Netzwerk aktuell Nebenwirkungen - Arznei

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arznei-telegramm® 2012; Jg. 43, Nr. 5
Warenzeichen in
Österreich
und Schweiz
(Beispiele)
Amiodaron:
SEDACORON
(A)
CORDARONE
(CH)
Dronedaron:
MULTAQ
(A, CH)
Ethinylestradiol +
Cyproteronazetat:
DIANE
MITE
(A)
DIANE 35
(CH)
Ethinylestradiol +
Dienogest:
VALETTE
(A)
Fentanyl,
extern:
DUROGESIC
(A, CH)
Natalizumab:
TYSABRI
(A, CH)
Internetforen wie Maedchen.de vermuten, in denen die als
positiv und erstrebenswert beschriebenen Effekte Drospirenon-haltiger Pillen auf Haut und Selbstwertgefühl breiten
Raum einnehmen. Risiken werden locker weggeschoben. So
ist die Freundin, die eine Lungenembolie erlitt „(hat es aber
überlebt) ... auch selber schuld, da sie geraucht hat”, lautet
ein Kommentar (http://www.maedchen.de/forum/verhuetu
ng-koerper/59502-die-pille-yaz.html#post1575220). Nur wenige Kontrazeptiva haben die Doppelindikation, beispielsweise das EE- und Chlormadinon-haltige Zweiphasenpräparat
NEO-EUNOMIN oder das EE-Dienogest-haltige Einphasenpräparat VALETTE. EE-Cyproteronazetat-Kombinationen
(DIANE-35 u.a.) sollen hingegen nicht ausschließlich zur
Empfängnisverhütung verwendet werden, –Red.
Pharmaindustrie gibt bis zu 91 Mio. € im Jahr für
Lobbyismus in der EU aus: Den Einträgen im Transparency-Register der EU (http://www.europa.eu/transparency-regis
ter/) zufolge gibt die europäische pharmazeutische Industrie
im Jahr mehr als 40 Mio. € aus, um Entscheidungsfindungen
in der europäischen Union zu beeinflussen. Die Einträge in
das Register sind allerdings freiwillig und somit unvollständig. Nach einer von den international agierenden Gruppen
Health Action International (hai) und Corporate Europe Observatory (CEO) veröffentlichten Studie dürften etwa 220
Lobbyisten aktiv sein und die Ausgaben eher in der Größenordnung um 91 Mio. € liegen. Die Hälfte der Summe entfällt
auf firmeneigene Agenten. Die Ausgaben entsprechen in etwa
denen der pharmazeutischen Industrie für Lobbying in den
USA. Dort ist die Meldung der Ausgaben obligatorisch. Im
Pharmabereich tätige Gruppen, die nicht der Pharmaindustrie zuzurechnen sind, geben in Europa im Jahr 3,4 Mio. €
aus – also nur einen Bruchteil des von der Industrie eingesetzten Betrages. Dem so genannten Transparenz-Register
der EU mangelt es insgesamt an Transparenz: So fehlen beispielsweise Angaben, in welche Projekte die Gelder fließen,
etwa auf welche Bereiche der Gesetzgebung die Lobbyisten
versuchen, Einfluss zu nehmen (hai, CEO: Divide & Conquer: A look behind the scenes of the EU pharmaceutical industry lobby, Research paper, March 2012; http://hai
europe.org/wp-content/uploads/2012/04/28-March-2012-Div
ide-Conquer-HAI-Europe-CEO.pdf). Lobbying rechnet sich
offensichtlich für die Pharmaindustrie. Diese Aktivitäten haben beispielsweise mit dazu beigetragen, die Markteinführung preiswerter Generika in der EU zu verzögern (ADAMINI, S. et al.: J. Health Politics, Policy and Law 2009; 34:
979-1010). Auch an der Verschwendung öffentlicher Gelder
für Impfstoffe gegen Schweinegrippe hatte Lobbyismus – hier
insbesondere bei der WHO – bedeutenden Anteil
(O’DOWD, A.: BMJ 2010; 340: c3033).
Netzwerk aktuell
Leukämien und Lymphome unter Natalizumab (TYSABRI): Bei einem 57-Jährigen mit Multipler Sklerose und
chronischer Borreliose wird nach 10 Infusionen des Integrinhemmers Natalizumab (TYSABRI) eine klonale Vermehrung
von B-Lymphozyten festgestellt. Morphologie und Phänotyp
sprechen für eine chronisch lymphatische Leukämie. Die
niedrige Zellzahl deutet auf ein frühes Stadium hin (NETZWERK-Bericht 15.641). Der europäischen Arzneimittelbehörde EMA liegen insgesamt 36 Berichte zu Leukämien unter
Natalizumab sowie 40 Berichte zu Lymphomen vor (EMA:
Schreiben vom 15. März 2012). Hinweise auf Lymphome unter Natalizumab gibt es auch in der Literatur. Berichtet wird
beispielsweise von zwei 40-jährigen Patienten, bei denen sich
nach 21 bzw. 3 Infusionen von Natalizumab ein Lymphom
im ZNS findet (SCHWEIKERT, A. et al.: Ann. Neurol. 2009;
66: 403-6; MATZKE, M. et al.: Mult. Scler. J. 2012, online
publiziert am 1. März 2012). Bei einer 39-jährigen Patientin
wird nach 17 Infusionen ein peripheres T-Zell-Lymphom
diagnostiziert (SCHOWINSKY, J. et al.: Acta Neuropathol.
2012; 123: 751-2). Bereits 2008 berichteten wir über maligne
Melanome in Verbindung mit dem Integrinhemmer (a-t
2008; 39: 24). Laut Fachinformation werden Malignome unter Natalizumab nicht häufiger beobachtet als unter Plazebo
(Biogen Idec: Fachinformation TYSABRI, Stand Juni 2011).
Wegen lebensbedrohlicher Risiken wie progressiver multifokaler Leukenzephalopathie (a-t 2012; 43: 23-4) sowie der
unzureichenden Wirksamkeitsbelege raten wir weiterhin von
Natalizumab ab, –Red
Polyneuropathie und Sehstörungen unter Dronedaron (MULTAQ): Ein 50-Jähriger, der wegen Vorhofflimmerns knapp ein Jahr lang das Amiodaron-Analog Dronedaron (MULTAQ; a-t 2010; 41: 17-9 und 2011; 42: 65-6) einnimmt, entwickelt eine Polyneuropathie mit strumpfförmigem Sensibilitätsverlust im linken Vorfuß und Sehprobleme.
Auch ein Jahr nach Absetzen halten die Beschwerden noch an
(NETZWERK-Bericht 16.084). Für Amiodaron (CORDAREX, Generika), das der Patient zuvor nicht eingenommen
hat, sind periphere sensorische Neuropathien als gelegentliche Störwirkungen beschrieben. Üblicherweise verschwinden sie einige Monate nach Absetzen, in Einzelfällen sind sie
aber auch nicht vollständig reversibel. Sehr häufig finden sich
unter Amiodaron zudem Mikroablagerungen an der Vorderfläche der Hornhaut, die zu Sehstörungen führen können,
sich in der Regel jedoch sechs bis zwölf Monate nach Therapieende zurückbilden. Sehr selten sind Optikusneuropathie
oder Optikusneuritis, die zu permanenter Blindheit führen
können (Sanofi-Aventis: Fachinformation CORDAREX,
Stand Dez. 2011). In der Fachinformation von Dronedaron
finden sich bislang keine Hinweise auf Neuropathie oder Sehstörungen (Sanofi-Aventis: Fachinformation MULTAQ,
Stand Dez. 2011). Für die Anwendung der Amidaron-Variante zur Rhythmuskontrolle nach erfolgreicher Kardioversion
bei nicht permanentem Vorhofflimmern, der einzigen zugelassenen Indikation, sehen wir ohnehin keine positive Nutzen-Schaden-Bilanz (a-t 2011; 42: 90).
Nebenwirkungen
VERSEHENTLICHE VERGIFTUNGEN
DURCH OPIOID-PFLASTER VERHINDERN
Innerhalb von 15 Jahren hat die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA 26 akzidentelle Vergiftungen durch
Fentanyl-Pflaster (DUROGESIC, Generika) bei Kindern erfasst, darunter zehn tödliche. Zwölfmal war eine Klinikeinweisung erforderlich.1 Gefahr geht von neuen, aber auch von
gebrauchten Pflastern aus, die in der Wohnung herumliegen
und die sich Kinder auf die Haut kleben oder auf denen sie
eventuell herumkauen. Da die Kinder opioidnaiv sind, also
zuvor keinen Kontakt mit Opioiden hatten, droht dann lebensgefährliche Atemdepression.
Opioid-Pflaster können nach dreitägigem Gebrauch noch
mehr als 50% der deklarierten Analgetikamenge enthalten.
Beispielsweise sind in frischen DUROGESIC-SMAT-Pflastern, die 100 μg Fentanyl pro Stunde freisetzen, anfangs
16,8 mg Wirkstoff. Sie geben in drei Tagen 7,2 mg ab. Bis zu
9,6 mg verbleiben somit im Pflaster. Das entspricht der Menge, die bei einer durchschnittlichen Dosis von 0,8 mg/Tag für
eine zwölftägige Therapie eines Erwachsenen mit sublingualem Fentanyl ausreichen würde.
Die Gefährdung, die auch von gebrauchten Pflastern ausgeht, ist also erheblich. Opioid-Pflaster müssen daher für
Kinder unerreichbar aufbewahrt und entsorgt werden. Die
FDA rät, die Pflaster in der Toilette wegzuspülen,1 um sie
rasch und zuverlässig aus dem Haushalt zu entfernen. Dies ist
hierzulande nicht erlaubt: Die Entsorgung von gewässerschädigenden Substanzen wie Arzneimittel über das Abwasser gilt
als Ordnungswidrigkeit.2
vor