Baubeginn für Nürnberger Straßenbahn-Neubaustrecke
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Baubeginn für Nürnberger Straßenbahn-Neubaustrecke
PROJEKT & PLANUNG Baubeginn für Nürnberger Straßenbahn-Neubaustrecke von Stefan Göbel, Breisach Zukünftige Haltestelle Celtisplatz am Südende des Celtistunnels Abbildung: Emch + Berger Am 28. Februar war Baubeginn für den Neubau einer 950 m langen Straßenbahnstrecke in der nördlichen Pillenreuther Straße in Nürnberg. Sie bringt nicht nur eine neue Tramhaltestelle am Celtisplatz, sondern ebnet auch den Weg zu einer Verbesserung der Wirtschaftlichkeit im Straßenbahnbetrieb der VAG Verkehrs-Aktiengesellschaft Nürnberg. Die Strecke soll zum Fahrplanwechsel am 11. Dezember 2011 eröffnet werden. Zum gleichen Zeitpunkt will die VAG auch die U-Bahn-Linie U3 im Norden vom Maxfeld über Kaulbachplatz bis zum Friedrich-Ebert-Platz erweitern und gleichzeitig den Nordast der Straßenbahnlinie 9 vom Hauptbahnhof über die Pirckheimer Straße nach Thon aufgeben. Ohne die Neubaustrecke Pillenreuther Straße wäre dies nach VAG-Einschätzung kaum möglich, denn dann müssten in der recht beengten Straßenbahnwendeschleife am Hauptbahnhofsvorplatz drei Straßenbahnlinien enden. Mit der neuen Strecke kann die Linie 5 zu einer Durchmesserlinie zwischen Tiergarten und Südfriedhof über Hauptbahnhof und Pillenreuther Straße werden, während die Linie 8 zukünftig von Erlenstegen zur Bayernstraße fährt – genauer gesagt bis zur Tristanstraße, weil seit 13. Dezember 2010 wegen des schlechten baulichen Zustandes und neuer Sicherheitsanforderungen die Tunnelstrecke aus den 1930er Jahren zur Schleife Bayernstraße (Unterführung in der Allersberger Straße) nicht mehr mit Fahrgästen befahren werden darf. Nach dem neuen Linienkonzept wird also nur die Linie 9, vom Doku-Zentrum kommend, in der Schleife am Hauptbahnhof wenden. Die Wirtschaftlichkeit des Straßenbahnnetzes steigt, denn unabhängig von der Aufgabe der Strecke durch die Pirckheimer Straße sinkt der Fahrzeugbedarf im Zuge der Durchbindung über die Pillenreuther Straße bei gleichem Fahrtenangebot um zwei Züge samt Personal und die verbesserte Erschließung durch die neue Haltestelle Celtisplatz bringt nach Prognosen 800 zusätzliche Fahrgäste pro Tag. Die Fahrtzeit aus den südlichen Stadtteilen zum Hauptbahnhof verkürzt sich durch die neue Strecke nach VAG-Angaben um vier bis fünf Minuten. In diesem Jahr investiert die VAG rund 21 Mio. EUR in die Fahrwege sowie in Anlagen für U-Bahn, Straßenbahn und Bus. 13,4 Mio. davon stehen für den Gleisbau und den Unterhalt der Gleise zur Verfügung. Das Unternehmen baut bzw. erneuert rund 2150 m Straßenbahngleis und fünf Weichen sowie 700 m U-Bahn-Gleis und zwei Weichen. Außerdem werden bei der Straßenbahn 1600 m Fahrleitung auf den neuesten Stand gebracht. Die neue Straßenbahnstrecke wird insgesamt 9,3 Mio. EUR kosten; 6,9 Mio. davon werden dieses Jahr fällig. Davon trägt die Stadt 1,1 Mio. EUR. Die VAG finanziert den Rest. Weil die Strecke praktisch keinen eigenen Bahnkörper hat, gibt es keine Fördermittel. Trotzdem ist die Maßnahme aus Sicht des Verkehrsunternehmens wirtschaftlich. Die VAG erwartet ab der Eröffnung eine jährliche Ergebnisverbesserung in Höhe von bis zu 1 Mio. EUR. Wenig Platz nach allen Seiten: im Celtistunnel, der Straßenunterführung unter den hoch liegenden Gleissträngen an der Westseite des Nürnberger Hauptbahnhofs, wird auf einen eigenen Gleiskörper für die Straßenbahn verzichtet. Die Fahrdrahthöhe ist auf 3,80 m reduziert. Abbildung: VAG Nürnberg 22 stadtverkehr 4/11 (56. Jahrgang) PROJEKT & PLANUNG Hauptbahnhof mit Straßenbahn-Wendeschleife im Jahr 2007, Blick in Richtung Frauentorgraben, wo die Neubaustrecke vor dem Versicherungs-Hochhaus nach links in die Celtisunterführung einschwenken wird. Aufnahme: SG Zukünftiger Verlauf der Straßenbahnlinien am Nürnberger Hauptbahnhof und in der Pillenreuther Straße (Linie 5 nach Süden). Abbildung: VAG Nürnberg Nachdem die frühere Straßenbahnstrecke durch die Celtisunterführung (und weiter durch eine Parallelstraße zur Pillenreuther) im Jahr 1973 stillgelegt worden war, hat sich bereits 1993 der Nürnberger Stadtrat im Grundsatz für den Streckenneubau entschieden, doch erst im Herbst 2009 fiel der Stadtratsbeschluss zur Umsetzung der Maßnahme. Der Planfeststellungsbeschluss durch die Regierung von Mittelfranken wurde im Oktober 2008 erteilt. Im Jahr 2010 wurden Leitungsverlegungsarbeiten im Bereich der Trasse durchgeführt. Schon in „stadtverkehr“ 3/09 war über das Projekt berichtet worden. Dabei ging es um die Besonderheit, dass die Strecke überwiegend nicht auf eigenem Bahnkörper zu liegen kommen wird. Die beengten Platzverhältnisse und der Umstand, dass es zahlreiche Ladenlokale in der Pillenreuther Straße gibt, ließen vielmehr den Plan reifen, die Bahnen im Verkehr mitfließen zu lassen und gleichzeitig durch intelligente Ampelschaltungen zu beschleunigen. Die Neubaustrecke führt vom Hauptbahnhof durch den Celtistunnel und die Pillenreuther Straße bis zur Wölckernstraße, wo sie wieder auf bestehende Gleise trifft. Lediglich in der Nähe des Hauptbahnhofs wird abschnittsweise ein eigener Gleiskörper gebaut, ausgeführt als Rasengleis. Am Celtisplatz entsteht eine behindertenfreundliche Haltestelle. Die Bahnsteige werden 25 cm hoch sein und einen beinahe ebenerdigen Einstieg in die Niederflurstraßenbahnen ermöglichen. Für blinde und sehbehinderte Fahrgäste wird ein Blindenleitsystem eine komfortable und sichere Nutzung der Straßenbahn ermöglichen. Eine Anzeigetafel des dynamischen Fahrgastinformationssystems gehört ebenfalls zur Ausstattung. In Nürnberg besteht bei Strecken im Straßenraum eine Arbeitsteilung zwischen Stadt und Verkehrsbetrieben dergestalt, dass letztere in Bau und Unterhalt für den Gleisbereich zuzüglich ca. 50 cm neben den Schienenköpfen zuständig sind („Dreizeiler“, benannt unter Bezugnahme auf den früher üblichen Aufbau mit Pflastersteinen). Gebaut wird die Strecke als Feste Fahrbahn System „Nürnberg 98“. Dabei handelt es sich um einen Aufbau bestehend aus einer zweilagigen Ortbetonplatte mit einbetonierten Zweiblockschwellen. Unter der Ortbetonplatte befindet sich ein Mineralplanum, das gemeinsam mit der Frostschutzschicht der Straße hergestellt wird. Die im Planfeststellungsbeschluss festgehaltenen Vorgaben zum Schall- und Erschütterungsschutz werden durch eine elastische Schienenlagerung erfüllt. Dazu wird unter den Schienen Ri60 (60R1) eine Sylomer- oder, bei nahe an der Trasse stehender Wohnbebauung, SylodynElastomermatte der Fa. Getzner verlegt. Zusammen mit den seitlich eingebauten REGUM-Kammerfüllelementen ergibt sich eine Entkoppelung der Schienen von der Umgebung sowohl in Hinsicht auf Schall und Erschütterungen wie auch bezüglich der Ausbreitung von Streuströmen. Der Deckenschluss erfolgt mit einer zweilagigen, 5 cm dicken Hartgussasphaltplatte. Im Bereich des Bahnhofsvorplatzes, wo genügend Raum für einen eigenen Gleiskörper zur Verfügung steht, wird ein hochliegendes Rasengleis auf Betonlängsbalken nach System Inplace (Fa. Travetto) hergestellt. stadtverkehr 4/11 (56. Jahrgang) KAMMERFÜLL-ELEMENTE Eigene Produktion Dienstleistungen rund ums Gleis Zweiteiliges, patentiertes Rasengleissystem Wir haben ein mehrstufiges Qualitätskonzept entwickelt, welches unseren Kunden und uns selbst größtmögliche Sicherheit gibt: Ständige Eigenüberwachung im eigenen Labor ISO-Zertifizierung nach DIN EN 9001 durch den TÜV Süd Fremdüberwachung durch die LGA QualiTest GmbH (TÜV Rheinland Group) Fremdüberwachung durch die Techn. Akademie Wuppertal REGUM GmbH Heinrich-Diehl-Straße 2 D-90552 Röthenbach/Pegnitz Tel.: +49 911 95 33 54 - 0 Fax: +49 911 95 33 54 - 850 E-Mail: [email protected] Internet: www.regum.de 23 PROJEKT & PLANUNG fahren. Die Südäste dieser Linien sowie die Linien 5 und 7 enden am Nordausgang des Allersberger Tunnels und werden dort verknüpft. Die Bahnen wenden hier nicht, ändern aber die Liniennummer. Weitere Projekte und Entwicklungen Schall-, Körperschall- und Streustromisolierung am Gleis mittels Elastomermatte von Getzner (im Bild Sylomer, im Bereich der Südstadt wird Sylodyn verwendet) und REGUM-Kammerfüllelementen – es werden 1700 lfm Gleis Ri 60 mit diesen Systemen verbaut; auch die Fugenarbeiten gehören zum Arbeitsumfang. Hinzu kommen 165 m Rasengleis am Hauptbahnhof. Aufnahme: REGUM Straßenbahnschleife am Hauptbahnhof mit einem der nach Krakau abgegebenen N8-Wagen. Bei der in diesem Sommer neu zu bauenden Oberleitungsanlage wird auf einen Fahleitungsmast in der Schleifenmitte verzichtet. Im Zuge der Pillenreuther Straße wird die Fahrleitung als fest abgespannte Flachkette mit Fahrdraht Ri 100 und einer maximalen Feldlänge von 15 m installiert. Zur Aufhängung dienen überwiegend Wandeisen und konische runde Betonmaste, die zum Teil kombiniert mit Lichtsignalanlagen (LSA) und Straßenbeleuchtung genutzt werden. Die Fahrdrahthöhe beträgt allgemein 5,60 m – anders im Celtistunnel, wo der begrenzte zur Verfügung stehende Raum eine Fahrdrahthöhe von 3,80 m bedingt. Die zukünftige zulässige Durchfahrtshöhe für den Individualverkehr beträgt hier 3,60 m. Der Fahrdraht wird an elastischen Deckenhaltern angebracht. Zur Erdung wird der gesamte Tunnel elektrisch durchverbunden und nicht isoliert. Der Celtistunnel und die Pillenreuther Straße werden ein neuer Speisebezirk, ausgestattet mit zwei Einspeisungen und einer Kuppelstelle. Am Hauptbahnhof entsteht eine freitragende Platzverspannung ohne Mast im Mittelpunkt der Schleife. Sämtliche Fahrleitungsmaste werden erneuert. Die konischen Sechskant-Stahlmaste, mit Längen bis zu 19 m und teilweise auf dem darunterliegenden U-Bahn-Bauwerk aufgeflanscht, tragen auch hier wo möglich LSA und Straßenbeleuchtung. Im Bereich des Rasengleises vor dem Hauptbahnhof werden Mittelmaste gesetzt. Die Bauarbeiten sind in drei Bereiche aufgeteilt. Während die Arbeiten in der Pillenreuther Straße (Bereich 1) sowie im Celtistunnel und im Abschnitt zwischen Frauentorgraben und Eilgutstraße (Bereich 2) v.a. andere Verkehrsteilnehmer betreffen, macht die Ergänzung und Umgestaltung der Gleisanlagen auf dem Bahnhofsplatz eine Unterbrechung des Straßenbahnbetriebs während der Sommerferien zwischen dem Abend des 29. Juli und dem 12. September notwendig. Die Linien 8 und 9 können in diesem Zeitraum nicht zwischen Hauptbahnhof und Rathenauplatz 24 Das Nürnberger U-Bahn-Netz ist derzeit 27 km lang. Im Bau ist der 1,1 km messende Abschnitt 1.3 der Linie U3 mit den neuen U-Bahnhöfen Kaulbachplatz und Friedrich-Ebert-Platz im Norden der Stadt. Die Eröffnung erfolgt im Dezember 2011. Der Tunnel reicht dann bereits bis zum Bielingplatz, kurz vor dem zukünftigen U-Bahnhof Klinikum-Nord. Schon vor der Eröffnung des Abschnitts 1.3, im kommenden Herbst, soll der Bauabschnitt 3 vom Klinikum zum Nordwestring, für den Vorwegmaßnahmen bereits seit Mai 2010 liefen, in Bau gehen. Weitere 1,1 km Strecke und zwei Bahnhöfe könnten dann 2015 in Betrieb genommen werden. Wann der 1,1 km lange Südabschnitt der U2, Teil des Bauabschnitts 2 von der Gustav-Adolf-Straße bis Großreuth, gebaut wird, steht noch nicht fest. Nach der Umstellung der Linie U2 auf automatischen Betrieb – seit Anfang 2010 sind hier Züge des Typs DT3 unterwegs – wurden zwölf U-BahnDoppeltriebwagen der ersten Bauserie DT1 verschrottet. Ab 1970 waren 32 dieser Gleichstromeinheiten beschafft worden, ab 1980 weitere mit Drehstromantriebstechnik. Ein Verkauf der bis zu 40 Jahre alten, 2,90 m breiten Fahrzeuge der ersten Teilserie gelang nicht. Im Planfeststellungsverfahren ist der Neubau der Straßenbahnstrecke von Thon nach Buch. Beginnend auf Höhe der Endschleife Thon führt diese Strecke in Mittellage der Erlanger Straße bis etwa 200 m nördlich der Kreuzung mit der Wilhelmshavener und der Schleswiger Straße. Dann schwenkt die Trasse in die östliche Seitenlage und verläuft parallel zur Erlanger Straße bis zur Johann-Sperl-Straße. Dort entsteht die neue Endhaltestelle Am Wegfeld. Die Strecke mit fünf Haltestellen ist 2,5 km lang. Es wird mit Kosten in Höhe von 23 Mio. EUR gerechnet. Die Eröffnung ist für Ende 2013 vorgesehen. Derzeit entsteht der Nahverkehrsentwicklungsplan (NVEP) 2025. Er soll die Optimierung und den weiteren Ausbau des ÖPNV-Systems konzipieren. Dabei geht es um wirtschaftliche ÖPNV-Angebote, die in der Lage sind, den Modal-Split zugunsten des ÖPNV zu beeinflussen. Ein Aspekt dabei ist auch das zukünftig zu betreibende Straßenbahnnetz. Mit der Bearbeitung wurde die Ingenieurgruppe IVV im April 2008 beauftragt. Die Fertigstellung des Gutachtens wird 2011 erfolgen. Danach ist mit der politischen Willensbildung und Beschlussfassung bezüglich der umzusetzenden Maßnahmen zu rechnen. Die 1975 bis 1977 als Typ N6 gelieferten und 1992/93 für 7 Mio. DM durch Niederflurmittelteile von Düwag/MAN zu Achtachsern erweiterten N8-Fahrzeuge werden schrittweise nach Krakau abgegeben. Von den zwölf Einheiten gingen die ersten bereits 2006 in Nürnbergs polnische Partnerstadt, im Februar 2011 wurde das neunte Fahrzeug verladen. Lediglich ein N8, Wagen Nr. 363, wird in Nürnberg erhalten. Als Ersatz sind Stadler-Variobahnen im Einsatz. ■■ Stefanie Heumann, Dipl.-Jour., Florian Gräf, Dipl.-Ing. (FH) M.Sc., und Ralf Knode, Dipl.-Ing. (FH), von der VAG Nürnberg sei gedankt für Informationen und die Überlassung von Unterlagen, die in diesem Beitrag Verwendung fanden. Anders als bei den Straßenbahnen gelang ein Verkauf der ältesten U-Bahn-Wagen nicht. Zwölf der bis zu 40 Jahre alten, 2,90 m breiten Doppeltriebwagen der ersten Lieferserie wurden 2010 verschrottet. Aufnahmen (2): SG stadtverkehr 4/11 (56. Jahrgang)