Neuapostolische Kirche - Landtag Baden Württemberg

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Neuapostolische Kirche - Landtag Baden Württemberg
Landtag von Baden-WŸrttemberg
Drucksache 12 /
12. Wahlperiode
01. 09. 97
1915
Kleine Anfrage
des Abg. Dr. Paul-Stefan Mauz CDU
und
Antwort
des Ministeriums fŸr Kultus, Jugend und Sport
Neuapostolische Kirche
K le in e A nfra ge
Ich frage die Landesregierung:
1. Wie ist die Neuapostolische Kirche (NAK) in Deutschland bzw. Baden-WŸrttemberg organisiert, wo sind ihre Zentren, welchen rechtlichen Status hat sie
inne, und wie viele Mitglieder besitzt sie?
2. Wie finanziert sich die NAK? Wird sie mit šffentlichen Geldern bezuschu§t?
3. UnterhŠlt die NAK soziale Einrichtungen? Wenn ja, werden diese aus Landesbzw. Bundesmitteln bezuschu§t?
4. Arbeitet die NAK in der škumenischen Bewegung der christlichen Kirchen mit?
Wenn nein, mit welcher BegrŸndung?
5. Sind der Landesregierung Verstš§e gegen das Datenschutzgesetz seitens der
NAK bekanntgeworden?
6. Hat die Landesregierung Erkenntnisse Ÿber das Verhalten der NAK gegenŸber
staatlichen Gewalten in der ehemaligen DDR und wŠhrend des Dritten Reiches?
Sind FŠlle von IM aus den Reihen der NAK bekanntgeworden?
7. Wie beurteilt die Landesregierung die zunehmende Kritik von Selbsthilfe-Initiativen ehemaliger Mitglieder an der NAK? Sind ihr FŠlle psychischer AbhŠngigkeit, autoritŠrem Druck auf die Mitglieder bzw. Psychoterror gegenŸber Kritikern bekanntgeworden?
28. 08. 97
Dr. Mauz CDU
Eingegangen: 01. 09. 97 / Ausgegeben: 16. 10. 97
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Landtag von Baden-WŸrttemberg Ð 12. Wahlperiode
Drucksache 12 / 1915
Be grŸndung
Die Neuapostolische Kirche ist in Deutschland und Baden-WŸrttemberg eine der
grš§ten Glaubensgemeinschaften. Zunehmend werden aber seitens SelbsthilfeInitiativen VorwŸrfe gegen die NAK laut. Die NAK soll ihre Mitglieder psychisch
unter Druck setzen, deren Daten ohne RŸcksicht auf das Datenschutzgesetz weitergeben sowie interne und externe Kritiker mit Psychoterror Ÿberziehen. Auch
soll sich die NAK totalitŠren Regimen wie der ehemaligen DDR oder dem Dritten
Reich kritiklos angepa§t oder diese unterstŸtzt haben. Da die NAK in der …ffentlichkeit in Form steigender Mitgliederzahlen und KirchengrŸndungen eine zunehmend wichtigere Rolle spielt, soll diese Anfrage zu einer KlŠrung der erhobenen
VorwŸrfe durch die Landesregierung dienen.
Ant wort
Mit Schreiben vom 29. September 1997 Nr. KiÐ7161Ð241/9 beantwortet das Ministerium fŸr Kultus, Jugend und Sport die Kleine Anfrage wie folgt:
Zu 1.:
Die Neuapostolische Kirche in der Bundesrepublik Deutschland ist in rechtlich
und wirtschaftlich eigenstŠndige Gebietskirchen (in der Regel auf Landesebene)
gegliedert. Die Gebietskirchen selbst sind in rechtlich unselbstŠndige Bezirke aufgeteilt, die mehrere rŠumlich beieinanderliegende Kirchengemeinden umfassen.
Am 1. Januar 1997 haben sich gemŠ§ Artikel 140 GG in Verbindung mit Artikel 137 Abs. 5 WRV die ehemals selbstŠndigen Neuapostolischen Kirchen Baden
und WŸrttemberg durch Fusion zur Neuapostolischen Kirche Baden-WŸrttemberg
zusammengeschlossen.
In Deutschland haben die einzelnen Gebietskirchen, die im wesentlichen die
BundeslŠnder abdecken, den Status einer Kšrperschaft des šffentlichen Rechts.
Lediglich im Land ThŸringen ist die Kšrperschaftsverleihung derzeit noch nicht
vollzogen. In Baden-WŸrttemberg erhielt die damalige Neuapostolische Kirche
Baden den Kšrperschaftsstatus am 21. MŠrz 1921, die damalige Neuapostolische
Gemeinde WŸrttemberg am 6. August 1948.
Die derzeitigen Zahlen der Mitglieder und Kirchengemeinden werden von der
Neuapostolischen Kirche wie folgt angegeben:
Ð Mitglieder in Baden-WŸrttemberg ca. 100.000; in der Bundesrepublik Deutschland ca. 400.000; weltweit 9,1 Millionen
Ð Anzahl der Gemeinden in Baden-WŸrttemberg 788; in der Bundesrepublik
Deutschland ca. 3.500; weltweit ca. 50.000.
Zu 2.:
Die Neuapostolische Kirche in der Bundesrepublik Deutschland finanziert sich
nach eigenen Angaben aus freiwilligen Opfern und Spenden ihrer Mitglieder. Eine
Bezuschussung mit šffentlichen Geldern findet nicht statt.
Zu 3.:
Die Neuapostolische Kirche unterhŠlt in Baden-WŸrttemberg keine sozialen Einrichtungen.
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Landtag von Baden-WŸrttemberg Ð 12. Wahlperiode
Drucksache 12 / 1915
Allerdings hat die Neuapostolische Kirche Baden-WŸrttemberg nach eigenem Bekunden, insbesondere in der ãDritten Welt und OsteuropaÒ, in den letzten Jahren
mehrere soziale Einrichtungen geschaffen bzw. unterstŸtzt, die zum Teil auch mit
Geldern der deutschen Entwicklungshilfe bezuschu§t sind. Des weiteren habe sie
sich in Baden-WŸrttemberg finanziell am Bau oder der Renovierung von Aussegnungshallen bzw. Friedhofskapellen beteiligt.
Zu 4.:
Die Neuapostolische Kirche hat sich in der Vergangenheit offiziell nicht an der
škumenischen Bewegung beteiligt. Allerdings gab und gibt es nach Auskunft der
Kirche auf Ortsebene im In- und Ausland immer wieder eine Zusammenarbeit mit
anderen Kirchen, insbesondere auf sozial-humanitŠrem Gebiet.
Dem Ministerium ist bekannt, da§ Anfang der 90er Jahre von der damaligen Neuapostolischen Kirche WŸrttemberg Kontakte zur Arbeitsgemeinschaft Christlicher
Kirchen (ACK) mit dem Ziel einer Beteiligung der Neuapostolischen Kirche aufgenommen worden waren. Ein endgŸltiges Ergebnis scheint aus der Sicht des Ministeriums nicht vorzuliegen. Im Ÿbrigen gehšrt das škumenische Verhalten einer
Religionsgemeinschaft zum rein innerkirchlichen Bereich, den zu beurteilen dem
Land im Blick auf das staatliche NeutralitŠtsgebot (Artikel 4 GG) verwehrt ist.
Zu 5.:
Verstš§e gegen das Datenschutzgesetz sind auch aus der Sicht des Innenministeriums und des Landesdatenschutzbeauftragten nicht bekannt.
Mit Wirkung vom 1. MŠrz 1997 gab sich die Neuapostolische Kirche Baden-WŸrttemberg im Rahmen ihrer Selbstverwaltungskompetenz eine Datenschutzrichtlinie
und bestellte einen kirchlichen Datenschutzbeauftragten. Sie unterliegt somit nicht
dem Bundes- bzw. Landesdatenschutzgesetz.
Zu 6.:
Das Kultusministerium verfŸgt Ÿber keine eigenen Erkenntnisse Ÿber das Verhalten der Neuapostolischen Kirche gegenŸber staatlichen Stellen in der ehemaligen
DDR und in der Zeit des Nationalsozialismus. Insbesondere sind hier keine FŠlle
bekannt, in denen eine TŠtigkeit von Informellen Mitarbeitern (IM) in diesem Bereich nachgewiesen wurde.
Die Neuapostolische Kirche Baden-WŸrttemberg gibt zu diesem Problembereich
zu bedenken, da§ gerade unter totalitŠren Systemen der kirchliche Auftrag zur VerkŸndigung des Evangeliums und die damit verbundene Seelsorge oft Šu§erst
schwierig zu erfŸllen gewesen sei. So habe es unter dem Regime des Nationalsozialismus wie auch in der damaligen DDR verschiedentlich kritische Situationen
gegeben, in denen sich die Neuapostolische Kirche einem Verbot ausgesetzt sah.
Trotzdem versuchte die Neuapostolische Kirche Ð wie auch andere Religionsgemeinschaften Ð der schwierigen Situation Rechnung zu tragen und ihre kirchlichen
Aufgaben sicherzustellen.
Zu 7.:
Dem Kultusministerium ist die in den letzten Jahren in den Medien verschiedentlich geŠu§erte Kritik durch Selbsthilfe-Initiativen ehemaliger Mitglieder bekannt.
Dazuhin gab es in ganz vereinzelten FŠllen Kritik von Mitgliedern, die dem Ministerium gegenŸber geŠu§ert wurde.
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Landtag von Baden-WŸrttemberg Ð 12. Wahlperiode
Drucksache 12 / 1915
1. Aus der Sicht des Kultusministeriums handelt es sich dabei im wesentlichen um
Auseinandersetzungen mit der Lehre der Neuapostolischen Kirche, um Kritik an
ihrer Organisation sowie an der Finanzverwaltung der Kirche. Damit sind Bereiche angesprochen, die dem Schutzbereich der Religionsfreiheit (Artikel 4
GG) unterliegen und der (Be-)Wertung des Staates entzogen sind, solange nicht
die verfassungsimmanenten Schranken wie zum Beispiel kollidierende Grundrechte Dritter oder andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte verletzt werden, wofŸr letztlich die Gerichte zustŠndig sind. Dem Kultusministerium sind keine Verstš§e der Neuapostolischen Kirche Baden-WŸrttemberg
gegen die Rechtsordnung bekannt, wobei darauf hinzuweisen ist, da§ es keine
staatliche Rechtsaufsichtsbehšrde Ÿber Kirchen und Religionsgemeinschaften
gibt.
Die Neuapostolische Kirche wird weder durch die baden-wŸrttembergische Interministerielle Arbeitsgruppe sog. Sekten und Psychogruppen beobachtet noch
im Zwischenbericht der Enquete-Kommission ãSogenannte Sekten und PsychogruppenÒ des Deutschen Bundestages vom 7. Juli 1997 (BT-Drucksache 13/8170) problematisiert.
Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 26. Juni 1997 zur
Frage der Anerkennung der Zeugen Jehovas als Kšrperschaft des šffentlichen
Rechts (BVerwG, NJW 1997, S. 23966 f.) zu dem Vorwurf der Praktizierung
eines Zwangssystems, das der Werteordnung des Grundgesetzes widerspreche,
ausgefŸhrt, da§ die Verfassung den Religionsgemeinschaften, auch soweit sie
Kšrperschaften des šffentlichen Rechts sind, kein Demokratiemodell vorschreibe; vielmehr sei auch die Herausbildung hierarchischer oder autoritŠrer
Organisationsstrukturen verfassungsrechtlich geschŸtzt (BVerfG, NJW 1991,
S. 2623). Eine andere rechtliche Beurteilung lie§e ansonsten die Religionsfreiheit zu einer Mehrheitsfrage werden.
Zu eventuellen Rechtsverletzungen im Bereich des Arbeits-, Sozial- und Datenschutzrechts hat das Bundesverwaltungsgericht in der o. g. Entscheidung dargelegt, da§ ãdas Wirken der Religionsgemeinschaften unter dem Schutz nicht nur
des Grundrechts der Religionsfreiheit nach Artikel 4 Abs. 1 und 2 GG, sondern
auch des Rechts zur Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten nach Artikel 140
GG in Verbindung mit Artikel 137 Abs. 3 WRV stehtÒ. Hierzu zŠhlt auch die innerkirchliche Handhabung der Kirchenfinanzen.
2. Was den von Mitgliedern von Selbsthilfe-Initiativen behaupteten autoritŠren
Druck auf die Mitglieder bzw. Psychoterror gegenŸber Kritikern anbelangt, verfŸgt das Kultusministerium Ÿber keine eigenen amtlichen Erkenntnisse.
Die Neuapostolische Kirche Baden-WŸrttemberg selbst hat hierzu in der …ffentlichkeit mehrfach Stellung genommen und auch Personen, die diese VorwŸrfe erhoben, GesprŠche angeboten. Dies sei jedoch praktisch nicht wahrgenommen worden. Sie habe im Zusammenhang mit ãihren AussteigernÒ keinerlei
KirchenausschlŸsse oder sonstige Sanktionen, wie zum Beispiel Hausverbote,
verfŸgt. Es seien lediglich AmtstrŠger, die sich von der Lehre der Neuapostolischen Kirche distanzierten, aus ihren €mtern entlassen worden. Im Ÿbrigen
wŸrde die AusŸbung von Druck auf Mitglieder von der Kirchenleitung nicht gebilligt werden. Sollte das Verhalten einzelner AmtstrŠger oder Mitglieder von
den Betroffenen als Druck empfunden worden sein, werde dies bedauert.
Die Enquete-Kommission schreibt zu dem Problembereich AbhŠngigkeitsprozesse in sog. Sekten und Psychogruppen in ihrem bereits zitierten Zwischenbericht u. a., da§ VorwŸrfe wie zum Beispiel ãPsychomanipulationÒ und ãGedankenkontrolleÒ nicht gegen den Willen der Beteiligten angewandt werden kšnnten und es ausgeschlossen sei, eindeutige Verursachungsketten zwischen angewandten ãTechnikenÒ und psychischen Stšrungen herzustellen.
Dr. Annette Schavan
Ministerin fŸr Kultus, Jugend und Sport
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