Grüße aus der Todeszelle – Mörder als Brieffreunde
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Grüße aus der Todeszelle – Mörder als Brieffreunde
Verein "Lifespark": Grüße aus der Todeszelle – Mörder als Brieffreunde - Nachrichte... Page 1 of 3 6. Mai. 2012, 17:37 Diesen Artikel finden Sie online unter http://www.welt.de/106243606 02.05.12 Verein "Lifespark" Grüße aus der Todeszelle – Mörder als Brieffreunde Ein Schweizer Verein vermittelt Brieffreundschaften zu Mördern und Vergewaltigern. Die Mitglieder von "Lifespark" begleiten zum Tode verurteilte US-Häftlinge teils jahrelang bis zu deren Hinrichtung. Von Christine Kensche © Ines Aubert Todestraktinsasse "Casper" (Bürgerlicher Name Robert Power), und seine Brieffreundin Ines Aubert, im Gefängnis Raiford, Florida. Aubert ist Mitarbeiterin der Schweizer Organisation Lifespark, die Brieffreundschaften zu Todestraktinsassen vermittelt. Foto für Text von Christine Kensche "Gruesse aus der Todeszelle". Das Wort "Seelenverwandtschaft", sagt Sara Tanner, sei vielleicht zu hoch gegriffen, um ihre Beziehung zu Anthony Bartee zu beschreiben. Aber es gebe niemanden, der so intensiv an ihrem Leben teilnimmt wie ihr Brieffreund. Urlaubsplanung, Jobwechsel, die Hochzeitsvorbereitungen – "Anthony weiß über alles Bescheid, berät und unterstützt mich." Von Anfang an, sagt Sara, hätten sie sich gut verstanden. Und dann fällt ihr ein passenderer Begriff ein: "Wir sind auf einer Wellenlänge." Sie, die 30jährige Marketingplanerin einer Schweizer Bank, und er, der 55 Jahre alte Mörder, der im Todestrakt in Livingston (Texas) sitzt. "Eine Konstante in meinem Leben geworden" Seit fünf Jahren schreiben sich die blonde Frau und der schwarze M ann regelmäßig Briefe. Erzählen sich von ihrem Alltag, ihren Träumen und Sorgen. Fast wie normale Freunde. "Anthony ist eine Konstante in meinem Leben geworden", sagt Sara. Eine, die sie sehr vermissen wird. Obwohl sie wusste, womit sie rechnen muss, als sie sich 2007 an die Organisation Lifespark wandte. Der Schweizer Verein, der sich für die Abschaffung der Todesstrafe einsetzt, vermittelt den Kontakt mit zum Tode verurteilten Häftlingen in den USA. Rund 300 Mitglieder zählt Lifespark. Und 70 Todestraktinsassen auf der Warteliste, die sich um eine Brieffreundschaft bewerben. Wer sich für sie engagieren möchte, wird ausdrücklich gewarnt, auf wen er sich einlässt. Vergewaltiger, Massenmörder, Kinderschänder. Neue Mitglieder können sich ihren http://www.welt.de/vermischtes/weltgeschehen/article106243606/Gruesse-aus-der-To... 06.05.2012 Verein "Lifespark": Grüße aus der Todeszelle – Mörder als Brieffreunde - Nachrichte... Brieffreund nicht aussuchen. Sie bekommen den nächsten Namen von der Liste zugeteilt. Sara Tanner hat sich davon nicht abschrecken lassen. Page 2 of 3 © Axel Springer AG 2012. Alle Rechte vorbehalten Die junge Frau wollte nicht mit Bannern auf irgendwelchen Demonstrationszügen mitlaufen, sondern "etwas Praktisches" gegen die Todesstrafe unternehmen. Also setzte sie sich an einem Feierabend hin und brachte die ersten Zeilen zu Papier. Wider Erwarten humorvoll, höflich, intelligent "Ich habe versucht, da möglichst unbefangen ranzugehen", erzählt Sara Tanner. "Ich habe einfach kurz geschrieben, wer ich bin und was ich so mache." Anthonys Antwort, sagt sie, sei ihr gleich sympathisch gewesen. Wider Erwarten humorvoll, höflich, intelligent. In ihren ersten Briefen entwickeln die Bankangestellte und der Mörder eine Art Kennenlernspiel – einfache Fragen, kurze Antworten. Oft sind sie sich einig. "Was ist stärker: Herkunft oder Liebe?", fragt Sara. "Liebe", antwortet Anthony und fragt zurück: "Lieber mehr Lohn oder mehr Ferien?" Beide entscheiden sich für mehr Urlaub. Sara und ihr Mann reisen gern. Anthony liest viel über ferne Länder. Als Sara eine Weltreise plant, schreibt der Häftling ihr von schönen Orten, die er für sie recherchiert hat. 2009 reisen die Tanners durch Costa Rica, Neuseeland, Nepal. Von jeder Station schickt Sara Anthony eine Postkarte in seine zwei mal vier Meter große Zelle. Anthony darf an den Wänden nichts aufhängen. Die Karten klebt er auf ein Stück Karton, das er gegen eine Mauer lehnt. Es ist, schreibt er Sara, als würde mit ihren Briefen "eine Brise frische Luft" in sein Gefängnis wehen. Einmal pro Tag darf er raus in den Hof, auf ein Stück verdorrten Rasen. Die restlichen 23 Stunden verbringt er in seiner Zelle. Ein Funken Leben im Todestrakt "Anthony interessieren die banalsten Dinge", sagt Sara Tanner. Ob sie heirate oder eine Kaffeemaschine kaufe, habe für ihn den gleichen Nachrichtenwert. "Durch mich nimmt er an einem normalen Leben teil." Das ist das Anliegen von Lifespark: einen Funken Leben in den Todestrakt senden. Jemanden zu haben, der an einen denkt. Egal, was derjenige getan hat. Anthony wurde vor 16 Jahren zum Tode verurteilt. Laut Schuldspruch hat er einem Mann mit einem Messer in den Rücken gestochen, seinen Hals aufgeschlitzt und ihm zweimal in den Hinterkopf geschossen. Wegen einer kirschroten Harley Davidson, die er seinem Opfer anschließend abnahm. In seinen Briefen beteuert Anthony Bartee, dass er nicht der Mörder sei. Sein Hinrichtungstermin wurde schon einmal verschoben, weil eine alte DNA-Probe vom Tatort erst jetzt untersucht wird. Sara Tanner hofft, dass auch der neue Termin wieder aufgehoben wird, weil die Ergebnisse noch nicht vorliegen. Ob Anthony unschuldig ist, darüber habe sie sich kein Urteil gebildet, sagt sie. "Eine weiße Weste hat er sicher nicht, aber das ist mir egal." Auch Todestraktinsassen hätten Zuwendung verdient. "Ich weiß, dass er ein Krimineller ist. Doch ich sehe auch den Menschen hinter den Taten." "Der Kontakt zu den Insassen von Todeszellen kann psychisch sehr belastend sein", sagt Ines Aubert. Die 51-jährige Schweizerin hat mehrere Brieffreunde. Zudem ist sie ehrenamtliche Betreuerin bei Lifespark. Sie berät Mitglieder, wenn sie Fragen oder Probleme haben. "Das Schlimmste, was ich jemals gehört habe" Bestärkt sie darin, nicht gleich aufzugeben, wenn das Schreiben schwierig wird. In einem Fall jedoch hat sie selbst oft daran gedacht, ihre Brieffreundschaft zu beenden. "Casper hat mich an meine Grenzen gebracht", sagt Ines Aubert. Casper ist der Gefängnisname eines Brieffreundes, der ihr detailliert von seinen Taten berichtete. Er hatte Dutzende Frauen und Kinder brutal vergewaltigt. Sein letztes Opfer, ein zwölfjähriges Mädchen, brachte er dabei um. "Was er mir erzählte, war das Schlimmste, was ich jemals gehört habe", sagt Ines Aubert. Ihrer Empörung hat sie in ihren Briefen Luft gemacht. "Wie konntest Du es nur wagen, uns Frauen und unsere Kinder auch nur anzufassen?", fragt die Mutter einer 21-jährigen Tochter in ihren ersten Zeilen. Casper antwortet: "Ich bin schuld http://www.welt.de/vermischtes/weltgeschehen/article106243606/Gruesse-aus-der-To... 06.05.2012 Verein "Lifespark": Grüße aus der Todeszelle – Mörder als Brieffreunde - Nachrichte... Page 3 of 3 an dem Unheil, das ich angerichtet habe, und ich versuche nicht, das zu leugnen oder zu rechtfertigen. ... Aber von dem Mann, der ich war, ist nichts als der Körper geblieben, der bald wieder zu Asche werden wird." Ines Aubert glaubt, dass Casper sich seine Schuld von der Seele schreiben wollte. "Ich hatte ihn nie um Details gebeten. Aber für ihn war es wichtig, mir von seinen Verbrechen zu erzählen, um den Unterschied aufzuzeigen zwischen dem Menschen, der er früher war, und dem, der er geworden ist." Als sie 2007 beginnt, ihm zu schreiben, ist Casper schon 20 Jahre im Todestrakt von Raiford in Florida. Er ist sehr religiös, sein Benehmen wird als vorbildlich beschrieben, für viele jüngere Insassen ist er so etwas wie ein Mentor geworden. "Den Menschen und nicht das Monster gesehen" Ines Aubert hat ihren Brieffreund viermal im Gefängnis besucht. Der letzte Besuch vor seinem Tod 2010, sagt sie, sei der schwierigste gewesen. Nach drei Jahren und Dutzenden Briefen wusste sie schließlich alles über seine Taten, keine grausame Einzelheit war ihr erspart geblieben. "Ich musste immerfort an Caspers Hände denken", erzählt sie. "Und daran, was er mit ihnen angerichtet hat." Aber als sie dann im Besucherraum des Todestraktes steht, lässt sie sich von diesen Händen umarmen. Zwei Nachmittage verbringt sie mit Casper. Sie unterhalten sich, spielen Brettspiele, lachen viel. "Ich habe den Sprung geschafft und in ihm wieder den Menschen und nicht das Monster gesehen", sagt Ines Aubert. Dieser Moment, sagt sie, sei die größte Herausforderung ihres Lebens gewesen. Ein solcher Augenblick steht Sara Tanner noch bevor. Wenn sie möchte, hat Anthony ihr in einem seiner letzten Briefe geschrieben, würde er sie auf die "Zeugenliste" setzen – eine Art Gästeliste für die Hinrichtung. Im Todestrakt gibt es davon zwei: eine für den Mörder und eine für die Angehörigen des Opfers. Beide Gruppen werden in getrennte Räume geführt. Durch eine Glasscheibe können sie dann beobachten, wie der Häftling auf eine Liege geschnallt und die Giftspritze in seinen Arm gestochen wird. Sara Tanner hat lange überlegt, ob sie sich das antun soll. Sie entschied, dabei sein zu wollen. http://www.welt.de/vermischtes/weltgeschehen/article106243606/Gruesse-aus-der-To... 06.05.2012