Doping-Fall in Sotschi zeigt Mängel im System
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Doping-Fall in Sotschi zeigt Mängel im System
Doping-Fall in Sotschi zeigt Mängel im System Der olympische Doping-Fall der deutschen Biathletin Evi Sachenbacher-Stehle, einer heißen Medaillenkandidatin, zeigt Mängel im System, die weit über die Sportszene hinausreichen. Im Blut der Sportlerin wurde in den A- und B-Proben die Substanz Methylhexanamin gefunden. Dabei handelt es sich um ein wahres Teufelszeug, das nach den Regeln aber gar nicht generell verboten ist. Man darf es nach Belieben im Alltag und auch im Training nutzen. Nur im Wettkampf darf es nicht mehr im Körper sein. Hat sich Evi Sachenbacher-Stehle nur verrechnet und das Mittel zu spät abgesetzt? So sieht es aus. Wie sollte man eine solche Substanz ganz verbieten, wo die Lebensmittelindustrie sie seit 60 Jahren nach und nach in immer mehr Produkten versteckt?! Methylhexanamin befindet sich heute, wenn auch in geringen Mengen, in sehr vielen Getränken, in Backwaren, Puddings und mehr. Es gibt wohl kein Regal im Supermarkt, wo es nicht präsent ist (außer in den Frischwaren). Von 1944 bis 1983 wurde Methylhexamin unter seinem anderen Namen Forthane in einem einzigen Medikament als Wirkstoff genutzt. Dies war das vom amerikanischen Pharmariesen Eli Lilly & Co. entwickelte Medikament Forthane, das zum Abschwellen der Nasenschleimhaut eingesetzt wurde. Vom Markt genommen wurde es schließlich, weil der Hersteller selbst nach ungezählten Schadensfällen erkannt hatte, dass es sich bei Methylhexanamin um ein sog. indirektes Sympathomimetikum handelt, das stimulierend auf die Symphatikus-Nerven des vegetativen Nervensystems einwirkt. Es erhöht den Blutdruck und die Herzfrequenz, erweitert die Atemwege, erhöht den Energieverbrauch und zügelt den Appetit durch einen Eingriff in die natürlichen Hungerregularien im Hypothalamus des menschlichen Gehirns. Offenbar greift es damit ebenso in die serotonergen Kreisläufe ein, weil Nebenfolgen neben Herz- und Kreislaufbeschwerden gleichwohl psychische Störungen sind. Selbst Todesfälle wurden dem Medikament zugeschrieben. Gerade wegen dieser umfassenden nachteiligen Nebenwirkungen in der Nutzung von Forthane wurde Methylhexanamin 2006 in den USA wiederentdeckt, diesmal aber als Zutat zu Nahrungsergänzungsmitteln, die das inzwischen rezeptpflichtig gewordene Ephedrin ersetzen sollten. Ephedrin ist der Grundstoff zur Synthese des Betäubungsmittels NMethylamphetamin, der wohl schlimmsten Droge, die heute auf dem Markt ist: Crystal, Crystal Meth oder einfach Meth (USA). Wegen seiner appetithemmenden und subjektiv leistungssteigernden Wirkung wurde Ephedrin („Ephis“) in großem Umfang in vielen Sportarten als Dopingmittel eingesetzt, oft in der Kombination mit Coffein und Acetylsalizilsäure (Aspirin) dem sog. ECA-Stack. Ebenso Ephedrin ist im Wettkampf und nur dort verboten. Es war ein endloser Kampf, bis es aus Allerweltsprodukten wie Wachmachern für Autofahrer verschwand. Ein Renner war das Kombipräparat Vencipon N gewesen, das in Dosen von 10 mg den Appetit zügeln sollte, von „Kennern“ aber mit Aufputschmittel missbraucht wurde. 50 bis 70 mg als Heute gibt es nur noch ein frei verkäufliches Arzneimittel, das in zulässiger Weise Ephedrin enthält – Wick MediNait, das nur 26,7 mg in 100 ml mitbringt. Da sollte nicht mal jemand auf die Idee kommen, mal gleich 200 ml auf einmal zu schlucken? Der für seine Experimentierfreude bekannte amerikanische Biochemiker Patrick Arnold entdeckte, dass Methylhexanamin Ephedrin perfekt ersetzen konnte. Er brachte es mit seiner Firma Proviant Technologies unter dem Handelsnamen Geranamine auf den Markt. Aus ECA-Stack wurde MCA-Stack. Die Zielgruppe war dieselbe wie zu Ephedrinzeiten: Abnehmwillige, Body Builder, Sportler und Sucher nach dem stimulativen Kick. Die neuen Handelsnamen lauten Floradrene, OxyElite und Jack3d. Heute wurde laut, dass Evi Sachenbacher-Stehle möglicherweise „chinesischen Tee“ getrunken haben soll, der unentdeckter Weise Methylhexanamin enthalten hätte. Der Pflanze Pelargonium (Geraniumöl) wird der Inhaltsstoff aber zu Unrecht zugeschrieben. Enthalten ist im Produkt im Zweifel technisch synthetisiertes Methylhexanamin. Leider schützt uns unser Staat nicht davor, dass Mischprodukte aus Lebensmitteln oder Nahrungsergänzungsmitteln mit arzneilichen Wirkstoffen überhaupt hergestellt und angeboten werden. Es ist an der Zeit, dass der Gesetzgeber das absolute Verbot der Vermischung natürlicher Lebensmittel mit fremden Stoffen aufstellt. Wir brauchen keine Anreicherung unserer Lebensmittel mit A-C-E-Vitaminen, mit Fluor oder was immer. Insbesondere aber gehört die Panscherei mit Arzneimitteln, die doch ausnahmslos ihre nachteiligen Nebenwirkungen haben, verboten. Wenn dies durchgesetzt, wird es nach Sotschi solche Grenzfälle zwischen der Versorgung und dem Einsatz von Wirkstoffen nicht mehr geben. Ihr Rolf Ehlers