Back – Lust - Morgengold.de

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Back – Lust !
Eine Kurzgeschichte von Britta Tensfeld-Pauls, aufgetischt vom Mörderklüngel*
in Zusammenarbeit mit der Morgengold Frühstücksdienste Franchise GmbH
* Der Mörderklüngel ist eine Hamburger Autorengruppe
3 Uhr morgens, die Stadt schläft. Selbst in Hamburg nur wenige Irrlichter. Ampeln regeln
nicht vorhandenen Verkehr. Der Samstagabend war doch länger geworden als geplant.
Die Wärme in der Bäckerei umfängt Elena, schlaftrunken und benommen, wie sie ist,
schlägt sich nieder auf ihrer Haut, sowie an den Fenstern. Noch fröstelnd von der Kälte
draußen zieht sie das weiße T-Shirt an, stülpt das Haarnetz über und bindet die Schürze
um. Die Radiomusik gehorcht der Experimentierfreudigkeit des Nachtmoderators, wird
nur unterbrochen von den ersten Toten des neuen Tages und den vorangegangenen Stunden. Und so fühlt sie sich auch, gleich einem Stück noch nicht abgeschlossener Vergangenheit, und noch nicht in der Gegenwart angekommen, irgendwo zwischen gestern und
heute.
Wohlig registriert Elena über allem die
süße Schwere der gärigen Hefe, als sie
die Backstube betritt. Die Frische von
Kleidung, Haut und Haaren wird sich
diesem Geruch ergeben. In einem großen Bottich walzt der Knethaken der
Rührmaschine eine riesige, weiche
Teigmasse immer wieder um. Gleich
einem Körper folgt die träge Masse den
Umwälzungen, lässt sich bei jeder Bewegung mitnehmen und bleibt doch
ein Ganzes, welches sich alsbald wieder
an den Formenrand schmiegt. Behaglichkeit kommt in ihr auf.
„Du brauchst Kaffee.“ – Mathias grient sie fröhlich an. Ihr erster Sonntagmorgen und zum
Glück mit ihm. Eine sehr warme, mehlige Hand reicht ihr einen noch wärmeren Becher
über den Backtisch. Unwillkürlich und nur für einen kurzen Moment taucht die Erinnerung an Zuhause auf – an Mark, an ihr Bett, – als sich ihre Hände berühren. Elena zieht die
Schulterblätter zusammen, als wollte sie sich noch einmal ankuscheln.
Aber da ist nur Mathias und das grelle Licht der Backstube.
Seine Hände formen kreisend Rundstück für Rundstück. Gedankenverloren folgt ihr Blick
den Händen die Arme hinauf zu den Oberarmen. Gerade als sie sich fragt, welche Schmerzen die Schlange beim Stechen auf seinem Arm wohl verursacht haben könnte, verschwindet diese auch schon hinter einer Wolke Mehlstaub. Mit Wucht wirft Mathias einen
Teigkloß auf die Fläche und das Formen beginnt erneut.
Auf Elena wartet die Zubereitung der Franzbrötchen. Ausgebreitet liegt das Teigbett vor
ihr, will bedeckt werden von der süßen Butter-Zimt-Mischung, die sie großflächig aufträgt,
und die dahingleitet, bis in den letzten Zipfel. Honig, Zimt, Kardamom paaren sich mit der
Hefe. Dicht nebeneinander rollen sie und Mathias gemeinsam den dicken Teigstrang auf.
Etwas blechern und verhalten 'soulig' erklingt George McCrae aus dem Kofferradio: “Rock
your Baby …”
Mit der Hüfte kickt Mathias sie leicht an ... Wellenförmig breitet sich der kleine Stoß in
ihr aus, kribbelt im Bauch, ihr Kopf erhebt keinen Einspruch. Elena könnte eine Pause
vertragen.
Unvermittelt erscheint Mathias mit einer Himbeere, die er kopfüber auf seinem Mittelfinger balanciert. Die Dekoration für die Torte. Er hält sie ihr direkt unter die Nase. Groß,
dunkelrot, umgeben von einem Flaum feiner Härchen liegt sie da, die wulstige Beere. Ein
Versprechen auf ein Picknick am Waldesrand an einem heißen Sommertag. Mark! – seine
Zunge ihren Hals liebkosend.
Elena leckt sich die Lippen. Sie umschließt die Beere mit dem Mund, saugt vorsichtig die
Frucht vom Finger. An den Gaumen gedrückt gibt sie ihr Aroma frei. Elena ist überrascht.
Himbeersaft läuft über ihre Lippen und bildet ein kleines Rinnsal im Mundwinkel. Mathias
legt seinen Daumen darauf und führt ihn mit einer kleinen Wischbewegung hin zum
Mund.
Sie schluckt und lutscht den Saft vom Finger. Beide sehen sich an. Die Schlange auf dem
Arm lispelt mit ihrer spitzen Zunge. Elena ist wach, hellwach! Und es ist nicht Mark, der
vor ihr steht und sie mit einer Himbeere verführt. Hatte Mathias das beabsichtigt – ?!
Er wendet sich ab, telefoniert. Elena konzentriert sich auf ihre Arbeit. Nichts ist passiert!
Die frühe Zeit hat ihr Gehirn vernebelt. Lächerlich, wegen einer Himbeere!
Den Geschmack kann sie immer noch spüren, und den Geruch von Old Spice und auch
ihn. Sie trinkt einen Schluck Wasser. Mathias hantiert geschickt die vollen Backbleche, die
heißen und die kalten. Eigentlich eher ein Body-Builder, denkt sie. Nicht unbedingt typisch
für einen Bäcker oder Konditor. Zeichnet sich da unter dem Shirt ein Sixpack ab? Jedenfalls
ist da überhaupt kein Bauchansatz. Mark hat ein Bäuchlein, ein süßes, und sie auch.
Elena muss mit den Himbeeren noch die Torte verzieren. Es gelingt ihr sogar die Früchte
vollkommen gleichgültig zu betrachten. – Bei Mathias gelingt das nicht.
Immer wieder schaut sie auf, verfolgt seine Bewegungen. Seine Hände, die den Teig kneten,
die Kraft mit der er die Getreideschaufel in den Sack sticht, sein Zartgefühl, mit dem er behutsam Früchte drapiert, filigran Zuckerwerk gießt. Sie sind gerötet, die Hände, fleischig
aber nicht wurstig, registriert sie, mit kurzen, runden Fingernägeln, und einigen Brandmalen daran.
Mathias, wie er Sahnetorte verziert. Seine rechte Hand, die fest
die Spritztüte umschließt, während die linke Hand den prallen
Beutel sanft aber mit festem Druck
massiert, so dass die Sahne frohlockt, derart liebevoll aus der Tüte
gedrückt zu werden, sich als Krönung auf die Torte setzen zu dürfen. Als nun auch noch die erste
Kirsche ihren Platz auf einem
Sahnehäubchen findet, begleitet
von einem Seitenblick auf sie, quittiert Elena den Blick mit mühsam, angestrengter Gleichgültigkeit.
Über allen Düften thront nun flüssige Schokolade. „Probier mal.“ Die tiefe, ruhige Stimme
flüstert fast. Listig grinst die Schlange nun. Langsam führt Mathias einen Löffel der noch
heißen Mischung an ihre geöffneten Lippen. Vorsichtig schlürfend erreichen Kokos, Orangen und Nelken die Geschmacksrezeptoren auf ihrer Zunge. Immer noch den Löffel haltend, ihr Urteil erwartend steht Mathias vor ihr. Ihre Synapsen reagieren auf den Hauch
von Whisky in der Masse. Ein leises Sirren unter der Hautoberfläche breitet sich blitzschnell
im ganzen Körper aus. Jedes Körperhaar stellt sich einzeln auf. Hat Mathias ihren Sinneswandel bemerkt? „So schlimm? Lass mich mal kosten.“
Kosten, kosten soll er nun. Sie ergreift seine Hand, die den Löffel gerade zum Mund führt.
Er ist nun das, was sie trennt, und auch was sie verbindet. Beide nippen an der verbleibenden Substanz. Mathias füllt den Löffel erneut auf, lächelnd wiederholen sie das Spiel. Elena
langt über den Backtisch, ergreift den Pinsel mit der warmen Butter-Zimt-Mischung.
Sie schmiert der Schlange Honig um den Bart! Und streicht Borste für Borste den Arm entlang, um anschließend, leckend eine Spur wieder frei zu legen. Mathias ergreift den Spritzbeutel mit der Sahne. Im wilden Schwung zeichnet er ihre Lippenbögen nach und ihre
Ohrmuschel, die nackt vor ihm liegt. Immer noch verbirgt das Netz das Haar. Naschend
fährt ihre Zunge über die Oberlippe. Mit dem Finger streicht sie an ihrem Ohr entlang,
hält ihn Mathias hin. Der befreit sie genüsslich schmatzend von dem Schaumgebilde.
Umgeben von einer Wolke aus Mehl und Leidenschaft ringen zwei weiße Geister auf dem
Backtisch, als die Türschelle vom Laden ihrem Treiben ein Ende macht.
Eine hungrige Stadt erwacht.
die Autorin:
Britta Tensfeld-Pauls
geb. 1963 in Hamburg, ist verheiratet, hat eine Tochter.
Sie arbeitet als Med.-Techn.-Assistentin. Seit 2004
beteiligt sie sich regelmäßig an den Kursen und Workshops für Kreatives Schreiben, u.a. an der VHS-Hamburg.
So kam sie zum Mörderklüngel. Sie ist aktiv in dem Autorenzirkel autoricum.
Veröffentlichungen in verschiedenen Anthologien, sowie
einer Hörbuch-Anthologie.
Morgengold Frühstücksdienste Franchise GmbH
Ehrenhaldenstaffel 3, 70192 Stuttgart