Potsdamer Theaterpreis_Laudatio von Hinrich

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Potsdamer Theaterpreis_Laudatio von Hinrich
Potsdamer Theaterpreis 2015 – Laudatio auf Melanie Straub
von Dr. Hinrich Enderlein
Es gibt Theaterstücke, die sich so einprägen, dass man völlig überzeugt ist, die
Idealbesetzung und -inszenierung gesehen zu haben. So geht es mir mit Melanie
Straubs Doralice in »Wellen« von Eduard von Keyserling in der Inszenierung von
Barbara Bürk. Das kann man nicht besser spielen, diese unglaubliche Bühnenpräsenz, mit der sie Mitspieler und Publikum gleichermaßen in ihren Bann zieht und
dabei die Sprache zelebriert. Eine Sternstunde von und für Melanie Straub. Seit mehr
als 10 Jahren spielt sie jetzt im Ensemble von Tobias Wellemeyer, zunächst in
Magdeburg und seit der Spielzeit 2009/10 hier am Hans Otto Theater in Potsdam.
Und sie hat Rollen gespielt, die ihr auf den Leib geschneidert sind: Effie Briest, Lady
Macbeth, Maria Stuart, die Iphigenie und Emilia Galotti, Blanche Dubois, die
Katharina in »Der Widerspenstigen Zähmung« und eben die Doralice in »Wellen«.
Und immer hat sie sich voll ausgegeben, war sie am Ende ihrer Kraft, hat erneut Kraft
geschöpft durch ihre unglaubliche Emotionsbereitschaft.
Geträumt hat sie schon früh von einer Schauspielkarriere. Aber da gab es ein
Hindernis. Mitspielen wollte sie schon, aber sie hat sich nicht getraut zu sprechen.
Angesichts ihrer sprachgewaltigen Auftritte heute ist das kaum vorstellbar. Aber sie
wäre nicht Melanie Straub, wenn sie ihren Weg nicht gefunden hätte und gegangen
wäre. Sie hat sich quasi selbst überlistet und zunächst Pantomime gespielt. Da
musste man ja nicht sprechen. Und dann war doch in einer Vorstellung ein Wort zu
sagen und der Knoten war geplatzt. Sie konnte es. Im Gespräch schildert sie diese
Episode mit einem feinen Lächeln, hinter dem eine immer noch spürbare Portion
Erleichterung aufscheint. »Ernst Busch« konnte kommen und hat ihr natürlich die
Reste ihres schwäbischen Rems-Murr-Idioms aus Fellbach und Waiblingen
ausgetrieben, nachdem sie sich mit Shakespeares Puck, Fontanes Effi Briest und
Sartres »Geschlossene Gesellschaft« erfolgreich beworben hatte. Seitdem ist die
Sprache für sie natürlich das Handwerk, aber auch die Vollendung.
Sie liebt die Klassiker und die großen Dramatiker – wegen der Sprache, aber auch
wegen der großen Charaktere. Bei Tennessee Williams schätzt sie die Tiefe und die
Entwicklung der Charaktere, bei Tschechow das Tragisch-Komische, bei Kleist die
Sprache. Sie selbst will sich nicht auf einen Typ festlegen lassen. Das zeigt im Übrigen
auch ihr breit angelegtes Repertoire. Rollen, die sie reizen, sind die eher sperrige
Kunigunde in Kleists »Käthchen von Heilbronn« oder Ibsens Hedda Gabler,
Gestalten der griechischen Sagen, wie Kassandra in der Variante von Christa Wolf
und O‘Neills Elektra. Es gibt natürlich auch Rollen, Charaktere, die sie nicht mag.
Aber schließlich sind alle Stücke eine Herausforderung. Was sie ganz klar ausspricht,
ist, dass für sie das Spiel mit dem Partner das Maß aller Dinge ist. Monologe schätzt
sie dagegen nicht übermäßig.
Das Ensemble ist ihre Heimat, sie ist eine bekennende Ensembleschauspielerin und
hat gern die Rolle der Sprecherin des Ensembles übernommen. Soziale Kompetenz
und schauspielerischer Ehrgeiz ergänzen sich. Ihre Figuren, die Bühne, das
Ensemble, das Publikum, sie alle wissen, dass Melanie Straub ihre ganze souveräne
Ausstrahlung in das Gelingen jeder Aufführung einbringt. Dabei ist sie immer noch
vor jeder Premiere unglaublich aufgeregt. Vielleicht ist das ein Geheimnis ihrer
einmaligen Ausstrahlung.
Melanie Straub spielt nicht nur Theater. Sie liebt ihre Figuren, sie lässt sie sprechen
und sie wird so zum Mittler zwischen Autor, Ensemble und Publikum. Für das
Publikum sind Identifikationsfiguren wie Melanie Straub der entscheidende Schritt
in die Welt des Theaters hinein. Wohl dem Theater, das solche großartigen, kontaktliebenden Menschen hat, die Sprache und Ästhetik, aber auch Lebensumstände und
Konfliktkonstellationen der Autoren über die berühmt berüchtigte Bühnenrampe
bringen und im wahrsten Sinne des Wortes bei den Menschen landen. Das ist Theater
in der Stadt, wie es Frau Seemann eindringlich beschrieben hat und wie es Melanie
Straub ganz nachhaltig und meisterhaft verkörpert.
Bei alledem steht sie mitten im Leben, auch als Mutter und Partnerin. Dass kleine
Kinder eine große Herausforderung gerade für eine Schauspielerin sind, glaubt jeder
sofort. »Da muss man schon sehr gut organisiert sein«, sagt die Mutter zweier Kinder
und Frau ihres Ensemblekollegen Wolfgang Vogler. Denn die sehr eigenen Zeittakte
eines Theaters wollen erst einmal mit den Belangen von Familie und Kindererziehung zwischenmenschlich und logistisch vereinbart werden, »morgens, abends
und in der Nacht«.
In Potsdam ist sie längst angekommen. Sie lebt gern hier und genießt es, am Theater
neue Möglichkeiten zu haben, ganz andere als etwa in Magdeburg. Für Potsdam ist es
ganz wichtig, dass die Ensemblekultur, die mit Tobias Wellemeyer einen neuen
Höhepunkt erlebt, sich definitiv durchsetzt und auch kulturpolitisch endgültig
akzeptiert wird. Und Melanie Straub verkörpert dieses Theaterleben, das für eine
Kulturstadt wie Potsdam lebensnotwendig ist, begeisternd. Denn sie ist in vielem ein
Spiegel dieser Stadt. Und hier zitiere ich die Laudatio für Melanie Straub des OttoKasten-Preises 2009, die freilich Melanie Straubs Bezug zur Stadt Potsdam nicht
ahnen konnte: »Sie ist modern und unzeitig, verletzlich und maßlos, gefährlich und
gefährdet, tragisch und komisch – ein Glücksfall für das Theater«, und ich füge
hinzu: eine kongeniale Protagonistin für die Stadt Potsdam.
Ich schließe mit einem Zitat von Melanie Straub, das uns noch einmal ihre geerdete
Ästhetik anschaulich auf den Punkt bringt: »Ich mag es, Geschichten zu erzählen,
den ganzen Sandkasten auszubuddeln, auch mal jemanden mit der Schippe zu hauen,
alles auszuleben, was man sonst nicht mehr darf, und das möchte man teilen.«
Melanie Straub, wir danken Ihnen, dass Sie es mit uns teilen!
Dr. Hinrich Enderlein ist Vorstandsmitglied des Förderkreises »Hans Otto Theater« e. V. Die Laudatio wurde
gehalten anlässlich der feierlichen Preisverleihung des »Potsdamer Theaterpreises - Preis des Förderkreises
Hans Otto Theater e. V.« an die Ensembleschauspielerin Melanie Straub am 21. April 2015 im Neuen Theater.