Letzte Abendmahl

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Letzte Abendmahl
ABENDMAHL
Die Geheimsprache des Leonardo da
Vinci und warum Kunst begeistert
Bildquelle: Fototeca ENIT
Viele berühmte Maler, Architekten und Bildhauer haben sich mit der Astrologie beschäftigt und sie in ihren Werken verarbeitet wie zum Beispiel Hieronymus Bosch, Albrecht Dürer, Tizian, Sandro Botticelli und Peter Paul Rubens. Dabei ging es ihnen um die Darstellung der kosmischen Ursachen und Gesetzmäßigkeiten, denen der Mensch
im Universum unterworfen ist. Besonders deutlich wird dieses Wissen in dem berühmten Bild „Das letzte Abendmahl“ von Leonardo da Vinci (1452-1519).
A
ls Mensch der Renaissance kannte Leonardo da Vinci die
Werke von Platon, Cicero und Vitruv. Besonders vertraut
war er mit dem Werk „Tetrabiblos“ von Claudius Ptolemäus
(100 -175), das die Auswirkungen der Himmelskörper auf die Menschen und deren Schicksal beschreibt. Als Leonardo da Vinci etwa 40
Jahre alt war, bekam er von Ludovico Sforza den Auftrag, ein Bild für
das Refektorium der Konventskirche von Santa Maria delle Grazie in
Mailand zu malen. Heute gilt dieses Gemälde als Meilenstein der Renaissance. 1943 überstand es einen Bombenangriff, 1980 wurde es zum
UNESCO-Weltkulturerbe erklärt.
Das Bild stellt den Moment dar, in dem Jesus seinen Jüngern prophezeit, dass einer von ihnen ihn verraten wird. Um die Personen darstellen
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zu können, suchte Leonardo seine „Typen“ sorgfältig aus und fertigte viele Studien an. Oft stand er stundenlang in Gedanken versunken
auf dem Gerüst, ohne einen Pinselstrich auszuführen. Auf den Straßen Mailands studierte Leonardo die Gesichter der Menschen, immer
auf der Suche nach dem passenden Ausdruck für die Jünger und Jesus.
Vor allem die Darstellung des Judas bereitete ihm Probleme. Einem
Gerücht zufolge, soll er zum Vorbild für seinen Judas den Prior des
Konvents Santa Maria delle Grazie genommen haben, weil dieser den
Künstler permanent voller Ungeduld mit Fragen über die Fertigstellung des Werkes traktiert hatte. Berühmt wurde das Gemälde hauptsächlich durch die Anordnung der Personen in Dreiergruppen an der
Tafel sowie durch ihre Darstellung in Mimik und Gestik. Sogar Goethe
hat es auf seiner italienischen Reise im Mai 1788 gesehen und davon
geschwärmt: „… alle Glieder nehmen teil an jedem Ausdruck des Gefühls, der Leidenschaft, ja des Gedankens…“
Leonardos Komposition zeigt Jesus in der Mitte des Bildes zu Beginn
der Eucharistie. Mit ausgebreiteten Armen deutet er auf Brot und Wein.
Er ist Mittelpunkt und Ruhepol des Geschehens, während die Jünger
durch seine Ankündigung in Unruhe und Aufregung geraten sind. Experten wie Arnold Bittlinger und Erich von Beckerath gehen davon
aus, dass die zwölf Apostel, die um Jesus geschart sind, den Tierkreis
darstellen. Sie sind in vier Dreiergruppen angeordnet, die den vier Jahreszeiten entsprechen und das Grundgesetz des Lebens zum Ausdruck
bringen, nämlich Entstehen, Bestehen und Vergehen. Die Namen der
einzelnen Jünger hat Francesco Melsi, der Schüler von Leonardo da
Vinci, überliefert. Er hat in der Kirche in Ponte Capriasca bei Lugano
eine Kopie des Leonardo-Abendmahls gemalt und unter jede einzelne
Gestalt den Namen des betreffenden Jüngers geschrieben.
Experten gehen davon aus, dass die zwölf Apostel, die um Jesus geschart sind, den Tierkreis
darstellen.
Ganz rechts am Kopf des Tisches sitzt Simon, der sehr radikal war und
die Römer mit Gewalt vertreiben wollte. Leonardo verlieh ihm deshalb
die scharf geschnittenen Gesichtszüge eines Kriegers. Diese unterstehen dem Tierkreiszeichen des Widders und symbolisieren gleichzeitig
den Kopf des Menschen. Gleich daneben ist Thaddäus, der „Patron
der hoffnungslosen Fälle“. Leonardo hat ihm durch seine ausgeprägte
Halspartie einen so genannten „Stiernacken“ verliehen. Matthias, wörtlich „Geschenk Gottes“, schaut nach rechts und zeigt mit den Armen
nach links. Das ist typisch für „Zwillinge“ - während sie etwas mit den
Händen tun, sind sie mit dem Kopf und ihren Gedanken schon ganz
woanders. Außerdem sind sie neugierig, rastlos und viel unterwegs.
Deshalb ist Matthias auch der Schutzpatron der Wallfahrten und wird
oft mit einem Buch in der Hand dargestellt. Die Hände des Apostels
Philippus sind dagegen nach innen gekehrt und deuten auf seine Brust.
Damit ahmt er das Tierkreissymbol des Krebses nach. Innerlich ist er
zutiefst getroffen und gibt dadurch seinen Gefühlen Ausdruck. Alles ist
rund an ihm, das Gesicht, die Schultern, seine Gebärden. Er ist ganz
Seele und Gemüt.
Im Zentrum gleich neben Jesus sitzt der Löwe „Jakobus“. Er gehört
zu den erstberufenen Jüngern und hat damit eine ganz besondere Stellung. Nach der Himmelfahrt predigte er auf der Iberischen Halbinsel, die ebenfalls dem Tierkreiszeichen der Sonne untersteht. Er breitet
die Arme weit aus und macht dabei eine wahrhaft königliche Gebärde. Damit legt er das Herz frei, das dem Tierkreiszeichen des Löwen
zugeordnet wird. Neben ihm ist die Jungfrau (Thomas). Thomas ist
der Apostel, der sich ausschließlich von der Vernunft leiten lässt. Er
ist derjenige, der alles genau wissen will, damit er es richtig einordnen
kann. Auf ihn geht die Bezeichnung „ungläubiger Thomas“ zurück.
Denn er war es, der an der Auferstehung Jesu zunächst zweifelte, bis er
selbst seine Wundmale sah und sie als einziger berühren durfte. Jesus
sagte im 20. Kapitel des Johannesevangeliums zu ihm: „Weil du mich
gesehen hast, glaubst du. Selig, die nicht sehen und doch glauben.“
Aber auch beim „Letzten Abendmahl“ wird auf ihn Bezug genommen
(Joh. 14.4). Hier sagt Jesus nach der Ankündigung seines bevorstehenden Todes, dass er gehe, um für die Jünger einen Platz vorzubereiten,
damit auch sie dort seien, wo er ist: „Und wohin ich gehe – den Weg
dorthin kennt ihr.“ Da sagt Thomas zu Jesus: „Herr, wir wissen nicht,
wohin du gehst. Wie sollen wir dann den Weg kennen?“ Daraufhin
sagt Jesus den berühmten Satz: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und
das Leben.“ Johannes ist der „Lieblingsjünger von Jesus“ und Waage-
Leonardo da Vinci
TASCHEN 25 - Sonderausgabe!
Leonardo da Vinci (1452-1519) gehörte zu den größten Genies aller Zeiten.
Seine Bedeutung und sein Einfluss sind unermesslich. Dieser umfassende
Überblick im XL Format ist das vollständigste Buch über den italienischen
Maler, Bildhauer, Architekten, Ingenieur, Wissenschaftler - kurzum dieses
Allroundgenie -, das jemals produziert wurde. Durch die gewaltigen
ganzseitigen Ausschnitte aus Leonardos Meisterwerken kann der Leser, die
feinsten Facetten seiner Pinselstriche buchstäblich unter die Lupe nehmen.
* Teil I beschäftigt sich in zehn Kapiteln mit Leben und Werk Leonardo. All
seine Gemälde werden detailliert interpretiert, wobei den Werken Die Verkündigung und Das Letzte Abendmahl große Doppelseiten gewidmet sind.
* Teil II umfasst einen catalogue raisonné der Gemälde Leonardos, der
sämtliche erhaltenen Werke sowie Texte zu deren Erhaltungszustand
enthält.
* Teil III besteht aus einem ausführlichen Katalog seiner Zeichnungen
(da ihre Zahl in die Tausende geht, konnten sie nicht alle in einem Buch
reproduziert werden); 663 werden präsentiert, angeordnet nach Kategorien
(architektonisch, technisch, anatomisch, Figuren, Proportionen, Kartographie usw.).
Dieses üppige Werk aus dem Hause TASCHEN ist das gründlichste und
schönste Leonardo-Buch, das je veröffentlicht wurde, und in dieser Sonderausgabe ist es für ein Drittel des üblichen Preises erhältlich.
Über die Autoren:
Dr. Johannes Nathan studierte Kunstgeschichte an der New York University
und dem Courtauld Institute of Art in London. 1995 dissertierte er über die
Arbeitsmethoden Leonardo da Vincis. Er unterrichtet in der Schweiz an der
Universität in Bern, wo er das Projekt Artcampus leitet.
Frank Zöllner promovierte 1987 über Kunst- und Architekturtheorie und
habilitierte 1996 über Leonardo da Vinci. Seit 1996 ist er Professor für
Mittlere und Neuere Kunstgeschichte an der Universität Leipzig. Er ist
Verfasser der Standard Werkverzeichnisse zu Leonardo da Vinci und Sandro
Botticelli. Zu zahlreichen Themen der Renaissancekunst und zur Klassischen
Moderne liegen seine Publikationen vor.
Leonardo da Vinci
Zöllner, Prof. Dr. Frank / Nathan, Dr. Johannes
Hardcover, slipcase, 24.5 x 37.2 cm (9.6 x 14.6 in.), 696 Seiten
EUR 49.99
ISBN 978-3-8228-3824-2 (Deutsch)
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Er selbst glich einem Menschen, der in der
Finsternis zu früh erwacht war, während die
anderen noch alle schliefen
Mensch. Er ist immer um Ausgleich bemüht und sitzt deshalb zwischen
Jesus und Judas. Das Neue Testament berichtet, dass der aufbrausende
„Donnersohn“ Johannes zum Apostel der Liebe wurde. Er hat also in
sich selber die Gegensätze ausgeglichen und ist mit sich im Reinen. Johannes weiß, dass niemand ihn verdächtigen wird, Jesus zu verraten. Es
genügt ihm, still und sanft dazusitzen und das unglaubliche Geschehen
zu betrauern. Fälschlicherweise wird er manchmal als Maria Magdalena
gedeutet, also als Frau von Jesus. Weil er während des Wirkens Jesu
noch sehr jung gewesen sein soll, wird Johannes in der Bildenden Kunst
immer bartlos und dadurch etwas femininer als die anderen gezeichnet.
Neben Johannes ist Judas, der Skorpion. Seine Haltung fällt besonders
auf, weil er als einziger unbeweglich verharrt. Er scheint innerlich isoliert zu sein und bleibt zerrissen unter der Last seines Verrats zurück.
Sein Blick ist starr und geht über das Haupt von Jesus hinweg. Platziert
ist er zwischen dem aufbrausenden Petrus und dem sanften Johannes,
wodurch sein undurchsichtiger Charakter erst recht hervorgehoben
wird. Außerdem erkennt man ihn am Geldbeutel. Er war der Geldverwalter im Kreise der Jünger.
„Das Geld der anderen“ hat auch immer mit dem Tierkreiszeichen des
Skorpions, das das 8. Haus im Horoskop regiert, zu tun. Nach der
Legende begeht der Skorpion in ausweglosen Situationen Selbstmord,
ein Hinweis auf den Suizid des Judas und das Lebensthema der Skorpiongeborenen, nämlich „Macht - Ohnmacht“ und „höchste Höhen
- tiefster Fall“. „Ihr seid das Salz der Erde“, hat Jesus in der Bergpredigt,
Mt 5,13 zu seinen Jüngern gesagt. Vor Judas steht sogar ein kleines
Salzfässchen, das er jedoch umgeworfen hat. Aus eigener Schuld gehört er nicht mehr dazu. Zwischen Judas und Johannes drängt sich der
„Schütze Petrus“. Er gilt als temperamentvoll, seine Hand zeigt Aktion.
Begierig will er erfahren, wer der Verräter sein soll. Damit steht er im
Kontrast zu dem vergeistigten, sanften Johannes. Petrus symbolisiert
den Schützen, der für „Glaube“ und „Religion“ steht. Kein Wunder
war Petrus der erste Bischof von Rom und gilt als Schutzpatron der
Päpste.
Der Legende nach wurde Andreas an ein Kreuz mit einem schrägen
Balken, dem so genannten „Andreaskreuz“, geschlagen. Er macht eine
abwehrende Handbewegung als ob er sagen will: „Aber ich doch nicht!“
Damit grenzt er sich von den anderen ab, was typisch für den Steinbock ist. Jakobus, der Jüngere legt „ganz wassermännisch“ seine Hand
auf die Schulter des Petrus und bringt damit seine Verbundenheit zu
diesem Apostel zum Ausdruck. Die beiden gehören als enge Freunde
zusammen und leiten später die christliche Gemeinde, als deren Säulen
sie bezeichnet werden. Eine besondere Stellung nimmt Bartholomäus
ein. Als Vertreter der Fische-Energie stützt sich als einziger so auf den
Tisch, dass man seine Füße ganz besonders gut sehen kann. In der Astromedizin ist dieser Teil des Körpers, auch „Flossen“ genannt, der Sitz
der Spiritualität. Noch heute wäscht der Papst seinen Kardinälen die
Füße.
Leonardo hat auf diesem hintergründigen Bild
nicht Einzelmenschen gemalt, sondern die
Menschheit als Ganzes.
Mit ozeanischem Weitblick schaut Bartholomäus auf das Geschehen
und erkennt seine Dimension. Weil Leonardo Vegetarier war, gibt es
nur Brot und Wein. Er war überzeugt, dass „…in allem Toten fühlloses
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Die Dominikanerkirche Santa Maria delle Grazie in Mailand, Unesco-Weltkulturerbe
seit 1980, birgt das berühmte Gemälde "Das letzte Abendmahl" von Leonardo da Vinci. Es befindet sich an der Nordwand des Refektoriums. 1943 überstand es nur knapp
einen Bombenangriff. Um es zu sehen, braucht man ein Ticket. Foto: Fototeca ENIT
Leben bleibt, das, sowie es die Mägen der Lebenden erreicht, wieder
zu empfindlichem und geistigem Leben wird.“ Leonardo hat auf diesem hintergründigen Bild nicht Einzelmenschen gemalt, sondern die
Menschheit als Ganzes.
In jedem der Apostel charakterisierte er das ihm von Gott zugedachte
Tierkreiszeichen und ordnete so dieses Geschehen in das große Abendmahl der Schöpfung ein. „Er selbst glich einem Menschen“, so Sigmund Freud, „der in der Finsternis zu früh erwacht war, während die
anderen noch alle schliefen.“
Literatur:
Arnold Bittlinger: Das Geheimnis der christlichen Feste, Kösel-Verlag, München,
12,50 Euro.
Erich von Beckerath: Geheimsprache der Bilder, Ibera-Verlag, Wien, 29 Euro.
Sonja Schön, geboren 1965 in Göppingen, hat Jura in Genf und Heidelberg
studiert und ist Absolventin der Deutschen
Journalistenschule in München. Seit 2003 ist
sie als Astrologin mit eigenen Kolumnen in
Deutschland und Österreich tätig. Persönliche
Horoskop-Beratungen, Astrologie- & WellnessSeminare und Kunstführungen sind ihre
Königsdisziplin. Infos:www.astrojob.com