Die willkürliche Atemanhaltezeit im Praktikumsversuch: Hinführung
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Die willkürliche Atemanhaltezeit im Praktikumsversuch: Hinführung
PHYSIO-Startseite/SCHRIFTENVERZ. 325 (5 Seiten insgesamt) Stand: 5. Januar 2004 325wAAZ.doc / 325wAAZ.pdf Die willkürliche Atemanhaltezeit im Praktikumsversuch: Hinführung zu systemphysiologischen Aspekten der Atmungsregulation∗ Von H.-V. ULMER (Mainz)** Einleitung Die maximale, willkürliche Atemanhaltezeit zählt nicht zu den typischen Atmungstests. Dies mag mit der großen Streuung zusammenhängen, die nicht nur auf einen einzigen Faktor zurückzuführen ist. Trotzdem bzw. deshalb wird die Atemanhaltezeit als jährlicher Praktikumsversuch seit 21 Jahren mit Mainzer Sportstudenten durchgeführt. Ziel: Vermittlung von Grundlagen zu Atmungsregulation, Lungenvolumina und Bedeutung der intra- und interindividuellen Streuung biologischer Meßwerte sowie zu systemphysiologischen Aspekten der Atmungsregulation. Methodik: Die Großgruppe von je 25 Teilnehmern wurde gemäß Versuchsplan – der gleichzeitig einen Protokollteil für die Eintragung der Meßergebnisse enthält – in Kleingruppen zu je 3 Probanden aufgeteilt. Dabei wurden zwei Versuchsvarianten durchgeführt: 1. Ohne/mit vorangehender Hyperventilation und zwar sowohl als maximale Atemanhaltezeit nach tiefer Inspiration als auch nach tiefer Exspiration, in Kurzform Atemanhaltezeit (AAZ) genannt. 2. Vierfache oder fünffache Wiederholung des Atemanhalteversuchs nach tiefer Inspiration, in Kurzform Trainierbarkeit der Atemanhaltezeit genannt. Einzelheiten hierzu sind im Anhang beigefügt (2 Versuchspläne). Ergebnisse zu Versuch 1: Atemanhaltezeit vor/nach Hyperventilation bei verschiedener Lungenfüllung Max. Atemanhaltezeit, M - sD (n=133) nach Hyperventilation + Exspiration 45 90 +42% +102% 60 30 +108% +46% 30 0 nach Exspiration nach Exspiration 58 28 Relat. Häufigkeit [%] Atemanhaltezeit [s] nach Inspiration Atemanhaltezeit (n=133) 83 15 41 0 ohne nach Hyperventilation Hyperventilation Dia1: Mittelwerte mit Standardabweichung der AAZ mit/ohne vorangegangener Hyperventilation <10 Dia <20 2: <30 <40 <50 <60 <70 Klassen in Sekunden <80 <90 <100 Verteilung der 133 Einzelwerte, exemplarisch für die Exspirationsversuche Diskussion zu Versuch 1: Einfluß von Lungenfüllung und Hyperventilation Daß man nach einer tiefen Inspiration die Atmung länger als nach einer tiefen Exspiration anhalten kann, dürfte wohl fast jeder Laie vermuten. Bei den Diskussionsthemen mit den Studierenden über das “Warum“ ging es deshalb unter anderem um: – O2-Verbrauch und CO2-Produktion während Atemstillstands – PCO2 in Blut und Alveolen als Ergebnisse eines Fließgleichgewichts – Variabilität des aktuellen Lungenvolumens (Zahlen !), dessen Bedeutung für den PCO2Anstieg/Zeit in der Alveolarluft während Atemstillstands – Definition von Hyperventilation und deren Konsequenzen 1. für die alveolären O2/CO2-Partialdrücke in der Lunge und 2. für die Atmungsregulation ∗ Vortrag auf der Internationalen Atmungsphysiologischen Arbeitstagung, 26. u. 27.1.2001 ** Herrn Prof. Dr. Dr. J. GROTE anläßlich des Ausscheidens aus dem aktiven Proffesorensdienst zugedacht http://www.uni-mainz.de/FB/Sport/physio PHYSIO-Startseite/SCHRIFTENVERZ. 325 -2– – Bedeutung der Mechanorezeptoren für die Richtung des ersten Atemzugs Komplexität des Zeitpunktes, an dem die Atmung wieder aktiviert wird: physiologische Stimuli, physiologische Schwellen und psychische Effekte — auch als Ursache für die eklatanten intra- und interindividuellen Streuungen der Meßergebnisse – Bedeutung der biologischen Variabilität — Streuung biologischer Meßwerte nicht nur als Meßfehler, ferner Analyse einer Häufigkeitsverteilung (Abb. 2 — noch normalverteilt ?). Die psychophysiologische Komplexität des Zeitpunktes, zu dem die Probanden wieder anfingen zu atmen, zeigte sich besonders bei den wiederholten Atemanhalte-Versuchen. Hierbei wurde zusätzlich beim 2. Versuch das Einsetzen reflektorischer Atmungsbewegungen bei geschlossener Stimmritze durch einfaches Beobachten erfaßt. Ergebnisse zu Versuch 2: Trainierbarkeit der Atemanhaltezeit Bei insgesamt 4 wiederholten Atemanhalte-Versuchen ergab sich folgendes Bild: Nur in 29 von 52 Fällen (entspricht 56%) liegen komplette Datensätze vor. In 44% der Fälle wurde also das Auftreten der Atmungsbewegungen überhaupt nicht beobachtet; mit der Atmung wurde also häufig schon begonnen, bevor die entsprechende physiologische Schwelle für die reflektorische Aktivierung der Atmungsmuskulatur erreicht wurde. Bei den insgesamt 29 kompletten Datensätzen zeigte sich nun, daß sowohl die Atemanhaltezeit bis zum Einsetzen der Atmungsbewegungen, als auch die nachfolgende zweite Phase des Atemanhaltens mit erkennbaren Atmungsbewegungen bei geschlossener Stimmritze zunahm (Dia 3). Atemanhaltezeit, Mittelwerte, n=29 100 Atemanhaltezeit [s] 86 77 80 60 71 64 46 33% 58 52 50 +27% 40 20 0 Versuchsfolge 1. 2. 3. ohne Atmungsbewegungen 4. Dia 3: Die Mittelwerte der gesamten Atemanhaltezeit und der Teilzeit ohne sichtbare Atmungsbewegungen (kleine Säulen) Gesamt Diskussion zu Versuch 2: Zur Trainierbarkeit der Atemanhaltezeit Hierzu sind folgende Interpretationen möglich: Die erste Zunahme um 27% könnte unter der Annahme einer nicht veränderten PCO2-Schwelle als Folge einer Hyperventilation in den Pausen gedeutet werden, die Zunahme um 33% in der zweiten Phase aber auch als eine psychische Anpassung im Sinne einer zunehmenden Beherrschung der durch Atemanhalten ausgelösten Mißempfindungen. Hierfür spricht besonders auch die Tatsache, daß 44% der Probanden den Zeitpunkt des reflektorischen Einsetzens von Atmungsbewegungen gar nicht erst erreichten. Bezüglich der Frage, ob die Effekte nur bei großen Gruppen auftreten, seien exemplarisch für den ersten Versuch die Ergebnisse der kleinsten Gruppe von 5 Probanden gezeigt (Dia 4 und 5). VP ohne Hyperventilation n. I. n. E. 1 32 21 2 52 12 3 60 30 4 14 11 5 65 22 mit Hyperventilation n. I. n. E. 42 38 73 27 150 40 27 19 86 30 Dia 4: Einzelwerte für die kleinste Gruppe zu Versuch 1 Max. Atemanhaltezeit [s], 5 Studentinnen n. I.: Nach maximaler Inspiration n. E.: Nach maximaler Exspiration M. SCHWANZ, 1993 http://www.uni-mainz.de/FB/Sport/physio PHYSIO-Startseite/SCHRIFTENVERZ. 325 -3- Dia 5: Einzelwerte für die kleinste Gruppe zu Versuch 2 VP o. A. 1 2 3 4 Ges.: o. A.: k. A.: k. A.: Versuchsreihenfolge 2. 3. 1. Ges. o. A. Ges. 65 42 40 80 61 46 64 52 52 82 79 65 33 38 37 49 o. A. 74 63 k. A. 38 Ges. 100 87 62 58 o. A. 73 45 42 43 4. Ges. 103 76 57 67 Gesamte Atemanhaltezeit (AAZ) AAZ ohne Atmungsbewegungen keine Angabe kursiv: inkompletter Datensatz J. MARTHINSEN 1998 Fazit Neben der Bedeutung als Praktikumsversuch veranschaulichen die Befunde, warum angesichts der großen Variabilität und Komplexität der maximalen AAZ diese unter systemphysiologischen Aspekte keine typische Testgröße darstellt. Besonders deutlich dürfte aber auch werden, daß die biologische Streuung Charakteristikum für viele unserer Meßgrößen ist und daher von Meßfehlern stets abzutrennen ist. Dies sollte sowohl beim Umgang mit EDV-gestützen Lehrverfahren, aber auch beim Umgang mit Streuungsmaßen (Standardabweichung versus Standardfehler SEM) bedacht werden. Schließlich werden diese beiden Versuche auch als programmatische Alternative zu einem digitalisiertem Praktikum mit simulierten Probanden vorgestellt. Ergänzend zum didaktischen Wert der vorgestellten Versuche mit den Praktikumsteilnehmern untereinander gefährden digitalisierte Simulations- "Praktika" die Existenzberechtigung von Planstellen für wissenschaftliche Mitarbeiter (vergl. ULMER, 2000). LITERATURHINWEIS: AGOSTINI, E.: Diaphragm activity during breath-holding: factors related to its onset. J. Appl. Physiol. 18: 30 — 36 (1963) DANNHAUER, G. und H.-V. ULMER: Zur Trainierbarkeit der Atemanhaltezeit – Physiologische und psychische Aspekte. Leistungssport 6: 29 — 32 (1983) FOWLER, W. S.: Breaking point of breath-holding. J. Appl. Physiol. 6: 539 — 545 (1954) HENTSCH, U. und H.-V. ULMER: Trainability of underwater breath-holding time. Int. J. Sports Med. 5: 343 — 347 (1984) MARTHINSEN, J.: Trainierbarkeit der Atemanhaltezeit. Seminararbeit im Seminar “Sportphysiologische Experimente mit einfachen Mitteln”. Mainz, WS 1997/98 SCHÄFER, K. E.: Adaption to breath-hold-diving, in: Rahn, H. (ed): Physiology of breath-hold-diving and the Ama of Japan. Washington, National Research Council 1965, 237 — 252 SCHWANZ, M.: Messung von Atemanhaltezeiten. Seminararbeit im Seminar “Sportphysiologische Experimente mit einfachen Mitteln”. Mainz, WS 1993/94 ULMER, H.-V. und V. MONNERJAHN: The CO2-onset for spontaneous breathing movements during breath holding (Vortrag). In: GROTE, J., Ed.: Aktuelle Probleme der Atmungsphysiologie. S. 183 - 188, In: Akademie der Wissenschaften und der Literatur zu Mainz (ed): Funktionsanalyse biologischer Systeme. Bd. 18, Stuttgart - New York: Fischer (1988) ULMER, H.-V. und M. HEGNER: Shifts of „onset point“ and „breaking point“ - Thresholds in breath holding experiments after gradative hyperventilation (Vortrag). Pflügers Arch. 408: Suppl. R 90 (1987) ULMER, H.-V.: Wie "praktisch" muß ein Praktikum sein? Überlegungen zur Postersitzung "Lehre" auf dem Physiologenkongreß 2000 in Ulm. Physiologie - Forschung Lehre/ Öffentlichkeit, Heft 15, 35 -36 (2000) [ULMER-Veröffentlichung 319] Prof. Dr.med. H.-V. Ulmer Sportphysiologische Abteilung Fachbereich Sport, Saarstraße 21, 55099 Mainz [email protected] http://www.uni-mainz.de/FB/Sport/physio PHYSIO-Startseite/SCHRIFTENVERZ. 325 Anhang: Es folgen zwei Versuchspläne aus dem Seminar "Experimente mit einfachen Mitteln" -4- Thema: Atemanhaltezeit und Atmungsregulation Ziel: Einstieg in den Themenbereich der Atmungsregulation mit Untersuchung des Einflusses von Lungenfüllung und Hyperventilation auf die Atemanhaltezeit. Versuchsplan und Protokollblatt Material: 1 Stoppuhr je Dreiergruppe Organisation: Dreiergruppen mit Versuchsperson (VP), Zeitnehmer und Protokollant. Die Aufgaben wechseln in der Gruppe nach jeder Messung. Name:..............................................................Geschlecht:................................... Versuchsdurchführung: Jeder der vier Versuche wird an allen Teilnehmern einer Gruppe als VP durchgeführt, bevor zum nächsten Versuch übergegangen wird. Alle Versuche werden im Sitzen mit aufrechtem Oberkörper durchgeführt. Die Messung der Atemanhaltezeit (AAZ) beginnt mit dem Ende der letzten Atmungstätigkeit und endet mit dem Einsetzen der Atmung. 1.) Die VP inspiriert maximal und hält dann den Atem so lange wie möglich an. Ergebnis: AAZ 1 = .........................s Bemerkungen: ..................................................................................... 2.) Die VP exspiriert maximal und hält dann den Atem so lange wie möglich an. Ergebnis: AAZ 2 = .........................s Bemerkungen: ..................................................................................... 3.) Die VP hyperventiliert 30 Sekunden lang: Sie atmet sechsmal hintereinander tief ein und aus. Beim sechsten Atemzyklus ist maximal zu inspirieren und dann der Atem so lange wie möglich anzuhalten. Ergebnis: AAZ 3 = .........................s Bemerkungen: ..................................................................................... 4.) Die VP hyperventiliert 30 Sekunden lang: Sie atmet sechsmal hintereinander tief ein und aus. Beim sechsten Atemzyklus ist maximal zu exspirieren und dann der Atem so lange wie möglich anzuhalten. Ergebnis: AAZ 4 = .........................s Bemerkungen: ..................................................................................... Sollten bei einem der Versuche Begleiterscheinungen (Augenflimmern, Schwindelo.ä.) auftreten, dann bitte unter „Bemerkungen“ eintragen. Abweichungen vom Versuchsplan und besondere Vorkommnisse bitte auf der Rückseite notieren. http://www.uni-mainz.de/FB/Sport/physio PHYSIO-Startseite/SCHRIFTENVERZ. 325 -5- Thema: Trainierbarkeit der Atemanhaltezeit Ziel: Mit dem Experiment soll herausgefunden werden, welcher Zusammenhang zwischen wiederholtem Atemanhalten und der Atemanhaltezeit besteht. Versuchsplan und Protokollblatt Material: 1 Stoppuhr je Dreiergruppe Organisation: - Die Probanden werden in Dreiergruppen eingeteilt. - Die Dreiergruppe besteht aus einer Versuchsperson, einem Zeitnehmer sowie einem Assistenten, der auch die Funktion des Protokollführers übernimmt. - Die Funktion der Gruppenmitglieder wechselt nach jeder Messung. Versuchsdurchführung: 1.) Angaben zu Geschlecht, Größe und Gewicht festhalten (s. unten). 2.) Fünfmaliges Bestimmen der Atemanhaltezeit jedes Probanden nach maximaler Inspiration (maximale Inspiration aus normaler Atmung heraus, kein vorheriges Hyperventilieren !). Während des Atemanhaltens darf Luft nicht ausgeatmet werden. Wechsel der Versuchsperson nach jeder Messung. 2.) Der Zeitnehmer erfaßt neben der Atemanhaltezeit zusätzlich den Zeitpunkt, an dem beim Probanden evtl. unwillkürliche Atmungsbewegungen auftreten. Dieser Zeitpunkt wird dem Zeitnehmer durch den Assistenten mitgeteilt, der zur Ermittlung der unwillkürlichen Atembewegung seine Hand kurz oberhalb des Bauchnabels des Probanden plaziert und auch den Übergang Thorax/Hals beobachtet. 4.) Die Messungen sind im aufrechten Sitz durchzuführen. Protokoll: Meßergebnisse I: Einsetzen der unwillkürlichen Atmungsbewegung nach x s II: Atemanhaltezeit insgesamt in s VP Nr. Messung 1 I II Messung 2 I II Messung 3 I II Messung 4 I II Messung 5 I II Angaben zur Person: Name: .............................................................................................. Geschlecht: ......................................................................................................................... Größe: .............................................. Gewicht:..................................... Abweichungen vom Versuchsplan und besondere Vorkommnisse bitte auf der Rückseite notieren. http://www.uni-mainz.de/FB/Sport/physio