PDF-Dokument 17.05.2010
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Seite 20 UMWELT BAUT BRÜCKEN FNP Montag, 17. Mai 2010 Plastikbecher im Umweltamt Bulgarien tut sich mit EU-Standards schwer Geldstrafen für Müllsünder, bunte Beutel für die Abfalltrennung, Aufklärungsprogramme in Schulen – wer durch Müllvermeidung und Abgasreduzierung die Umwelt entlasten möchte, braucht mehr als nur den guten Willen. Junge Europäer im Dialog Frankfurt/Veliko Tarnovo. Nervös runzelt „la dame en rouge“ mit grünen Absichten die Stirn. „Die vielen Überflutungen der letzten Jahre haben den Müll in die Flüsse geschwemmt“, sagt sie. Die Diplom-Ingenieurin Elena Grigorova, komplett in rot gekleidet, versucht die Umweltprobleme in Bulgarien, speziell in ihrer Stadt Veliko Tarnovo, darzulegen. Sie klammert sich an ihre vorbereitete Präsentation und greift zu einem Plastikbecher, um einen Schluck Wasser zu trinken – und das im Umweltamt RIEW Veliko Tarnovo. Der Besucher im Umweltamt wundert sich und erhält für das ungewöhnlichen Geschirr folgende Erklärung: „Schon letztes Jahr wollte man den hohen Verbrauch an Plastik in der Bevölkerung verringern. Ich denke, die Zeit wird kommen, in der dies eingeführt wird. Im Moment haben wir diese Etappe noch nicht erreicht“, sagt Elena Grigorova und nippt noch einmal an ihrem Plastikbecher. Geldmangel Die Leiterin des Umweltamtes der Region Veliko Tarnovo (RIEW), Elena Grigorova, spricht über die Umweltprobleme. Den Gästen servierte das Umweltamt Getränke in Plastikbechern. Foto: Marie-Luise Herrlein Elena Grigorova schaut im offiziell wirkenden Presseraum des Umweltamts RIEW Veliko Tarnovo herum. RIEW – Umweltinformations- und Bildungszentrum des regionalen Umwelt- und Wasseramtes – bereitet die Durchführung der Gesetze für Umwelt und Gewässer vor und ist für die Region Veliko Tarnovo zuständig. Veliko Tarnovo ist eine Stadt im nördlichen Balkangebirge. 71 275 Einwohner leben 240 Kilometer entfernt von Sofia. Dort soll ein höherer Lebensstandard erreicht werden, indem man die EUBedingungen umsetzt, beispielsweise den Abfall trennt oder versucht, die Abgase zu verringern, erklärt Elena Grigorova. Bereits vor zehn Jahren wurde ein Müll-Trennungs-Projekt gestartet, das mit US-Geldern finanziert wurde. Damals hat man begonnen, farbige Abfalltüten zur Trennung des Mülls zu verteilen. Nach einiger Zeit wurde das allerdings abgebrochen. „Aus Geldmangel“, wie Elena Grigorova sagt. Bulgarien will nun andere Wege zur Müllvermeidung und Umweltentlastung gehen: Zukünftig, so Elena Grigorova, soll der Abfall sofort verbrannt werden. Die Mülldeponien könnten dann geschlossen werden, erklärt sie. Außerdem werde schon jetzt auf mehr Ordnung in der Stadt wert gelegt. Jetzt werden die Straßen regelmäßig gereinigt. Und es werden im Stadtgebiet mehr Mülleimer aufgestellt. „Die Trennung des Mülls war nur ein erster Testlauf“, weicht die Leiterin des RIEW den kritischen Fragen der Journalisten aus. Weiterhin werde die Abfallentsorgung in Veliko Tarnovo zu den größten Umweltproblemen der Stadt gezählt. Es sei schwierig für Bulgarien, die vorgeschriebenen Umweltstandards der EU einzuhalten. Die Diplomingenieurin erklärt, dass Bulgarien zum Beispiel nur zwei Recyclingdepots besitzt. Daher bestehe keine Möglichkeit zur Trennung des Mülls, besonders bei der Weiterverarbeitung des Plastiks, sagt sie. Kaum Bewusstsein Um das Umweltbewusstsein der Bevölkerung zu stärken und diese in die Verbesserung des Ökosystems einzubinden, gibt es verschiedene Maßnahmen. Zum Beispiel Frankfurt/Veliko Tarnovo. Das Blockheizkraftwerk in Veliko Tarnovo versorgt 40 Prozent der ehemaligen Zarenstadt in den nordöstlichen Hügeln Bulgariens umweltfreundlich mit Wärme und Strom. In den vergangenen Jahren, seit dem EU-Beitritt des Landes, wurde das Kraftwerk auf Erdgas umgestellt, was es noch einmal umweltverträglicher macht. Bis dahin wurde es mit Masut, einem Überrest von verbranntem Erdöl, beheizt, dessen C02-Emissionen etwa 280 Gramm pro Kilowattstunde betragen. Erdgas hingegen hat nur Emissionen in Höhe von 199 Gramm pro Kilowattstunde und ist damit ein umweltfreundlicherer Brennstoff – ein Fortschritt. Eine weitere Verbesserung soll es geben, wenn künftig mit Biogas, erzeugt aus Altobst oder Stallmist, geheizt wird. „Die Luft hat sich in den letzten zwei Jahren bereits sichtbar verbessert“ erklärt Konrad Watrin, EULehrer am Fremdsprachengymnasium in Veliko Tarnovo. Auch die Effizienz des Kraftwerks ist nicht zu verachten: Mit seinen 84 Prozent kommt es dem Optimalwert von 90 Prozent erstaunlich nahe. Die Effizienz ist der Prozentsatz an Energie, der tatsächlich zum Heizen genutzt wird und nicht auf dem Transportweg verloren geht. So weit – so umweltfreundlich. Streuner im Betrieb Die Einhaltung der Vorschriften am Arbeitsplatz Blockheizkraftwerk wird jedoch bulgarisch leicht genommen: Vorgeschriebene Schutzkleidung, wie Ohrenschützer, Helm und Handschuhe, trägt trotz der übergroßen Warnschilder im Gebäude niemand, und Eindringlinge tierischer Natur werden nicht beachtet. So sind streunende Hunde zwischen laufenden Maschinen keine Seltenheit. Und das obwohl man die Verantwortung für etwa 7000 Wohneinheiten trägt. Für das leibliche Wohl der Arbeiter ist allerdings gesorgt: Die Mitte der großen Halle bildet ein auf Steinen stehender, alter Container, in dem Kochplatten und kleine Öfen vorhanden sind. Auch die leeren Bierflaschen in vielen Ecken lassen auf eine sehr gemütliche Arbeitsatmosphäre schließen. Das Kraftwerk vertreibt den Strom nicht selbst, sondern über Energieversorger wie dem aus Deutschland operierenden Unternehmen Eon. Diese verkaufen den Strom an die bulgarischen Verbraucher weiter, wobei der Preis etwas günstiger ausfällt als die EU-Vorgaben es vorschreiben. Ein eigentlich EU-weit vorgeschriebener Rauchgasfilter fehlt in der Anlage, obwohl er für dieses Kraftwerk unbedingt notwendig wäre. „Zu teuer“ heißt es. Der Hauptingenieur im Werk, Nikolai Nikolov, spricht ungern über den fehlenden Filter, der die Umgebung vor Feinstaubbelastung schützen sollte. Auch im Winter 2008/2009, während der Gaskrise, war kein Filter vorhanden. Damals wurde wieder mit dem umweltschädlichen Masut geheizt, und schwarze Wolken stiegen aus den Schornsteinen des Kraftwerks. Anwohner erzählen von verpesteter Luft wie in Zeiten der Gründung des Kraftwerkes im Jahr 1986. Ob bei einer erneuten Krise ein Filter eingebaut werden würde? „Nein“, sagt der Diplom-Ingenieur und legt den Zeigefinger auf die Lippen. Auch die Frage nach den kaputten Leitungen und Rohren wird wie so oft (an diesem Tag) nur ausweichend beantwortet: „Das sind die alten Leitungen, die sind gestoppt und werden repariert.“ Doch warum trotzdem Flüssigkeiten aus eben diesen Rohren tropft, bleibt ein Geheimnis. Marie-Jeanne Semnar und Marie-Luise Herrlein Die Kontrollanzeigen wirken veraltet. Foto: Patrick Bayer Die Expertin weiß selbst, dass es schwierig ist, die Erwachsenen zu belehren. Sie nähmen Umweltthemen nur schwer an. Deshalb liegt Bulgariens Hoffnung, die Umweltprobleme in den Griff zu bekommen, auf der jüngeren Generation. Bis sich etwas verändert, kann es noch Jahrzehnte dauern. Die Zukunft zur Verbesserung der Umwelt in Bulgarien liegt in den Händen der Kinder und Jugendlichen. Luise Reitbauer, Svenja Carlson, Mario Angelov, Makda Isak, Patrick Bayer, Dana Wollmann, Lisa Zeyen Schüler schreiben Schüler der Carl-Schurz-Schule Frankfurt berichten auf dieser Sonderseite über ihre Recherchen, die sie im Rahmen des Projektes „Umwelt baut Brücken“ in Bulgarien angestellt haben. Frankfurt. Das Projekt „Umwelt baut Brücken“ ist ein europäisches Umweltund Medienprojekt. 20 Schulen aus Deutschland kooperieren mit Schulen in Bulgarien, Kroatien, Rumänien und Ungarn. Sie bilden Partnerschaften und arbeiten zu den Themen „Nachhaltigkeit und Umwelt“, „Europa“ und „Medien“. Gefördert von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) und den beteiligten Zeitungen, wie der Frankfurter Neuen Presse, der Taunus Zeitung und dem Höchster Kreisblatt, und organisiert vom IZOP-Institut wird den Schülern ermöglicht, sich gegenseitig zu besuchen und an Ort und Stelle zu Umweltthemen zu recherchieren. Schülerinnen und Schüler der Carl-Schurz-Schule arbeiten mit dem Fremdsprachengymnasium Prof. Dr. Assen Zlatarov im bulgarischen Veliko Tarnovo zusammen. Dort ließen sie sich im Umweltamt die Maßnahmen darstellen, mit denen Bulgarien den Umweltschutz vorantreiben möchte, und sie besichtigten das Blockheizkraftwerk. Auf dieser Sonderseite sind nun die Berichte der Schüler zu lesen und die Fotos zu sehen. Mit welchem Eindruck über die Erfolge Bulgariens im Umweltschutz die Frankfurter zurück gekehrt sind, gibt die Zeichnung wieder. Zurzeit nun sind die Schüler aus der bulgarischen Stadt im Austausch in Frankfurt zu Gast und werden gemeinsam mit ihren Gastgebern das pädagogische Konzept des Palmengartens näher betrachten. Auch darüber werden die Oberstufenschüler dann in der Frankfurter Neuen Presse berichten. elle PRO Grenzenlos gegen den Klimawandel Im „Joint Implementation Mechanism“ geht es um die Umsetzung von Klimaschutzprojekten in anderen Ländern. So wird unter anderem den osteuropäischen Ländern geholfen, ihre Treibhausgasemissionen zu senken, und sie werden gleichzeitig mit neuartigen Technologien unterstützt. Die Industriestaaten erhalten für ihr Engagement im Ausland ein anrechenbares Reduktionszertifikat. Es ist wichtig, dass alle Staaten ihren Beitrag zur Senkung von Kohlendioxid leisten, egal wo, Hauptsache, es wird etwas verändert. Also ist dieses Verfahren eine gute Alternative, um Treibhausgasemissionen zu senken. Zudem unterstützt man noch die beteiligten Länder in ihrem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung. Das Beispiel Veliko Tarnovo beweist, dass es klappen kann. Makda Isak Denn wenn Dänemark nicht in das Blockheizkraftwerk dort investiert hätte, könnten heute nicht 40 Prozent der Bevölkerung Veliko Tarnovos umweltfreundlich mit Wärme und Strom versorgt werden. KONTRA Freifahrtschein für Industriestaaten Gelb blüht es vorm Blockheizkraftwerk von Veliko Tarnovo. Doch die Idylle täuscht über den Zustand der Anlage hinweg. Foto: Patrick Bayer Der Blick in das Innere des Blockheizkraftwerks offenbart, wie sehr der Zahn der Zeit an der Anlage genagt hat. Für deutsche Verhältnisse ist das Kraftwerk in einem weniger guten Zustand. Foto: Marie-Luise Herrlein Ein langer Prozess So funktioniert Mülltrennung in Bulgarien in den Augen der Schüler: Erst wurde alles in die Landschaft geworfen – jetzt wird der Müll geordnet in die Natur entsorgt: Flaschen unter den Busch, Plastik ins Gras und Papier in den Wald. Zeichnung: Marie-Luise Herrlein Zarenstadt hat kein Geld für einen Feinstaubfilter Kaputte Rohre, undichte Leitungen, Bierflaschen aus Plastik und sogar ein toter Vogel in der Ecke – seriös und vertrauenserweckend wirkt das Blockheizkraftwerk in Veliko Tarnovo auf deutsche Besucher nicht. führte man Geldstrafen ein. Wer seinen Dreck in die Landschaft warf, musste blechen. Viel Müll landet im Fluss. Die Geldstrafen wurden aber wieder abgeschafft. Die Maßnahme scheiterte an der bulgarischen Polizei. Der Aufwand der Kontrollen sei höher gewesen als die Einnahmen, heißt es. Ein anderer Ansatz sei, schon Kindern die Umweltprobleme nahezubringen. Zum Beispiel werden laut Elena Grigorova an Schulen und Kindergärten Filme über die Umwelt gezeigt. Zum Aufklärungsprogramm gehöre auch, dass regelmäßig Umweltexperten Schulen besuchen, in denen sie den Schülern Ratschläge zum besseren Umgang mit der Umwelt im Alltag geben. So erreiche man Kinder und Jugendliche. Der leitende Ingenieur des Blockheizkraftwerks, Nikolay Nikolov, wirkt etwas ratlos beim Blick auf seinen Arbeitsbereich. Foto: Marie-Luise Herrlein Es sind nur ein paar schwache Lösungsansätze festgehalten im Kyoto-Protokoll, das als Rettungsversuch gegen die globale Erderwärmung gehandelt wird. Vor allem der „Joint Implementation Mechanism“ des KyotoProtokolls hat es nun den Industriestaaten angetan. „Lieber den einfachen Weg wählen, den „Joint Implementation Mechanism“ nutzen und sich so vor Veränderungen im eigenen Land drücken“, denken sich diese. Während sie sich nach günstigen Umweltprojekten umsehen, die sie im Ausland umsetzen, kann häufig von Nachhaltigkeit keine Rede sein. So haben die Länder, wie zum Beispiel Bulgarien, im Prinzip nichts von diesem Modell. Das Motto „Hilfe zur Selbsthilfe“, nach dem angeblich gearbeitet wurde, kann nicht verwirklicht werden, da diese Länder kaum Mittel zur Entwicklung von eigenen Umwelt- Svenja Carlson schutzprojekten haben. In Wirklichkeit dient dieser Mechanismus also nur den Industriestaaten, die nach anderen Auswegen suchen und sich so von teuren Umstellungen im eigenen Land „freikaufen“.