Jäger der verlorenen Schriften - E

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Jäger der verlorenen Schriften - E
Date: 30.05.2015
Hauptausgabe
St. Galler Tagblatt AG
9001 St. Gallen
071 227 69 00
www.tagblatt.ch
Genre de média: Médias imprimés
Type de média: Presse journ./hebd.
Tirage: 26'287
Parution: 6x/semaine
N° de thème: 377.021
N° d'abonnement: 1086479
Page: 37
Surface: 80'380 mm²
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Die Spektralanalyse von Bill Christens-Barry des Archimedes Palimpsest: Mit verschiedenen Bildtechniken werden die Schriften farblich hervorgeholt.
Jäger der verlorenen Schriften
Mike Toth und Bill Christens-Barry sind weltweit führende Forscher, die mit der Spektralanalyse mittelalterliche,
verschwundene Schriften wieder hervorzaubern. Das wollen sie auch in der St. Galler Stiftsbibliothek tun.
BRUNO KNELLWOLF
Gelehrte ihr gesammeltes Wis- lassen. Dass man sich JahrtauNicht immer ist das, was sen auf Pergament oder Papyrus
man sieht, das Interessanteste. schrieben. «Doch das Pergament sende und Jahrhunderte später
genau für die ältesten Schriften
Manchmal steckt im Verborge- war teuer. Deshalb wurde es am meisten interessiert, konnnen ein Rätsel, das uns und vor nach dem Gebrauch wieder abten die Gelehrten nicht ahnen.
allem die Forscherseele treibt: So gewaschen, um es nochmals zu
«Wir bieten die Möglichkeit,
auch bei Mike Toth, der zusam-
men mit Bill Christens-Barry in
einem Büro der St. Galler Stiftsbibliothek sitzt. Der Leiter der
Stiftsbibliothek Cornel Dora bezeichnet den amerikanischen
Forscher Mike Toth als «Star im
im Bereich der Spektralanalyse
von Handschriften mit verblassten und verschwundenen Schrif-
ten, insbesondere von Palimpsesten».
Mit Zitronensäure abgewaschen
Um das zu verstehen, muss
man eine Zeitreise unterneh-
beschriften», erklärt die neben zu sehen, was man nicht sehen
Toth sitzende Ramona Fritschi, kann - mit den technischen SysProjektmanagerin bei e-codices. temen, die Bill Christens-Barry
Einer Organisation, die unter der entwickelt hat», sagt Michael
Leitung der Universität Freiburg Toth, Präsident des «Transformadie Schätze der Bibliotheken in tion Service for New Technoloder Schweiz digitalisiert (siehe gies» in Oakton, Virginia. «Wir
Kasten). Palimpseste sind somit nutzen das Licht mit einem Kawiederbeschriebene mittelalter- mera-System aus Dänemark, das
liche Manuskripte.
Bill optimiert hat.»
Um das beschriebene Perga- Von Archimedes bis Livingstone
ment wieder nutzen zu können,
Mike Toth zählt auf, wie sie
wurde es abgewaschen und ab- mit ihrem System der Spektralgekratzt. Im Stil eines heutigen analyse bedeutende ManuskripTintenkillers wurden auch Mittel te der Weltgeschichte enträtselt
men. In Zeiten, in denen wenige wie Zitronensäure genutzt, um
haben: «Im Jahr 2000 arbeiteten
die alte Schrift verschwinden zu
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wir zusammen an den Archimedes-Palimpsesten, den frühesten
Aufzeichnungen von Archimedes' Werk. Wir arbeiteten an der
amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von Thomas Jefferson, an der Gettysburg-Rede
Auge nicht sieht.
für den weltbekannten St. Galler
Klosterplan, der ebenfalls ein
Zustand des Pergaments
Palimpsest ist. «Für den Kloster«Wir können nicht nur die ver-
stone in Afrika. Wir arbeiten zur
mationen über den Zustand der
könnten die beiden Forsteckten Schriften lesen, son- plan
scher wichtige Erkenntnisse liedern auch sehen, unter welchen
fern, gerade auch im Hinblick
Bedingungen diese vor Jahrhundass wir prüfen, den
derten entstanden sind. Zum darauf,
von Abraham Lincoln und den
Klosterplan
dauernd auszustelBeispiel, wie das Pergament beTagebüchern von David Livinglen. Dafür brauchen wir Inforschaffen ist, welche Schäden es
hat. Unser System ist eine KomZeit an den Palimpsesten und bination von zerlegtem Licht, Farben und des Pergaments.»
Mit der Spektralanalyse werManuskripten des Katharinen- Spezialkameras und Algorithden nicht nur Schriften entdeckt.
klosters auf dem Sinai.»
«Wir haben das System Jahr
men», sagt Bill Christens-Barry.
kann damit auch neue In«Was diese beiden Wissen- «Man
formationen bekommen, etwa
zur Tinte und zum Pergament.»
ergänzt schafter entwickelt haben, ist für
Christens-Barry und klappt sei- die Forschung ein Riesenerfolg»,
nen Laptop auf, um darauf das sagt Christoph Flüeler von e-cozuvor Unsichtbare auf den Archidices. Mit diesen Fotografietechfür Jahr verbessert»,
Bald werde es wohl mit forensischen Methoden möglich, so wie
medes-Palimpsesten zu zeigen. nik seien sie weltweit führend. bei der Polizeiarbeit, herauszuUnser System ist eine Für die Wissenschaft sei es aber finden, wo das Schaf gefressen
Kombination von
zerlegtem Licht,
Spezialkameras und
Algorithmen.
Bill Christens-Barry
Dazu nutzt er, simpel gesagt, die
verschiedenen Wellenlängen des
Lichts. «Wir gebrauchen eine Kamera, die uns sagt, welche Farbe
damals genutzt worden ist. Wir
hat, welches seine Haut für ein
auch extrem wertvoll, dass die Stück Pergament gegeben hat.
Stiftsbibliothek ihre wertvollen
Schriften öffentlich gemacht
habe, gibt Toth das Lob zurück.
In St. Gallen sind Toth und
Christens-Barry, weil in der
Stiftsbibliothek ebenfalls Verbor-
genes steckt. «Wir haben hier
eine der bekanntesten Sammlungen von Palimpsesten», sagt
Cornel Dora. «Die Abtei San Colombano von Bobbio, die Bibliomachen eine Reihe von Fotos tec a Capitolare di Verona und die
von der gleichen Stelle und holen Stiftsbibliothek St. Gallen sind
so mit Hilfe von Filtern die Farb- hier führend. Es geht um elf
töne in verschiedenen Schichten Handschriften und 1800 Seiten.
des Manuskripts hervor», erklärt Viele dieser Seiten sind aber
Christens-Barry. Werden die Bil- nicht lesbar. Deshalb erhoffen
Vielleicht ein Pilotprojekt
Toth und Christens-Barry
würden gerne im nächsten Frühling wieder nach St. Gallen kommen - und länger bleiben, um in
einem Pilotprojekt den Geheimnissen der Stiftsbibliothek in einem Pilotprojekt auf den Grund
zu gehen. Das ist unter anderem
auch davon abhängig, ob e-codices sich daran beteiligt.
Zuerst fahren Toth und Chris-
tens-Barry nach Paris, um alte
medizinische Texte zu entziffern.
Eine spannende Arbeit, sagt
Mike Toth «denn manchmal
der auf dem Computer über- wir uns vom Besuch dieser bei- siehst du ein Palimpsest und einandergelegt,
erscheinen den Spitzenforscher einiges», oh, da erscheint la noch eines».
plötzlich Schriften, die man von sagt der Stiftsbibliothekar. Auch
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Toth Associates
Associates
Bild: R.B. Toth
Mike Toth (links) und Vincent Carney blicken auf ein Blatt der
Archimedes-Palimpseste, das unter der Spezialkamera liegt.
e-codices Handschriften digitalisieren
e-codices ist die älteste digitale
Bibliothek der Schweiz. Entstanden ist sie vor zehn Jahren
in St. Gallen, geleitet wird das
Projekt von der Universität Freiburg. Das Ziel von e-codices ist
es, alle mittelalterlichen und
eine Auswahl neuzeitlicher
Handschriften der Schweiz
durch eine virtuelle Bibliothek
frei zugänglich zu machen.
Zurzeit sind 1290 digitalisierte
Handschriften aus 54 verschiedenen Sammlungen verfügbar.
Die virtuelle Bibliothek wird
laufend ausgebaut.
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Ein Teilprojekt daraus ist die
«Virtuelle Stiftsbibliothek
St. Gallen », die 2008 eröffnet
worden ist. Bis Ende 2009 wurden über 300 Handschriften
der Stiftsbibliothek St. Gallen,
die vor dem Jahr 1000 geschrieben wurden, auf e-codices erschlossen. Auch wurde
die Webapplikation weiterentwickelt und dem neusten Stand
der Informatik angepasst, womit den Nutzern ein schnellerer
und einfacherer Zugriff auf die
Webdatenbank ermöglicht
wurde. (Kn.)
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