Tonn - Schreiben über das Schreiben
Transcription
Tonn - Schreiben über das Schreiben
SCHRIFT UND SCHREIBEN IN DER FILMTRILOGIE „THE LORDS OF THE RINGS“ Patrick Tonn INHALT I. Von der Schrift zum Film ....................................................................................................... 1 II. Schrift und Schreiben als besondere und heterogene Elemente in „Der Herr der Ringe“ .... 1 a) Schrift als Spur ................................................................................................................... 3 b) Magische Schriften ............................................................................................................ 6 c) Geschichtsschreibung ......................................................................................................... 8 III. Letzte Worte ....................................................................................................................... 11 Bibliografie............................................................................................................................... 11 Filmografie ............................................................................................................................... 11 I. VON DER SCHRIFT ZUM FILM Geschichte wurde Legende. Legende wurde Mythos. Und zweieinhalb tausend Jahre lang wusste niemand mehr um den Ring. Bis er sich eines Tages… J. R. R. Tolkiens bemächtigte, der 1937 begann, den Mythos niederzuschreiben und (erneut) zum Leben zu erwecken. Zwischen 1954 und 1955 wurde die bis dato zweiterfolgreichste Buchreihe aller Zeiten veröffentlicht, die den Titel „The Lord of the Rings“ trägt. Bestehend aus den drei Teilen – „The Fellowship of the Ring“, „The Two Towers“ und „The Return of the King“ – prägte Tolkiens Meisterwerk das Fantasy-Genre maßgeblich mit und zog auch über die Literatur hinaus weite Kreise. Zahlreiche Adaptionen des Stoffes folgten in den unterschiedlichsten Medien. 2001 wurde Tolkiens schriftliches Vermächtnis schließlich zum ersten Mal (seit Ralph Bakshis Animationsfilm) in Bild und Ton auf die große Leinwand übertragen. Peter Jacksons Filmtrilogie zählt heute zu den erfolgreichsten und aufwendigsten Filmproduktionen aller Zeiten und kann deshalb als würdiger Nachfolger der Originalvorlage gelten. Von der Schrift zum Film – Dieser Weg, den Jackson und das gesamte „The Lord of the Rings“-Filmteam auf sich nahmen, soll auch im Laufe dieser Arbeit beschritten werden. Doch anstatt den Adaptionsprozess nachzuzeichnen, steht ein anderer Zusammenhang von Schrift und Film im Vordergrund. Die zentrale Frage lautet: Welche Schrift-Diskurse werden in „The Lord of the Rings“ aufgegriffen, und welche Funktionen beziehungsweise Bedeutungen lassen sich an den unterschiedlichen Formen der Schrift und des Schreibens ablesen, die in den drei Filmen dargestellt werden? Untersuchungsgegenstand sind die erweiterten Versionen der drei Filme, wie sie in der deutschen Special Extended DVD-Edition „Der Herr der Ringe – Die Spielfilmtrilogie“ von 2007 enthalten sind. Die angegebenen Timecodes sowie sämtliche Screenshots im Anhang entstammen diesen Fassungen. II. SCHRIFT UND SCHREIBEN ALS BESONDERE UND HETEROGENE ELEMENTE IN „DER HERR DER RINGE“ Schon zu Beginn des ersten Teils „Die Gefährten“ wird deutlich, dass Schriftmedien einen besonderen Stellenwert innerhalb der Filmreihe einnehmen. Im Anschluss an die Exposition folgt eine neue Szene, in der Bilbo in seinem Arbeitszimmer sitzt und sein Buch „There and Back Again“ zu schreiben beginnt. Das Buch, welches innerhalb der Filmdiegese im Laufe der Zeit fertiggestellt wird, existiert extradiegetisch bereits seit einigen Jahren. Es handelt sich 1 um das 1937 veröffentlichte Tolkien-Buch „The Hobbit“, das den „The Lord of the Rings“Büchern vorausgeht. Am Ende des dritten Films wird diese Buch-im-Film-Motivik nochmals aufgegriffen, wenn Frodo seine Geschichte „The Lord of the Rings“ ebenfalls im Buch seines Onkels Bilbo verewigt. Auf diese Weise finden die real existierenden schriftlichen Vorlagen der Filme auch ihren Weg in die Erzählung selbst, wodurch die kinematografischen Adaptionen sich explizit als solche thematisieren. Schrift und Schreiben verdanken ihre besondere Rolle innerhalb der Filme daher vor allem der Tatsache, dass die Filmhandlung sowohl als Ausgangspunkt für intradiegetische Schreibprozesse (weil der Film eine Geschichte zeigt, die nachträglich aufgeschrieben wird) als auch als Folgeerscheinung von Schreibprozessen (weil die Geschichte bereits in Schriftform existiert und im Film retrospektiv wiedererweckt wird) gesehen werden kann. Die schriftliche Fixierung von Geschichte(n) spielt in den „Der Herr der Ringe“-Filmen jedenfalls häufig eine zentrale Rolle. Weiterhin dürfte die prominente Stellung von Schrift und Schreiben innerhalb der Filmtrilogie auch in deren Genre begründet liegen. „Der Herr der Ringe“ ist in einer Fantasy-Welt angesiedelt, die an die Epoche des Mittelalters angelehnt ist. Die Schrift ist folglich das einzige Medium, das die Funktion der Kommunikation und Wissenstradierung erfüllt. Bei den unterschiedlichen Schriften Mittelerdes handelt es sich um komplexe Erfindungen Tolkiens, der seine fiktive Erzählwelt nicht zuletzt über ihre Schreibkultur charakterisiert und authentifiziert. Entsprechend der Komplexität und Heterogenität der uralten Welt, die den Rahmen für die Buch- und Filmhandlung bildet, fällt ihre Schreibkultur ebenfalls sehr umfangreich und vielschichtig aus. Ich möchte die diversen Erscheinungsformen der Schrift und des Schreibens in den „Der Herr der Ringe“-Filmen in folgende Kategorien einteilen, anhand derer sich bestimmte Schriftdiskurse ablesen lassen: a) Schrift als Spur, b) Magische Schriften, sowie c) Geschichtsschreibung. Aufgrund der Heterogenität der Schriftstücke und Schreibprozesse in puncto Darstellung und Form sowie Bedeutung und Funktion lässt sich dieser Arbeit keine einheitliche Definition dessen, was Schrift und Schreiben (nicht) sind, zugrunde legen, da es vielmehr um einen Einblick in die vielen unterschiedlichen Diskurse gehen soll, die in den Filmen implizit oder explizit angelegt sind und die ein besonderes intermediales Verhältnis von Schrift und Film erkennen lassen. 2 A) SCHRIFT ALS SPUR Wenn man das Schreiben als Prozess versteht, dann kann die Schrift als Spur dieses Prozesses gelten (vgl. ZANETTI: 15). Beide sind unauflöslich miteinander verbunden, da die „Spuren des Prozesses […] diesen schon im Fortgang laufend mit[bestimmen]“ (ZANETTI: 31) und da der flüchtige Schreibprozess sich anhand seines beständigen Produktes zu einem gewissen Grad rekonstruieren lässt. „Der Akt selbst hebt sich auf, bewahrt bleiben allenfalls noch die Spuren davon“ (ebd.). Der Diskurs von der Schrift als Spur ihres Herstellungsprozesses und der Handlungsmacht ihres Autors wird in allen drei Teilen der Filmreihe aufgegriffen. Zum ersten Mal wird der Spurcharakter der Schrift in jener Szene relativ zu Beginn von „Die Gefährten“ (ca. ab 0:35:40/DVD1) thematisch, wenn Gandalf und Frodo den Einen Ring aus seinem Versteck holen, um ihn eingehend zu betrachten. Dazu wirft der Zauberer den Briefumschlag, der den Ring beinhaltet, in ein Kaminfeuer. Kurz nachdem er Frodo den Ring überreicht, werden elbische Schriftzeichen darauf sichtbar, die zuvor verborgen gewesen sind (Ill. 1). Die Lettern leuchten goldgelb, und zwar so intensiv, dass sie sich sogar als Lichtspur auf Frodos Gesicht abzeichnen, während er die für ihn fremde Schrift zu entziffern versucht (Ill. 2). Die Flammen offenbaren eine Botschaft, die ebenfalls durch Feuer in den Ring eingebrannt worden ist. Es handelt sich also um einen versteckten Code, der erst dann wieder lesbar gemacht werden kann, wenn der Kontext seiner Prägung in den Feuern des Schicksalsberges nachgeahmt wird. Die Gravur des Rings verweist demzufolge auf den ihr zugrundeliegenden Schreibprozess und ruft deshalb die Erinnerung an die dunkle Vergangenheit des Rings der Macht wach, die in den ersten Filmminuten (ca. bis 0:07:15) entfaltet worden ist. Die Inschrift des Rings ist die Spur ihrer Herstellung und zugleich der Macht Saurons und impliziert auf diese Weise die Bedrohung durch den Ring. Ein weiteres Beispiel findet sich in den Minen von Moria, als die Gefährten Balins Grab entdecken und Gandalf aus dem halb zu Staub zerfallenen Buch eines toten Zwergenchronisten vorliest (ca. ab 0:24:30/DVD2): „Sie haben die Brücke und die zweite Halle genommen. Wir haben das Tor versperrt, können es aber nicht lange halten. Die Erde bebt. Trommeln, Trommeln in der Tiefe. Wir können nicht hinaus. Ein Schatten bewegt sich in der Dunkelheit. Wir können nicht hinaus. Sie kommen.“ Bei dem Geschriebenen handelt es sich um einen Bericht von Ereignissen, welche annähernd zeitgleich zu ihrem Eintreten notiert worden sind, um künftigen Lesern einen unmittelbaren 3 Eindruck von dem vergangenen Geschehen zu vermitteln. Obwohl sich der Leser dem Schreibprozess gegenüber stets in einer „Position der Ungleichzeitigkeit“ (vgl. ZANETTI: 32) befindet, dient das Vorlesen des Berichts hier dem Zweck der Vergegenwärtigung. Gandalfs dramatische Vortragsweise sowie die Ungewissheit, ob die Feinde der Zwerge sich noch immer in den Minen aufhalten könnten, erzeugen zusammen mit der sich steigernden Musikuntermalung eine bedrohliche und angespannte Stimmung, welche die Gefahrensituation der Vergangenheit in die Gegenwart überträgt. Die Schrift ist auch hier eine Spur des vergangenen Schreibprozesses, dessen Atmosphäre beim Vorlesen rekapituliert werden kann. Außerdem gibt das Schriftbild Aufschluss über das Schicksal des Autors. Die Buchstaben des letzten Satzes sind beinahe bis zur Unleserlichkeit verzerrt und enden in einem nach unten abreißenden Strich (Ill. 3). Dies deutet darauf hin, dass der Chronist dazu gezwungen worden sein muss, seine letzten Aufzeichnungen gehetzt zu beenden. Es handelt sich demnach um Spuren, die eine eigene kleine (Schreib-)Geschichte erzählen, die der Imagination des Zuschauers überlassen bleibt. In „Die zwei Türme“ taucht die Schrift in ähnlicher Form und Funktion auf. König Théoden steht unter dem magischen Einfluss Sarumans und wird von seinem illoyalen Berater Schlangenzunge derart manipuliert, dass er den Exilbefehl für Rohans Heermeister Éomer unterzeichnet (ca. ab 0:25:00/DVD1). Wie schon im Falle des Schriftbildes des Zwergenchronisten lässt sich auch an Théodens Unterschrift seine körperliche und geistige Verfassung ablesen. Die Tinte wird schwächer, die Buchstaben sind unförmig und schief, und der Name nimmt insgesamt von links nach rechts eine indifferente Linienform an, die ähnlich wie im vorigen Beispiel nach unten abreißt (Ill. 4). Obwohl der Schreibprozess nicht gezeigt wird, lässt sich leicht imaginieren, wie der schwache und kranke König willenlos eine Unterschrift leistet, ohne sich der Tragweite seines Handelns bewusst zu sein. Denn sein Signum ist trotz allem rechtsgültig. Dass der König auf magische Weise dazu gezwungen wird, ist für die wenigsten Figuren ein Geheimnis, doch wiegt in diesem Fall die Faktizität der Schrift mehr als die unglücklichen Umstände ihrer Herstellung. Théodens Unterschrift trägt das volle Ausmaß seiner Macht in sich und steht für das Wort des Königs selbst. Sein Signum ist gleichzeitig eine Spur seiner Machtlosigkeit gegenüber den Zauberkünsten Sarumans als auch eine Spur jener Macht, die ihm als König gegeben ist. Der Diskurs der rechtskräftigen (Vertrags-)Unterschrift kommt in dieser Szene deutlich zum Ausdruck. Ebenfalls im zweiten Teil der Filmreihe wird in einer Szene explizit das Spurenlesen aufgegriffen, wobei hier der zugrundeliegende Schriftbegriff recht weich, also abstrakt und 4 weit ist. Gimmli, Legolas und Aragorn sind auf der Suche nach Merry und Pippin, die in Gefangenschaft einer Gruppe Uruk-hai in einen Kampf verwickelt worden sind. Es ist ungewiss, was den beiden Hobbits widerfahren ist, bis Aragorns waldläuferisches Talent des Fährtenlesens zum Einsatz kommt (ca. ab 0:35:10/DVD2). Anhand der Spuren der beiden Vermissten rekonstruiert Aragorn die Ereignisse und den Weg, den sie genommen haben müssen. Der Fährtenleser analysiert die Umgebung und zieht aus scheinbar belanglosen Dingen wichtige Schlüsse, die dem Zuschauer in Form von Flashbacks präsentiert werden. Bei dieser Art des Spurenlesens handelt es sich zwar um eine Form des Lesens beziehungsweise des Deutens bestimmter materieller Zeichen, doch ist es wie gesagt nicht ganz unproblematisch, hier auch von Schrift und Schreiben zu sprechen. Dem absichtsvollen Entschlüsseln der hinterlassenen Zeichen geht nämlich keine aktive und intentionale Zeichenproduktion voraus. Merry und Pippin bedienen sich weder bestimmter Schreibmaterialien, noch kennen sie das Zeichensystem, auf das sich Aragorn später beziehen wird. Es sind lediglich ihre eigenen Körper und alltägliche Objekte, die sich in die Oberfläche des Erdbodens einschreiben. Rüdiger Campes drei Aspekte des Schreibens (vgl. ZANETTI: 21) spielen weder beim Spurenlesen noch beim Spuren-„Schreiben“ explizit eine Rolle. Während sich beim Spurenlesen noch eine zugrundeliegende Semiotik sowie im Sehen und Fühlen eine Form der Körperlichkeit erkennen lässt, handelt es sich beim Spuren-„Schreiben“ ausschließlich um einen unwillkürlichen körperlichen Prozess. Instrumente oder Technologien kommen in beiden Fällen nicht zum Einsatz. Dennoch lässt sich der Produktion von lesbaren Fährten eine gewisse strukturelle Ähnlichkeit zum Schreibprozess nicht ganz absprechen, vor allem dann nicht, wenn man die Topshot-Einstellungen betrachtet, welche das zu entschlüsselnde Feld wie ein Blatt Papier mit unterschiedlichen Zeichen wirken lassen (Ill. 5). Eine ähnlich exotische Erscheinungsform des Schreibens findet sich in „Die Rückkehr des Königs“, als die Leuchtfeuer von Amon Dîn in Minas Tirith entzündet werden (ca. ab 1:02:40/DVD1). Was auf den ersten Blick nicht wie ein Schreibakt aussehen mag, vereint jedoch alle Aspekte in sich, die Campe für das Schreiben als konstitutiv erachtet. Es gibt ein Schreibinstrument (Fackel und Scheiterhaufen), welches einer körperlichen Geste bedarf (Erklimmen des Scheiterhaufens und Entzünden des Holzes), um eine Nachricht abzusetzen, die auf ein semiotisches System zurückzuführen ist. Brennen die Leuchtfeuer, ersucht Minas Tirith Rohan um Hilfe. Das Feuer breitet sich von Station zu Station vom einen ins andere Königreich aus und stellt eine frühe Form der Telegrafie dar, wenngleich mit sehr vereinfachten Ja/Nein-Botschaften und mit einer primitiven sowie aufwendigen „Techno5 logie“ (Ill. 6). Nichtsdestotrotz spielt das Leuchtfeuer von Amon Dîn als Kommunikationsmedium und transportable „Feuerschrift“ eine wichtige Rolle für die Filmhandlung, da dem Signal eine ungeheure Handlungsmacht zukommt, die ganze Armeen zu bewegen vermag. Ähnlich wie die Unterschrift Théodens repräsentiert auch das Leuchtfeuer die Macht eines Herrschers, die allerdings von diesem losgelöst und auf das Schriftmedium übertragen wird. B) MAGISCHE SCHRIFTEN Aufgrund des Genres der „Der Herr der Ringe“-Filme verwundert es nicht, dass die Schrift in Mittelerde auch zahlreiche magische Aspekte in sich vereint. Oftmals ist diese rätselhaft und überschreitet die Grenzen von Zeit und Raum sowie zwischen Diesseits und Jenseits. An einer solchen Darstellung von Schrift lassen sich vor allem anachronistische und mystizistische Diskurse über magische Runen und prophetische Schriften ablesen. Die erste prophetische Schrift ist bereits unter a) angesprochen worden, als es um die Gravur des Rings der Macht ging. Es wurde gezeigt, dass die elbischen Lettern Spuren ihres Herstellungsprozesses sind, der weit in der Vergangenheit liegt. „Ein Ring, sie zu knechten, sie alle zu finden, ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden.“ Hinter diesen Worten verbirgt sich allerdings weit mehr als nur die Vergangenheit des Rings. Sie sind Zeichen seiner verheerenden Macht in der Gegenwart, und sie versprechen den Untergang der freien Völker in der Zukunft. Es handelt sich um eine apokalyptische Prophezeiung, die ihre Glaubwürdigkeit dadurch gewinnt, dass sie sich in der Vergangenheit bereits beinahe erfüllt hätte. Durch seine Inschrift gewinnt der Eine Ring seine Macht, die ihn als gefährliche Waffe und Stellvertreter Saurons auszeichnet. Bevor die Gefährten ihren Weg durch die Minen Morias antreten können, müssen sie zunächst die unsichtbaren Türen von Durin finden und diese öffnen (ca. ab 0:13:00/DVD2). Der Eingang offenbart sich im Mondlicht, welches auch die Torinschriften sichtbar macht (Ill. 7). Gandalf kann die Schrift zwar lesen, missinterpretiert jedoch zunächst ihre Bedeutung. Aufgrund fehlender Satzzeichen übersetzt er „Sprich, Freund, und tritt ein“ statt „Sprich ‚Freund‘ und tritt ein“. Er geht also davon aus, dass man ein Freund sein und ein Losungswort sagen müsse, um eingelassen zu werden. In der Filmversion ist es Frodo, der erkennt, dass das Losungswort selbst das elbische Wort für „Freund“ ist. Gandalf spricht es aus, und die Türen öffnen sich auf magische Weise. Für die Lösung des Rätsels gibt es demnach drei Voraussetzungen: 1. Das Licht des Mondes, um die verborgene Geheimschrift sichtbar zu 6 machen. 2. Die Kenntnis der Elbenschrift und -sprache, um die Torinschrift zu entziffern. Und 3. eine Stimme, um das Losungswort laut auszusprechen und den magischen Mechanismus zu aktivieren. Die Schrift tritt in dieser Szene als mehrfach kodierte Handlungsanweisung auf, die in einer körperlichen Geste – dem mündlichen Vortrag – umgesetzt werden muss. Gandalfs Zauberworte sind der Schlüssel für eine Zauberschrift, die stimmlich aktiviert werden muss. Die magischen Runen besitzen an sich wenig bis keine Macht und sind auf ihre Rezitation angewiesen, um ihre wahre Zauberkraft zu entfalten. Die Gedanken des Lesers müssen dabei externalisiert werden und die des Autors nachvollziehen. In „Die Rückkehr des Königs“ machen Aragorn, Gimmli und Legolas sich durch den Dimholt zum dunklen Tor auf, um dort eine Geisterarmee für ihre Sache zu gewinnen (ca. ab 1:44:00/DVD1). Auch hier zieren Runen den Höhleneingang (Ill. 8). Bei ihnen handelt es sich jedoch im Gegensatz zu den Inschriften der Türen von Durin nicht um eine abstrakte Symbolschrift. Stattdessen erinnern sie vielmehr an gegenständliche Höhlenmalereien, die Pferde, Bogenschützen und ein großes Auge abbilden. Es scheint sich dennoch um Schriftzeichen zu handeln, die auf etwas verweisen, was sie nicht selbst sind. Legolas übersetzt: „Der Weg ist versperrt. Er wurde angelegt von jenen, die tot sind. Und die Toten halten ihn. Der Weg ist versperrt.“ Eindeutig handelt es sich hierbei um einen Warnhinweis, der aufgrund der Wiederholung des ersten Satzes nicht ausdrücklicher hätte formuliert werden können. Interessanter ist jedoch die Frage nach dem Autor dieser Botschaft, der sich erstens einer sehr urtümlichen Schrift bedient und der zweitens vermutlich in Verbindung zu den Toten steht, die den Weg versperren. Es liegt nahe, dass die Toten selbst die Runen in den steinernen Torbogen geschlagen haben, was die Schriftzeichen als Kommunikationsmedium zwischen Lebenden und Toten charakterisiert. Schrift ist zwar per se prädestiniert dafür, zwischen den ungleichzeitigen Positionen von Autor und Leser zu vermitteln, weshalb eine (zumindest einseitige) Kommunikation zwischen den Beteiligten auch nach dem Tod des Autors noch möglich ist. Es kann jedoch ausschließlich das gelesen werden, was der Autor noch vor seinem Tod geschrieben hat. Mittelerde lehrt uns jedoch, dass selbst der Tod dem Schreiben kein Ende setzt, und dass die dabei entstehende Schrift den ruhelosen Seelen Präsenz und Macht in der diesseitigen Welt verleiht, indem sie als materieller Träger eines immateriellen Willens fungiert. Wenn die Toten Wege anlegen und dies darüber hinaus auch noch schriftlich verkünden können, werden sie ebenso in der Lage sein, ihre Wege zu halten und Eindringlinge abzuwehren. Die beschriebene Szene rekurriert auf Diskurse, die sich um 7 schriftliche Geisterkommunikation (wie Gläserrücken) und Flüche ranken, wobei der Zeit konservierende Charakter der Schrift aufgegriffen und ins Übernatürliche übersteigert wird. C) GESCHICHTSSCHREIBUNG Neben dem Spurcharakter und der übersinnlich-magischen Bedeutung der Schrift wird in „Der Herr der Ringe“ vor allem auch ihre Speicher- und Erinnerungsfunktion beleuchtet. Tolkiens Erzähluniversum ist riesig und deshalb unmöglich im Laufe einer einzigen Geschichte vollständig zu beschreiben. Es bedarf einer intradiegetischen Geschichtsschreibung, die in regelmäßigen Abständen kleine Puzzleteile aus der Historie Mittelerdes in die Haupthandlung miteinfließen lässt, um die Komplexität dieser Welt glaubhaft zu machen. Die filmisch umgesetzten Schreibakte erfüllen demnach zum einen kulturkonstituierende Funktionen für ein detailreiches Worldbuilding und treten zum anderen als Akte in Erscheinung, „in denen Erinnerungen, Erfahrungen und Wissensbestände produziert, artikuliert und organisiert werden“ (ZANETTI: 7). Geschichtsschreibung soll innerhalb dieser Arbeit die Archivierung biografischer Daten einzelner Charaktere ebenfalls mit einschließen. In der ersten Szene von „Die Gefährten“ rekapituliert Galadriel die Geschichte des Rings, die sich parallel zu ihren Worten aus dem Off filmisch entfaltet. Obwohl sie sich aufgrund ihres hohen Alters an die Geschehnisse im vorigen Zeitalter erinnern kann, unterstreicht sie mit ihren Worten „Geschichte wurde Legende. Legende wurde Mythos“ die Flüchtigkeit der Erinnerung und die Macht des Vergessens, durch welche das vergleichsweise sehr kurzlebige Menschengeschlecht gezwungen ist, wichtige historische Ereignisse aufzuschreiben. Auch wenn die Schrift hier nicht bildlich in Erscheinung tritt, wird sie dennoch als Medium zur Externalisierung des Gedächtnisses beschrieben. Ohne die schriftliche Archivierung der Geschichte bestünde stets die Gefahr, dass das verloren geht, „was nicht in Vergessenheit hätte geraten dürfen“. In der Welt der Sterblichen gibt es ohne Historiografie keine sich weiterentwickelnde Kultur, da diese auf Traditionen aufbaut, welche über Jahrhunderte hinweg konserviert werden müssen (Ill. 9). Dies mag bei den Elben und anderen unsterblichen Fantasiegestalten ohne den Einsatz von Medien und über mündliche Überlieferung möglich sein, doch stößt die orale Tradierung von Wissen bei den Sterblichen auf unüberwindbare Grenzen. Um nicht zu vergessen, müssen sie schreiben. Auf die Exposition folgt eine neue Szene, in der Bilbo sich sogleich daran macht, sein persönliches Gedächtnis zu externalisieren und die Erinnerung an sein größtes Abenteuer zu 8 Papier zu bringen (ca. ab 0:07:15). Die Kamera fährt langsam durch Bilbos Hobbithöhle, in der sich Bücher und Landkarten nur so stapeln und kommt in seinem Arbeitszimmer zum Stehen. Währenddessen erfahren wir durch Bilbos Off-Kommentar die historischen Rahmendaten der bevorstehenden Geschichte, sprich deren Zeit und Ort. Der Raum, in dem Bilbo sitzt, ist wie schon der Vorraum angefüllt mit Büchern und losen Zetteln, die den Schreibtisch vollständig bedecken (Ill. 10). Die Stapel auf dem Tisch ragen derart empor, dass kaum noch Tageslicht durch das kleine Bogenfenster in die Kammer dringen kann. Durch die Überfüllung des Zimmers entsteht der Eindruck einer isolierten, in sich geschlossenen Schreibszene, in die Bilbo sich zurückzieht, um seinen Geist auf das zu richten, was sich hinter dem kaum zu sehenden Fenster befindet: das Auenland und die endlosen Weiten Mittelerdes. Die Geschichte wird an einem Ort geschrieben, der dem Ort des erzählten Geschehens nicht unähnlicher sein könnte. Bilbos Arbeitszimmer ist klein, beklemmend und abgeschieden, aber es wirkt vor allem aufgrund des Kaminfeuers und der rustikalen Einrichtung auch heimelig und sicher. Die Schauplätze von „There and Back Again – A Hobbit’s Tale“ sind hingegen riesig und gespickt mit Gefahren. Auch über seine räumliche Rahmung hinaus wird der Schreibprozess in all seinen Bestandteilen überwiegend in Großaufnahme verbildlicht. Bilbos Hand hält eine Feder, die seinen Namen unter den Titel des Buches setzt (Ill. 11). Er blättert um und hält beim Anblick der noch leeren Seite inne. „Tja, wo fange ich an?“ – Eine typische Frage, die sich jeder Autor stellt, bevor er zu schreiben beginnt. In ihr spiegeln sich die kognitiven Vorgänge des Erinnerns und des Ordnens des Erinnerten wider, da in einer schriftlich ausgearbeiteten Biografie die einzelnen Erinnerungen nicht nebeneinander stehen können, sondern sukzessiv aufeinander folgen müssen. Außerdem müssen aus der ungeordneten Vielzahl an Erinnerungen stets die wichtigsten ausgewählt werden. So taucht Bilbo nach kurzem Überlegen seine Feder in ein Tintenfass (Ill. 12), um seine Geschichte mit der ersten Überschrift „Concerning Hobbits“ zu eröffnen. Mit dem Schreiben der Worte und ihrer verbalen Aktualisierung durch Bilbos Stimme verlassen wir die Schreibszene und finden uns mitten in einer Filmszene wider, in der die Worte des Autors sich in bewegte Bilder verwandeln, welche die Welt der Hobbits ethnografisch darstellen. „Hier wird das Schreiben als Ausgangspunkt und Verursachung filmischer Imagination in Szene gesetzt und reflektiert“ (GRAMPP: 2). Grampp konstatiert für das Verhältnis von Schrift und Film in diesem Zusammenhang, dass die Schrift vor allem die bereits angesprochene Erinnerungsfunktion erfülle, während der Film „das ideale Medium [sei], um solche 9 Erinnerungen darstellbar zu machen“ (vgl. GRAMPP: 10 f.). Der Film macht das sichtbar, was sich in den Köpfen von Autor und Leser beim Produzieren und Rezipieren eines Textes abspielen mag. Er belebt und bewegt das „tote“, stillstehende Wort. Auf diese Weise wird deutlich gemacht, dass das filmische Geschehen sich auf eine geschriebene Vorlage bezieht und seinerseits weitere Schreibprozesse anstößt. Am Ende des letzten Teils schließt sich der Kreis, wenn Frodo Bilbos Vermächtnis fortsetzt und seine eigene Abenteuergeschichte „The Lord of the Rings“ vollendet, und zwar im selben Arbeitszimmer, in dem auch „There and Back Again“ begonnen worden ist (Ill. 13). Die Schreibsituation wird am Ende wieder aufgegriffen, um „Anfang und Ende der filmischen Erzählung in einer Kreisbewegung zu umschließen“ (GRAMPP: 3) und den Schreibrahmen der gesamten Filmtrilogie somit erneut hervorzuheben. Frodo tritt dabei als Schöpfer jener Geschichte auf, die der Zuschauer im Laufe der drei Filme gesehen hat und die scheinbar retrospektiv entfaltet worden ist. Das Geschriebene geht dem Filmischen so gesehen voraus. Allerdings gibt Frodo das Buch seines Onkels an seinen treuesten Freund Sam weiter, damit dieser die letzten leeren Seiten füllen kann. Die Zukunft bleibt also offen, und die Geschichte hat ihr Ende noch nicht erreicht, sondern wartet lediglich darauf, fortgeschrieben zu werden. Doch beginnt jede geschriebene Geschichte mit einer vorschriftlichen Idee, die möglicherweise wie die Märchen der Gebrüder Grimm oder alte Sagen und Legenden zunächst mündlich zirkuliert, bevor sie irgendwann schriftlich fixiert wird. In der letzten Szene von „Die zwei Türme“ fragt Sam sich, ob es eines Tages auch über Frodo und ihn Lieder oder Geschichten geben würde (ca. ab 1:40:00/CD2). Er malt sich aus, wie er seinen Kindern von Frodo und dem Ring erzählen würde, woraufhin Frodo entgegnet, dass Sam eine der Hauptfiguren ausgelassen hätte, und zwar sich selbst – Samweis, den Beherzten. Am Ende von „Die Rückkehr des Königs“, als Frodo „The Lord of the Rings“ beendet, ist für kurze Zeit eine Seite im Bild zu sehen, auf der von Sams Mut und seiner Rolle in der Geschichte die Rede ist (Ill. 14). Der Übergang von der Oralität zur Literalität hat stattgefunden. Die möglichen Erzählungen, die Frodo und Sam noch während ihres Abenteuers in die Zukunft projizieren, werden wenige Jahre später tatsächlich niedergeschrieben, um auf ewig erinnerungsfähig zu bleiben. Der Weg der Geschichtsschreibung, der in den beiden Szenen nachgezeichnet wird, führt demnach vom konkreten Erleben über die mündliche Überlieferung bis hin zur schriftlichen Konservierung für die Nachwelt. In der Form eines andächtigen und reflexiven Schreibaktes bezieht sich der Film an seinem Ende auf eine frühere Szene zurück, in der dieses Ende lediglich erwartet beziehungsweise erhofft werden 10 kann. Die Rückbesinnung auf eine Zeit mit einer unsicheren Zukunft kann das befriedigende Gefühl verstärken, das man hat, wenn sich am Ende einer Geschichte alles zusammenfügt. Das (vorläufige) Happy Ending in Frodos Buch ist dabei dem des Films gar nicht unähnlich. Film und Buch enden beide im Medium der Schrift (Ill. 15). III. LETZTE WORTE Tolkiens schriftliches Vermächtnis ist riesig und Mittelerde eine der wohl komplexesten fiktionalen Welten, die je erdacht worden sind. Seinen Detailreichtum verdankt das TolkienUniversum vor allem seiner minutiös ausgearbeiteten Hintergrundgeschichte, die mehrere Jahrhunderte und zahlreiche unterschiedliche Kulturen umfasst. Den Filmemachern gelingt es, einen Teil dieser vielschichtigen Welt auf die Kinoleinwand zu bringen und auch über die Haupthandlung hinaus immer wieder auf den historischen und kulturellen Kontext zu verweisen, in den die eigentliche Erzählung eingebettet ist. Die Schrift ist für diese Zeichnung der Welt und ihrer Bewohner ein ideales Medium, da sie die Geschichte festhält und in die (diegetische) Gegenwart transportiert, wo sie wiederentdeckt und dem Zuschauer filmisch nahegebracht werden kann. In den Darstellungen von Schrift und Schreiben verdichten sich zahlreiche Facetten Mittelerdes, die ohne sie kaum darstellbar gewesen wären. BIBLIOGRAFIE Grampp, Sven. „Schreibwerkzeuge im Film. Pinsel, Feder und Schreibmaschine“. In: Kirchmann, Kay/ Ruchatz, Jens (Hg.). Medienreflexion im Film. Bielefeld, 2014 (im Druck). Zanetti, Sandro. „Einleitung“. In: Ders. (Hg.). Schreiben als Kulturtechnik. Grundlagentexte. Berlin, Suhrkamp, 2012. FILMOGRAFIE Jackson, Peter. Der Herr der Ringe. Special Extended Edition. USA: New Line Cinema, 2007. 11 12 13 14 15 16