WMF Buch Kapitel1

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WMF Buch Kapitel1
Daniel Straub
Ein Unternehmer verändert seine Welt (1853)
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KAPITEL
Die Vorgeschichte der
Metallwarenfabrik Geislingen
Im Juli 1854 stellte auf der Münchener Industrieausstellung ein kleines Unternehmen aus
Geislingen zum ersten Mal seine Metallwaren
aus – „ein Sortiment schöner silberplattierter
Waren“, wie der heimische Alb- und Filsthalbote anerkennend schrieb. Straub & Schweizer,
so der Name der jungen Firma, hatte allerdings
noch keinen eigenen Stand auf der Messe.
Vielmehr übernahm die bereits gut eingeführte
Göppinger Fabrik von Rau & Cie., später eine
wichtige Konkurrentin von Straub & Schweizer,
exklusiv den Vertrieb.
Seit 1853 produzierte die Metallwarenfabrik
Straub & Schweizer in Geislingen ihre Waren,
und innerhalb von einer Generation wuchs aus
dem kleinen Betrieb ein weltweit agierendes
Unternehmen. Heute, 150 Jahre später, ist die
Württembergische Metallwarenfabrik WMF
eine Weltmarke.
Das früheste Bild der Metallwarenfabrik
Straub & Schweizer in Geislingen. Auf dem
Ölgemälde von Albert Kappis beherrscht
noch die idyllische Landschaft die Szene.
Daniel Straub, der Gründer der WMF, wird
zu Recht „der zweite Gründer Geislingens“ genannt. Seine Tatkraft, mit der er zwei Fabriken
– die spätere MAG und die WMF – gründete,
machten aus dem verschlafenen Ort am Rande
der Schwäbischen Alb eine moderne Stadt.
Seine unternehmerische Initiative und die
Chancen, die ihm die Zeit bot, machten ihn
und die spätere WMF erfolgreich.
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150 JAHRE WMF
Ein Fabrikgründer mit „altem“ Geld
Rückblende. Daniel Straub wurde am 1. Juli
1815 als Sohn des Geislinger Schimmelmüllers
Caspar Straub geboren. 1815 war ein Jahr von
historischer Bedeutung: Nach dem Sieg der
europäischen Koalitionsmächte gegen das
napoleonische Frankreich versuchten die
Sieger auf dem Wiener Kongress eine neue
europäische Ordnung zu etablieren. Von dieser
neuen Ordnung profitierten vor allem die
Großmächte – Österreich, England, Russland
und Preußen. Im Flickenteppich der deutschen Kleinstaaten konnten sich daneben
nur noch die mittleren Staaten mit
ihren Interessen durchsetzen. Sie
hatten mit Napoleons Hilfe ihr
Territorium erheblich erweitert,
und der Kongress akzeptierte die
Veränderungen der politischen
Landkarte, die Napoleon mit
militärischer Macht durchgesetzt
hatte. Zu diesen mittleren Staaten
gehörte neben Baden und Bayern
auch Württemberg, das sein Staatsgebiet
zwischen 1800 und 1813 nahezu verdoppeln konnte.
In den Jahren zwischen 1800 und 1850 veränderte sich aber nicht nur die Landkarte
Deutschlands: Grundlegende politische Reformen, der Fortschritt von Technik und Wissenschaft und das steigende Selbstbewusstsein der
Bürger veränderten das Leben der Menschen.
Daniel Straub. Der selbstbewusste Fabrikgründer
lässt sich – ganz modern – fotografieren.
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KAPITEL
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Die alten Fürstentümer verwandelten sich
langsam in moderne Staaten und aus Untertanen wurden im Laufe des 19. Jahrhunderts
Staatsbürger. Während die Französische Revolution die politische Gleichheit aller Bürger
gefordert hatte, ermöglichte die Dampfmaschine
eine völlig neue Wirtschaft – die Fabrik verdrängte immer mehr alte Handwerksbetriebe.
Die Eisenbahn ermöglichte Reisen, die für
die meisten Menschen vorher kaum vorstellbar
waren, und sie förderte den Warenaustausch
in Europa – für die überall neu gegründeten
Industrieunternehmen eine wichtige Voraussetzung ihres Erfolges.
Die Schimmelmühle der Familie Straub im Rohrachtal oberhalb
von Geislingen
Ein frühes Familienfoto:
Caspar Straub mit seinen Söhnen
Daniel und Lukas
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Wasserkraft durch den Einsatz von Nockenwellen auch für andere Gewerbe eingesetzt
werden. Dies war eine Tradition des Maschinenbaus, die auch für die Entwicklung von
Daniel Straub wichtig war. Denn bereits als
Kind war er ein Bastler und baute im Kleinen
die Wasserräder und Getriebe der väterlichen
Mühle nach.
Die Kapellmühle in Geislingen
Vom Wert der Mühlen
Daniel Straub lebte also in einer Welt, die
sich immer rasanter veränderte. Als Müllersohn brachte er gute Voraussetzungen mit,
um in dieser Welt weit reichende Pläne zu
entwickeln und umzusetzen. Denn die Müller
gehörten traditionell zu den wohlhabenden
Bürgern. Im Mittelalter zwang der „Mühlenbann“ die Bauern der Umgebung, bei einem
bestimmten Müller mahlen zu lassen. Die
Grundherren ließen sich dieses Mühlenrecht
gut bezahlen, aber auch die Müller profitierten
als Pächter davon. Häufig vererbten sie ihre
Stellung und wurden auf diese Weise zu
reichen Familien. Kein Wettbewerb konnte
ihnen die Preise verderben.
Vor allem besaßen die Müller aber das, was
die entstehende Industrie am dringendsten
benötigte: Energie. Vor der Erfindung der
Dampfmaschine im Jahr 1769 durch den
Engländer James Watt unterstützten allein
Wind, Wasser oder Tiere die menschliche
Kraft. Bereits seit der Antike wurden
Getreidemühlen mit Wasserkraft betrieben,
und im Laufe des Mittelalters konnte die
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In der Umgebung von Geislingen gab es
entlang der Rohrach zwölf Mühlen. Der Fluss
hatte ein starkes Gefälle, so dass die Wasserkraft noch bis in die Ebene hinunter stark
genug war, und verschiedene Geländeterrassen
boten am Lauf der Rohrach den notwendigen
Platz für die Mühlen. Außer der Kapellmühle,
die direkt in Geislingen nahe der Stadtkirche
lag, war aber nur noch die Straub'sche
Schimmelmühle eine Getreidemühle, für
die der Mühlenbann galt. Sie war die
vorletzte Mühle talaufwärts, kurz vor der
Höhe der Schwäbischen Alb. Noch heute
übrigens wird die Mühle von der Familie
Straub betrieben – ein Familienbetrieb mit
350-jähriger Geschichte.
KAPITEL
Geld kommt zu Geld
Am 26. Juli 1836 heiratete Daniel Straub
Catharina Oechsle, die Tochter des Geislinger
Kapellmüllers. Die Verbindung dieser beiden
Müllerfamilien war vor allem wirtschaftlich
zweckmäßig, denn damit kamen die beiden
örtlichen Getreidemühlen zusammen. Der
Kapellmüller Oechsle hatte zwei Töchter und
suchte einen geeigneten Nachfolger für seinen
Betrieb. Das junge Paar wurde daher bei der
Hochzeit finanziell so gut ausgestattet, dass es
die Kapellmühle kaufen konnte. Catharina,
acht Jahre älter als ihr Mann, brachte ein
Vermögen von 4.730 Gulden in die Ehe ein,
Daniel Straub selber besaß 5.790 Gulden. Zusätzlich erhielten die beiden von ihren Eltern
ein zinsfreies Darlehen von 9.000 Gulden, so
dass sie am Ende für den Kauf der Kapellmühle
noch 10.500 Gulden in bar bezahlen mussten.
Dieser Kauf fand noch im selben Jahr 1836
statt.
unterstützt. Daniel Straubs Ehrgeiz, die Mühle
weiterzuentwickeln, war aber noch lange nicht
gestillt: 1841 richtete er im Nebengebäude der
Mühle eine Walzen-Malzbruchmaschine ein,
und seine Begründung für diese Erweiterung
deutete an, was er noch vorhatte. Über den
eigentlichen Zweck der Getreidemühle hinaus
wollte Straub einen „besseren gewerblichen
Betrieb“ erreichen. Er wollte Größeres.
Zur selben Zeit gelang es Straub, durch die
Kanalisierung der Rohrach auf den sogenannten Lauffenwiesen unterhalb von Geislingen
ein Gefälle von immerhin 8 Metern auf
60 Metern Flusslauf zu erzeugen. Straub plante
anfangs, diese beachtliche Wasserkraft für eine
industrielle Nutzung zu verkaufen. Gegenüber
der Kreisregierung betonte er: „Die Errichtung
einer Fabrik liegt mir schon aus Rücksicht für
meine Vaterstadt am Herzen.“
Das junge Paar war also wohlhabend, wie
schon die Familien, aus denen sie stammten.
Mit der Kapellmühle besaßen die beiden
ein einträgliches Geschäft. Anders als die
Straub’sche Mühle oben im Rohrachtal lag
die Kapellmühle direkt in Geislingen gegenüber der Stadtkirche. Außerdem gehörte zur
Mühle eine umfangreiche Landwirtschaft.
Die Schwiegereltern von Daniel Straub
wurden auf Lebenszeit in der Kapellmühle
angestellt – im damaligen Sprachgebrauch:
sie dingten sich ein.
Bereits 1838 baute Daniel Straub die Kapellmühle zur „Kunstmühle“ um: Das bedeutet,
die steinernen Mühlräder wurden durch effektivere Eisenwalzen ersetzt. Diese Mühlenform
war modern und wurde seit 1831 von der
württembergischen Regierung ausdrücklich
Bauplan der Kapellmühle
in Geislingen
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Mit Dynamit, Schaufel, Hacke und Spaten
wurde die Eisenbahnstrecke gebaut.
Das Bild zeigt Trassierungsarbeiten beim
Bau der Eisenbahnstrecke Ditzingen –
Leonberg – Weil der Stadt. Ähnlich sah
es beim Bau der Geislinger Steige aus.
Michael Knoll, der Ingenieur
der Geislinger Steige.
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Eisenbahnbau an der Geislinger
Steige. Mit alten Beziehungen in
die neue Zeit
Im August 1846 begannen die Vorarbeiten
für den Bau der Geislinger Steige. Familienverbindungen brachten Daniel Straub zum
Bahnbau, denn die Leitung für den Bauabschnitt zwischen Esslingen und Ulm hatte sein
Vetter Michael Knoll. Knoll schlug Daniel
Straub vor, sich am Eisenbahnbau zu beteiligen. Noch bevor im März 1847 die Teilstrecke
Geislingen-Urspring in sieben Bauabschnitten
ausgeschrieben wurde, starb Daniel Straubs
Vater und Daniel erbte insgesamt fast 25.000
Gulden. So hatte er plötzlich genügend Geld,
um sich unbesorgt am Eisenbahnbau beteiligen
zu können.
Den Bauabschnitt Steige übernahmen Daniel
Straub, Georg Buck, der Schultheiß von
Stubersheim und zugleich Gründer und
Vorstand der dortigen Leih- und Sparkasse,
sowie der Geislinger Oberamtspfleger Jakob
Friedrich Zeh. Die drei Bauherren teilten die
Aufgaben untereinander auf: Buck kümmerte
sich um die Erd- und Felsarbeiten, Zeh übernahm die finanzielle Abwicklung und Daniel
KAPITEL
Straub die technische Ausrüstung mit Werkzeugen und Geräten. Bei der Ziegelhütte oberhalb der Steige errichteten sie einen zweistöckigen Verwaltungsbau, mehrere Werkstattgebäude
mit Schmiede und Wagnerei sowie mehrere
Geschirrhütten zur Aufbewahrung der Maschinenteile.
Das Projekt des Steigenbaus beeindruckt auch
heute noch und noch immer ist der Abschnitt
zwischen Geislingen und Amstetten eine der
steilsten Eisenbahnstrecken Mitteleuropas.
Bereits seit Frühjahr 1846 bereiteten zahlreiche
Arbeiter in Geislingen die Strecke vor. Um die
erforderliche Steigung überhaupt bewältigen zu
können, musste bereits der Geislinger Bahnhof
sehr hoch liegen. Daher wurde die Bahnlinie
auf einem aufgeschütteten Damm in einem
großen Bogen um die heutige Stadt herumgeführt. Auf der eigentlichen Steige mussten
zahlreiche Felsen gesprengt und große Mengen
Erde bewegt werden. Gerade auf der Höhe
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der Straub’schen Schimmelmühle fand die
spektakulärste Sprengung statt, als der sogenannte Mühltalfelsen beseitigt wurde. Insgesamt waren 1847 mehr als 3.000 Menschen
am Steigenbau beteiligt – und das in einer
Stadt, die damals kaum mehr als 2.300 Einwohner hatte. Ausgerechnet in diesen turbulenten Jahren führten zusätzlich schwere Missernten zu Hunger und Entbehrung; die Unzufriedenheit mit der Regierung wuchs und die
1848er Revolution in Württemberg stand kurz
bevor. Trotzdem gelang der Bau und wurde
begeistert gefeiert. Am 29. Juni 1850 verließ
im Jubel der Festgäste der erste Zug den
Geislinger Bahnhof und arbeitete sich den
Berg hinauf nach Amstetten. Auch für die drei
Bauherren hatte sich der Steigenbau gelohnt:
Jeder von ihnen hatte rund 30.000 Gulden an
dem Projekt verdient. Daniel Straub, der
bereits mit der Kapellmühle erfolgreich war,
konnte sich nun als Maschinenbauer ein
weiteres Standbein verschaffen: die MAG.
1850: Ein Reisezug auf der
neu gebauten Geislinger Steige
kurz vor der Albhochfläche.
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150 JAHRE WMF
Die Maschinenfabrik – die spätere MAG
Als 1849/50 der Steigenbau zu Ende ging,
baute Straub neben seiner Kapellmühle eine
Malzschrotmühle und errichtete außerdem
eine Schmiedewerkstätte und eine „mechanische Arbeitsstätte“ – einen Arbeitsplatz mit
Kraftanschluss. Die Anregung dazu kam
erneut von Michael Knoll, der vorgeschlagen
hatte, eine „Spezialwerkstätte für Reparaturen
von Werkzeugen und technischen Geräten
aller Art“ einzurichten, bei der Straub seine
Fähigkeiten als Techniker und Maschinenbauer
einsetzen könnte. Diese Werkstätte wurde
zur Keimzelle der Geislinger Maschinenfabrik,
der späteren MAG, die schließlich 1929 von
der Heidelberger Druckmaschinen AG
übernommen wurde. Heute liegt das Werk
der MAG in Amstetten oben auf der Alb.
Zwischen 1853 und 1858 investierte Straub
fast 20.000 Gulden in neue Maschinen.
Die Werkstatt wurde zur mechanischen
Eisendreherei ausgebaut. 1856 baute Straub
neben der Dreherei eine Maschinenwerkstatt
mit Schmiede und eigener Modellschreinerei
und 1863/65 entstand daneben eine eigene
Eisengießerei. Sie wurde erstmals nicht durch
Wasserkraft, sondern von einem „Lokomobil“,
einer Dampfmaschine, betrieben.
Auf dem Gelände der Kapellmühle und zugekauften Nachbargrundstücken war nun ein
großer Komplex aus Mühle, Dreherei (beide
betrieben von insgesamt vier Mühlrädern) und
dampfbetriebener Eisengießerei entstanden.
1870 schließlich wurde für die wachsende
Maschinenfabrik ein neues Gebäude jenseits
von Rohrach und Flößgraben gebaut und
zugleich die Kunstmühle in das Drehereigebäude verlegt.
KAPITEL
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Blick auf Geislingen um 1860. Im Vordergrund ist die Kapellmühle
mit der Maschinenfabrik von Daniel Straub zu sehen.
Straub war jetzt ein erfolgreicher Maschinenfabrikant. Sein Unternehmen stellte Mühlenund Sägewerkseinrichtungen her und Straub
entwarf mit seinen Ingenieuren Turbinen,
Pumpen, Tangentialräder oder Transmissionen
für Webereien und andere Fabriken mit
Dampfmaschinen. Für ein acht Meter großes
Mühlrad, das auch bei geringer Wassermenge
noch optimal arbeitete, erhielt das Unternehmen 1873 die Fortschrittsmedaille der
Wiener Weltausstellung. Das Rad wurde in
der väterlichen Schimmelmühle aufgestellt
und war so robust gebaut, dass es noch bis
1950 dort in Betrieb war. Bis dahin benötigte
es keine einzige Reparatur!
Was aber wollte Straub mit der Wasserkraft,
die er auf den Lauffenwiesen unterhalb
Geislingens gewonnen hatte? Auch auf diesem
seit 1840 zusammengekauften Grundstück
begann er zu bauen: 1850 errichtete er hier
ein zweistöckiges Wirtschaftsgebäude mit
Mehlmagazin, Ställen, Kellern und einem
mechanischen Drehsaal. Und noch im selben
Jahr baute er ein Waschhaus und eine Branntweinbrennerei. 1852/53 reifte bei Straub
schließlich der Plan zu einer weiteren Fabrik.
Auf der Weltausstellung in Wien präsentiert
Straub sein „Zuppinger-Rad“.
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