Vortrag Prof. Dr. R. Hoksbergen
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Vortrag Prof. Dr. R. Hoksbergen
Möglichkeiten für Adoptivkinder in Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika I. Einige Erwägungen zur Einführung Die Adoption von Kindern ist im Westen seit etwa 1960 eine bedeutende Form der Familiengründung, und jetzt auch gesellschaftlich anerkannt worden. Seit ca. 1970 sind in den Niederlanden, in den Skandinavischen Ländern, und weiteren West-europäischen Ländern die Auslandsadoptionen allmählich wichtiger wie die Inlandsadoptionen geworden (Ade, 2000). Aus den Ziffern seit 1980 wird dies deutlich sein. Was wir aus den Tabellen 1 und 2 auch sehen können ist, dass die Entwicklung für die unterschiedlichen Ländern gar nicht eindeutig und sehr veränderlich ist. Ich werde später versuchen die Bedeutung dieser Änderungen zu erklären. Tabelle 1 Anzahl fremdländische Adoptivkinder USA, in 8 europäischen Ländern, 1980-2011 Jahresdurchschnitt Länder USA ´80-89 7,761 ´93-97 9,120 Einw. in Millionen 1998 15,774 2004 22,884 2008 17,438 2010 12,149 2011 9,320 Einw pro Mill % 73 30 41 313,3 Spanien 94 93 1,487 5,541 3,156 2,891 2,573 947 1,642 1,819 650 664 504 525 118 55 47 47,0 Deutschland 22 7 32 78 32 41 67 66 99 81,3 Niederlande 1,153 640 825 1,307 767 705 528 16,7 Italien 1,117 2,047 2,374 3,402 3,977 4,130 4,022 61,3 Frankreich 1,850 3,216 3,769 4,079 3,271 3,504 1,995 65 32 49 62,8 Schweden 1,579 906 928 1,109 793 729 538 173 59 34 9,1 Norwegen 464 531 643 706 304 343 304 150 65 43 4,7 Dänemark 582 510 624 528 395 419 338 114 61 54 5,5 UK 333 225 175 153 Insgesamt 15,547 18,705 28,243 40,206 30,765 25,374 20,143 Quelle: P. Selman (2000 S. 20, 20012 S. 8) und niederländisches Justizministerium H. 2011 In der letzten Kolonne steht bei H. die Anzahl der fremdländischen Adoptivkinder pro Million Einwohner im Jahre mit der höchsten Anzahl der Adoptionen (mit fett angegeben); mit 2011 ist das Jahr 2011 gemeint; unter % steht der Vergleich zwischen H. und das Jahr 2011. Wir sehen aus Tabelle 1: A. Es besteht ein großer Unterschied zwischen den Ländern. Fremdländische Adoptionen nach den USA nahmen bis 2004 erheblich zu, wegen vieler Adoptionen aus Russland und China, und nahmen dann wieder erheblich ab. 2012 gab es nur 8,668 Adoptionen. B. Diese Abnahme sehen wir auch in den West-Europäischen Ländern. Besonders in Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und den Skandinavischen Ländern. 1 C. In Italien hat die fremdländische Adoption bis 1997 sehr zugenommen und von einem starken Rückgang ist erst 2012 die Rede (3,106 Adoptivkinder). D. In den Skandinavischen Ländern, besonders in Schweden, war die fremdländische Adoption sehr populär. Dies hat sich aber sehr geändert. E. Gerechnet nach der Zahl der Einwohner sind Italien, Spanien und die Skandinavischen Länder für die fremdländische Adoption weitaus am wichtigsten. In Deutschland und UK ist die Anzahl der fremdländischen Adoptionen erstaunlich niedrig. Tabelle 2 Anzahl Adoptionen aus 25 sendenden Ländern, 1980-2011, Einwohner: pro Million Jahresdurchschnitt Länder Einw. 80-89 China 1.343 Russia 143 Guatemala 14 224 Ethiopia 90 S. Korea 49 6,123 Colombia 45 1,484 Ukraine 45 Haiti 6 153 Vietnam 92 Cambod. 15 India 1.205 1,532 Sri Lanka 21 682 Kazakhstan 17 Philippines 92 517 Brazil 199 753 Chili 17 524 Thailand 67 86 Peru 30 221 El Salvador 6 218 Mexico 115 160 Honduras 8 110 Paraguay 7 Poland 38 148 Romania 22 Bulgaria 7 1 1995 2,450 1,998 539 266 2,008 1,102 1,462 641 321 501 131 132 2 1998 4,621 4,763 1,087 356 2,183 1,023 238 2,240 302 747 J. durchschnitt 03-10 2005 9,390 14,496 5,980 7,480 3,012 3,857 2,778 1,778 1,649 2,101 1,632 1,470 1,613 1,982 1,282 958 1,272 1,190 2008 5,972 4,140 4,186 3,896 1,250 1,617 1,577 1,368 1,739 2010 5,477 3,395 58 4,404 1,153 1,798 1,094 2,601 1,247 2011 4,405 3,325 40 3,455 961 1,577 1,070 195 704 884 857 759 615 628 237 325 747 508 468 823 499 473 723 600 485 514 516 380 149 512 348 197 415 465 377 316 261 384 409 408 325 298 29,095 23,596 351 470 220 658 319 Insgesamt von 23 sendenden Ländern Quelle: Selman, 2000, S. 23; 2012, S. 10 Wikipedia: die Einwohnerzahlen 43,710 34,785 A. Jedes sendende Land hat so seine eigene Adoptionsgeschichte. Die Inlandsadoption ist für manche Länder, ich nenne: Indien und Rumänien, viel wichtiger geworden. Es kann 1 ,2 Adoptionen in USA, Frankreich, Schweden, Norwegen und die Niederlande 2 erwartet werden, dass sich dieser Trend in den nächsten Jahren fortsetzen wird, besonders in Asien. B. Aus Asien werden nämlich immer weniger Kinder adoptiert. Im Jahr 2005 waren es noch 19,608 Kinder, 2011 sind es nur noch 7,485. C. Aus Süd und Mittel-Amerika wird auch weniger adoptiert (2005: 5,758 und 2011: 2,160) dass hat jedoch nur mit dem Rückgang von Adoptionen aus Guatemala in den Vereinigten Staaten zu tun. D. Es gibt leider keine genauen Zahlen für die Länder in Afrika, aber ich weiß, dass z.B. in den Niederlanden, und in den USA besonders aus Äthiopien, mehr und mehr Kinder aus Afrika adoptiert werden. Ich nenne es den letzten Adoptions-Kontinent. E. Unwahrscheinlich viele Kinder sind aus Guatemala adoptiert worden, die meisten Kinder sind nach USA gegangen. Auch Haiti war sehr populär. Für beide Länder ist klar, dass die Adoptionssituation sich völlig geändert hat. In Guatemala hat es mit Kinderhandel zu tun und jetzt mit dem Verständnis der Autoritäten, dass die Adoptionsgesetze Anpassung brauchen. Auch in Haiti hat es viele Fragen gegeben, daher hat das holländische Justizministerium z.B. die Adoptionen von Haiti nach Niederlande beendet. Was aus diesen zwei Tabellen ersichtlich wird, ist, dass die fremdländischen Adoptionen die letzten Jahre ganz deutlich den Höhepunkt überschritten haben. Wird diese Entwicklung sich noch ändern? Das glaube ich nicht. Um dies alles besser verstehen zu können, muss ich chronologisch viele Dezennien zurückgehen. II. Wichtige Änderungen in der Adoptionsentwicklung Zwischen 1950 und 2013 hat sich die Welt der Adoption grundlegend verändert. Der Hintergrund und die Motivation der Adoptiveltern lässt fünf verschiedene Generationen von Adoptiveltern erkennen. Ich meine, dass wir diese Entwicklungen in mehreren Europäischen Ländern sehen können: 1. 2. 3. 4. 5. Die traditionelle, verschlossene Adoptiveltern-Generation, 1956 – 1970 Die idealistische, offene Adoptiveltern-Generation, 1970 – 1980 Die realistische Adoptiveltern-Generation, 1980 – 1991 Die vorbereitete, optimistische und fordernde Adoptiveltern-Generation, 1991 –2005 Die Generation sich bewusst von Widersprüchlichkeiten, 2005-heute Im Folgenden werde ich die wichtigsten Veränderungen und Entwicklungen beschreiben anhand der fünf Generationen von Adoptiveltern und zwei Generationen von Adoptivkindern – ‚die stille Generation’ und ab 1991‚’die Generation die von sich hören lässt’. Wenn ich von fünf Generationen in fünf unterschiedlichen Zeiträumen spreche, müssen wir allerdings realisieren, dass die vorherigen Generationen mit ihren Adoptionsmotiven nicht verschwunden sind. Die sind aber für den genannten Zeitraum weniger wichtig geworden. 1. Die traditionelle, verschlossene Adoptiveltern-Generation, 1956-1970 In der Zeit der traditionellen, verschlossenen Adoptiveltern-Generation war das Thema Adoption noch ein Tabu-Thema. In Holland wurde darüber nicht oder möglichst wenig gesprochen. Zwar klärten die meisten Eltern das Kind verpflichtet über die Situation auf, ansonsten wurde jedoch die Existenz der Ursprungseltern negiert. Anderen gegenüber wurde die Adoption meist verschwiegen. Die Adoption von Kindern hat, wie wir alle wissen, jedoch immer bestanden, aber etwa vor 1970 vielmehr als etwas, worüber fast nicht gesprochen wurde, und wo die Adoptiveltern 3 vergebens nach wichtiger Literatur, Avisen und Hilfe gesucht haben. Diese bestanden bis ungefähr 1978 fast gar nicht, auch nicht in den Niederlanden. Wohl aber in den Vereinigten Staaten, aber jene Bücher und Artikel waren in Europa kaum bekannt. Bei den Artikeln und Büchern, die in Europa ausgegeben wurden, handelte es sich vielmehr um Rechtsprobleme und juridische Sachen (Napp-Peters, 1978). Obwohl die Obrigkeitshörigkeit der Niederländer und wahrscheinlich der anderen Europäer gleichermaßen damals noch groß war, ließ die Adoptionspraxis in den 60er Jahren schnell erkennen, dass das Gesetz Änderungen bedurfte. Der Kern des Adoptionsgesetzes, der vollständige Abbruch der Beziehung zu den Ursprungseltern, wurde kontrovers diskutiert. Die Konsequenz dieses Gesetzes ist, dass das Adoptivkind und die Adoptiveltern keine Informationen von den Ursprungseltern erhielten und umgekehrt. Das führte schnell zu Problemen, da Adoptivkinder sich auf die Suche nach ihren Ursprungseltern machten, während abgebende Mütter, in geringerem Maße auch abgebende Väter, nach ihrem Kind suchten, das sie meist vor vielen Jahren weggegeben hatten. Damit bringen Adoptierte und ihre Ursprungseltern klar zum Ausdruck, dass in emotionalem Sinn keineswegs von einem vollständigen Abbruch der ursprünglichen Familienbeziehungen gesprochen werden kann. Im Laufe der 60er Jahre werden alle möglichen Familienangelegenheiten immer offener diskutiert. Die Situation der abgebenden Mutter wird allmählich in einem anderen Licht gesehen. Ihr Schmerz und ihr Kummer über das Weggeben des Kindes werden anerkannt. Diese größere Offenheit hatte zur Folge, dass die in Holland geborenen Adoptivkinder ihre Ursprungseltern finden konnten. Kinderschutzeinrichtungen waren in dieser Richtung unterstützend tätig. Diese Einrichtungen haben auch manchen abgebenden Eltern bei ihrer Suche geholfen. Andere, wichtige Veränderungen in den 60er Jahren: - Das Verständnis wächst sowohl für die große Not einer Mutter, die ihr Kind abgeben muss, als auch für die psychischen Probleme eines Adoptierten, weil er weggegeben worden ist. Seit dem Ende der 60er Jahre bemühen sich deshalb die im Adoptionsbereich arbeitenden Sozialarbeiter, das Abgeben eines Kindes wenn möglich zu verhindern. - Die Anzahl unerwünschter Schwangerschaften nimmt durch verlässliche Verhütungsmittel, die Pille, stark ab. Heute gibt es in den Niederlanden fast keine Inlandsadoptionen mehr und in West-Europa immer weniger abgebende Mütter. - Die Einführung des Sozialhilfegesetzes in Holland im Jahre 1963, die jedem Bedürftigen ein Existenzminimum garantieren sollte, erlaubte es alleinstehenden, jungen Müttern ihr Kind selbst zu versorgen und aufzuziehen. (Hoksbergen 2002). Die größere Offenheit bei der Diskussion um die Adoption hatte auch zur Folge, dass immer mehr kinderlose Ehepaare ein Kind adoptieren möchten. Die Adoption eines Kindes wurde in den nächsten Jahren eine akzeptierte Form der Familiengründung. 2. Die idealistische, offene Adoptiveltern-Generation, 1970 – 1980 Im Zeitraum von 1970 bis 1980 wurde viel offener mit Themen wie Abtreibung, Familiengründung, Sexualität und Adoption umgegangen. Außerdem war das Fernsehen in den 60er Jahren allmählich Gemeingut geworden. Durch diese Entwicklung entstand eine neue, global orientierte Offenheit. Die viel größere Globalisierung ist eingetreten, und dies änderte gründlich die Motivation der Adoptiveltern. Ein wichtiges Charakteristikum dieser Adoptiveltern-Generation ist ihre Betroffenheit von Kindern in Not. Voller Begeisterung und Idealismus knüpften sie erfolgreich Kontakte in vielen Ländern, besonders in Asien und Süd-Amerika. In diesem Jahrzehnt wurden viele 4 Kinder aus Südkorea, Indonesien, Bangladesh, Sri Lanka, Indien, Kolumbien, Peru, Libanon und anderen Ländern adoptiert in den Skandinavischen Ländern, den Niederlanden, Belgien, Frankreich und VS. In dieser Periode meldeten sich nicht nur ungewollt kinderlose Ehepaare für ein Adoptivkind, sondern zunehmend Ehepaare, die schon eines oder mehrere biologische Kinder hatten. Die Einstellung "Acknowledgment-of-difference" („Anerkennung-des Unterschiedes“) (Kirk 1981) wurde von viel mehr Adoptiveltern akzeptiert. Mehr und mehr wurde und wird von den Adoptiveltern anerkannt, dass sich ihre Elternschaft in einigen wesentlichen Aspekten von der biologischen Elternschaft unterscheidet. Ein sehr wichtiger Punkt für die Adoptiveltern ist die Anerkennung der Tatsache, dass die Erziehung ihres Adoptivkindes mit besonderen psychosozialen Problemen verbunden ist. Am Ende dieses zweiten Adoptionszeitraums, im 1980, wurden statt niederländischer und europäischer Kinder fast nur noch asiatische und südamerikanische Kinder adoptiert. Diese Kinder waren öfters etwas älter bei der Platzierung in die Familie, sie verblieben auch einige Zeit in einem Kinderheim und wurden dort oft ziemlich vernachlässigt. An mögliche Erziehungsprobleme als Folge dieser negativen Lebensumstände, die die Adoptiveltern bekommen sollten, wurde noch zu wenig gedacht. Erst um das Jahr 1980 wurden diese Fragen in Büchern und Zeitungsartikeln aufgegriffen. Aus Untersuchungen und aus der Praxis entstand der Eindruck, dass diese idealistischen Eltern recht lange zögern, bevor sie für ihre Familienprobleme professionelle Hilfe in Anspruch nahmen. 3. Die realistische Adoptiveltern-Generation, 1980 – 1991 Zu diesem Problembewusstsein haben zum Beispiel in den Niederlanden sicherlich auch einschlägige Berichte in den Medien sowie Bücher beigetragen. Bücher, die von Adoptiveltern mit, in psychosozialer Hinsicht, sehr problematischen Erfahrungen mit ihrem Adoptivkind verfasst worden sind (Egmond 1987; Grasvelt 1989). In der ersten Hälfte der 80er Jahre sehen wir bei der Adoption ausländischer Kinder allmählich einen Wandlungsprozess entstehen. 1980 geht zum ersten Mal seit zehn Jahren die Anzahl der Adoptionsanträge zurück. Im 1989 hat die Anzahl der Anträge in den Niederlanden um fast 60% abgenommen. Parallel zum Rückgang der Anträge werden viel weniger Kinder vermittelt. Zwischen 1987 und 1992 wurden pro Jahr im Durchschnitt 700 Kinder vermittelt. In den zehn Jahren davor lag diese Zahl bei durchschnittlich über 1.200. Für den Rückgang der Adoptionsanträge in dieser Periode nennen wir die wichtigsten Ursachen: - Die wirtschaftlichen Verhältnisse waren weniger positiv. Die ersten großen Sparmaßnahmen der Politik zeigten ihre Wirkung. Die Arbeitslosigkeit nahm zu. - Ergebnisse von Studien über Familien mit einem ausländischen Adoptivkind wurden bekannt. Diese Studien besagen, dass die Adoptiveltern mit besonderen Erziehungsproblemen rechnen müssen (Brodzinsky & Schechter 1990). - Die Presse äußerte sich kritisch. Im Fernsehen, im Radio und in Zeitungen klagten einige Adoptiveltern über die Verhaltensprobleme ihrer Kinder und die Arbeitsweise verschiedener Organisationen. Es ist auch mehrmals von Kinderhandel die Rede. - Zunehmend wurde erkannt, dass Adoptiveltern viel besser vorbereitet werden müssen. In dieser Zeit stehen Adoptiveltern Erziehungsproblemen weniger verkrampft gegenüber als die offene, idealistische Adoptiveltern-Generation. Verschiedene Untersuchungen zeigten, dass sie sich nicht scheuen, Hilfe in Anspruch zu nehmen. 5 4. Der Zeitraum 1991 –2005: Die vorbereitete, optimistische, fordernde Adoptiveltern-Generation Seit etwa 1991 nimmt die Anzahl der Adoptionen in vielen westeuropäischen Ländern langsam und seit 1998 schneller wieder zu. Wir unterstellen, dass diese Zunahme mit folgenden Umständen zusammenhängt: - - Bessere wirtschaftliche Verhältnisse. Von Arbeitslosigkeit wird in den Niederlanden z.B. kaum noch gesprochen. Die Aktienkurse sind fast nur ausschließlich gestiegen. Bessere Vorbereitung der Adoptionsbewerber auf ihr „Adoptionsabenteuer“. Das 1989 in den Niederlanden gegründetes Amt für die Vorbereitung Innerstaatlicher Adoption (Bureau Voorbereiding Interlandelijke Adoptie) entwickelte nach und nach einen zielgerichteten Vorbereitungskurs. Diese Kurse sehen wir in mehreren europäischen Ländern. Die Adoption von beinahe nur Mädchen aus China oder Taiwan ist beliebt. Diese Kinder sind bei der Aufnahme in die Familie meistens jünger als zwei Jahre. Mögliche psychosoziale Probleme in Adoptivfamilien werden antizipiert. Zwischen 1993 und 2002 erschienen in der Presse objektive Untersuchungsergebnisse und viele sinnvolle Empfehlungen und Ratschläge, die die Adoptiveltern nutzen konnten. Diese Generation von Adoptiveltern hat eine andere Haltung bezüglich der Erziehungsmöglichkeiten eines ausländischen Adoptivkindes. Sie konfrontieren Adoptionsvermittler sehr explizit mit ihren Vorstellungen bezüglich des Alters des Kindes, und sie sind auch weniger bereit, Kinder mit medizinischen Risiken anzunehmen. Oft wird fordernd, fast zwingend, ein möglichst kleines Kind – mindestens jünger als zwei Jahre – verlangt. Kinder mit 2½ Jahren oder älter sind immer schwieriger vermittelbar, manchmal gar nicht mehr. In dieser Hinsicht hat sich die Situation völlig verändert. In den siebziger und achtziger Jahren wurden Kinder mit vier Jahren und älter erst als „alt“ bezeichnet. Heute liegt die Altersgrenze viel niedriger. Früher war es fast immer möglich Adoptiveltern für ein Kind zu finden. Heute ist das überhaupt nicht mehr so. Diese Generation von Adoptiveltern ist hinsichtlich der Erziehungsmöglichkeiten bei einem sehr jungen Adoptivkind optimistischer. Ist dieser Optimismus realistisch? 5. Die Generation, die sich der Widersprüchlichkeiten bewusst ist, 2005 bis heute Jetzt, Anno 2013, wissen wir in Europa unheimlich viel mehr über alles, was mit der Adoption von Kindern zusammenhängt. Bereits im Jahr 1993 haben Martin Textor (S. 11) und ich auf die vielen Widersprüche für alle Beteiligten hingewiesen, die in der Adoption stecken: Die leiblichen Eltern, oft nur die erste Mutter, wollen oft ihr Kind behalten. Das geht aber nicht, oft aus kulturellen oder finanziellen Gründen. Öfters wird gesagt, dass das Kind nur aus Liebe abgegeben wird. Im Westen oder in einer anderen Familie würde es glücklicher sein. Auf jeden Fall mehr materielle Chancen haben. Aber die leibliche Mutter soll doch auch das Kind lieben? Für das Adoptivkind ist dies natürlich sehr schwer zu verstehen. Besonders wenn diese selbst Vater oder Mutter werden. Die Adoptiveltern möchten das Adoptivkind zu ihrem eigenen machen, wissen aber, dass sie es nicht gezeugt und geboren haben. Auch dass sié das Kind adoptiert haben, aber nicht die Angehörigen in der Großfamilie. Vielleicht werden manche Großeltern, Onkel und Tanten, Adoptierte gerne haben, selbstverständlich ist dies aber nicht. Besonders in Ländern wie Indien begegne ich solchem Widerspruch öfter. 6 Die Adoptivkinder lieben vielleicht ihre Adoptiveltern sehr, aber gleich interessieren sie sich auch für ihre leiblichen Eltern. Es kann für das Kind, später auch den Erwachsenen, schwierig sein, mit diesem Problem der Loyalität umzugehen. Und sollen adoptierte Menschen dankbar sein? Ist es für sie, wie für biologische Kinder, nicht einfach gegeben, dass sie versorgt, aufgezogen und in der Gesellschaft aufgenommen werden? Es gibt noch mehr Widersprüche, besonders für die Adoptiveltern. Erstens wie Wacker, Bach, Holz und Braun 2006 z.B. sagen: „Es bleibt der verstörende Widerspruch, dass zur Realisierung der Adoption eines verlassenen Kindes ins Ausland Summen benötigt werden, mit deren Hilfe dieses Kind in seiner Herkunftsfamilie bzw. in seiner Heimat bis ins Erwachsenenalter hätte medizinisch versorgt, ernährt, gekleidet und ausgebildet werden können“. (S. 343). Zweitens sehen wir, dass immer mehr Kinder mit besonderen Bedürfnissen (‚special needs’) für die Adoption in den Westen in den Herkunftsländern vorgestellt werden. Gleichzeitig wird mehr und mehr von Kinderhandel gesprochen. „Mit Fug und Recht kann man heute von einer Globalisierung des internationalen Handels mit Adoptivkindern sprechen (Wacker, Bach, Holz und Braun, 2006, S. 353). 6. Zwei Generationen von Adoptivkindern Vor etwa 1985 hörten wir beinahe nie etwas von den Adoptierten selbst. Ich nenne diese erste Generation von Adoptieren daher die Stille Generation. Die meisten Erwachsenen sind im Inland adoptiert worden. Ab etwa 1985 werden aber immer mehr fremdländisch Adoptierte erwachsen. Die zweite Generation von Adoptierten lässt von sich hören. Daher gibt es auch seit 1985 in den Niederlanden immer mehr Vereine von fremdländischen Adoptivkindern, jetzt aus Korea, Indonesien, Brasilien, Kolumbien, Peru, Süd-Amerika, Äthiopien, Indien, Sri Lanka, Bangladesh, Vietnam, Libanon, Griechenland und Österreich. Diese Vereine sind wichtig für die gegenseitigen Kontakte, und Hilfe bei den Reisen in das Herkunftsland. In fast allen Westeuropäischen Ländern sehen wir in dieser Zeit diese Vereine. In Deutschland z.B. auch drei, in Schweden vier. Besonders aktiv sind die Adoptierten aus Korea. Anhand eines Beispiels möchte ich gerne erklären, warum die heutigen Adoptiveltern realistischer genannt werden können. III. Ein Beispiel: Adoptivkinder aus Rumänien Alle Adoptivkinder erleben ernsthafte psychische Folgen aufgrund der Trennung von ihren leiblichen Eltern und vielleicht noch sonstiger Versorger. Dazu kommt, dass besonders Kinder aus z.B. Rumänien wegen Vernachlässigung, Unterernährung und vielleicht auch Misshandlung psychisch verletzt worden sind. Häufig werden wir Symptome mehrerer Störungen feststellen müssen (Komorbidität). Die für die Adoptivkinder wichtigen psychischen Probleme, wie die "Posttraumatische Belastungsstörung" (PTBS) und das „PostInstitutionelle Autistische Syndrom“ (PIAS) sowie deren Relevanz für die Diagnostizierung und die weitere Behandlung, werde ich hier anhand unserer longitudinalen Forschung über rumänische Adoptivkinder etwas ausführlicher darstellen. Diese Untersuchung wurde 1998 angefangen und 2008 vorläufig abgerundet (Hoksbergen, 2002; Rijk, 2008). Aus Rumänien sind seit 1990 etwa 7.000 Adoptivkinder in die USA ausgereist (Schätzung nach Federici, 1998), nach Holland wurden 190 adoptiert. Die Anwendbarkeit der diagnostischen Kriterien für die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und die Kriterien der Autistischen Störung zeigen die große Relevanz dieser 7 Konzepte für die Situation der fremdländischen Adoptivkinder. Empirische Untersuchungen geben Grund zu der Annahme, dass eine erhebliche Anzahl der fremdländischen Adoptivkinder Symptome dieser Störungen zeigt. Für viele Adoptivkinder ist die Hypothese, dass sie mehrere traumatische Erlebnisse gehabt und einige Zeit in einer traumatischen Situation verbracht haben, zutreffend. Wenn das Adoptivkind etwa ein halbes Jahr oder älter ist, kann es nach dem Eintreffen in der Adoptivfamilie eine Reihe unerwarteter und fremdartiger Verhaltensreaktionen zeigen. Diese Verhaltensweisen können von kurzer Dauer sein, eine nicht-traumatische Ursache haben, aber auch auf Symptome des PTBS hinweisen (Hoksbergen & Van Dijkum, 2001), oder auf das Fötal Alkohol Syndrom (FAS), die Mutter hat während ihrer Schwangerschaft (vielleicht viel) Alkohol konsumiert. Bei unseren (bis 2012: 588) aus Polen adoptierten Kindern sehen wir bei mehreren Adoptivkindern FAS. Dieses und nächstes Jahr werden wir via unserer Untersuchungen an der Universität mehr davon berichten (Knuiman, Rijk, Hoksbergen, 2012). Im Jahre 1998 haben wir an der Universität Utrecht eine langfristige Untersuchung rumänischer Kinder begonnen. Einer der Zwecke dieser Studie war, zu überprüfen für wie viele Kinder die Hypothese PTBS zutreffend ist. Es war möglich, über 80 rumänische Adoptivkinder eine Vielzahl an Informationen zu bekommen. Diese Kinder waren bei der Platzierung in die Adoptivfamilie durchschnittlich fast drei Jahre alt. Zum Zeitpunkt der Untersuchung waren sie acht Jahre alt. Standardinstrumente wie die Child Behavior Checklist (CBCL, Achenbach 1991) und die Auti-R, die Symptome von Autismus darlegt (Van Berckelaer-Onnes & Hoekman 1991), wurden verwendet. Mittels der CBCL und Verwendung der Literatur und Benutzung der DSM-IV haben wir ein sogenanntes TraumaInstrument hergestellt. Dieses Trauma-Instrument bestand aus 35 Fragen. Von den 80 Kindern zeigten 16 sehr hohe Werte. Alle diese16 Kinder erreichten auch hohe Werte im klinischen Gebiet der CBCL. Alle Kinder, die im klinischen Bereich liegen, brauchen mit ihren Problemen professionelle Hilfe! Bei einigen Untersuchungen hat sich herausgestellt, dass bei Adoptivkindern, die in der Adoptivfamilie große Probleme aufwiesen und sogar in einem Heim untergebracht wurden, diese Probleme sehr schnell nach ihrer Ankunft in der Familie begonnen hatten (Hoksbergen 1993; Hoksbergen, Juffer & Textor 1994; Rijk, 2008). Gerade bei diesen langfristigen und schwer zu behandelnden Verhaltensproblemen muss sicher auch an PTBS und PIAS gedacht werden. Bei den rumänischen Adoptivkindern haben wir die Ergebnisse mit einer Normgruppe (nichtadoptierte Kinder) und der Gruppe Stams verglichen (Stams, 1999). Die „Stamsgruppe“ besteht aus fremdländischen Adoptivkindern, die vor dem 6. Lebensmonat adoptiert wurden. Zum Zeitpunkt der Untersuchung waren diese Kinder sieben Jahre alt. Die wichtigsten Ergebnisse waren. - In der rumänischen Adoptivgruppe gibt es zwischen Jungen und Mädchen kaum Unterschiede. Verglichen mit der Normgruppe zeigen die rumänischen Jungen und Mädchen z.B. nicht dasselbe Bild. Rumänische Mädchen sind nicht ängstlicher/depressiver und haben in den Kategorien Denkvermögen oder körperliche Beschwerden nicht mehr Probleme als die rumänischen Jungen. Bei den Normgruppen ist das jedoch wohl der Fall. - Bei dem Syndrom körperliche Beschwerden liegen die rumänischen Adoptivmädchen signifikant unter der Normgruppe. Dieses Ergebnis zeigt dass wir es hier mit „Survivor Kindern“ zu tun haben. - Verglichen mit der Normgruppe liegt die rumänische Gruppe bei folgenden Symptomen deutlich höher: Aufmerksamkeitsprobleme, aggressives Verhalten, soziale Probleme und 8 - - im Denkvermögen (Zwangsvorstellungen, Zwangshandlungen, merkwürdige und seltene Gedanken, sieht Dinge, die es nicht gibt). Auffallend ist, dass bei dem CBCL Breitband-Syndrom Internalisieren (Zurückgezogenheit, Körperliche Beschwerden und Ängstlich/Depressiv) keine großen Unterschiede zwischen der rumänischen Gruppe und der Normgruppe festgestellt werden, und dass die Stams-Gruppe sogar über der rumänischen Gruppe liegt. Diese Gruppe von Kindern war offensichtlich noch zu jung, um die Folgen des Unterschieds im Bereich der Überlebenskraft zu zeigen. Die Stams-Gruppe liegt sowohl bei den Jungen als auch bei den Mädchen beim Externalisieren und bei den Gesamtproblemen signifikant über der Normgruppe. Im Durchschnitt war die Stams-Gruppe bei der Ankunft nur zwei Monate alt! Adoptivkinder, die bei ihrer Platzierung zwei Jahre und älter sind, befinden sich viel häufiger in der Problemgruppe als die jüngeren Kinder, genau wie in der Untersuchung von Verhulst, Althaus und Versluis-den Bieman (1992). In diesem Zusammenhang sage ich oft bei meinen Vorträgen, dass Adoptiveltern wenigstens über drei Charakteristika verfügen müssen: Geduld, Flexibilität und Distanz. Tabelle 3 zeigt, wie wichtig Geduld ist. Bei der Gruppe, die mindestens fünf Jahre (N=26) bei ihren Adoptiveltern ist, sehen wir, dass die Probleme stark zurückgegangen sind. Im Hinblick auf Aufmerksamkeitsprobleme, aggressives Verhalten, Probleme mit dem Sozialverhalten, Externalisieren und totale Probleme liegt diese Gruppe signifikant niedriger. Tabelle 3 CBCL- Werte der rumänischen Adoptivkinder nach Zeit in der Adoptivfamilie CBCL-Syndrome < 5 Jahre (n=54) Aufmerksamkeitsprobleme 7,89* Aggressives Benehmen 12,70** Ängstlich/depressiv 3,15 Delinquent Benehmen 2,11 Probl. mit dem Sozialverhalten 3,93** Körperliche Beschwerde 0,74 Probleme mit Gedanken 1,93 Zurückgezogen 2,30 >5 Jahre (n=26) 5,27 7,65 3,08 1,27 2,04 0,92 1,58 1,38 Internalisieren 6,09 5,15 Externalisieren 14,70** 8,92 Probleme insgesamt 39,85* 26,23 T-teste, *p<.05, **p<.01, ***p<.001 (zweiseitig)(Hoksbergen, 2002 S. 34). Zum Schluss muss ich gerade für den Fall der Diagnostizierung von Verhaltensstörungen bei fremdländischen Adoptivkindern darauf hinweisen, dass die Komplexität ihrer Problematik aus mehreren Gründen größer ist als bei anderen Kindern. Die erste Schwierigkeit ist, dass wir, anders wie bei anderen Kindern, meistens wenig oder kaum etwas über ihren Hintergrund wissen. Die Ursachen für spätere Verhaltensstörungen können in den unbekannten traumatischen Ereignissen im Herkunftsland liegen. Ein Behandlungsplan muss also oft im Ansatz eine Differentialdiagnose enthalten. Dazu sollte aber, vielleicht häufiger als es bisher der Fall war, die Traumatisierung gehören. Zweitens sollte selbstverständlich die individuelle Situation, beachte auch die Adoptivfamilie, jedes Kindes genau berücksichtigt werden. 9 Drittens ein Adoptivkind erziehen bis zum Erwachsenenalter ist anders als bei NichtAdoptierten. IV. Zum Schluss Die Probleme, die in manchen Adoptivfamilien entstehen, werden bisweilen auch von den großen und oft falschen Erwartungen verursacht, die die Ehepaare im Hinblick auf die Adoption haben. Ein Kind, das mehrere Trennungen erlebt hat, das vernachlässigt wurde, bei seiner Aufnahme in die Adoptivfamilie unterernährt war, das also erheblich traumatisiert in der Adoptivfamilie eintrifft, und daher ein oder mehr Jahre Entwicklungsrückstand hat, wird ein besonderes Einfühlvermögen seitens der Adoptiveltern benötigen. Und die Eltern werden besonders vorsichtig sein müssen, keine falschen Erwartungen zu äußern. Wenn sie sofort viele positive Gegenseitigkeit und Freude an ihrem Kind erwarten und damit persönliche Glückserwartungen verbinden, kann die Enttäuschung groß sein. Dies gilt umso mehr, wenn die Eltern erwarten, dass das problematische, vielleicht sogar autistische Verhalten des Kindes zeitlich sehr begrenzt auftritt und nach einigen Wochen oder Monaten verschwinden wird. Adoptiveltern sollten, wie schon gesagt, über wenigstens drei Vorzüge verfügen: über sehr viel Geduld, Zurückhaltung beim Zeigen ihrer Gefühle und die Bereitschaft, ihre Ansichten über die Erziehung von Kindern zu ändern, sie dürfen nicht rigide sein. Für das Beratungs- und Betreuungsangebot bedeutet das Vorhergehende, dass die Berater und Therapeuten sich stärker hinsichtlich der besonderen Probleme von Adoptivfamilien beziehungsweise Adoptierten spezialisieren sollten. Die Vermittlungsorganisationen müssten auch eng mit diesen spezialisierten Beratern und Therapeuten zusammenarbeiten. Dann ist es möglich, dass die Adoptiveltern eher erkennen, dass die Erziehung ihres höchstwahrscheinlich traumatisierten Kindes mit besonderen psychosozialen Problemen verbunden ist, dass ihr Kind vielleicht eine Vielzahl an ernsthaften Störungen zeigt. Und dass es unter Umständen auch nicht ganz deutlich wird, ob es sich um eine Bindungsstörung, autistische Symptome, ADHD oder etwas anderes handelt (Hoksbergen, Paulitz & Bach, 2006). 10 Literatur Ade, B. (2000). ….die, die auszogen sich selbst zu finden. Biographien erwachsener Adoptierter asiatischer Herkunft. Idstein: Schulz-Kirchner Verlag. Achenbach, T.M. (1991). Manual for the CBCL/4-18 and 1991 profile. Barlington: Univ. of Vermont, Department of Psychiatry. American Psychiatric Association (1994). Study Guide to DSM-IV. Washington, D.C.: American Psychiatric Press, Inc. Brodzinsky, D.M./ Schechter, M.D. (Hrsg. 1990). The psychology of adoption. New York/Oxford: Oxford University Press. Egmond, G. (1987). Bodemloos bestaan - Problemen met adoptiekinderen. Baarn: AMBO. Federici, R.S. (1998). Help for the hopeless child. A Guide for families. With special discussion for assessing and treating the Post-Institutionalized Child. Alexandria, Virginia: Federici and Associates. 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