Auslandssemester an der Universidad del Valle in Cali, Kolumbien

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Auslandssemester an der Universidad del Valle in Cali, Kolumbien
Auslandssemester an der Universidad del Valle in Cali, Kolumbien
Nachdem ich einige Länder Südamerikas auf einer Reise kennengelernt und die ersten
Brocken Spanisch aufgeschnappt hatte, habe ich Lust bekommen, ein Auslandssemester in
Lateinamerika zu verbringen. Die Uni Würzburg hat einige Hochschul-Partnerschaften dort,
unter anderem in Mexiko (Guadalajara, Puebla), in Peru (Lima) und eben auch Cali,
Kolumbien, worauf meine Wahl fiel.
Lange bevor die konkrete Planung angefangen hat, musste ich mich um die Formalitäten
kümmern, die einige Vorlaufzeit in Anspruch nehmen: Bewerbung beim International Office
und bei der kolumbianischen Uni, Fächerangebot der Ziel-Uni, Auslandskrankenversicherung,
Auslandsbafög, Visum und Flug. Bei der Abarbeitung dieser Punkte hat mir neben der
längsten to-do-Liste aller Zeiten auch der Kontakt zu anderen Austauschstudenten geholfen,
die entweder schon im Ausland waren oder ebenfalls ein Intercambio (Austausch)-Semester
planten. Im meinem Fall war es besonders hilfreich, dass drei weitere Würzburger
Studentinnen ebenfalls nach Cali gegangen sind, sodass wir uns gegenseitig unterstützen
konnten, die bürokratischen Hürden zu nehmen. So mussten wir beispielsweise lange auf
Mails der Uni in Cali warten und haben uns das ein oder andere Mal über deren
Arbeitsorganisation gewundert; wenn die Antworten dann aber kamen, waren sie immer
hilfreich und freundlich – eine erste interkulturelle Erfahrung. Letzten Endes ist der
organisatorische Aufwand locker zu bewältigen; vor allem, wenn man sich die Situation mit
einem normalen Arbeitnehmer vergleicht, der einen so langen Auslandsaufenthalt plant.
Einen Tipp, den ich geben kann: Bewerbt euch in jedem Fall um ein Stipendium bei Promos.
Ich hab’s nicht gemacht, und mir somit 300 € monatlich durch die Lappen gehen lassen, die
sonst jeder bekommen hat, mit dem ich gesprochen habe.
Die ersten Tage in Cali waren aufregend und abenteuerlich. Natürlich war mein Spanisch
schlechter als angenommen, aber auch das ist eine normale Erfahrung; wäre ja auch
sonderbar, wenn man nach paar Semestern Spanisch am Zentrum für Sprachen reden könnte
wie ein Muttersprachler. Glücklicherweise hat sich immer jemand gefunden, der mir bei den
täglichen kleinen Alltagsproblemen geholfen hat; hier sei gleich vorweggenommen, dass die
Kolumbianer (sofern man hier verallgemeinern darf) äußerst interessiert, hilfsbereit und offen
gegenüber Fremden sind, was das Ankommen leichter macht. Cali ist groß (ca. 2.5 Mio.
Einwohner), heiß (vor allem mittags, bevor der kühle Bergwind kommt) und innerhalb
Kolumbiens vor allem für Ausgehmöglichkeiten und den Salsa berühmt. Da es außerhalb der
Touristenströme liegt, hatte ich nicht das Gefühl, Ressentiments gegenüberzustehen oder nur
als Geldkuh gesehen worden zu sein.
Anstatt mir von Deutschland aus ein Studentenwohnheimszimmer zu organisieren, habe ich
die erste Woche in einem Hostel verbracht und mich von dort aus um eine Wohnung
gekümmert. So konnte ich erst die Stadt kennenlernen, mir einen Überblick über die
Wohnsituation und die Preise vor Ort machen und mir meinen Lieblingswohnplatz
raussuchen. Gerade in studentischen Wohnbezirken findet man überall Zimmer oder
Apartments, die vermietet werden. Ich habe gleich am dritten Tag ein Zimmer in einem Haus
mit Gemeinschaftsküche gefunden. Auch wenn man sich als Ausländer darauf einstellen
muss, bisschen mehr als Einheimische zahlen zu müssen (was bei 50-100 € Miete
verschmerzbar ist), kann ich diese Art der Wohnungssuche jedem empfehlen. In Kolumbien
unterscheidet sich der Wohnungsmarkt für Studenten ziemlich eklatant von der Situation in
deutschen Universitätsstädten.
Nach etwa zwei Wochen in Cali hat das Semester angefangen. Zwar befand sich die Uni
relativ weit weg von meinem Haus, aber das Bussystem war super und der Campus, der mit
seinem See, seinen Mangobäumen, dem Pool und den unzähligen Sportplätzen eher einem
Park als einem Unigelände gleicht, hat für die Mühe entlohnt. Da ich hier in Würzburg im 9.
Semester Lehramt für Deutsch und Geographie studiere, habe ich in Cali nur Geographiekurse
besucht, von denen ich mir nur einen Kurs anrechnen lassen konnte. Aber das liegt eher an
meinem Studienfortschritt als an dem Fächerangebot der Uni Cali. Meine Professoren haben
mich direkt in ihre Seminare integriert, sodass ich schnell ein normaler Bestandteil der Kurse
wurde. Mir kam es so vor, als sei der Studium persönlicher – die Dozenten und Professoren
nahmen sich viel Zeit für die Anliegen der Studenten und kannten viele beim Namen, obwohl
die Univalle auch ca. 25.000 Studenten hat. Die Vorlesung in der Form, wie wir sie aus
Deutschland kennen, gibt es dort nicht; eigentlich sind alle Veranstaltungen der Geographie (6
– 50 Studierende) interaktiv, was auch daran liegt, dass die Kurse 270 Minuten dauern und
wohl kein Prof dieser Welt so lange durchplaudern will. Was sich wiederum nicht vom
Studium in Deutschland unterscheidet ist die Vorbereitungszeit auf die Veranstaltungen:
Texte lesen, Essays schreiben, Präsentationen vorbereiten, Gruppendiskussionen – all das
gehört auch in Cali, Colombia, zum Studentenalltag.
Die Universidad del Valle ist die einzige staatliche Uni in Cali und traditionell politisch
aktiver als die Vielzahl der kleinen Privatunis der Stadt. Als das einzige öffentliche
Krankenhaus der Stadt, wo auch die Medizinstudenten der Univalle ihre praktische
Ausbildung erhalten, nach jahrelanger Misswirtschaft und Finanzproblemen in Folge von
Korruption kurz vor der Schließung stand, mobilisierten sich die Studenten. Als trotz
zahlreichen Kundgebungen und Demonstrationen keine Lösung für die Finanzierung des
Krankenhauses gefunden wurde, wurde auf einer studentischen Generalversammlung der
Streik ausgerufen – etwa in der fünften Semesterwoche: Alle Lehrveranstaltungen,
Exkursionen und sonstige universitäre Aktivitäten wurde abgesagt, um einerseits den Druck
auf die Universitätsverwaltung zu erhöhen (damit mehr Geld für die Rettung des
Krankenhauses gegeben werde) und um andererseits auch außerhalb der Stadtgrenzen auf
diesen sozialen Notstand hinzuweisen. Insgesamt dauerte der Streik ca. sieben Wochen. Die
unverhoffte Freizeit verbrachte ich mit Reisen durch die unterschiedlichsten
Landschaftsformen und Klimate, Basketball in der Unimannschaft und dem Kennenlernen
und Eintauchen in die Kultur der Caleños (Bewohner Calis): Salsa, Fiesta y Rumba.
Wegen des Streiks mussten allerdings auch die akademischen Pläne geändert werden.
Eigentlich war angedacht, dass ich genauso wie die anderen Studenten Präsentationen halte
und Examina schreibe. Da alle Intercambio-Studenten jedoch bis Weihnachten, also dem
eigentlichen Semesterende, die Leistungsnachweise der jeweiligen Kurse für das Visum
brauchten, hatte ich gegen Ende des Semesters jede Menge wissenschaftlicher Hausarbeiten
zu schreiben, die mich bis Weihnachten voll beansprucht haben. Für alle regulären
Studierenden wurde das Semester einfach um die sieben Streik-Wochen verlängert, bis in den
Februar hinein und somit der normale Semesterplan eingehalten.
Insofern hatte der Streik etwas Zweischneidiges; es war für mich interessant, ein so
politisches Universitätsumfeld zu erleben, bei dem selbst die Professoren zu Streiks aufrufen,
andererseits hätte ich lieber andere Prüfungsformen gehabt als fließbandmäßig Hausarbeiten
zu produzieren. Ich muss allerdings noch erwähnen, dass sowohl die Professoren als auch das
International Office der Uni Cali während dieser Zeit des Streiks eine große Hilfe waren;
befindet man sich als Austauschstudent normalerweise doch eher am Ende des
Informationsflusses.
Die Zeit in Cali fand mit der Fería de Cali, einem riesigen Stadtfest und den Weihnachts- und
Silvesterfeiern auf der Dachterrasse der WG, in die ich in der Zwischenzeit gezogen bin,
einen rauschenden Abschluss. Bevor ich zurück nach Deutschland geflogen bin, habe ich
noch einen Monat Zeit genommen, andere Regionen des Landes zu bereisen und habe ein
zweimonatiges Praktikum an einer Schule in Santa Marta an der Karibikküste gemacht. Dort
habe ich noch einmal ein ganz anderes, rückständigeres und ärmeres Gesicht Kolumbiens
kennengelernt – dafür mit ca. zehn verschiedenen traumhaften Stränden und Buchten, die
innerhalb kürzester Zeit erreichbar waren.
Befolgt man einige Kleinigkeiten, so wird ein Auslandsaufenthalt in Kolumbien schnell zu
einer bleibenden Erfahrung, die einem dabei hilft, Probleme und Sorgen vieler Deutschen zu
relativieren und in einem globalen Kontext sehen zu können. Wenn man sich traut, trotz
fehlerhafter Aussprache und Grammatik Spanisch zu sprechen und den Kontakt zu
Einheimischen zu suchen; wenn man bereit ist, etwas von seinem Komfort und seinem
Ordnungsbewusstsein für ein Mehr an Spontaneität und Lebensfreude abzugeben; wenn man
Lust hat, den Lebensmittelpunkt vom Wohnzimmer auf die Straße zu verlegen, wo man
immer, auch an Heilig Abend um 4 Uhr morgens, Musik, Tanz, Essen und Trinken findet, der
wird in Cali eine großartige Zeit erleben.
Achja, die Sicherheitsfrage: Überhaupt nicht der Rede wert. Mir wurden 2 Fahrräder geklaut,
ansonsten ist mir nichts passiert – weder Taschendiebstähle, noch Raubüberfalle oder
Entführungen oder was man sonst für Horrorvorstellungen von Kolumbien hat.
El riesgo es que te quiedas, sagen die Kolumbianer, frei übersetzt: Das einzige Risiko ist, dass
du bleiben willst!
Falls jemand Fragen an mich hat bezüglich eines Studienaufenthalts in Cali oder an einem
anderen Fleck in Kolumbien, melde er sich: [email protected]
Mattis Strohschneider