereien überdeckt, und außerdem habe
der Film so einen unglaublich schnellen
Stakkato-Schnitt bekommen. „Eigentlich war
der Film die perfekte Videospielverfilmung,
weil er genauso wie das Game ist: eine
Aneinanderreihung von Ballereien.“
„Ein Spiel ist Handlung, Erzählung
hingegen ist Darstellung von Handlung“,
erklärt Britta Neitzel, Film- und
Videospielexpertin an der Universität Kassel.
„Das Interessante am Kino ist seine
Erzählweise: durch Umstellungen, durch
Zeitsprünge.“ In Spielen laufen die
Handlungen hingegen chronologisch ab,
außerdem ist eine Charakterzeichnung nicht
nötig, weil sich der Spieler ohnehin mit der
Spielfigur identifiziert. „Die Produzenten
von Videospielverfilmungen sind sich oft
nicht darüber im Klaren, dass sie hier einen
Film machen – sie übernehmen Handlung
und Charaktere.“ Das Ergebnis vergleicht
Neitzel mit einer Aufzeichnung von einer
Theaterinszenierung ohne Schnitte und ohne
Nahaufnahmen: Eintönig sei das.
Boll ficht das nicht an. Er ist pausenlos
unterwegs: Seinen aktuellen Film bewirbt er,
den nächsten Film schneidet er, den
übernächsten hat er in der „Prep“. Daneben
verhandelt er Lizenzen – und er gibt seinen
Anspruch nicht auf, sich filmisch weiter zu
entwickeln. ALONE IN THE DARK mag zwar
erneut eine abgründige Stilorgie mit
rauchenden Automatikwaffen geworden
sein, aber seine Schauspieler werden
bekannter: Christian Slater, Tara Reid und
Stephen Dorff gehören für den deutschen
Filmemacher schon „zur gehobenen BKlasse“. Am Set des Nachfolgers
BLOODRAYNE soll Michael Madsen gesagt
haben, der Film sei das erste „PULP FICTION
Period Piece“ – so lang ist die Liste mit
namhaften Schauspielern, die ihren Auftritt
haben. Kristina Loken in der Hauptrolle,
daneben Madsen, Geraldine Chaplin, Udo
Kier, Meat Loaf, Billy Zane und Ben
Kingsley. Als Vampirfürst! Kingsley habe
schon lange einen Blutsauger spielen wollen,
sagt Boll. Die Kontakte des Filmemachers
sind mittlerweile hervorragend, und die
Drehbücher werden immer besser. Er will
die Filme auch anders angehen, die Ästhetik
von BLOODRAYNE werde nicht um das
Videospiel herum gebaut. Das Endprodukt
kommt Anfang 2006 in die Kinos. Laut
Zeitplan wird Multitasker Boll da schon den
Dreh zum Microsoft-Spiel DUNGEON SIEGE
hinter sich haben. Er macht gleich zwei Teile,
das spart Kosten.
Uwe, der Teamplayer
Die Computerbranche hat nach Bolls
letzten Projekten Vertrauen gefasst. Er ist
ein Teamplayer, der verlässlich arbeitet –
immer mit dem selben Kameramann
Mathias Neumann, immer mit dem selben
Effektteam. Wenn er eine Lizenz kauft, dann
macht er den Film auch. Das sei nicht
unbedingt normal, erklärt Boll. Dank seines
Rufs kann er es sich mittlerweile sogar leisten,
Hersteller zu weiteren Investionen in
lizenzierte Computerspiele zu verpflichten.
Andererseits sind die Verhandlungen nicht
leichter geworden. Die Gameproduzenten
haben den Wert ihrer Produkte erkannt: Was
vor Jahren noch ein paar hunderttausend
Dollar kostete, ist heute nicht unter einer
Million zu haben. Seit 2003 hat Boll keine
neue Lizenz mehr gekauft. Seine
„Properties“ reichen problemlos für zwei
Jahre: FEAR EFFECT, FAR CRY, HUNTER – THE
R ECKONING heißen die erfolgreichen
Actionspiele in Bolls Hand. Und er ist
zuversichtlich, weitere Spiele lizenzieren zu
können. Die Konkurrenz schläft derweil
nicht. W. S. Anderson schreibt an einer neuen
RESIDENT E VIL-Folge und will DRIVER
verfilmen. Andere Regisseure bringen noch
in diesem Jahr DOOM und SPY HUNTER in
die Kinos – bis Ende 2006 werden so
mindestens acht Computer-to-CinemaFilme ihren Weg auf die Leinwand finden.
Ob das Genre weiterhin Erfolg hat,
bleibt abzuwar ten. Aufg r und von
Mundpropaganda sind die Umsatzzahlen
von ALONE IN THE DARK eingebrochen,
der Film läuft schwächer als H OUSE OF
THE D EAD . Die Filmwissenschaftlerin
Britta Neitzel wundert das nicht. „Die
Videospieler werden zunehmend zu einer
eingeschworenen Gemeinschaft. Sie
stellen zu dem, was sie gerne tun, noch
eine stärkere Beziehung her. Das heißt,
sie schauen auch kritischer auf
Verfilmungen ihrer Spiele. Wenn man die
Filme nicht nur als Steuerabschreibungsvehikel benutzen will, dann müsste man
sich andere Gedanken um die Ästhetik
machen.“
Bolls Geschäftsmodell gibt ihm
dennoch, wovon viele andere träumen:
kreative Freiheit. Die Investoren bleiben
vorerst bei der Stange, auch weil die
Filmfonds eine elegante Möglichkeit sind,
Steuerzahlungen zu umgehen. Sie
entscheiden, welches Spiel als nächstes
verfilmt wird, Uwe Boll entscheidet wie:
Einen gewissen Zynismus transportierten alle
seine Filme, auch käme das Genre seiner
nihilistischen Ader entgegen. Aber die
Hauptsache sei, dass die Videospielverfilmungen Resonanz erzeugten.
Allerdings, alles würde er für den
kommerziellen Erfolg nicht machen: „Filme
mit
schwulstiger
amerikanischer
Arschkriecherattitüde wie AIR FORCE ONE
oder THE DAY AFTER TOMMORROW wird es
von mir nicht geben.“
Christoph Gröner
ALONE IN THE DARK USA 2004
Regie: Uwe Boll. Kamera: Mathias
Neumann. Darsteller: Christian Slater, Tara
Reid, Stephen Dorff
Start: 24. Februar
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