Ansprache zur Konfirmation am 4. Mai 2014 Kreuzkirche Reutlingen
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Ansprache zur Konfirmation am 4. Mai 2014 Kreuzkirche Reutlingen
Ansprache zur Konfirmation am 4. Mai 2014 Kreuzkirche Reutlingen Pfarrerin Astrid Gilch-Messerer Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden! Vielleicht vor ein paar Jahren schon haben Euch Eure Eltern oder Großeltern das erste Handy geschenkt. Ein Handy kann man ja für vieles gut gebrauchen: zum Musikhören, zum Fotografieren, zum Spielen, oder um sich schnell per SMS mit Freunden zu verabreden – ja und dann auch zum Telefonieren. Im Bus schnell eine SMS geschrieben und manchmal auch heimlich in der Schule oder im Konfi-Kurs. Rechtschreibung, Groß- und Kleinschreibung egal, und Grammatik spielt auch keine Rolle. 1 Kein Wunder, dass Lehrer, auch wir im Konfi-Kurs und manche Eltern allergisch und genervt auf die ständige „Tipperei“ mit dem Handy reagieren. Mit dem Handy kennt Ihr Euch besser aus als viele Erwachsene. lhr wisst alle: Bis zu 160 Zeichen darf eine SMS haben. Mit entsprechender Übung geht das Tippen unheimlich schnell. Ich dagegen bin nicht ganz so trainiert wie Ihr – aber ich will Euch in dieser Predigt 4mal simsen. Eigentlich würde das reichen als short message service, als viermalige kurze message dessen, was ich Euch in dieser Predigt sagen will. Aber für die Eltern, Großeltern, Tanten und Onkel füge ich noch einige Erklärungen hinzu. In der ersten SMS steht: „sorgt euch nicht um euer leben. jesus von nazareth.” 2 Ich weiß nicht, ob Ihr Euch gelegentlich Sorgen macht. Natürlich, jeder/jede hat mal Angst, vor der Klassenarbeit, vor dem nächsten Treffen mit dem Schwarm, mit dem ein Junge oder Mädchen gerne „gehen“ würde. Selbst wenn das so ist, zugeben tut es niemand gerne. Das ist nicht cool. Auch viele Erwachsene haben diese Scheu oder lehnen es rundweg ab, zuzugeben, was ihnen unangenehm ist und Angst macht. Viele Menschen ziehen es vor, dies für sich zu behalten: Sorgen, Ängste, alles, was negativ ist. lm Stillen machen sie mit sich aus, was sie beschwert. 3 Eltern denken oft über ihre Kinder nach. Manchmal machen sie sich Sorgen über Euch, die Konfirmandinnen und Konfirmanden. Das muss Euch nicht beunruhigen, das ist ganz normal, obwohl es Euch vielleicht manchmal ganz schön nervt. Wann kommt Teresa endlich nach Hause zurück? Hatten wir nicht abgemacht, sie solle um zehn wieder da sein? Mensch Ralf, wie kommt es, dass Du schon wieder in Englisch eine Fünf geschrieben hast? Wenn Du so weitermachst, wirst Du noch das Schuljahr wiederholen müssen! Warum sitzt Tobias stundenlang am Computer in seinem Zimmer und trifft sich gar nicht mehr mit seinen Freunden? Das alles sind Sorgen, liebe Konfirmanden, die Eure Eltern mit Sicherheit bewegen und vielleicht auch Euch selbst. Sorgen wird man nie ganz los. Es kommt aber darauf an, wie man sie angeht und mit ihnen umgeht. Denn Sorgen können das Leben regelrecht erschlagen, es erdrücken. Sorgen können vom Leben ablenken. Über allen Ängsten und Gedanken vergisst man den Augenblick, in dem man sich sagt: Das Leben ist gut. Ich bin gut, wie mich Gott geschaffen hat. Deswegen schicke ich Euch jetzt eine zweite SMS: 4 „mach mit und sag es dir jeden tag erzähl es anderen wenn es auch keiner hören mag gib gas lern fliegen statt am boden zu kleben hey jetzt wird es zeit zu leben” ln diese SMS passte wegen der Zeichenbeschränkung der Absender nicht mehr, deswegen trage ich das nach. Diese Verse kommen aus einem Rap der Fantastischen Vier. „Alles ist neu“ heißt das Lied. Lieber leben als sich Sorgen machen. Lieber Mut haben als Angst. Lieber die Weite der Hoffnung als die Enge der Befürchtungen. 5 Die Welt ist ein riesiger Entdeckungsraum, in dem Ihr Eure Lebensreisen unternehmt. Sorgen können einengen und einen Menschen in das Korsett der Angst einzwängen. Dabei gibt es in dieser Welt so vieles Wunderbare: andere Menschen, andere Lebensräume, andere Kulturen. Es lohnt sich, das alles zu entdecken und darüber zu staunen. Diese Erfahrung wird Euren Blick weiten. lhr, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, macht jetzt gerade einen doppelten Schritt: einen Schritt hinein in die Welt und einen Schritt in die Kirche hinein. lhr macht einen Schritt in Richtung Selbstständigkeit. Ihr werdet zukünftige Weltbürger und heute eigenständige Christinnen und Christen. Ihr könnt Euch nun ein Stück unabhängiger bewegen. Heute macht Ihr dazu einen wichtigen Schritt. Eure Konfirmation heute ist ein Grund, nochmals einen Blick zurückzuwerfen und zu sagen: Danke, liebe Eltern, für Eure Unterstützung, für Eure liebevolle Zuneigung, für viele schöne Weihnachts- und Geburtstagsfeiern. Danke, dass Ihr mir vermittelt habt, was Euch wichtig ist fürs Leben. Danke für all das Verständnis, das Ihr mir entgegengebracht habt. 6 Danke, liebe Eltern, und ich möchte, dass vieles von dem so bleibt. Ich fühle mich wohl bei Euch, auch wenn wir uns gelegentlich über Schulnoten und Ausgehzeiten streiten. Und es stört mich auch nicht, dass Ihr immer meckert, wenn ich mal wieder „vergesse”, den Mittagstisch abzuräumen oder den Mülleimer rechtzeitig an die Straße zu stellen. Und Euch hat es auch nicht gestört, dass ich neulich bei Oma um das Geld für die neueste CD gebettelt habe oder um Geld für den neuen Kinofilm. Danke, liebe Eltern, dass ich mich im Großen und Ganzen wohl fühlen kann bei Euch. Der Tag heute ist ein Grund für Euch Konfirmandinnen und Konfirmanden, einen Blick nach vorne zu werfen. Was kommt da auf mich zu? Es kommt auf mich zu, dass ich einiges selbst tun muss. Ich muss selbst tun, was zuvor andere, vor allem die Eltern, für mich getan haben. Immer mehr Entscheidungen treffe ich selbstständig, und manche habe ich schon selbst getroffen: - Will ich Französisch oder Latein lernen? - Mache ich NWT oder wähle ich den Sportzug? - Und heute: Will ich zur Kirche gehören oder nicht? lhr könnt nun selbst entscheiden, und Ihr tragt dafür auch die Verantwortung: Ich wäge meine eigenen Gründe ab und gehe dann den Weg, der mir als der richtige erscheint. 7 In der dritten SMS steht: „seht die vögel unter dem himmel an sie säen nicht sie ernten nicht und euer himmlischer vater ernährt sie doch. j. Der, der hier ganz cool mit seinem abgekürzten Vornamen J. unterschrieben hat, erinnert an seinen, an unseren himmlischen Vater. Jesus nennt Gott seinen, unseren Vater im Himmel. Kinder vor der Konfirmation leben in einem Schutzraum der Geborgenheit und des Vertrauens. Diesen Raum schaffen und stiften die Eltern. 8 Jugendliche nach der Konfirmation bewegen sich ein kleines Stück weiter aus diesem Raum heraus. Es gibt so vieles zu entdecken auf der Welt! In ihr sucht Ihr immer eigenständiger einen Weg durchs Leben. Und beide, der geborgene Schutzraum und der staunenswerte Entdeckungsraum der Welt, sind Teil der Schöpfung unseres Vaters im Himmel. Ihr, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, bewegt Euch in ganz unterschiedlichen Räumen: im Raum der Schule, im Raum der Kirche, im Haus Eurer Eltern, in sicheren Räumen und Entdeckungsräumen. ln all diesen Räumen schützt, begleitet und segnet Euch Gott. Kein Raum, den Ihr neu betretet, ist Gott fremd. Er ist mit seinem Segen überall. Die Spatzen finden jeden Tag etwas zu essen. Das Kleinste und das Größte, das Nächste und das am weitesten Entfernte stehen gleichermaßen unter dem Segen Gottes. Der Beter des 139. Psalmes, des Psalmes, den wir vorher miteinander gebetet haben, hat das unnachahmlich so beschrieben: „Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen 9 und deine Rechte mich halten." (Ps 139,9f.) Jeder kleine Vogel, den Ihr nachher beim Hinausgehen oder heute Nachmittag beim Spaziergehen seht, soll Euch daran erinnern. Gott ist da in der ganzen Schöpfung und für die ganze Schöpfung. Dieser Segen ist eine beständige Grundmelodie in jedem Leben. Und er verhindert, dass wir auf uns selbst zurück- und in uns selbst hineinfallen. In der vierten SMS steht: „schaut die lilien auf dem feld an wie sie wachsen.j.“ 10 Es gibt wenige Blumen, die schöner sind als Lilien. Lilien seht Ihr heute auch auf unserem Altar: die Blumen ganz hinten mit den länglichen Blüten, die ein bisschen wie Glocken aussehen. Nun könnt Ihr sagen: Du redest so viel über die Schönheit der Schöpfung. Hast Du den Hunger der Menschen in der Dritten Welt vergessen, die Slums, die Treibhausgase und den Feinstaub, die Tsunamis und die soziale Verelendung? Es gibt vieles, was auf dieser Welt niemand schön finden wird. Dieses Nebeneinander und Durcheinander von Schönem und Erschreckendem auf der Welt wird nie aufhören. Das ist alles richtig. Doch verändern kann man die Missstände der Welt nicht in einem Geist der Grübelei. Dazu verhilft nur der Geist der Hoffnung und der 11 Zuversicht. Beides lebt von der Gewissheit und dem Vertrauen, dass Gott die Vollendung der Schöpfung will - und nicht ihre Zerstörung. Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, ich weiß das, wie Ihr das alle wisst: Diese Welt, in die ihr hineingeht, ist eine unübersichtliche, komplexe, verwirrende Mischung aus Schönem und Grausamem, aus himmelschreiend Ungerechtem und manchmal fast nicht wahrnehmbaren Momenten der Gerechtigkeit. Schritt für Schritt werdet Ihr immer mehr Verantwortung dafür tragen, dass wir Menschen füreinander da sind und wir uns gegenseitig stützen und tragen. Wie diese Verantwortung aussehen kann, habt Ihr zum Beispiel kennen gelernt in Eurem Konfi-Praktikum und bei Euren Einsätzen sonntags und beim Mutscheln im Pflegeheim. Ihr seid gefragt, wie Ihr mit den Pflanzen und Tieren in Eurer Umgebung umgeht, ob Ihr so lebt, dass sie ihren Lebensraum behalten und gut in ihm leben können. Ihr kommt nicht umhin zu fragen, wie das Schnitzel, das auf Eurem Teller liegt, oder auch das Obst, das Ihr gerne esst, produziert wurde. Also: Fragt nach und mischt Euch da ein, wo es um Eure Lebensbedingungen und die der Pflanzen und Tiere in der Schöpfung geht. 12 Ihr steht heute an einer wichtigen Wegmarke Eures Lebens. Darum vergesst das bitte nicht: Gott hat zugesagt, auf jedes Lebewesen in der Welt zu achten und es zu segnen. Auf jeden Spatz und auf jede Lilie, auf jeden Menschen, Große und Kleine, Alte und Junge und heute vor allem auf Euch Konfirmandinnen und Konfirmanden. Wer Segen empfängt, kann Segen weitergeben. Das, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, ist unser gemeinsamer Auftrag: mitzuhelfen, dass wir z. B. mit Wasser und Energie angemessen und verantwortungsvoll umgehen, dass wir mitfühlend und mit Achtung anderen Menschen, Tieren und Pflanzen begegnen. Daran jeden Tag, jede Woche, jedes Jahr zu erinnern und danach zu handeln, das ist die Aufgabe aller Menschen in der Kirche, nicht nur derer, die in der Kirche arbeiten. Jede Kirche, an der Ihr in Zukunft vorbeigeht, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, soll Euch daran erinnern: Ich bewege mich in einer guten, gesegneten Welt. Es lohnt sich, dankbar in dieser Welt zu leben, dankbar für mein Leben, dankbar für die Spatzen, für die Menschen in meiner Umgebung und für die Lilien. 13 Und vielleicht schickt Ihr dann einmal eine SMS zurück – an den, der die Spatzen und die Lilien geschaffen hat – und Euch und Eure Eltern und mich. Eure SMS könnte kurz sein. Sie könnte dann so aussehen: Danke, lieber Gott. Danke für alles. Ich bin mir sicher: Gott liest auch die kurzen messages von Euch, und er freut sich über eine solche SMS. Amen. 14