Störungen der Schilddrüsenfunktion durch Amiodaron

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Störungen der Schilddrüsenfunktion durch Amiodaron
M E D I Z I N
AKTUELL
Heufelder1
Armin E.
Wilmar M. Wiersinga2
Störungen der
Schilddrüsenfunktion
durch Amiodaron
Pathogenese, Diagnostik und Therapie
ZUSAMMENFASSUNG
Die zunehmende Popularität von Amiodaron in der Kardiologie führt dazu, daß Nebenwirkungen und Therapiekomplikationen häufiger auftreten. Bei der klinischen Betreuung von Patienten unter Amiodaron ist es wichtig, absehbare Veränderungen der Schilddrüsenfunktionsparameter ohne Krankheitswert von manifesten, therapiepflichtigen Funktionsstörungen der Schilddrüse zu unterscheiden. Diese Übersichtsarbeit möchte den Leser mit den
neuesten Fortschritten in der Pathogenese, Diagnostik und
Therapie der mit Amiodaron assoziierten Schilddrüsenstörungen vertraut
machen. Da Amiodaron in Jodmangelgebieten insbesondere bei Patienten mit Knotenstruma zu Problemen führt, deren Kontrolle sich als hartnäckig erweist, sind diagnostische und präventive Maßnahmen vor dem Einsatz von
Amiodaron angezeigt.
Schlüsselwörter: Amiodaron-, Jod-induzierte Hyperthyreose, Jod-induzierte Hypothyreose, Pathogenese, Prävention
Amiodarone-related Thyroid Disorders
The increasing popularity of amiodarone among cardiologists has been accompanied by an increased frequency of
adverse reactions and drug-related complications. Concerning the clinical management of patients receiving amiodarone, it is mandatory to distinguish the expected drugrelated changes in thyroid hormone levels from clear-cut disturbances of thyroid function requiring therapy. This article
is intended to familiarize the reader with the latest develop-
ments in the pathogenesis, diagnosis and therapy
of amiodarone-related thyroid disorders. Moreover, as amiodarone-induced thyrotoxicosis represents a
frequent complication in patients with endemic multinodular goitre and may necessitate aggressive therapy, strategies
designed to anticipate and prevent amiodarone-related thyroid disorders are warranted.
Key words: Amidarone-, iodine-induced thyrotoxicosis,
iodine-induced hypothyroidism, pathogenesis, prevention
A
miodaron wurde vor über 30
Jahren zur Behandlung der
Angina pectoris in die klinische Medizin eingeführt, nachfolgend jedoch hauptsächlich als Antiarrhythmikum eingesetzt. Seit 1971
ist bekannt, daß Amiodaron zu einer
Reihe unerwünschter extrakardialer
Effekte und insbesondere zu thyreoidalen Nebenwirkungen führen kann.
Seitdem beschäftigt die Substanz
Kardiologen und Thyreologen gleichermaßen, da Amiodaron häufig zu
Veränderungen von Schilddrüsenfunktionsparametern führt und Hypothyreosen und Hyperthyreosen zu
den häufigsten therapielimitierenden extrakardialen Nebenwirkungen
zählen.
In jüngster Zeit wurden zahlreiche neue Erkenntnisse zur Pathogenese, Diagnostik, Therapie und Prävention von durch Amiodaron induzierten Schilddrüsenfunktionsstörungen gewonnen, die im täglichen
Umgang mit der Substanz von Bedeutung sind.
SUMMARY
Kardiale Wirkungen
von Amiodaron
Nach den CAST-I- und -IIStudien (Klasse-I-Antiarrhythmika)
und der SWORD-Studie (Sotalol)
zählt Amiodaron zu den wenigen
verbliebenen Therapiemodalitäten,
die bei malignen ventrikulären Arrhythmien und höhergradiger linksventrikulärer Funktionseinschränkung mit vertretbarem Nebenwirkungsrisiko (proarrhythmische und
negativ inotrope Effekte) eingesetzt
werden können. Weitere, erst zum
Teil gesicherte Indikationen für den
Einsatz von Amiodaron bestehen
1 Medizinische Klinik, Klinikum Innenstadt
(Direktor: Prof. Dr. med. Dr. h. c. Peter C.
Scriba), Ludwig-Maximilians-Universität, München
2 Klinik für Innere Medizin, Abteilung für
Endokrinologie (Direktor: Prof. Dr. med.
Wilmar M. Wiersinga), Academisch Medisch Centrum, Universitätsklinikum Amsterdam, Niederlande
bei Patienten mit stark eingeschränkter linksventrikulärer Funktion, bei Überlebenden eines plötzlichen rhythmogenen Herztodes sowie bei Patienten mit therapierefraktären symptomatischen supraventrikulären Arrhythmien, Vorhofflimmern und Vorhofflattern (21, 27, 31).
Amiodaron ist ein BenzofuranDerivat und Klasse-III-Antiarrhythmikum mit hohem Jodgehalt und
struktureller Ähnlichkeit zu den
Schilddrüsenhormonen T3 und T4
(46) (Grafik 1). Amiodaron und der
Hauptmetabolit Desethylamiodaron
(DEA) weisen sowohl T3-agonistische als auch T3-antagonistische Effekte auf, wobei letztere in den peripheren Geweben überwiegen. Im
Reizleitungssystem des Herzens verlängert Amiodaron als Repolarisationsverzögerer die Aktionspotentialdauer und senkt so die Herzfrequenz sowie den myokardialen Sauerstoffverbrauch (31, 49). Da diese
kardialen Effekte denen bei Patienten mit Hypothyreose ähneln, wurde
Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 13, 2. April 1999 (49)
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postuliert, daß Amiodaron am Herzgewebe zu einem einer Hypothyreose
ähnlichen Zustand führe (25). Die
Vermutung, Amiodaron wirke am
Herzen als Antagonist der Schilddrüsenhormonwirkung, wird durch die
Beobachtung gestützt, daß DEA die
Bindung von Trijodthyronin (T3) an
seine Rezeptoren im Zellkern in vitro
in einem Dosisbereich hemmt, der
auch in vivo beim Einsatz von Amiodaron am Menschen erreicht wird (2,
17, 47, 49). Als Folge des T3-Antagonismus auf zellulärer Ebene wirkt
Amiodaron ähnlich wie ein Betarezeptorenblocker, indem es die Betarezeptorendichte und die maximale
Bindungskapazität von Betarezeptoren im Herzmuskelgewebe reduziert
(36, 47). Für diese Effekte ist die Gegenwart von Schilddrüsenhormon erforderlich (50). Amiodaron wie auch
sein Metabolit DEA besitzen in vivo
und in vitro sehr ähnliche elektrophysiologische Eigenschaften, so daß
vermutlich beide Substanzen für die
kardialen Wirkungen von Amiodaron verantwortlich sind. Da dejodiertes Amiodaron trotz potenter Effekte
auf den Schilddrüsenhormonmetabolismus keine kardialen Wirkungen
mehr aufweist, dürfte der Jodanteil
an den kardiotropen Effekten wesentlich beteiligt sein.
Schilddrüsenfunktionsveränderungen
Bei der Behandlung mit Amiodaron sind obligatorische Effekte,
die erwartungsgemäß in jedem Behandlungsfall auftreten und ohne
therapeutische Konsequenzen bleiben, von fakultativen Nebenwirkungen (Amiodaron-induzierte Hypooder Hyperthyreose) zu unterscheiden, die nur bei einem Teil der behandelten Patienten zum Tragen
kommen, dann jedoch häufig therapeutische Konsequenzen erfordern.
Obligatorische Effekte
von Amiodaron
Die obligatorischen Effekte von
Amiodaron sind in erster Linie Folge
der medikamentös induzierten Jodbelastung des Organismus und betreffen sowohl die Schilddrüse als
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auch extrathyreoidale Gewebe (8, 12,
19). Amiodaron besteht zu 39 Prozent seines Gewichts aus organischem Jod (75 000 Mikrogramm pro
200-mg-Tablette!). Unter Dauertherapie werden durch Metabolisierung
der Substanz täglich große Mengen
an ungebundenem Jodid (3 750 bis
11 250 Mikrogramm bei niedrig dosierter täglicher Erhaltungsdosis von
100 bis 300 mg, 15 000 bis 22 500 Mikrogramm bei 400 bis 600 mg/die) ins
Blut freigesetzt. Diese um das bis zu
Grafik 1
Thyroxin
I
I
HO
O
CH2 CH COOH
I
I
HO
NH2
I
Triiodthyronin
Trijodthyronin
NH2
I
O
CH2 CH COOH
I
Amiodaron
O
O
C
H
O 4 9
I
O CH2 CH2N
I
C2H5
C2H5
Strukturformeln von Thyroxin, Trijodthyronin und
Amiodaron
100fache über dem täglichen Bedarf
liegende Jodidfreisetzung bewirkt
bei chronischer Anwendung eine
massive Ausdehnung des zirkulierenden Jodpools sowie einen Anstieg
der Jodidausscheidung im 24-Stunden-Urin auf das 40fache der Ausgangswerte. Der intrathyreoidale
Jodgehalt steigt bei euthyreoten Personen unter chronischer Behandlung
mit Amiodaron um das Vierfache an
(49). Amiodaron und DEA weisen
extrem lange Eliminationshalbwertszeiten (56 beziehungsweise 129 Tage), ein großes Verteilungsvolumen
und eine starke Akkumulation in diversen Geweben (Fettgewebe, Leber, Lunge, Niere, Herz) auf. Dies erklärt, warum bei etwa 50 Prozent der
über einen längeren Zeitraum mit
Amiodaron behandelten Patienten
trotz euthyreoter Stoffwechsellage
Veränderungen von Schilddrüsenfunktionsparametern auftreten (Textkasten Obligatorische Veränderungen).
(50) Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 13, 2. April 1999
Bei hoher Jodexposition schützen normalerweise eine Reihe von
Mechanismen den Organismus vor
einer überschießenden Produktion
von Schilddrüsenhormonen (20). In
hohen Konzentrationen hemmt Jod
sowohl seine eigene Organifizierung
(Wolff-Chaikoff-Effekt) als auch die
thyreoidale Jodid-Clearance. Darüber hinaus blockiert Amiodaron
die Wirkung des biologisch aktiven Schilddrüsenhormons T3 durch
Hemmung der Bindung an T3-Rezeptoren im Zellkern (intrazelluläre
Hypothyreose) (22). Ferner hemmt
Amiodaron das Enzym Typ-I-Jodothyronin-5’-Deiodase, das in peripheren Geweben (Herzmuskel, Niere, Leber) das Prohormon T4 in das
biologisch aktive Schilddrüsenhormon Trijodthyronin (T3) sowie reverses T3 (rT3) in Dijodthyronin
(T2) umwandelt (42, 49). Aufgrund
dieser Effekte resultiert unter Amiodaron eine Zunahme der Serumspiegel von T4 und reversem T3 und
eine Abnahme des T3-Serumspiegels, also eine Befundkonstellation wie beim „Nieder-T3-Syndrom“
(„euthyroid sick syndrome“) (49).
Bereits nach kurzfristiger Anwendung von Amiodaron ist also mit einem Anstieg der Gesamt-T4-, fT4und rT3-Serumspiegel in den oberen
Normbereich oder supranormalen
Bereich zu rechnen, während die
Gesamt-T3- und fT3-Serumspiegel
in den unteren Normbereich absinken und der basale TSH-Spiegel
leicht ansteigt (22, 23, 49). Mit zunehmender Einnahmedauer führt
Amiodaron direkt zu einer Hemmung der hypophysären TSH-Freisetzung, die sich in einem normalen oder erniedrigten (selten supprimierten) basalen TSH-Spiegel äußert
(24, 49) (Textkasten Obligatorische
Veränderungen).
Fakultative Effekte: Hypothyreose und Hyperthyreose
Die thyreoidalen Effekte und
Nebenwirkungen von Amiodaron
zeigen keine enge Korrelation mit
den Amiodaron-Serumkonzentrationen und lassen sich auch bei einem Serumspiegel unter 2,5 µg/ml
nicht sicher vermeiden. Etwa die
Hälfte aller langfristig mit Amioda-
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ron behandelten Patienten entwickelt unter Therapie abnorme
Schilddrüsenfunktionsparameter (8,
49). Abhängig von diversen Faktoren (funktioneller und immunologischer Ausgangszustand der Schilddrüse, Jodversorgung, Geschlecht)
kann Amiodaron entweder eine Hypothyreose oder eine Hyperthyreose
auslösen (Textkasten Fakultative Veränderungen). Bei latenter Immunthyreoiditis vom Typ Hashimoto resultiert – insbesondere bei Frauen –
häufiger eine Hypothyreose, bei latenter Immunhyperthyreose vom
Typ Morbus Basedow oder Knotenstruma mit latenter Autonomie häufiger eine Hyperthyreose (Typ I). In
Regionen mit grenzwertiger Jodzufuhr oder endemischem Jodmangel
(Deutschland) treten unter Amiodaron häufiger Hyperthyreosen (bis 12
Prozent der Behandlungsfälle), in
Regionen mit ausreichender oder
üppiger Jodversorgung häufiger Hypothyreosen (bis 13 Prozent) auf. So
werden in der Literatur Hyper- und
Hypothyreose-Frequenzen
unter
Amiodaron in den USA von 2 Prozent und 22 Prozent, in Italien dagegen von 10 Prozent und 5 Prozent angegeben (22, 49). In neueren europäischen (EMIAT) und kanadischen (CAMIAT) Multicenter-Studien mit niedrigeren Amiodarondosen (100 bis 300 mg/die) wurden
Hypothyreosen (0,6 bis 5 Prozent)
und Hyperthyreosen (1,6 bis 3,3 Prozent) seltener registriert. Bei Personen mit normaler Schilddrüse ist für
das Auftreten einer Hyperthyreose
(Typ II) infolge von Amiodaron oder
des darin enthaltenen Jodanteils
meist eine destruierende Thyreoiditis verantwortlich, die sich histologisch und ultrastrukturell als zelluläre thyreoidale Entzündungsreaktion
mit thyreozytotoxischen Merkmalen
darstellt.
Pathogenese der
Hypothyreose
An der Entstehung einer durch
Amiodaron induzierten Hypothyreose sind eine Reihe von Faktoren
und Mechanismen beteiligt, die bislang erst teilweise bekannt sind (45).
Hierzu zählen in erster Linie der ho-
he Jodgehalt der Substanz und eine
gestörte Autoregulation der Schilddrüse bei hoher Jodexposition, aber
auch thyreoidale Autoimmunprozesse sowie entzündliche und zytotoxische Vorgänge im Schilddrüsenparenchym.
Substanzen mit hohem Jodgehalt (Natrium-Ipodat, andere jodhaltige Röntgenkontrastmittel, Amiodaron) hemmen die Synthese von
Schilddrüsenhormonen. Das bei der
Verstoffwechslung von Amiodaron
Obligatorische Veränderungen
von SchilddrüsenhormonParametern unter Behandlung
mit Amiodaron (ohne therapeutische Konsequenzen)
! Anstieg des Serum-Gesamtund fT4-Spiegels um zirka 40
Prozent,
! Abnahme des Serum-T3-Spiegels um 10 bis 25 Prozent, des
fT3-Spiegels um zirka 50 Prozent,
! initialer Anstieg des TSH-Spiegels in den oberen Normbereich oder darüber,
! später Normalisierung oder
erniedrigter/supprimierter
TSH-Spiegel.
in exzessiven Mengen freigesetzte
Jodid überfordert die Autoregulationsmechanismen der Schilddrüse
und hemmt die Bildung und Freisetzung von bioaktivem Schilddrüsenhormon. Das Vorliegen einer subklinischen Immunthyreopathie vom
Typ Hashimoto steigert die Empfindlichkeit gegenüber den inhibitorischen Effekten einer exzessiven
Jodbelastung. Eine immunogene Eigenwirkung von Amiodaron mit Induktion antithyreoidaler Antikörper
wird dagegen nur sehr selten beobachtet (40, 49). Allerdings haben insbesondere Frauen mit positiven antithyreoidalen Antikörpern, die in
einem Jodmangelgebiet leben, ein
erhöhtes Risiko (13,5fach gegenüber
der Normalbevölkerung) für eine
durch Amiodaron induzierte Hypothyreose (30). Neueren Untersuchungen zufolge treten 40 bis 71 Prozent der durch Amiodaron induzier-
ten Hypothyreosen bei Patienten mit
positivem
TPO-Antikörper-Titer
und sonographischen Kriterien einer
Immunthyreopathie auf. Hingegen
wird bei Patienten ohne schilddrüsenspezifische Antikörper vor Therapiebeginn ein Auftreten von
Schilddrüsenantikörpern und einer
Hypothyreose unter Behandlung mit
Amiodaron nur selten beobachtet.
Ein latenter Immunprozeß der
Schilddrüse kann unter der amiodaronassoziierten Jodbelastung demaskiert werden und beschleunigt ablaufen. Dem Nachweis von
TPO-Antikörpern vor Therapiebeginn kommt also insofern prognostische Bedeutung zu, als er ein erhöhtes Risiko für eine durch Amiodaron
induzierte Hypothyreose signalisiert
(34, 45).
Diagnostik und Therapie
der Hypothyreose
Die Diagnose einer manifesten
Hypothyreose unter AmiodaronTherapie wird durch den Nachweis
eines erhöhten basalen TSH-Serumspiegels (TSH > 4,0 µU/ml) in Gegenwart eines erniedrigten fT4-Serumspiegels (unter Amiodaron sonst
erhöht!) gestellt. In den ersten zwölf
Behandlungswochen ist unter Amiodaron ein erhöhter basaler TSHSpiegel bei erhöhtem fT4-Serumspiegel als Reaktion auf die extreme
Jodbelastung zu erwarten und nicht
als Hypothyreose zu werten. Bei erhöhtem basalem TSH- und normalem fT4-Serumspiegel liegt am ehesten eine latente Hypothyreose vor,
wenngleich eine manifeste Hypothyreose nicht definitiv auszuschließen
ist. In Einzelfällen kann zum Nachweis einer durch Amiodaron induzierten Hypothyreose die Schilddrüsenszintigraphie hilfreich sein, die
bei Hypothyreose trotz des Jodüberschusses noch eine erhaltene thyreoidale Anreicherung des Radionuklides zeigt. Die fT3-Serumspiegel
sinken auch bei manifester Hypothyreose meist nicht unter den Normbereich ab und tragen deshalb wenig
zur Diagnostik bei. Ausgeschlossen
ist eine durch Amiodaron induzierte Hypothyreose, wenn der basale
TSH-Spiegel im Normbereich liegt.
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Je nach Ausgangslage der
Schilddrüse kann eine durch Amiodaron induzierte Hypothyreose transient verlaufen und nach Absetzen
von Amiodaron binnen zwei bis drei
Monaten sistieren oder in eine permanente Hypothyreose münden.
Nach Absetzen von Amiodaron
normalisiert sich die Schilddrüsenfunktion bei der Mehrzahl der Patienten spontan binnen zwei bis vier
Monaten. Bei Patienten mit vorbestehender latenter oder manifester
Immunthyreopathie (sonographisch
diffus echoarme Schilddrüse oder
Nachweis von TPO-Antikörpern) resultiert häufiger eine permanente
substitutionspflichtige Hypothyreose. Besteht bei Hypothyreose eine
klare Indikation für das Fortsetzen
der Behandlung mit Amiodaron,
genügt es, Levothyroxin in der Dosis
zu substituieren, die den basalen
TSH-Serumspiegel in den oberen
Normbereich oder knapp darüber
zurückführt. Die Levothyroxin-Substitution sollte mit 25 bis 50 µg/Tag
begonnen und in Intervallen von vier
bis sechs Wochen allmählich auf die
erforderliche volle Substitutionsdosis (100 bis 150 µg/Tag) erhöht werden. Eine vollständige Normalisierung des basalen TSH-Spiegels durch
Gabe exzessiv hoher Levothyroxindosen sollte nicht erzwungen werden, weil dies zu einer Hyperthyreose, zu kardialen Nebenwirkungen
und zur Umkehr der erwünschten hypothyreoseähnlichen Wirkung von
Amiodaron am Myokard führen würde (49).
Pathogenese der
Hyperthyreose
Substanzen mit hohem Jodgehalt
(Natrium-Ipodat, andere jodhaltige
Röntgenkontrastmittel, Amiodaron)
sind trotz ihrer antithyreoidalen Effekte und ihrer Wirksamkeit bei Hyperthyreose (46) in der Lage, ihrerseits eine Hyperthyreose auszulösen.
An der Pathogenese der durch Amiodaron induzierten Hyperthyreose
sind mindestens zwei unterschiedliche
Pathomechanismen beteiligt: eine
Überproduktion (Typ I) und eine gesteigerte Freisetzung (Typ II) von
Schilddrüsenhormon. Das im RahA-856
men des Amiodaron-Metabolismus in
großen Mengen freigesetzte Jodid
spielt vor allem beim Typ I eine zentrale Rolle, wo für die gesteigerte Produktion und Sekretion von Schilddrüsenhormon in erster Linie ein Versagen der thyreoidalen Autoregulation
(Wolff-Chaikoff-Effekt) in einer abnormen Schilddrüse verantwortlich
ist. Prädisponierende Faktoren für eiFakultative Veränderungen von
Schilddrüsenhormon-Parametern
unter Behandlung mit Amiodaron
(therapeutische Konsequenzen
meist erforderlich)
Amiodaron-induzierte
Hypothyreose
Erhöhter basaler TSH-Spiegel
(TSH > 4,0 µU/ml) bei gleichzeitig
erniedrigtem (oder normalem)
fT4-Serumspiegel.
Amiodaron-induzierte
Hyperthyreose
TSH basal vollständig
supprimiert (TSH < 0,01 µU/ml)
bei gleichzeitig erhöhtem oder
normalem fT3- (oder Gesamt-T3-)Serumspiegel sowie klar
erhöhtem fT4-Serumspiegel.
ne Typ-I-Hyperthyreose sind die bei
älteren Personen häufigen mikro- und
makrofollikulären
Veränderungen
des Schilddrüsengewebes bei multinodöser Struma sowie eine latente
oder manifeste Immunthyreopathie
vom Typ Morbus Basedow (34). Andererseits kann Amiodaron (oder seine Metaboliten beziehungsweise der
hohe Jodgehalt) in höheren Dosen
und bei langfristiger Einnahme eine
destruierende Thyreoiditis mit den
Zeichen der Apoptose, Nekrose und
reparativen Fibrose sowie ähnlichen
Veränderungen in anderen Organen
(Lunge, Leber) hervorrufen. Dies bestätigen klinische, laborchemische, histologische und elektronenmikroskopische Befunde sowie eine Reihe von
In-vitro-Beobachtungen (5, 9, 13, 14,
37, 39, 43). Durch Zerstörung von
Schilddrüsenfollikeln kommt es zur
Ausschwemmung von präformierten
Schilddrüsenhormonen und Thyreoglobulin in die Blutbahn und somit zur
(52) Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 13, 2. April 1999
Freisetzungshyperthyreose (Typ II).
Als Ausdruck dieses klinisch fast immer stummen, entzündlich-destruierenden Prozesses ist der Thyreoglobulin-Serumspiegel beim Typ II häufig erhöht. Patienten mit transienter
Typ-II-Hyperthyreose weisen in der
Folgezeit ein erhöhtes Hypothyreoserisiko auf (45).
Diagnostik der
Hyperthyreose
Der klinische Verdacht auf eine Hyperthyreose unter AmiodaronBehandlung entsteht meist durch
Hyperthyreose-Symptome wie Gewichtsabnahme, Nervosität, allgemeine Kraftlosigkeit, Muskelschwäche,
Wärmeintoleranz, eine zunehmende
Herzinsuffizienz sowie eine Verstärkung von zuvor gut kontrollierten
Herzrhythmusstörungen (ventrikuläre Tachyarrhythmien, Vorhofflimmern) und Angina pectoris. Aufgrund
der antiadrenergen Wirkungen von
Amiodaron weisen Patienten mit Hyperthyreose jedoch selten das klassische Spektrum der HyperthyreoseSymptome auf. Da Amiodaron die
Herzfrequenz senkt, darf das Fehlen
einer Tachykardie nicht an der Möglichkeit einer Hyperthyreose zweifeln lassen. Amiodaron korrigiert beziehungsweise verschleiert die Symptome der Schilddrüsenfunktionsstörung, die es induziert. Andererseits können hyperthyreoseverdächtige Symptome wie Gewichtsabnahme,
Müdigkeit, Muskelschwäche und Tremor auch auf gastrointestinale und
neurologische Nebenwirkungen von
Amiodaron zurückzuführen sein.
Bei Behandlung mit Amiodaron
ist auch die biochemische Schilddrüsenfunktionsdiagnostik erschwert.
Längerfristig mit Amiodaron behandelte, euthyreote Patienten weisen
häufig leicht erhöhte T4-Serumspiegel, normale oder erniedrigte T3Serumspiegel und einen niedrig-normalen, selten supprimierten basalen
TSH-Spiegel auf („Hyperthyroxinämie ohne Hyperthyreose“). Der
Nachweis eines gering erhöhten fT4Serumspiegels und eines erniedrigten basalen TSH-Spiegels allein
genügen noch nicht als Kriterien für
eine manifeste Hyperthyreose. Nur
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ein klar erhöhter fT4-Spiegel und ein
vollständig supprimierter basaler
TSH-Spiegel (< 0,01 µU/ml) machen
eine Hyperthyreose wahrscheinlich.
Die biochemische Diagnose der
durch Amiodaron induzierten Hyperthyreose wird ferner durch den
Nachweis eines vollständig supprimierten basalen TSH-Spiegels in Gegenwart eines erhöhten Gesamt-T3-
und einer destruierenden Thyreoiditis
(Typ II) wird durch die in der Tabelle
aufgeführten Kriterien erleichtert.
Die Farbdoppler-Sonographie, die
Bestimmung des IL-6-Serumspiegels
(stark erhöht beim Typ II), die Quantifizierung der Radiojodaufnahme in
die Schilddrüse und die Feinnadelpunktion (zytologische Zeichen einer
destruierenden Thyreoiditis) können
Tabelle
Klinische und laborchemische Differenzierungsmerkmale der durch Amiodaron induzierten
Hyperthyreosen (AIT) Typ I und Typ II
AIT Typ I
AIT Typ II
Alter
30–70 Jahre
30–70 Jahre
Frauen/Männer
1:2–5
1:2–5
Schilddrüsenvorerkrankungen
Morbus Basedow,
Knotenstruma
keine
HyperthyreoseMechanismus
gesteigerte Bildung
von SD-Hormonen
gesteigerte
Freisetzung von
SD-Hormonen
Sonographie
inhomogenes,
echonormales bis
echoarmes Parenchym
diffus, echoarmes
Parenchym
FarbdopplerSonographie
fokal oder diffus,
gesteigerter Blutfluß
kein darstellbarer
Blutfluß
Interleukin-6Serumspiegel
normal/leicht erhöht
(150–200 fmol/l)
stark erhöht
(> 250 fmol/l)
Radiojod-Aufnahme
normal oder erhöht
erniedrigt oder
supprimiert
Zytologie
uncharakteristisch
viel Kolloid, Histiozyten,
Zell-Vakuolen
Therapie
Kaliumperchlorat
und hochdosiert
Thionamide
Glukokortikoide
Beendigung der
Amiodarongabe
zwingend
nicht zwingend
Risiko bei späterer
Jodexposition
Hyperthyreose
Hypothyreose
(oder besser fT3)-Serumspiegels erhärtet. Bei (inappropriat) normalem
oder sogar subnormalem fT3-Serumspiegel ist eine Hyperthyreose
biochemisch nicht auszuschließen,
(44–46, 49), wohl aber durch den
Nachweis eines normalen basalen
TSH-Spiegels (0,4 bis 4,0 µU/ml).
Die für die Therapiewahl bedeutsame Unterscheidung zwischen einer
jodinduzierten Hyperthyreose (Typ I)
fokal oder diffus gesteigerter Blutfluß
zeigt (6). Die quantitative RadiojodSchilddrüsenszintigraphie ist differentialdiagnostisch in Einzelfällen
hilfreich: Während die Radionuklidspeicherung beim Typ I normal oder
erhöht ist, findet sich beim Typ II
grundsätzlich eine niedrige oder supprimierte Traceranreicherung. Der
IL-6-Serumspiegel ist beim Typ II
stark erhöht, beim Typ I normal oder
nur leicht erhöht (4). Eine abschließende Bewertung der genannten Verfahren bezüglich Sensitivität,
Spezifität und tatsächlicher Diskriminierungsfähigkeit ist jedoch aufgrund
der kleinen Fallzahlen in den diversen
Studien bislang noch nicht möglich.
Therapie der
Hyperthyreose
dabei je nach Verfügbarkeit hilfreich
sein. Sonographisch zeigt sich beim
Typ I ein eher inhomogenes, echonormales bis echoarmes Schilddrüsenparenchym, während beim Typ II stets
eine mehr oder minder stark ausgeprägte diffuse Echoarmut vorliegt
(49). In der Farbdoppler-Sonographie
sind beim Typ II keine Gefäßstrukturen nachweisbar, während sich beim
Typ I im Schilddrüsenparenchym ein
Wie alle jodinduzierten Hyperthyreosen ist auch die durch Amiodaron induzierte Hyperthyreose mitunter schwer kontrollierbar, in Einzelfällen sogar weitgehend therapierefraktär (3, 41). Das therapeutische
Vorgehen ist individuell unterschiedlich und sollte sich nach dem
dominierenden Subtyp der durch
Amiodaron induzierten Hyperthyreose richten. Bei Patienten mit gering- bis mäßiggradiger Hyperthyreose und kleinvolumiger Schilddrüse kann ein Absetzen der Substanz
genügen, was bei schwerer Hyperthyreose und größeren Strumen selten ausreicht. Diese Entscheidung
kann nicht pauschal getroffen werden und muß gut überlegt sein, weil
das Absetzen von Amiodaron und
der damit verbundene Wegfall der
intrazellulären myokardialen Hypothyreose sowohl die Hyperthyreose
als auch ventrikuläre Arrhythmien
verschlimmern kann. Zudem ist von
der Beendigung der Behandlung mit
Amiodaron aufgrund der hohen
Fettlöslichkeit und langen Halbwertszeit der Substanz kein kurzfristiger Erfolg zu erwarten. Andererseits kann die durch Amiodaron
unterhaltene Hyperthyreose ihrerseits zu kritischen Tachyarrhythmien
führen und ein Therapieende erzwingen. In Abhängigkeit vom
Schweregrad der Arrhythmien und
der Hyperthyreose muß deshalb im-
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mer von Fall zu Fall über das beste
Vorgehen entschieden werden.
Zur Behandlung der Typ-I-Hyperthyreose, die bei mit Amiodaron
behandelten Patienten mit vorbestehender latenter funktioneller Autonomie der Schilddrüse oder Immunthyreopathie vom Typ Morbus
Basedow auftritt, wird initial die Gabe von Kaliumperchlorat (3 bis 4 x
250 mg/Tag über sechs bis acht Wochen) in Verbindung mit einer hochdosierten antithyreoidalen Behandlung (beispielsweise Methimazol 40
bis 60 mg/Tag oder Propylthiouracil
4 x 200 bis 400 mg/Tag) empfohlen
(29). Perchlorat hemmt die thyreoidale Jodaufnahme über den Natrium-Jodid-Symporter („Jodpumpe“)
und senkt den intrathyreoidalen
Jodgehalt, wodurch die Wirksamkeit
von Thionamiden verbessert wird.
Wegen der exzessiven intrathyreoidalen Akkumulation von organifiziertem Jod ist Perchlorat jedoch nur
von begrenzter Effektivität.
Ähnliches gilt für Thionamide,
die die Synthese von Schilddrüsenhormonen hemmen, wegen des hohen intrathyreoidalen Jod-Substratgehaltes aber nur eingeschränkt wirken. Ob antithyreoidale Substanzen
tatsächlich in der Lage sind, bei jodinduzierter Typ-I-Hyperthyreose den
Zeitraum bis zum Erreichen einer
euthyreoten Stoffwechsellage abzukürzen, ist ungewiß (16). Dennoch
läßt sich bei kombinierter Behandlung mit Perchlorat und einem
Thionamid bei Patienten ohne vorbestehende Schilddrüsenerkrankung
meist binnen acht Wochen eine
Normalisierung der Schilddrüsenfunktion erreichen, während bei Patienten mit vorbestehender Schilddrüsenerkrankung eine längere Therapiedauer (bis zu 14 Wochen) zu
erwarten ist (29, 49). Zu berücksichtigen ist, daß Perchlorat und Thionamide in hohen Dosen zu gravierenden Nebenwirkungen (aplastische Anämie, nephrotisches Syndrom, Cholestase und anderes) führen können.
Im Gegensatz zur Typ-I-Hyperthyreose tritt bei Typ-II nach Absetzen von Amiodaron meist binnen
zwei bis vier Monaten spontan wieder eine euthyreote Stoffwechsellage ein. Bei schwerer Typ-II-HyperA-858
thyreose mit höhergradigen Rhythmusstörungen wird eine hochdosierte Therapie mit Glukokortikoiden
(0,5 bis 1,25 mg/kg KG/Tag) über
zwei bis drei Monate favorisiert, gegebenenfalls in Kombination mit
Perchlorat und einem Thionamid (3,
7, 22, 49).
ler Enzymaktivitäten. Nach passagerer Glukokortikoidbehandlung bis
zur Normalisierung des TSH-Spiegels
(zwei bis vier Monate) ist häufig sogar
eine Fortsetzung der Amiodaronbehandlung möglich (7, 49).
Kürzlich wurde über den erfolgreichen adjuvanten Einsatz von Lithi-
Grafik 2
Identifizierung von Risikopatienten
(Knotenstruma mit funktioneller Autonomie, latente Immunthyreopathien):
TSHb, fT4, fT3, TPO-AK, Sonographie, ggf. Szintigraphie
3 Monate nach Therapiebeginn: Kontrolle von TSHb, fT4, fT3
In zirka dreimonatigen Abständen: Kontrollen von TSHb
TSH erhöht
(> 4 µU/ml)
TSH erniedrigt/supprimiert
(< 0,01 bis 0,4 µU/ml)
TSH stabil im Normbereich
(0,4 bis 4,0 µU/ml)
Kontrolle von fT4
Kontrolle von fT4 und fT3
TSH-Kontrollen alle 3 Monate
fT4 erniedrigt
Substitution mit
Levothyroxin
fT4 erhöht, fT3 normal/erhöht
Therapieentscheidung
Amiodaron absetzen bei schwerer Hyperthyreose
und wenn alternative antiarrhythmische Therapie möglich
Thyreoidektomie bei schwerer Hyperthyreose, wenn
rasche Kontrolle erforderlich und keine alternative
antiarrhythmische Therapie möglich
Medikamentöse Therapie bei geringer bis mittelschwerer
Hyperthyreose (Typ I: Kaliumperchlorat und Thionamid;
Typ II: Glukokortikoide hochdsosiert, ggf. Betablocker)
Empfehlungen zur Schilddrüsendiagnostik vor und bei Behandlung mit Amiodaron (modifiziert nach 22)
Die Wirkung von Glukokortikosteroiden erklärt sich weniger durch
Hemmung der T4-T3-Konversion (die
unter Amiodaron bereits maximal gehemmt ist) als vielmehr durch antiinflammatorische Effekte auf den destruierenden Entzündungsprozeß und
Hemmung proteolytischer lysosoma-
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um (900 bis 1 350 mg/Tag) berichtet,
das bei Patienten mit schwerer durch
Amiodaron induzierter Hyperthyreose in Verbindung mit einer hochdosierten antithyreoidalen Medikation eine beschleunigte Kontrolle der
Hyperthyreose ermöglichte und bei
Kontrolle der Serumkonzentrationen
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AKTUELL
keine relevanten Nebenwirkungen
zeigte (16). Lithium wird in der
Schilddrüse angereichert und hemmt
die Schilddrüsenhormonsynthese, die
Dejodierung von T4 sowie die Jodidfreisetzung. Für die Wirksamkeit von
Lithium bei Patienten mit Typ-I-Hyperthyreose ist in erster Linie die
Hemmung der T4-Freisetzung aus
der Schilddrüse verantwortlich.
Nicht selten treten Mischbilder
von durch Amiodaron induzierten
Typ-I- und Typ-II-Hyperthyreosen
auf. Eine Kombinationstherapie aus
Perchlorat und einem Thionamid
in Verbindung mit einer passageren Glukokortikoidtherapie kann in
solchen Fällen das Erreichen einer
euthyreoten Stoffwechsellage beschleunigen.
Betarezeptorenblocker, die bei
Hyperthyreosen sonst mit gutem
Therapieerfolg zur Hemmung der
sympathoadrenergen
Symptome
eingesetzt werden, sollten bei durch
Amiodaron induzierter Hyperthyreose zurückhaltend, in niedrigen
Dosen und nur unter engmaschigen
Verlaufskontrollen zum Einsatz
kommen, um eine Blockierung der
Sinusknoten- und AV-Überleitungsfunktion zu vermeiden.
Bei schwerer, auf medikamentöse Maßnahmen therapierefraktärer
Hyperthyreose und thyreotoxischer
Krise hilft mitunter nur die rasche totale Thyreoidektomie (10, 18, 35).
Aufgrund der meist schweren kardialen Vorerkrankungen der Patienten
ist sie allerdings nur dann mit einem
vertretbaren Operationsrisiko durchführbar, wenn eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit und lückenlose intra- und perioperative Betreuung gewährleistet sind. Das operative
Vorgehen führt nicht nur zu einer raschen Kontrolle der Hyperthyreose,
sondern ist auch das einzige Behandlungsverfahren, das die problemlose
Fortsetzung einer zwingend erforderlichen Amiodaronbehandlung ermöglicht. Nur wenn keine Operationsfähigkeit gegeben ist und alle anderen Maßnahmen versagen, kommt
die Plasmapherese als ultimum refugium bei schwerer, therapierefraktärer Hyperthyreose in Betracht.
Nach dem Abklingen einer TypII-Hyperthyreose kann im weiteren
Verlauf und mit fortschreitender in-
trathyreoidaler Fibrosierung eine
permanente Hypothyreose auftreten, die dann der Substitution mit
Schilddrüsenhormon bedarf (33, 39).
Wird die Behandlung mit Amiodaron bei Patienten mit abgelaufener
Typ-II-Hyperthyreose wieder aufgenommen, resultiert häufig eine Hypothyreose, die sich durch Beendigung der Amiodaroneinnahme oder
Substitution von Levothyroxin beheben läßt (33).
Prävention von
Schilddrüsenfunktionsstörungen
Aufgrund des hohen thyreotropen Nebenwirkungsrisikos sollte Amiodaron niemals ohne vorherige Schilddrüsendiagnostik eingesetzt werden. Bei Personen mit
Vorerkrankungen der Schilddrüse
wie Struma nodosa, latenter funktioneller Autonomie oder Immunthyreopathie vom Typ Morbus Basedow
bestehen relative Kontraindikationen für den Einsatz von Amiodaron,
so daß die Substanz hier nur nach
reiflicher Überlegung angewandt
werden sollte. Ab welchem kritischen Volumen an autonomem
Schilddrüsengewebe der Einsatz
von Amiodaron riskant ist, stellt eine klinisch wichtige Frage dar, die jedoch aufgrund fehlender Daten bislang nicht beantwortet werden kann.
Eine ablativ dosierte Radiojodtherapie scheint das Risiko für eine durch
Amiodaron induzierte Hyperthyreose zu minimieren.
Zur obligatorischen Basisdiagnostik vor Beginn einer Behandlung mit Amiodaron zählen die ausführliche Familien- und Eigenanamnese, der Palpationsbefund der
Schilddrüse, Laboruntersuchungen
(TSH basal, fT3, fT4, TPO- und TgAntikörper), die Schilddrüsensonographie sowie bei sonographischem
Nachweis von Knoten die Schilddrüsenszintigraphie. Bei Patienten mit
hohem Risiko für eine durch Amiodaron induzierte Hyperthyreose und
absehbarer absoluter Indikation für
den Einsatz von Amiodaron sollte
vor Therapiebeginn eine Sanierung
der Schilddrüsenerkrankung angestrebt werden.
Verlaufskontrollen bei
und nach Behandlung mit
Amiodaron
Vor Beginn einer Behandlung
mit Amiodaron und nach dreimonatiger Einnahmedauer sind Laborkontrollen (TSHb, fT3, fT4) erforderlich. Im Therapieverlauf sind
Kontrollen des basalen TSH-Spiegels alle drei Monate sinnvoll, bei
pathologischem Befund ergänzt
durch die Bestimmung von fT3 und
fT4. Allerdings kündigt sich eine
durch Amiodaron induzierte Hyperthyreose nur selten in Laboruntersuchungen an, sondern manifestiert
sich meist plötzlich. Bei Behandlung
mit Amiodaron ist deshalb immer eine engmaschige klinische Beobachtung des Patienten erforderlich.
Bei klinischem Verdacht auf
eine Schilddrüsenfunktionsstörung
sollten unverzüglich Laboruntersuchungen (TSHb, fT3, fT4, gegebenenfalls TPO- und Tg-Antikörper) erfolgen. Bei der Befundinterpretation
sind die oben genannten obligatorischen Veränderungen der Schilddrüsenfunktionsparameter unter Amiodaronbehandlung zu beachten, die
grundsätzlich zu erwarten sind und
keine Therapiemaßnahmen erfordern.
Im Unterschied zur Hypothyreose, die meist in den ersten 18 Monaten auftritt, kann sich eine Hyperthyreose auch noch nach mehrjähriger Behandlung mit Amiodaron manifestieren. Gründe hierfür sind die
Akkumulation von Amiodaron in
zahlreichen Körpergeweben, seine
lange biologische Halbwertszeit und
die protrahierte Jodidfreisetzung.
Entsprechend langfristig sollten in
regelmäßigen Intervallen zumindest
klinische Kontrollen erfolgen.
Amiodaron, DEA und Jodid
werden transplazentar und mit der
Muttermilch transportiert. Die Hauptrisiken von Amiodaron in der Schwangerschaft liegen in einer Bradykardie,
einem verlängerten QT-Intervall und
einer Hypothyreose des Feten. Bei
Neugeborenen von Müttern, die während der Schwangerschaft Amiodaron
einnehmen mußten, wurden intrauterine und neonatale Hypothyreosen in
elf Prozent der Behandlungsfälle be-
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M E D I Z I N
AKTUELL/FÜR SIE REFERIERT
obachtet (15, 28, 32, 48). Regelmäßige
klinische und biochemische Kontrollen der fetalen und neonatalen Schilddrüsenfunktion sind deshalb angezeigt, beim Nachweis einer Hypothyreose sollte unverzüglich die Substitution von Schilddrüsenhormon erfolgen. Angesicht der hohen Empfindlichkeit der Schilddrüse beim Feten
und Neugeborenen für eine jodinduzierte Hypothyreose sollte auf den
Einsatz von Amiodaron während
Schwangerschaft und Stillzeit möglichst verzichtet werden.
Fazit
Amiodaron führt bei fast allen
Patienten zu absehbaren Veränderungen der Schilddrüsenparameter, die
der behandelnde Arzt kennen sollte,
um Fehldiagnosen und unnötige therapeutische Maßnahmen zu vermeiden. Klinisch relevante Schilddrüsenfunktionsstörungen treten je nach Jodversorgung, Schilddrüsenvorerkrankung und Erhaltungsdosis bei 1 bis 20
Prozent der längerfristig mit Amiodaron Behandelten auf, wobei in einer
Jodmangelregion wie Deutschland
Hyperthyreosen häufiger als Hypothyreosen zu beobachten sind. Da insbesondere die Behandlung der durch
Amiodaron induzierten Hyperthyreose schwierig sein kann und oft erst mit
beträchtlicher zeitlicher Verzögerung
wirksam wird, sollten alle Anstrengungen unternommen werden, um Risikopatienten bereits vor Therapiebeginn zu identifizieren.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1999; 96: A-853–860
[Heft 13]
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf
das Literaturverzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über die Internetseiten (unter http://www.aerzteblatt.de)
erhältlich ist.
Anschrift für die Verfasser
Priv.-Doz. Dr. med.
Armin E. Heufelder
Medizinische Klinik
Klinikum Innenstadt
Ludwig-Maximilians-Universität
Ziemssenstraße 1
80336 München
A-860
Migräne und Schlaganfälle bei jungen Frauen
Leidet eine Frau im fruchtbaren
Alter an Migräne, erhöht sich ihr Risiko für einen ischämischen Schlaganfall um mehr als das Dreifache. Das
Risiko einer Hirnblutung steigt dadurch jedoch nicht. Dies zeigte eine
Fall-Kontroll-Studie, bei der die
Krankheitsvorgeschichten von 291
Frauen im Alter von 20 bis 44 Jahren
mit Schlaganfällen mit denen von 736
gleichaltrigen Krankenhauspatientinnen mit anderen Diagnosen verglichen worden waren. Eine Familienvorgeschichte von Migräne erhöhte
das Risiko für jede Art von Schlaganfällen; unabhängig davon, ob die Frau
selbst von den Kopfschmerzattacken
betroffen war.
Lagen bei Migränepatientinnen
zusätzliche Risikofaktoren wie die
Einnahme hormoneller Verhütungsmittel, ein erhöhter Blutdruck oder
Rauchen vor, stieg das Risiko weiter
stark an. Anhand von Veränderungen
in der Art, Schwere oder Häufigkeit
der Migräneanfälle war es allerdings
nicht möglich, Aussagen über kommende Schlaganfälle zu machen. Bei
etwa 20 bis 40 Prozent der Patientinnen, die in die Studie an fünf europäischen Zentren einbezogen worden
waren, entwickelte sich aber offenbar
der ischämische Insult direkt aus einer
Migräneepisode.
silk
Chang CL, Donaghy M et al.: Migraine
and stroke in young women: case-control
study. Br Med J 1999; 318: 13–18.
Neil Poulter, Department of Clinical
Neurology, Radcliffe Infirmary, Oxford,
OX2 6HE, Großbritannien.
Photodynamische Therapie des
Magenfrühkarzinoms
Endosonographisch läßt sich
heute die Tiefeninfiltration eines Magenkarzinoms sehr verläßlich feststellen, so daß in zunehmendem Maße,
insbesondere bei Mukosakarzinomen, Lokalbehandlungen wie endoskopische Exzision oder photodynamische Therapie praktiziert werden.
Die Autoren der Wiesbadener Studie
berichten über 22 Patienten mit Magenfrühkarzinom, bei denen eine photodynamische Therapie nach Gabe
von meso-Tetrahydroxyphenylchlorin
(mTHPC) innerhalb von 96 Stunden
mit einem Farbstofflaser mit einer
Wellenlänge von 652 nm durchgeführt
wurde. Eine komplette Remission
konnte bei 73 Prozent bei einer Nachbeobachtungszeit von 12 bis 20 Monaten nach durchschnittlich 1,8 Sitzungen erreicht werden. Eine leichte bis
mäßige Photosensitivitätshautreaktion entwickelten sieben Patienten, 12
klagten über umschriebene Schmerzen nach photodynamischer Therapie
für ein bis zehn Tage.
w
Ell C, Gossner L, May A, Schneider HT,
Hahn EG, Stolte M, Sroka R: Photodynamic ablation of early cancers of the
stomach by means of mTHPC and laser
irradiation: preliminary clinical experience. Gut 1998; 43: 345–349.
Medizinische Klinik II, Klinikum Wiesbaden,
Ludwig-Erhard-Straße
100,
65199 Wiesbaden.
Budesonid bei aktivem Morbus Crohn
Der M. Crohn ist bevorzugt im
terminalen Ileum und Colon ascendens lokalisiert. Bei dieser Lokalisation ist bislang bevorzugt Prednison
eingesetzt worden. Die Autoren berichten über eine Studie an 201 Patienten, die entweder 40 mg Prednison
oder 9 mg Budesonid über acht Wochen erhielten. Die Prednisondosis
wurde nach zwei Wochen stufenweise
auf 5 mg zurückgefahren. Zielpunkt
war eine Absenkung des Crohn’s
Disease Activity Index (CDAI) auf
(56) Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 13, 2. April 1999
unter 150. Das Therapieziel wurde
bei beiden Behandlungsschemata in
51 beziehungweise 52,5 Prozent erreicht. Unter Budesonid traten signifikant weniger unerwünschte Wirkungen auf als unter Prednison.
w
Bar-Maier S, Chowers Y, Lavy A et
al.: Budesonide versus prednisone in
the treatment of active Crohn’s disease.
Gastroenterology 1998; 115: 835–840.
Department of Medicine, Sackler School
of Medicine, Sheba Medical Center,
Tel Hashomer 52621, Israel.